Joan Lennon – Die siebte Prüfung

Lehrreiche Zeitenreise, spannende Abschlussprüfung

Ein verträumter Gestaltwandler namens Eo aus dem 24. Jahrhundert, ein naiver Novize aus dem Mittelalter und ein rebellisches Mädchen aus der Zukunft. Was die drei miteinander verbindet? Sie bestreiten gemeinsam das gefährlichste Abenteuer ihres Lebens.

Ein gewaltiger Fehler von Eo katapultiert sie auf eine wilde Reise durch Zeit und Raum. Sechs Zeitreisen müssen sie meistern, nur dann werden sie die alles entscheidende Prüfung bestehen. Scheitern sie jedoch, fällt Eos Heimat an die seelenverschlingenden Meerwesen, die Kelpies. Aber die drei sind bereit, sich der Herausforderung zu stellen – hoffen sie jedenfalls … (erweiterte Verlagsinfo)

Ich würde das Buch ab zwölf Jahren empfehlen.

Die Autorin

Joan Lennon ist gebürtige Kanadierin. Sie arbeitete in diversen Jobs in aller Welt und lebt heute mit ihrer großen Familie in Schottland. Das Schreiben bezeichnet die viel beschäftigte Lennon – sie gibt auch Klavierstunden – definitiv als den „besten Job der Welt“.

Bei CBJ veröffentlichte sie bereits das Jugendbuch „Questors – Die Weltenretter“ (siehe meinen Bericht).

Handlung

Im 24. Jahrhundert leben die menschenähnlichen Wesen der G auf der Hebrideninsel Iona vor sich hin, wenn sie nicht gerade in eine andere Gestalt gewechselt sind, etwa einen Fisch oder einen Vogel. Eo ist ein fauler, unaufmerksamer Schüler, der seinem Lehrer Prof. Pinkerton Hurple nie richtig zuhört. Denn der Professor bevorzugt die Gestalt eines Frettchens.

Als Eo zusammen mit Hurple, den er im Rucksack trägt, einen Ausflug an die Küste macht, wirkt er unabsichtlich Magie, und das ist immer riskant. Denn auf den hebriden treffen leicht die verschiedenen Dimensionen aufeinander. Schwupps, senkt sich ein Wirbel auf Eo herab und betäubt ihn fast. Aus dem Wirbel entsteigt eine stattliche weiße Stute, die sich als Königin der Kelpies vorstellt. Oh nein! Selbst ein unaufmerksamer Schüler wie Eo weiß, dass Kelpies seelenverschlingende Meereswesen mit großen magischen Kräften sind.

Die Königin beansprucht Eos Seele. Es sei denn, es gelingt ihm, eine Prüfung zu bestehen. Welche darf’s denn sein? Oje, schon wieder muss sich Eo erinnern! Aber aus der vorgelegten Listen tippt er einfach mal auf die „Siebte der Gezeiten“. Ach herrje, das hat er sich was eingebrockt: Denn sie ist voller Rätsel und wird ihn auf anderen Welten führen. Und wenn sie nicht zur siebten Wende von Ebbe und Flut bestanden ist, gehört seine Seele den Kelpies.

Au Backe! Na, wenigstens kann Gladrag, die Präsidentin der G’s, zu deren Volk Eo gehört, noch ein paar mildernde Punkte herausschlagen. Und sie lässt Eo seinen „Pelzkragen“ tragen – der ihn Wahrheit aus Prof. Pinkerton Hurple besteht. Die Königin der Kelpies ist zwar misstrauisch, aber sie akzeptiert die Bedingungen. Jetzt geht es für Eo um seine Seele!

1. Station

Eo und Prof. Hurple, das Frettchen in seinem Rucksack, landen mit ihrem Zeittransporter, den Gladrag wirft, im 6. Jahrhundert – natürlich wieder auf einer der Hebrideninseln. Hier begegnen sie dem Novizen Adom am Ufer eines Flusses. Hier liegt das Dorf des Barden Devin. Devin ist ein alter Freund des Missionars Columban. Adom hatte die Ehre, seinen Abt Columban zu Devin rudern zu dürfen, denn sie beide leben auf der Insel Iona, die zwischen Irland und Schottland liegt.

Zunächst ist Adom noch im Zweifel, ob der fremde Junge und sein sprechendes Frettchen nicht doch Dämonen in Menschengestalt sind. Doch sobald der Heilige die beiden im Namen des Herrn gesegnet hat, ist er sehr erleichtert. Denn dieser Eo ist ihm selbst in vielen Dingen ähnlich: Er ist genauso schlecht im Lernen.

Als Adom erfährt, dass Columban ein berühmter Töter von Kelpies sein soll, taucht ein neues Problem auf: Ausgerechnet er, der schlechteste Schüler im Kloster auf Iona, soll den beiden Fremden eine Audienz beim Heiligen verschaffen! Au weia, denkt Adom…

Mein Eindruck

Eo und Adom verschlägt es durch die Intervention von Kelpie-Königin und Gestaltwandlern in die Zukunft. Dort lernen sie die unzufriedene Jay kennen, mit der sie im 18. Jahrhundert landen. Hier ereilt Eo der Tod durch eine Musketenkugel. Glücklicherweise kann er in letzter Sekunde wiederbelebt werden. Aber das schreckliche Erlebnis schweißt die drei, pardon: vier Gefährten zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Sie haben noch einige Prüfungen zu bestehen, bevor es in der titelgebenden, siebten Prüfung um buchstäblich alles geht.

Letzte Runde

Das „trockene Herz“ ist ein Labyrinth, in das die Kelpie-Königin sie schickt. Es ist die perfekte Metapher für alles, was einen jungen Menschen, der keine Freunde als Helfer hat, in Gefahr bringen kann: Gefühllosigkeit, Täuschbarkeit und Einsamkeit. Nur durch Freunde lässt sich der Schleier von den Illusionen heben, und sie retten den Einzelkämpfer in letzter Sekunde. Der trockene Fluss – das ist das Salz des Meeres. Und ein Strom aus zermahlenen Muscheln droht unachtsame Irrläufer zu ersäufen. Wohl dem, der im Labyrinth den Weg weiß und die Helfer findet. Dieses finale Kapitel ist wirklich einfallsreich gestaltet und extrem spannend.

Aber der Roman ist weit von einem Schocker entfernt. Die Geschichte dreht sich vielmehr eine Art faustische Prüfung. Während die Kelpie-Königin die Seele von Eo haben will, müssen sich er und seine drei Freunde sowie die Gestaltwandler dagegen formieren. Soll das Böse wirklich siegen und die Gestaltwandlerwelt den Dämonen der Königin anheimfallen? Niemals! Aber bis zuletzt ist offen, welcher Wurf des Dimensionstransporters für oder gegen die vier Gefährten entscheidet. Das sorgt für erhebliche Spannung, wenn der Leser mit den jungen sympathischen Figuren bangt.

Lehrspiel

Vor dieser eher moralischen Konfrontation entspinnt die Autorin aber auch ein pädagogisches Lehrspiel. Hätte der faule Eo nur besser in Prof. Hurples Schule besser aufgepasst. Dann säße er jetzt nicht tief in der Patsche. Auf eingeschobenen FAQ-Zetteln beantwortet Prof. Pinkerton Hurple „Frequently asked questions“ (FAQ), also häufig gestellte Fragen. (Was das ist und soll, wird auf S. 8 erklärt.) Der Numerierung nach sind es etwa 1000, aber zu sehen sind im Buch vielleicht zwei Dutzend. Mehr wäre kaum zu verkraften und würde eher nerven als belehren.

Sehr hilfreich ist jedoch die Gezeitentabelle am Schluss des Textes. In die Tabelle sind die sieben Gezeiten für die sieben Prüfungen eingetragen, sowie der Ausgangszustand. In der ersten Spalte ist beim Datum auch die Welt erwähnt, in die es die Gefährten verschlägt.

Die Übersetzung

Der Text liest sich flüssig und abwechslungsreich, im Stil kindgerecht, ohne zu unterfordern. Hurples FAQ-Zettel sind als Faksimile abgedruckt.

S. 14: „notwen[d]ig“. Das D fehlt.

55: „Adom zwinkerte“. Zwinkern erfolgt nur mit Absicht. Aber Adom ist sich nicht sicher, was er gesehen hat. Er zwinkert nicht, blinzelt. Die Stelle ist also eine sprachliche Fehlübersetzung.

157: „So sch[n]ell“. Das N fehlt.

281: „…in einem Gang mit einer eigenartiger Akustik“. Es müsste „eigenartigen“ heißen.

290: „Was meinst [du] mit >wenn du dran bist<?“, fragte sie krächzend.“ Das Wörtchen „du“ fehlt.

327: „Ihr wisst ja, wie sie sind.“ Klingt etwas unklar, aber mit „sie“ sind die Angehörigen der Menschenklasse N, zu der Jay gehört, gemeint. In diesem Epilog erfahren wir, dass sie aufgestiegen ist: in die Klasse der Wissenden.

Unterm Strich

Sicher, das Handlungsgerüst der Prüfungsserie erinnert von fern an Bestseller wie „Die tribute von Panem“. Die Geschichte spielt jedoch in einer Parallelwelt, und es walten Kräfte, die uns (noch) nicht zur Verfügung stehen. Mit der seelenverschlingenden Kelpie-Königin tritt eine schottische Legendengestalt auf, die direkt der Fantasy entsprungen sein könnte, denn sie beruht auf dem Volksglauben an die Selkies: Wesen, die im Meer Robbengestalt und an Land Menschengestalt, vorzugsweise die eines knusprigen Mädchens, haben. Nun, die Kelpie-Königin ist alles andere als begehrenswert und eher so etwas wie die Schwiegermutter aus der Hölle. Soll Ihresgleichen die Erde erben? Nimmer!

In den sechs Vorrunden durchlaufen die drei jungen Gefährten zusammen mit ihrem Mentor Hurple einen Zyklus des kognitiven, emotionalen und moralischen Wachstums. Ganz wichtig ist beispielsweise Circes Welt. Die Zauberin beherrscht eine Insel, auf der nur Frauen leben und frei sein dürfen. Odysseus lebt hier nur als verzauberter Hund (wenigstens nicht als Schwein). Hier muss Jay herausfinden, ob sie im Utopia der Frauen bleiben will oder lieber mit ihren Gefährten fliehen soll.

In der finalen Runde müssen alle zeigen, was sie draufhaben. Wären sie nicht innerlich gewachsen, müssten sie kläglich versagen. Doch dazu kommt es zum Glück nicht: Dieser spannende Showdown mit den Abgesandten der bösen Königin dürfte jeden phantasiebegabten Leser zum Nägelkauen verführen und bei der Stange halten.

Auch wenn ich mich an zahlreiche Vorbilder wie etwa „Die Tribute von Panem“ erinnert fühlte, so gelang es dem Buch doch, mein Interesse wachzuhalten. Am besten gefiel mir der Schauplatz der Äußeren Hebriden westlich von Schottland. Für Krimikenner: Dort, auf der Insel Runa, spielt Simon Becketts Forensikthriller „Written in Bone“ (dt. Titel: „Kalte Asche“).

Die lehrreichen Zeitreisen führen zu Circe, Sauriern und Neanderthalern, ins gefährliche 18. Jahrhundert, ins urgläubige 6. Jahrhundert und weit in die Zukunft. Historie, Fantasy und SF-Elemente reichen sich hier die Hand, um die Gefährten zu prüfen und wachsen zu lassen. Die begleitenden Erklärtexte Prof. Hurple klären so manche Logikfrage. Der Prof himself lindert das Drama durch seinen abgeklärten, ironischen Humor. Kein Wunder also, dass er schließlich selbst zum Gott erhoben wird – der ultimative Witz.

Die Aussage des Buches ist ganz einfach: Wer Freunde gewinnt, wird als Mensch überleben. Und wer außerdem noch Wissen erwirbt, der wird unter den Menschen aufsteigen, um glücklicher und zufriedener sein zu können. So ergeht es allen drei Gefährten. Das sind zwei Lektionen, die man getrost weitergeben kann.

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Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
Info: The Seventh Tide, 2008
Aus dem Englischen von Gerold Anrich und Martina Instinsky-Anrich
ISBN-13: 978-3570136744

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