Jessica Kremser – Frau Maier fischt im Trüben. Frau Maiers erster Fall

Miss Marple ermittelt am Chiemsee

Frau Maier lebt mit ihrer Katze in einem kleinen Haus am Chiemsee. Eigentlich ist die ältere Dame die Ruhe in Person. Doch als sie an einem ganz normalen Montagmorgen eine Frauenleiche am Ufer findet, ist nichts mehr so, wie es war: Ein nächtlicher Besucher schleicht um ihr Haus und hinterlässt unheimliche Nachrichten, die Schwester der Ermordeten wird bedroht und eine weitere Leiche lässt nicht lange auf sich warten. Weil die Polizei sie für senil hält, ermittelt Frau Maier auf eigene Faust und bringt sich dabei in höchste Gefahr… (Verlagsinfo)

Die Autorin

Jessica Kremser wurde 1976 in Traunstein geboren und wuchs am Chiemsee auf. Zum Studium der englischen und italienischen Literatur sowie der Theaterwissenschaften zog es sie nach München. Dort ist sie heute als Autorin und Journalistin tätig. (Verlagsinfo)

Die Frau Maier Reihe

Frau Maier fischt im Trüben (2012)
Frau Maier hört das Gras wachsen
Frau Maier sieht Gespenster
Frau Maier wirbelt Staub auf
Frau Maier macht Dampf (2021)

Handlung

Frau Maier lebt mit ihrer Katze allein in einem kleinen Haus direkt am Chiemsee, der jeden Tag sein Gesicht ändert. Die über 60 Jahre alte Frau Maier ist eine genaue Beobachterin, und auch ihr Gedächtnis ist noch fit. Allerdings stammt sie nicht aus Kauzing, und das bringt ihr ein paar Vorbehalte bei ihren Nachbarn und den Kunden, für die sie putzt, ein. Doch seit sie Elfriede Gruber, die Leiterin der Sparkasse, von einem Seitensprung ihres Gatten informiert hat, hat sie bei der Filialleiterin einen Stein im Brett – einen Stein, der Gold wert ist. Denn Frau Maier gerät in Schwierigkeiten.

Die Wasserleiche

Am Montagmorgen findet Frau Maier die Leiche im Uferschilf. Es ist nicht irgendeine Leiche, sondern die einer jungen Frau, die sie gekannt hat: Anita Graf. Und sie ist splitterfasernackt. Ein Selbstmord scheidet aus, denn welche Frau würde sich schon die Mühe machen, sich vorher auszuziehen, bevor sie ins Wasser geht? Außerdem hält die Anita einen Zettel in der Hand. Und Frau Maier hat das untrügliche Gefühl, beobachtet zu werden.

Der Psychologe

Da Frau Maier kein Telefon hat, ruft sie über Elfriede Gruber die Polizei, doch als Kommissar Brandner die Leiche inspizieren will, ist diese verschwunden. Er erklärt Frau Maier für zumindest unzurechnungsfähig und hetzt ihr einen Psychologen auf den Hals, den netten Frank Schön. Nachdem sie entdeckt haben, dass sie beide Elvis Presleys Musik lieben, taut Schön ein wenig auf, doch Frau Maier merkt allmählich, wie durchtrieben seine Methode ist. Erst macht er einen auf naiv, bevor er messerscharfe Schlüsse zieht. Wenigstens merkt er, dass sie alles andere als unzurechnungsfähig ist.

Das Klassenfoto

Am nächsten Tag geht sie bei Inge Graf, Anitas Schwester, wie immer putzen. Sie weiß ja, wo der Haustürschlüssel versteckt ist. Inge hat viel zu tun und lässt Frau Maier machen. Die nutzt die Gelegenheit, in Anitas früheres Kinderzimmer zu schleichen. Anita war aus Amerika zu Besuch gekommen, erzählt Inge, um etwas Wichtiges zu besprechen. Der Schreibtisch ist mit Papieren und Fotos übersät. Anita war definitiv schön. Eines der Fotos ist ein Klassenfoto, wohl zum Schulabschluss. Alle Personen sind mit Namen versehen. Darauf ist Anita neben ihrer besten Freundin zu sehen, beobachtet von einem jungen Mann. Wen betrachtet er: Anita oder Evi? Warum wanderten die beiden jungen Frau in die Neue Welt aus, wundert sich Frau Maier. Etwas muss sie dazu veranlasst haben, damals unter der amerikanischen Besatzung.

Drohungen

Am nächsten Tag erhält Inge Graf Anitas Abschiedsbrief. Sie erleidet einen Nervenzusammenbruch. Frau Maier hat ihren Aufschrei gehört und steht ihr bei. Der Abschiedsbrief ist nämlich gar keiner. Welche Schreiberin würde die Buchstaben aus der Zeitung ausschneiden und dann auf ein Blatt Papier kleben statt sie selbst zu schreiben? So was tun doch bloß Erpresser. Inge beruhigt sich wieder. Aber dann folgt auch noch ein Überfall direkt vorm Haus. Wieder ist Frau Maier zur Stelle. Weil sie in den letzten Nächsten selbst mysteriöse Aktivitäten in ihrem Vorgarten festgestellt hat, rät sie Inge, in München einen Unterschlupf zu suchen.

Inge reist zu ihrer Kusine ab, und Frau Maier verstärkt ihre Ermittlung noch, sehr zum Missfallen von Polizei und Psychologe Schön. Sie sucht mit Hilfe Elfriede Grubers alle Personen auf, die damals auf dem Abschlussfoto der Klasse in der Nachkriegszeit gewesen waren. Es sind eine ganze Menge, aber jemand muss noch nach all den Jahren einen Groll gegen Anita & Co. hegen und versucht nun, Frau Maiers Ermittlung zu vereiteln. Am Sonntag missbraucht Frau Maier eine antike Telefonzelle, die noch aus dem 20. Jahrhundert stammt, für eine telefonische Suche nach einem gewissen Josef Neuhauser. Er scheint der Großonkel eines Einwohners zu sein. Zeitlich würde das passen: Neuhauser senior war auf dem Klassenfoto.

Noch eine Leiche

Doch es bleibt weder bei leeren Drohungen noch bei der einen Leiche: Frau Antonia Richter will Frau Maier etwas Dringendes mitteilen, doch dazu kommt es nicht mehr. Frau Maier wird nur Zeugin, wie die Leichter der Frau Richter aus dem Haus des Herrn Schuldirektors, das sie hat bewohnen dürfen, herausgetragen. Als der Kommissar Brandner Frau Maier erblickt, kriegt er ganz schmale Augen und tiefe Stirnfalten. Frau Maier macht sich aus dem Staub, doch sie setzt den Frank Schön darauf an: Er soll doch mal nachschauen lassen, ob die Frau Richter eines natürlichen Todes gestorben sei, wie der Brandner behauptet. Tödliche Wunden können ja auch ganz winzig sein.

Der Plan

Während sich Frau Maier vor einem anonymen Einbrecher in einen unbewohnten, aber saukalten Schuppen flüchtet, fasst sie einen verzweifelten Plan: Sie muss das Geheimnis, das ihr Frau Richter offenbaren wollte, selbst lüften. Dazu ist jedoch ein entschlossenes Vorgehen nötig: für einen Einbruch auf jeden Fall…

Mein Eindruck

Der Krimi mit der betagten Ermittlerin erinnert das wohl ältere Lesepublikum an nichts so sehr wie an Miss Marple. Deren Fälle laufen derzeit im deutschen Fernsehen in Serie. Im Unterschied zu den alten Filmen mit Margaret Rutherford in der Titelrolle ist Frau Maier – deren Vornamen wir nie erfahren – kein Wirbelsturm der Energie, sondern eher ein Hasenfuß. Da ihr Heim ihre Burg ist, verbarrikadiert sie sich vor den bedrohlicher werdenden Angriffen des Maskenmannes lieber, als selbst die Initiative zu ergreifen.

Handicaps

Ihr eigener Körper ist ihr wegen der zu vielen Pfunde ebenso im Wege wie ihr Gehirn, in dem die Gedanken entweder „durcheinanderpurzeln“ oder einfach „wegflutschen“. Das ist ein wenig kontraproduktiv, aber im leser kommt nach dem x-ten „Purzeln“ und „Flutschen“ der Verdacht auf, dies sei vielmehr eine raffinierte Methode der Autorin, die Lösung des Rätsels hinauszuzögern. Und so ergibt sich die Schlüsselszene wieder mal erst kurz vor Schluss: Frau Maier spürt die Klinge eines Messers an der Kehle, denn ihr Gegner ist eindeutig psychopathisch veranlagt.

Dennoch ist Frau Maier eine Hauptfigur, mit der man Sympathie empfindet. Sie ist, obwohl eine Bürgerin Kauzings, seit 40 Jahren eine Außenseiterin. Vor allem deswegen, weil ihr der Fischer Karli seinerzeit die Maria vorgezogen hat statt Frau Maier einen Antrag zu machen. Na, wenigstens wird sie von der engen Dorfgemeinschaft geduldet und manchmal sogar verwöhnt. Das erlaubt es ihr, gewisse Gefälligkeiten einzufordern und Fragen zu stellen, die andere Leute – etwa der Kommissar – als ungehörig, ja, verdächtig ansehen würden. Dr. Schön ist da anderer Ansicht.

So gelingt es ihr, einem ungeheuren Geheimnis auf die Spur zu kommen, das selbst noch nach 40 Jahren seine Schatten wirft: Die Messerklinge am Hals beweist es, quasi hautnah. Die Zeugen von damals sind entweder unter der Erde oder im Sanatorium, so etwa der Pfarrer. Der weiß über Anita und ihre verschwundene Freundin Evi selbst jetzt noch nichts als Böses zu sagen: Er nennt sie Huren. Und was der Schuldirektor Eichler gesagt hätte, wollen wir lieber gar nicht wissen, aber der ist eh schon unter der Erde.

Der Schlüssel

Ein Puzzle aus Verdachtsmomenten und Indizien setzt sich zusammen, aber Frau Maiers Gehirn ist sich mal wieder selbst im Wege: Es empfiehlt ihr nämlich, den höchsten privaten Brief der Anita an ihre Schwester Inge NICHT zu lesen, weil sich sowas nicht gehöre. Tja, aber 60 Seiten vorm Schluss ist es dann endlich soweit, was der leser eh schon lange erwartet hat: Der Brief liefert den Schlüssel zum Puzzle. Da diese Informationen aber der Hammer sind, werden sie erst sehr spät geliefert. Anita und Evi wurden Huren genannt, obwohl sie ja die Opfer eines sexuellen Missbrauchs waren und vor ihrem Peiniger in die Fremde flohen – sofern sie es noch konnten. Dreimal darf man raten, um wen es sich handelt. Nur die Fische des Chiemsees wissen wohl, wo die Leiche der Evi verblieben ist.

Unterm Strich

Ich las den sehr langsam, aber penibel erzählten Seniorenkrimi mit gemischten Gefühlen. Frau Maier ist ja das genaue Gegenteil zur energischen Miss Marple einer Margaret Rutherford: defensiv, hintenrum und verstohlen. Welche Großtatenkann der Leser da schon erwarten? Sie entspricht selbst dem Bild der Außenseiterin, das sie noch nach 40 Jahren Wohnhaftigkeit in der bayerischen Provinz von sich hat. Dass sie mal bei jemandem einbricht, will nicht so recht zu ihrem Charakter passen.

Das Leitmotiv

Aber es ist genau diese Doppelbödigkeit im Charakter, die als Leitmotiv den ganzen Roman durchzieht. So wie Frau Maier wesentlich Tiefe offenbart, so auch der Psychologe Frank Schön und die Bankmanagerin. Noch viel mehr zeigt sich dieses Leitthema an den Figuren des Skandals 40 Jahre zuvor, nämlich am Pfarrer Schuster und vor allem am Schuldirektor. Eichler ist ja quasi das Inbild eines Ehrenmanns und niemand würde ihm die Vergewaltigung einer Schülerin zutrauen.

Deshalb werden auch alle Hinweise und Anklagen seitens Anita abgeschmettert und sie selbst zur Hure gestempelt. Keiner würde ihn für einen Mörder halten. Es ist genau dieses Wegsehen, dass die aktuellen Aktivitäten des Maskenmannes ermöglicht: Was nicht sein darf, das kann auch nicht sein. In dieser Hinsicht ist der Roman eine einzige Anklage gegen Heuchelei und falsche Loyalität.

Der See

An jedem neuen Tag, den Frau Maier – selbst nach schlimmsten Nächten – erleben darf, betrachtet sie den See. Der Chiemsee ist an der Oberfläche meist ziemlich flach und ruhig, aber er liegt im Alpenvorland und kann bei Föhnsturm ungeahnte Energien entwickeln. Als eine Art Seelenlandschaft spiegelt der See seine eigene Zwienatur: die graue Ruhe im Spätwinter, als die Geschichte beginnt, bis hin zur Lebhaftigkeit des Frühlings, in dem die Geschichte endet. Und wer weiß schon, was unter der Oberfläche lauert. In diesen Wandel kann sich der Leser quasi hineinkuscheln.

Der Roman wendet sich an ältere, vermutlich weibliche Leser, die ebenso mit den Zipperlein des Älterwerdens kämpfen und zurechtkommen müssen. Aber sie alle brauchen Liebe und Aufmerksamkeit. Das Sinnbild dafür ist Frau Maiers – ebenfalls namenlose – Katze.

Taschenbuch: 306 Seiten plus Leseprobe.
ISBN-13: 9783865323408

www.Pendragon.de

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