John Brunner – Am falschen Ende der Zeit

Paranoia kennt keine Freunde

Ein Science-Fiction-Agentenroman über eine paranoid gewordene USA. In einer paranoiden Welt gilt jedes freundliche „Hallo“ als Aufforderung zum Kampf. Auch dann, wenn sich dahinter eine gut gemeinte Warnung vor der Zukunft verbirgt. Denn dann schlägt der Mensch im Verfolgungswahn gleich zurück.

Auf dem Titelbild der Knaur-Ausgabe von 1979 sind zwei Köpfe zu sehen: der eine, menschliche, sieht aus wie David Bowie in jungen Jahren, der andere, nichtmenschliche, jedoch wie ein finster dreinblickender Yoda. Zwei Welten treffen also aufeinander. Ob sie wohl einander schließlich verstehen?

Der Autor

John Kilian Houston Brunner wurde 1934 in Südengland geboren und am Cheltenham College erzogen. Dort interessierte er sich schon früh „brennend“ für Science-Fiction, wie er in seiner Selbstdarstellung „The Development of a Science Fiction Writer“ schreibt. Schon am College, mit 17, verfaßte er seinen ersten SF-Roman, eine Abenteuergeschichte, „die heute glücklicherweise vergessen ist“, wie er sagte.

Nach der Ableistung seines Militärdienstes bei der Royal Air Force, der ihn zu einer pazifistisch-antimilitaristischen Grundhaltung bewog, nahm er verschiedene Arbeiten an, um sich „über Wasser zu halten“, wie man so sagt. Darunter war auch eine Stelle in einem Verlag. Schon bald schien sich seine Absicht, Schriftsteller zu werden, zu verwirklichen. Er veröffentlichte Kurzgeschichten in bekannten SF-Magazinen der USA und verkaufte 1958 dort seinen ersten Roman, war aber von der geringen Bezahlung auf diesem Gebiet enttäuscht. Bald erkannte er, daß sich nur Geschichten sicher und lukrativ verkaufen ließen, die vor Abenteuern, Klischees und Heldenbildern nur so strotzten.

Diese nach dem Verlag „Ace Doubles“ genannten Billigromane, in erster Linie „Space Operas“ im Stil der vierziger Jahre, sah Brunner nicht gerne erwähnt. Dennoch stand er zu dieser Art und Weise, sein Geld verdient zu haben, verhalf ihm doch die schriftstellerische Massenproduktion zu einer handwerklichen Fertigkeit auf vielen Gebieten des Schreibens, die er nicht mehr missen wollte.

Brunner veröffentlichte „The Whole Man“ 1958/59 im SF-Magazin „Science Fantasy“. Es war der erste Roman, das Brunners Image als kompetenter Verfasser von Space Operas und Agentenromanen ablöste – der Outer Space wird hier durch Inner Space ersetzt, die konventionelle Erzählweise durch auch typographisch deutlich innovativeres Erzählen von einem subjektiven Standpunkt aus.

Fortan machte Brunner durch menschliche und sozialpolitische Anliegen von sich reden, was 1968 in dem ehrgeizigen Weltpanorama „Morgenwelt“ gipfelte, der die komplexe Welt des Jahres 2010 literarisch mit Hilfe der Darstellungstechnik des Mediums Film porträtierte. Er bediente sich der Technik von John Dos Passos in dessen Amerika-Trilogie. Das hat ihm von SF-Herausgeber und –Autor James Gunn den Vorwurf den Beinahe-Plagiats eingetragen.

Es dauerte zwei Jahre, bis 1969 ein weiterer großer sozialkritischer SF-Roman erscheinen konnte: The Jagged Orbit (deutsch 1982 unter dem Titel „Das Gottschalk-Komplott“ bei Moewig und 1993 in einer überarbeiteten Übersetzung auch bei Heyne erschienen). Bildeten in Stand On Zanzibar die Folgen der Überbevölkerung wie etwa Eugenik-Gesetze und weitverbreitete Aggression das handlungsbestimmende Problem, so ist die thematische Basis von The Jagged Orbit die Übermacht der Medien und Großkonzerne sowie psychologische Konflikte, die sich in Rassenhass und vor allem in Paranoia äußern. Die Lektüre dieses Romans wäre heute dringender als je zuvor anzuempfehlen.

Diesen Erfolg bei der Kritik konnte er 1972 mit dem schockierenden Buch „Schafe blicken auf“ wiederholen. Allerdings fanden es die US-Leser nicht so witzig, dass Brunner darin die Vereinigten Staaten abbrennen ließ und boykottierten ihn quasi – was sich verheerend auf seine Finanzlage auswirkte. Gezwungenermaßen kehrte Brunner wieder zu gehobener Massenware zurück.

Nach dem Tod seiner Frau Marjorie 1986 kam Brunner nicht wieder so recht auf die Beine, da ihm in ihr eine große Stütze fehlte. Er heiratete zwar noch eine junge Chinesin und veröffentlichte den satirischen Roman Muddle Earth (der von Heyne als „Chaos Erde“ veröffentlicht wurde), doch zur Fertigstellung seines letzten großen Romanprojekts ist es nicht mehr gekommen Er starb 1995 auf einem Science-Fiction-Kongress, vielleicht an dem besten für ihn vorstellbaren Ort.

Handlung

In einer Ära, in der die die Vereinigten Staaten bis an die Zähne bewaffnet und weitgehend von der übrigen Welt isoliert der Sowjetunion gegenüberstehen (also im Kalten Krieg), empfängt man in der UdSSR Bildbotschaften einer fremden Spezies, deren Angehörige sich in der Nähe der Kreisbahn des Planeten Pluto in einem Raumschiff aufhalten. Dass dieses Schiff von Antimaterie angetrieben wird, lässt darauf schließen, dass es sich um eine technisch weit überlegene Rasse handelt.

Die Alien-Bilder verkündigen wenig Positives für die Zukunft der Erde: Eine Bildfolge führt vom Weltall über einen Atompilz zurück zum Steinzeitmenschen. Die russischen Wissenschaftler lesen daraus die Drohung ab, man werde die Erde in die Steinzeit zurückbomben.

Angesichts dieser Bedrohung wird ein Agent in die USA eingeschleust. Der junge Farbige Danty Ward ist dabei, als der Agent Schlekow in einem U-Boot an der US-Küste abgesetzt und von seinem Kollegen Turpin empfangen wird. Schlekow soll einen Mutanten suchen, der die Alienbilder richtig entschlüsseln kann. Eine Kommunikation ist aus technischen Gründen unmöglich.

Schon bald ist der US-Geheimdienst Schlekow auf den Fersen. Gemeinsam müssen Danty, dessen Gönnerin Magda, Schlekow und das Mädchen Lora die Flucht nach Kanada antreten. Unterwegs gibt sich Schlekow zu erkennen und berichtet von der Alien-Botschaft. Danty, der sein Leben lang von dunklen Vorahnungen geplagt worden ist, findet dafür eine Erklärung, die die anderen verblüfft: Da die Fremden offenbar am falschen Ende der Zeit geboren sind, sei die Folge ihrer Botschaften nur einfach umzukehren. In Wahrheit verheißen sie demnach den Weltfrieden als ausstehenden Erfolg menschlicher Evolution.

Mein Eindruck

Der ziemlich kurze Roman – die Knaur-Ausgabe hat nur 144 Seiten – hinterlässt keinen tiefen Eindruck. Er lässt sich in eine Reihe mit den Dutzenden von ähnlichen Büchern einreihen, die Brunner kompetent und flüssig geschrieben hat. Der kritische Ansatz, den Brunner seit 1963 verfolgte, richtet sich natürlich gegen eine Welt, in der Kalte Krieg nie endete. Als der Roman 1971 erschien, tobte in Vietnam immer noch ein blutiger Krieg.

Der Weltfrieden, daran lässt der Autor keinen zweifel, liegt am Ende eines noch langen Weges. Brunner schildert eine amerikanische Realität, deren soziale Kontakte auf Sex oder Gewalt reduziert sind, in der die Umwelt ebenso zerstört ist wie der Rechtstaat – diese Gesellschaft, soviel wird klar, hat keine Zukunft. In diesem aggressiven militärischen Klima können Botschaften von anderen Welten nicht anders denn als Bedrohung aufgefasst werden.

Der Grund, warum der Roman dennoch optimistisch klingt, ist an den Personen und Gruppen der sogenannten „Rebs“, also Rebellen, festzumachen: Sie lassen sich nicht von der Staatsmacht erpressen und vom Geld nicht korrumpieren; ihnen gelingt es gegen alle Wahrscheinlichkeit, in einer unmenschlichen Welt menschlich zu bleiben und zu handeln. Selbst Schlekow, so meint Magda, können wir uns vielleicht als glücklichen Menschen vorstellen (wie Sisyphus?): Weil er noch etwas vor sich hat, wie sie sagt.

Taschenbuch: 206 Seiten
Originaltitel: The Wrong End of Time, 1971
Aus dem Englischen von Horst Pukallus
ISBN-13: 9783453085800

www.heyne.de

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