Inhalt
Eine dunkle Nacht im Dezember, ein Mord im vornehmen Hotel Palace de Verbier in den Schweizer Alpen. Doch der Fall wird nie aufgeklärt. – Einige Jahre später verbringt der bekannte Schriftsteller Joël Dicker seine Ferien im Palace. Während er die charmante Scarlett Leonas kennenlernt und sich mit ihr über die Kunst des Schreibens unterhält, ahnt er nicht, dass sie beide in den ungelösten Mordfall hineingezogen werden. Was geschah damals in Zimmer 622, das es offiziell gar nicht gibt in diesem Hotel … (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
Zunächst einmal finde ich die Inhaltsangabe ziemlich irreführend, denn die Ermittlungen der beiden Hobby-Detektive spielen nur am Rande eine Rolle. Dieser Handlungsstrang macht den geringsten Anteil des Romans aus. Es geht hauptsächlich um die Ereignisse bzw. Charaktere, die Jahre zuvor mehr oder weniger direkt mit dem mysteriösen Mord zu tun hatten, sowie um die Geschehnisse, die sich 15 Jahre davor ereigneten, und letztendlich zu dem gewaltsamen Todesfall in Zimmer 622 führten.
Diese drei Hauptzeitebenen – es gibt innerhalb dieser noch Weitere – wechseln sich unregelmäßig ab, wodurch die Spannung kontinuierlich gehalten wird. Viele Geheimnisse & Lügen werden immer wieder angedeutet, dann peu à peu aufgedeckt, und schließlich entfalten sich die verschiedenen Konsequenzen…
Da mir die Figur des Schriftstellers unsympathisch war und ich seine Urlaubsbekanntschaft weitestgehend als blass empfand, war ich natürlich froh darüber, dass die Handlung größtenteils in den diversen Vergangenheiten mit den entsprechenden Charakteren stattfindet. Die meisten dieser Figuren sind zwar auch unsympathisch, aber sie ließen mich nicht kalt: ihre intriganten, chaotischen Aktionen rufen auf jeden Fall Emotionen hervor!
Der personifizierte Teufel, der rachsüchtige Versager, die Eiskunstlaufmutter und der treudoof ergebene Opportunist sind so verstörend faszinierend wie ein Flugzeugabsturz in der Nachbarschaft, bei dem das eigene Haus als einziges heil bleibt! Dann wären da noch der hoffnungslose Romantiker, der verkannte Künstler sowie die verraten & verkaufte Tochter/Ehefrau/Geliebte. Der Plot ist jedoch der reinste Zirkus, und was wäre eine Manege ohne Tricks, Maskeraden oder Illusionen?
Eins haben die Protagonisten allerdings gemeinsam: sie sind grotesk und irrwitzig. Den Rahmen für die Geschehnisse bildet eine Privatbank zusammen mit einem Nobelhotel, und ich war positiv überrascht, weil die Finanzwelt hier kein wenig grau oder öde abgebildet wird. Neben Macht und Geld sind auch Familie, Träume, Gewinner, Verlierer sowie Liebe die Zutaten der abstrusen Irrungen & Wirrungen in „Das Geheimnis von Zimmer 622“.
Der Stil dieser Dramedy erinnerte mich ein bisschen an Filme wie „Wir sind keine Engel“ „Manche mögen’s heiß“ oder „Charade“: die Handlung ist spektakulär absurd, die Figuren sind cartoonhaft, aber dennoch (oder gerade deswegen) fühlte ich mich gut unterhalten.
Die Charaktere stehen sich allesamt selbst im Weg, und weil das nicht schlimm genug ist, haben sie noch Widersacher – solche die ihnen absichtlich schaden, sowie solche, die es im Grunde gut mit ihnen meinen – nur gut gemeint ist eben nicht gut gemacht…
Die skurrilen, widerstrebenden Interessen der Figuren, führen in eine turbulente Abwärtsspirale, die nach und nach ihre Opfer fordert, ganz im Sinne der Ironie des Schicksals. Der Eine will Einfluss & Ansehen, aber was er auch tut, er geht stets leer aus. Den Anderen interessiert die Liebe, er bekommt jedoch Einfluss & Ansehen. Schließlich lösen Neid, fehlgeleitete Leidenschaft sowie leere Versprechungen einen Dominoeffekt aus, der ebenso vermeidbar gewesen wäre, wie er, einmal in Gang, zerstörerisch ist…
Der ansatzweise metafiktionale Aspekt, der Autor Joël Dicker ist auch eine gleichnamige Romanfigur, ist meiner Meinung nach nicht besonders interessant gestaltet bzw. wenig passend zur eigentlichen Handlung, und für mich somit überflüssig. Dieser Teil hält zum Ende hin eine unerwartete Wendung bereit, die vielleicht so etwas wie die Kirsche auf den Schokostreusel auf der Sahnehaube sein soll? Aber die hat dieser Roman nun wirklich nicht nötig, denn „Das Geheimnis von Zimmer 622“ ist kreativ, überwältigend sowie überraschend genug für drei Bücher!
Der Autor
Joël Dicker wurde 1985 in Genf geboren. Seine Bücher „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ und „Die Geschichte der Baltimores“ wurden weltweite Bestseller und über sechs Millionen Mal verkauft. Für „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, das in Frankreich zur literarischen Sensation des Jahres 2012 wurde und dessen Übersetzungsrechte mittlerweile schon in über 30 Sprachen verkauft wurden, erhielt Dicker den Grand Prix du Roman der Académie Française sowie den Prix Goncourt des Lycéens. Mit „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ konnte er an seine Erfolge anknüpfen und schaffte es ebenfalls auf die Bestsellerlisten. (Verlagsinfo)
Fazit:
Ich hatte im Großen und Ganzen meine Freude mit diesem Füllhorn an Rätseln, Spannung, unglücklichen Zufällen, Missverständnissen, Drama und Humor! Die komplexen Zusammenhänge der packenden, einfallsreichen Handlung, haben mich dazu gezwungen zwei Nächte hintereinander durchzumachen. Dank des flüssigen, bildstarken, amüsanten sowie atmosphärischen Schreibstils, bin ich nur so durch die über 500 Seiten des E-books geflogen!
E-Book: 624 Seiten
Originaltitel: L´Énigme de la chambre 622
Aus dem Französischen von Michaela Meßner und Amelie Thoma
ISBN-13: 978-3-492-07090-4
www.piper.de
Der Autor vergibt: