„Selbst ein schwacher Schimmer an Hoffnung reicht aus, um das gesamte dunkle Universum zu erleuchten.“
Der blaue Stein liegt still im tiefen Wald. Er glaubt, er würde für immer dort bleiben, bis zum letzten Tag der Erde. Doch dann brennt ein großes Feuer den Wald nieder und der blaue Stein wird in zwei Teile gebrochen. Der eine Teil verbleibt im Wald, der andere wird von Menschen in eine ferne Stadt transportiert …
Eine Geschichte über Einsamkeit, Sehnsucht und Suche. (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
Einsamkeit, Sehnsucht und Suche beschreiben dieses Werk sehr zutreffend. Genau das sind die Motive, die es ausmachen und die vor allem für den Leser spürbar und auf ihn übertragen werden.
Ich muss zugeben, dass ich zunächst etwas skeptisch war. Ein Bilderbuch für Erwachsene? Für Kinder kennt man es ja, aber von einem Bilderbuch für Erwachsene hatte ich bis dato noch nichts gehört. Dementsprechend war ich doch ein wenig skeptisch, da ich befürchtete, dass es sehr kitschig werden könnte. Aber dem war ganz und gar nicht so. ‚Der blaue Stein‘ ist ein wahnsinnig seriöses und trauriges Werk, das mich wirklich gefesselt hat. Zwar bietet die Story nicht viel Abwechslung – aber das ist auch gar nicht nötig. Auch ohne bewegt dieses Werk und nimmt den Leser mit auf eine außergewöhnliche und dennoch alltägliche Reise.
Aber erst mal von Anfang an: Das Cover hat mich sofort angesprochen. Nicht wegen der Zeichnung selbst oder wegen der Kinder, die darauf zu sehen sind. Sondern schlichtweg aufgrund der Tatsache, dass der Stein, der auf dem Cover abgebildet ist, durch das Material hervorgehoben ist. Selbst ohne den Titel weiß der Leser also sofort, um was es gehen wird. Bis dahin habe ich mich trotzdem noch gefragt, ob es wirklich um einen Stein gehen würde… Denn was für eine Story sollte man um einen Stein stricken können?
‚Der blaue Stein‘ ist den Eltern des Künstlers gewidmet. Er selbst war an Leukämie erkrankt und hatte sein erstes Buch als Abschiedsgeschenk verfasst. Mit diesem Wissen wird das Bilderbuch direkt noch viel trauriger. Aber gleichzeitig gibt es auch Hoffnung. Denn ‚Der blaue Stein‘ ist nicht jenes erste Werk, das ein Abschiedsgeschenk sein sollte. Jimmy Liao hat den Kampf gegen den Krebs gewonnen und kann uns deswegen nun umso mehr mit seinen Büchern beglücken. Dieser Kontrast zwischen Hoffnung und Angst zieht sich durch das gesamte Buch – sicherlich ist es nicht zu viel Interpretation, zu glauben, dass dies auch Jimmy Liaos Gefühlsleben darstellt(e).
Die Zeichnungen sind sehr einfach gehalten, ohne viele Details, aber dafür wie mit Tusche oder dergleichen gemalt. Jimmy Liao verliert sich nicht in Details, sondern konzentriert sich auf das Wesentliche und verleiht ihm so eine gewisse Tiefgründigkeit. Erwähnenswert ist hier auch der Kontrast, den Jimmy Liao in seinen Bildern erschafft. Zwar sind sie einfach gehalten, aber der Künstler drückt gleichzeitig Ruhe und Bewegung in einem Bild aus. Schon bei dem ersten Bild, das nach Öffnen des Buches erscheint und noch vor der eigentlichen Geschichte zu finden ist, spiegelt sich dieser Kontrast wider. Es ist ein großer Wald zu sehen, welcher ruhig daliegt. An einer Stelle jedoch neigen sich die Bäume wie in einem Sturm zur Seite. Dahinter ist ein blauer Schein zu erkennen – ganz offensichtlich der blaue Stein.
So wie Menschen oft kalt und emotionslos dargestellt werden, so wird dieser Stein durch Jimmy Liao personifiziert. Der Stein lebt in einem Wald, welcher eines Tages durch ein Feuer zerstört wird. Jimmy Liao wurde Leukämie diagnostiziert und auch seine Welt ist eingebrochen, bis er den Kampf irgendwann gewann. Doch der Weg dorthin war eine Odyssey und genau so ergeht es jetzt dem Stein. Man könnte wohl sagen, dass Jimmy Liao sich selbst in dem Stein sieht. Aber genauso gut kann sich jeder andere Leser in gewisser Weise ebenfalls mit dem Stein identifizieren.
Zunächst hatte ich angenommen, dass der Stein klein ist, weil er auch auf dem Cover kleiner ist als die Menschen. Aber dem ist ganz und gar nicht so… Vielmehr ist er riesig und erinnert ein bisschen an einen großen Wal. Das ändert sich jedoch schon bald, denn nach dem Brand wird er von den Menschen entzweigebrochen. Während eine Hälfte zurückgelassen wird, wird die andere bearbeitet und zu einem Elefanten geformt. Dieser wird daraufhin ausgestellt und von allen bewundert, bis er irgendwann uninteressant wird. Die dadurch entstehende Einsamkeit sorgt dafür, dass der Stein sich nach seiner anderen Hälfte sehnt, woran er wortwörtlich zerbricht.
So geht es nun immer weiter. Der Stein wird weiterverkauft, bearbeitet, bewundert, ignoriert und zerbricht an seiner Einsamkeit, wodurch dieser Kreislauf letztlich wieder von vorne beginnt. Der Stein erlebt Freude und Einsamkeit dicht nebeneinander und hat mit vielen verschiedenen Menschen zu tun. Und jedes Mal wird er umgeformt und angemalt. Doch sobald er die Einsamkeit spürt und seine andere Hälfte vermisst, begegnet ihm etwas Blaues – ein Schal, ein Luftballon, usw. -, woran er letztlich zerbricht.
Der Stein wird verbogen, geht verloren, bereitet Freude, dient als Stütze und erlebt doch immer wieder Einsamkeit. Während seine Sehnsucht nach seiner anderen Hälfte immer größer wird, wird er selbst immer kleiner. Er reist umher, lernt viele neue Orte und Menschen kennen, doch will letztendlich nur nach Hause. Er verirrt sich regelrecht auf seiner Suche nach sich selbst, bringt dafür aber den Menschen immer wieder kurzzeitig Freude. Nur er selbst bleibt einsam und zerbricht immer weiter.
Fazit:
Jeder durchlebt mal schwierige Phasen, doch es ist wichtig, niemals aufzugeben. Selbst wenn die ganze Welt gegen einen zu sein scheint, sollte man zu sich stehen und sich selbst treu bleiben. Die Suche nach sich selbst, nach dem wahren Ich, kann anstrengend sein und einen mit Steinen übersäten Weg aufzeigen, aber letztendlich ist es man selbst, der einen glücklich macht. Nicht die Meinung anderer, nicht das, was andere von einem fordern. Solange man mit sich selbst im Reinen ist, kann man auch glücklich sein. Das ist es, was wir aus ‚Der blaue Stein‘ lernen können, was wir vor allem beachten sollten. Wir dürfen niemanden verbiegen, weil er uns nicht passt. Aber genauso wenig sollten wir uns für andere verbiegen.
So skeptisch ich vor dem Lesen auch war, so begeistert bin ich jetzt. ‚Der blaue Stein‘ ist ein trauriges und tiefgründiges Werk, auch wenn es aus wenigen Bildern und Sätzen besteht. Aber letztendlich ist es meist das, was nicht ausgesprochen oder gezeigt wird, das etwas aussagt. So verhält es sich auch mit diesem Werk, das die Suche nach sich selbst auf außerordentliche Weise beschreibt.
Sicherlich lässt sich noch sehr viel mehr hineininterpretieren und es lassen sich noch viele weitere Schlüsse für das eigene Leben ziehen. In jedem Fall aber ist es ein wirklich gelungenes Werk, das ich jedem wärmstens empfehlen kann. Gerade wenn man auf der Suche nach sich selbst ist, zeigt Jimmy Liao, dass man sich nicht zu etwas machen sollte, was man nicht ist. Wer man ist und was man sein will, weiß nur die Person selbst und das sollten wir alle akzeptieren.
Taschenbuch: 120 Seiten
Originaltitel: 蓝石头 德文版
Aus dem Chinesischen von Marc Hermann
ISBN-13: 978-3905816839
www.manhua.ch
Der Autor vergibt: