Joachim Zelter – Die Lieb-Haberin. Roman

Der Zauberlehrling und seine Geliebte

Dies ist die Geschichte eines eitlen Mannes, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr los wird. Er hat sich eine nette Geliebte für nebenher gewünscht, doch bekommt er weitaus mehr: Sie liebt und ihn hält ihn, bis ihre Vorstellung von der Realität seine bezwingt. Der Verlag DVA würde diese Story gerne als Variation auf „Romeo und Julia“ verkaufen, doch ich sehe das Buch als frivole Variante des „Zauberlehrlings“.

Der Autor

Dr. phil. Joachim Zelter, 1962 in Freiburg geboren, studierte und lehrte englische Literatur (daher die zahlreichen Zitate!) in Tübingen und Yale, USA. Zelter arbeitet seit 1997 als freier Schriftsteller und als „Vorlesekünstler“. Er erhielt den württembergischen Literaturpreis, der nach Thaddäus Troll benannt ist. Seine Romane heißen „Briefe aus Amerika“ (1998) und „Die Würde des Lügens“ (2000). Auch Stories, Essays und Hörspiele sowie literaturwissenschaftliche Publikationen gehören zu seinem Werk.

Handlung

Der Ich-Erzähler ist ein Anglistikprofessor (ähnlich wie der Autor), der sich auf seine akademischen Kenntnisse und seine ironische Intelligenz einiges zugute hält. Eines Tages erlaubt er sich ein Späßchen. Er postiert sich vor dem Grab des „Kanzlers der Großen Koalition“ (= Kurt Georg Kiesinger), angetan mit einer recht seltsamen Kluft: einem Tweedjackett, halblangen Pumphosen (!), einer Sonnenbrille und einer Aktentasche. Die Botschaft dieses Aufzugs ist klar: ein Brite, wie er im Buche steht, womöglich gar aus Oxford.

Und tatsächlich funktioniert sein Trick. Sobald eine Seminarklasse von Theologen der nahen Uni (Tübingen?) eintrifft, stellt er sich vor: Gestatten? Frederick Goodridge-Clerk, Friedhofssoziologe. Sein Arbeitsgebiet, seine Leidenschaft seien Friedhöfe. Oja, sie haben sich im Laufe der Epochen gewandelt, so wie ihre Bewohner und Besucher.

Doch wo ist die Theologiestudentin, der all dieses Brimborium gilt? Wo ist Fatie, die mit den gläubigen Rehaugen, die keinen einzigen „versteckten Hinweis“ mitkriegt? Was für ein leichtes Opfer für seine Absichten! Doch Fatie kommt nicht. Selbst als er schon den Friedhof verlassen will und noch schnell ein paar Autogramme gibt, fehlt sie. Doch Wochen später hört er einen Jauchzer auf der Straße: „Der Beerdigungsunternehmer!“ Upps! Sie geht mit ihm und lässt ihn nicht mehr los.

Sie geht mit in seine Akademikerklause und verbingt die Nacht mit ihm. Ihre Orgasmusschreie erschüttern die Wände. Das findet er interessant. Sie fragt ihn, warum er sie nie bei ihrem Namen nennt. Er wird die Klette nicht mehr los, denn sie ist eine Lieb-Haberin, keine Geliebte. Was sie (lieb) hat, das lässt sie nicht mehr los. Und sie hat ein (ach so natürliches) Ziel.

Wie sie nur loswerden? Sein Bruder, William, ist schizophren. Wir können nicht heiraten. Wahnsinn ist erblich. Ich bin kein Engländer, kein Beerdigungsunternehmer, nie gewesen. Und meine deutschen papiere hab ich verloren, vergessen, vernichtet (was auch immer). Macht nix, sagt sie. Sie besorgt ihm einen britischen Pass. Auf den Namen Frederick Goodridge-Clerk.

Das Verhängnis naht und ist unausweichlich. Ihre Familie ist unterrichtet und kommt pünktlich. Die Uni gratuliert zum freudigen Ereignis.

Mein Eindruck

Ein Autor, der zu seinem eigenen Roman selbst das Vorwort schreibt, muss wissen, was er tut. Denkt man. Und der Roman ist auch sauber durchkomponiert: ansteigende Spannung, die entscheidende Begegnung, der resultierende Konflikt, der nahende Untergang des „Helden“ und resultierende vergebliche Rettungsversuche. Wenn es nicht so grotesk und lustig wäre, wär’s zum Heulen, so abgeschmackt ist die Story. Erinnerungen an Laclos‘ „Gefährliche Liebschaften“ werden wach. Der Akademiker als Valmont, Gott behüte!

Doch unser Valmont-Jünger hat sich gehörig verrechnet. Der Bildungsdünkel, der mir hin und wieder die Lektüre vergällte, stellt sich als grande illusion heraus, je weiter die Lieb-Haberin Fatie die Kontrolle über sein Fühlen und Denken übernimmt. Was nützt sein ironisches Parlieren in drei Sprachen, was die Kerzenlichtabende in der Pizzeria, wenn doch alles wieder ins Bett führt, bis die Wände wackeln? Er fühlt sich ob ihrer klettenhaften Zuneigung geschmeichelt: jemand braucht ihn? Wonderful!

Es nicht besonders nett, wie er Fatie, die tumbe Verliebte, hinstellt: ungebildet, in höchstem Maße sinnlich, beinahe schon unschuldig in ihrer Vernarrtheit. Als er erkennt, auf welche Weise sie die Realität verbiegt, um ihre Ziele zu erreichen, ist es bereits für ihn zu spät. Während die Wirklichkeit ein Gegenstand des geistigen Spiels ist, arbeitet Fatie damit und formt sie. Bald ist’s aus mit seinem Spiel. Die Regeln stellt nun sie auf. Am Ende steht er seiner früheren Identität entfremdet gegenüber.

Unterm Strich

Ein Buch, das man mehrmals lesen sollte: Das Vergnügen wird mit jedem Mal größer. Denn beim ersten Mal hat man ja noch keine Ahnung, was unser „Held“ vorhat. Dadurch kann der Anfang recht schleppend wirken. Ein ironisches Vergnügen bietet der Mittelteil, in dem der Held Fatie näher kennenlernt und sie wieder loswerden möchte. Zu kritisieren ist hier jedoch sein herablassender Bildungsdünkel, den er uns subtil unterjubeln möchte, um uns auf seine Seite zu ziehen. Unfair!

Das letzte Drittel ist, wenn nicht direkt makaber, so doch zumindest von bitterer, verzweifelter Ironie. Wohlgemerkt: Wir erleben alles aus „seiner“ Sicht. Hier steigert sich die Charakterkomödie zu einer Qualität à la Buster Keaton und Harold Lloyd, jenen Stummfilmheroen, die schließlich doch stets Opfer weiblichen Charmes und Starrsinns werden.

„Die Lieb-Haberin“ ist ein amüsanter, stilvoll geschriebener Roman aus einer Akademikerhochburg. In Tübingen sitzt auch der Verlag Klöpfer und Meyer, der sein Buch bei der DVA erscheinen ließ. Besonders Anglisten und Romanisten werden es mit Genuss lesen.

Hardcover: 152 Seiten
ISBN-13: 9783421057167

www.dva.de

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