John Crowley – AEgypten. Roman

Die verborgene Geschichte der Welt

Ein „Zufall“ verschlägt den jungen Historiker Moffett in eine ländliche Idylle -in den „Farway Hills“, den „fernen Hügeln“, gerät er in erotische und geistige Abenteuer, die ihn nicht mehr freigeben. Er verliebt sich in eine Rosie, die offenbar eine Doppelgängerin hat, und findet den rätselhaften Nachlass des Schriftstellers Fellowes Kraft, einen unvollendeten historischen Roman über Giordano Bruno. Für Moffett aber ist Bruno längst der letzte Denker, der Wissenchaft und Magie vereinte, bevor sie in zwei Strömungen auseinandertraten. Er hat das dunkle Gefühl, den Zugang zu diesem „alten Wissen“ gefunden zu haben, das ihm zugleich neu und seltsam vertraut ist. Gibt es eine zweite, eine geheime Geschichte der Welt?

Der Roman war anno 1988 für zwei Literaturpreise nominiert, für den Arthur C. Clarke Award (Science Fiction!) und für World Fantasy Award (Fantasy). Dies unterstreicht den Grenzfallcharakter des Romans.

Der Autor

John Crowley, geboren 1942, lebt in den Hügeln des Flusses Connecticut in Massachusetts mit seiner Frau und seinen Zwillingstöchtern. Nachdem er die Universität abgeschlossen hatte, zog er nach New York, um dort Filme zu drehen, was er bis heute tut. Seinen ersten Roman „In der Tiefe“ (siehe meinen Bericht) veröffentlichte er 1975, seit 1993 unterrichtet er an der Yale University. Crowley ist Preisträger des “American Academy and Institute of Arts and Letters Awards for Literature”.

Crowley ist Autor der drei Zukunftsromane „In der Tiefe“ (1975), „Geschöpfe“ (1976) und „Maschinensommer“ (1979) (alle drei im gleichnamigen Sammelband bei Heyne) sowie des Fantasyromans „Little, Big“ („Das Parlament der Feen“; dt. bei Heyne), der mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde; ein Roman, von dem Ursula K. Le Guin sagte, dass es nach einer Neudefinition von Fantasy rufe („calls for a redefinition of fantasy“).

==>1980 begann Crowley damit, einen vierbändigen Roman namens „Ægypt“ zu schreiben. Die einzelnen Teile der Reihe nannte er „The Solitudes“ (ursprünglich: „Ægypt“), „Love & Sleep“, „Dæmonomania“ und „Endless Things“. Das Gesamtwerk wurde im Jahr 2007 veröffentlicht.

Zusammen stellt dieser Großroman den Versuch dar, die Weltgeschichte und die Geschichtsschreibung mit Hilfe der Imagination umzudeuten. Weitere Romane von John Crowley sind „The Translator“ (2002, dt. bei Golkonda) und „Lord Byron’s Novel: The Evening Land“ (2005), ein Buch, das selbst einen fiktiven Roman enthält. Eine Erzählung namens „The Girlhood of Shakespeare’s Heroines“ erschien 2002. 2008 erschien die Novelle „Conversation Hearts“, 2009 der Roman „Four Freedoms“.

Crowleys Kurzgeschichten sind in drei Bänden erschienen: „Novelty“ (inklusive der Erzählung „Great Work of Time“, für die Crowley abermals den World Fantasy Award erhielt), „Antiquities“ und „Novelties & Souvenirs“. Eine Sammlung seiner Aufsätze und Buchbesprechungen kam 2007 unter dem Titel „In Other Words“ auf den Markt.

1989 gründeten Crowley und seine Frau Laurie Block das Unternehmen „Straight Ahead Pictures“, um Produktionen über amerikanische Geschichte und Kultur für Film, Funk und Internet herzustellen. Crowley schreibt außerdem Drehbücher für Kurzfilme und Dokumentationen. Sein Werk erhielt mehrfach verschiedene Preise und wurde auf Filmfestivals wie dem New York Film Festival oder der Berlinale aufgeführt. Seine Drehbücher umfassen Werke wie „The World of Tomorrow“ (über die Weltausstellung 1939), „The Hindenburg“ und „FIT: Episodes in the History of the Body“ (über die amerikanische Fitnesskultur, zusammen mit Laurie Block).

Eine Brieffreundschaft mit dem Literaturkritiker Harold Bloom führte dazu, dass Crowley seit 1993 Kurse an der Yale University über Utopische Literatur, fiktives Schreiben und Drehbuchschreiben hält. (teilweise Quelle: Wikipedia.de)

Der Ægypt-Zyklus

Ægypt (1987, überarbeitet als The Solitudes, 2007) Deutsch: AEgypten, 1991, ISBN 3-10-013104-5.
Love & Sleep (1994)
Dæmonomania (2000)
Endless Things (2007)

Hintergrund

Der Roman ist als Künstlerroman angelegt, indem er der späten Lebensentwicklung des Geschichtsprofessors Pierce Moffett folgt. Dieser versucht, ein fiktionales Buch zu vollenden, das spekulative Geschichtsschreibung, Fiktion und eine fiktive Welt namens Ægypt, die er bereits als Kind erfand, miteinander zu kombinieren.

Moffetts zwei Hauptquellen sind das Werk von Frank Walker Barr, eines spekulativen Historikers und Moffetts Mentors, und Fellowes Kraft, eines höchst produktiven Autors von historischen Romanen. Zu Barrs Vorbildern gehören Robert Ranke-Graves, die Präraffaelitin Katharine Emma Maltwood und besonders Dame Frances Yates. Diese Dame wird von Cowley in seinem Vorwort besonders hervorgehoben. Er nennt den Roman eine „Fantasia über ihre Themen“.

Über Kraft hingegen kommt Moffett in Berührung mit Giordano, dem auf dem Scheiterhaufen verbrannten Ketzer, und der zwielichtigen Gestalt von John Dee, der der Magier von Königin Elizabeth I. gewesen sein soll. Kraft hat einen Roman angefangen, in dem sich diese beiden großen Gestalten des 16. Jahrhunderts begegnen (siehe unten). Diese Szenen sind immer wieder im Roman zu finden. Die Figur Barrs soll auf dem von Crowley bewunderten David Derek Stacton beruhen.

Die ersten drei astrologischen Häuser, die in diesem ersten Roman des Quartetts (s.o.) vertreten sind, bestehen in: (1) Vita bzw. Leben; (2) Lucrum bzw. Reichtum; und (3) Fratres bzw. Brüder bzw. Bruderschaft.

Figuren der Renaissance

(1) John Dee: Der elisabethanische Arzt, Alchimist, Kryptograph und Hellseher.
(2) Giordano Bruno: Der Dominikanermönch, der als Ketzer verbrannt wurde.
(3) Edward Kelley: John Dees Assistent, der sich den Decknamen „Edward Talbot“ gab. Dee ist jedoch gegenüber Talbot ständig misstrauisch.
(4) Elizabeth I. und William Shakespeare geben sich jeweils kurz die Ehre.

Die Haupthandlung des Romans spielt im späten 20. Jahrhunderts, wo sich der Geschichtsprofessor Pierce Moffett aufs Land zurückzieht, in ein Dorf namens mit dem sprechenden Namen Faraway Hills. Hier soll der Autor Fellowes Kraft gelebt und geschrieben haben. Da Moffett ein Buch über Hermetik plant, stößt er in Krafts letztem unvollendeten Roman über John Dee und Giordano Bruno auf zahlreiche Parallelen.

Der Roman besteht aus Schilderungen aus Moffetts Leben und aus Zitaten aus Krafts Buch über Bruno und Dee. Letztere werden durch Striche anstelle von Anführungszeichen gekennzeichnet.

Handlung

Nach einem „Prolog im Himmel“, der John Dee, Edward Talbot und den kindlichen Helden einführt, führt das erste Kapitel besagten Pierce Moffett in das Dorf Faraway Hills, wo er den ehemaligen Studenten Spofford treffen will. Durch ihn kommt er auf die Idee, das benachbarte Örtchen Blackberry Jambs zu besuchen, wo Fellowes Kraft lebte.

Pierce Moffett findet in Blackberry Jambs sowohl Menschlichkeit und Verständnis als auch Liebe und Lebensinhalt. Er beschließt, ein Buch über Hermetik mit der Biografie Giordano Brunos sowie mit Krafts unvollendeten Romanen über John Dee und G. Bruno zu verknüpfen. Unterdessen fühlt er sich sehr zu Rosie Mucho hingezogen, die gerade die ersten schmerzvollen Schritte in Richtung Scheidung wagt. Und sie scheint eine Doppelgängerin zu haben…

Moffett will ein Buch über die andere Geschichte der Welt schreiben, über das Traumland AEgypten. AEgypten deshalb, weil von dort die Zigeuner, die „Gypsies“ gekommen sein sollen, denen man seit dem Mittelalter nachsagt, sie könnten die Zukunft voraussagen.

Doch woher stammt dieser unausrottbare Glaube? Auf der Suche nach der Antwort auf diese Frage stößt Moffett auf die mittelalterlichen Schriften über geheimes Wissen, das aus dem Orient kommt. Und er stößt auf jene, die wie er einst Sucher waren: Dr. John Dee und Giordano Bruno. Auf diesem Weg beantwortet sich nicht nur die Frage, wie der Mensch Bedeutung schafft, sondern auch, warum dies das eigentliche Wunderbare ist. Diese Antwort aber findet der Leser nur zwischen den Zeilen.

Mein Eindruck

Ein echter Grenzfall zwischen Fantasy und Mainstream ist der Roman von John Crowley, dem Verfasser von „Little, Big“. „AEgypten“, wie dieses phantasievolle Buch heißt, ist der erste Band einer vierteiligen Serie, in der jedes einzelne Buch in Unterbücher eingeteilt ist, die mit den zwölf Häusern des astrologischen Horoskops korrespondieren. „AEgypten“ ist in drei der ersten Häuser aufgeteilt. Wer auf dem New-Age-Trip ist, dürfte hier also genau richtig sein.

Was sich nun wie New Age-Gesäusel anlässt, ist nichts weniger als eine Umdeutung der Weltgeschichte und der Geschichtsschreibung mit Hilfe der Imagination, der Mythopoeia der Griechen. Denn Crowley sagt, dass alles, was uns an Geschichte fasziniere, seien die Geschichten in ihr, und diese nur, weil sie Bedeutung schüfen. Deshalb interessieren uns noch heute die Mythen der Griechend vieler anderer Völker: Sie erklären die Welt und ordnen sie.

Wenn also der Historiker Pierce Moffett, die Hauptgestalt dieses verzweigten Romans, von den Fachbüchern abkommt und sich auf fiktive Darstellungen von geschichtlichen Personen stürzt – besonders der ketzerische Giordano Bruno und der geheimnisvolle Mathematiker-Doktor John Dee haben es ihm angetan – , dann, so Crowley, versucht Moffett seinem eigenen Leben Sinn und Bedeutung zu verleihen. Und das tun schließlich die meisten von uns, wenn auch mit recht unterschiedlichem Erfolg.

Auf jeden Fall sorgt „AEgypten“ für die faszinierendste Lektüre, die sich ein gebildeter Leser vorstellen kann. Und durch Rosie Mucho kommt auch die Liebe nicht zu kurz. Aber ist dies auch Fantasy bzw. Science Fiction, wie oben genannten Literaturpreise suggerieren? Zumindest das „Vorspiel im Himmel“ suggeriert dies: John Dee und Edward Talbot beobachten einen Engel und werden in eine andere Welt fortgerissen…

Hardcover: 470 Seiten
Originaltitel: AEgypt, 1987
Aus dem Englischen von Hannah Harders
ISBN-13: 9783100131041

S. Fischer Verlag

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)