Auf einem rundum umzäunten Tennisplatz wird der reiche Frank Dorrance umgebracht. Verdächtig sind seine ehemalige Braut und sein Rivale Jim Rowland, die beide ihre Unschuld beteuern. Die Polizei ist anderer Meinung, erst Dr. Gideon Fell enthüllt einen teuflisch genialen Mordplan … – Der 11. Roman der Fell-Serie bietet klassische Krimi-Kost vom Feinsten: Der Plot ist herrlich verwickelt, die Lösung absurd aber logisch, und die Figuren erfüllen jedes altmodische Rätsel-Krimi-Klischee.
Das geschieht:
Jim Rowland, ein redlicher Anwalt aber leider ein Habenichts hat sich unsterblich in Dr. Nicholas Youngs Mündel, die junge, natürlich schöne Brenda Scott verguckt. Leider war Frank Dorrance, ein ebenso reicher wie arroganter Widerling, in der Minne schneller. Brenda kann der Verlockung des Geldes nicht widerstehen, was den braven Jim zur Weißglut bringt. Frank verfolgt ihn mit Hohn und Spott, doch unter Gentlemen wahrt man indes die Form, und so verabreden sich die Rivalen und die Umworbene zum Tennisspiel. Das gemischte Doppel komplettiert die nicht mehr ganz so junge Kitty Wilcroft, deren Gatte vor Jahren unter etwas mysteriösen Umständen sein Ende fand.
Nach dem Spiel bricht erneut Streit zwischen Frank und Jim aus, was dieser bald bereuen wird, obwohl ihn Brenda endlich erhörte. Leider findet Jim seine Holde beim Tennisnetz über die Leiche des Rivalen gebeugt, der sehr offensichtlich erdrosselt wurde. Nur zwei Spuren führen zum Ort der Untat: Franks und Brendas, obwohl diese ihre Unschuld beteuert und Jim ihr natürlich Glauben schenkt. Wird die Polizei ebenso vertrauensvoll sein? Davon sind die neuerdings Liebenden nicht überzeugt, und so beschließen sie, Brendas Spuren zu verwischen, um so den Anschein zu erwecken, sie habe sich dem Opfer nie genähert.
Natürlich geht alles schief. Jim und Brenda werden beim Frisieren der Indizien ertappt. Oberinspektor Hadley müht sich trotzdem, die verworrenen Spuren objektiv zu deuten. Dabei unterstützt ihn der Privatgelehrte und Amateurdetektiv Dr. Gideon Fell. Dreh- und Angelpunkt der Ermittlungen bildet die Frage, wie Frank eigentlich umgebracht wurde. Waren es weder Jim noch Brenda, kann es eigentlich nur ein Artist gewesen sein. Siehe da, es wäre möglich: Der fiese Frank hatte seine Braut mit einem schönen Mannequin betrogen und dieses dann schnöde sitzen lassen, was die Dame in einen Selbstmordversuch und ihren gehörnten Bräutigam zu wüsten Drohungen trieb. Dieser Arthur Chandler ist ein berühmter Trapezkünstler, und er war am Tatort …
Ein weiterer ‚unmöglicher‘ Mord
Zum elften Mal ernennt sich Gideon zum Fell zum Werkzeug der Gerechtigkeit. Wer ihn kennt, weiß genau, dass man dies so pompös ausdrücken kann und muss, denn Fell liebt große Auftritte, wenn er es ist, der sie absolvieren kann. Einen möglichst verzwickten Mord aufzuklären und in einem großen Finale dem Täter die Maske vom Gesicht zu reißen, ist ihm das Liebste auf der Welt.
Die Gelegenheit wird ihm zum elften Mal geboten, denn sein geistiger Vater John Dickson Carr ist der Großmeister des eigentlich unmöglichen Mordes im verschlossenen und ebenfalls Raum. Zwar spielt der Verfasser in „Mord am Netz“ mit den Regeln des Genres, indem er die Bluttat an einem allseits zugänglichen Ort geschehen lässt. Doch dieses Tennisplatz ist allseits hoch eingezäunt und ein Zugang prinzipiell nur durch den Eingang möglich.
Auch sonst variiert Carr seinen Lieblingsplot, der in der Tat schon 1939 manchmal allzu oft und schematisch daherkam. Dr. Fell taucht erst sehr spät in der Handlung auf. Als er dann zu ermitteln beginnt, sind wir Leser ihm scheinbar ein gutes Stück voraus: Wir wissen, dass die Spuren, die Polizei und Detektiv vorfinden, zu einem Gutteil manipuliert wurden. Dies wurde von Carr ebenso kundig wie unterhaltsam dargestellt. Erst die Tücke des Objekts hilft einerseits dem Mörder, während sie andererseits Unschuldige in arge Nöte bringt. Statt den Ermittlern einen wunschgemäß präparierten Tatort zu präsentieren, haben Jim und Brenda die Beweise heillos und endgültig verwirrt. Das gereicht ihnen zum Nachteil, aber da ist ja glücklicherweise Dr. Fell, der dort erst recht zur Höchstform aufläuft, wo die Polizei zufrieden die Akten und die Zellertür hinter dem Verdächtigen schließen will.
Nostalgie und Lesespaß
Wie Fell dieses Mal die Fäden entwirrt, soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden. Carr zieht jedenfalls wieder alle Register, um wider jede Wahrscheinlichkeit (und obwohl er fair alle echten und falschen Indizien offenlegt) eine möglichst unerwartete Lösung aus dem Hut zu zaubern.
Gänzlich verzichtet er dieses Mal dagegen auf die von ihm so geliebte Kulisse spukiger Schlösser oder verwunschener Dörflein. Stattdessen spielt „Mord am Draht“ ganz im Hier & Jetzt des Jahres 1939; fast jedenfalls, denn natürlich war die Story bereits in ihrer Entstehungszeit ein wenig angestaubt. Das schmälert das Vergnügen an diesem lupenrein klassischen Krimi nicht im Geringsten bzw. nicht halb so sehr wie die inzwischen doch recht flügellahme deutsche Übersetzung, die – man lese und staune – bereits aus dem Jahr 1941 stammt.
Da eine Neuveröffentlichung – modernisiert und womöglich ungekürzt – in den Sternen steht, muss sich der ungeduldige Krimi-Freund mit dieser altmodischen Version begnügen. Um den guten, alten Fell in ein vermeintlich zeitgemäßes Gewand zu kleiden, verpasste der Ullstein-Verlag der Neuausgabe von „Mord am Netz“ ein unangemessenes, ja geschmackloses Titelbild, von dem man sich jedoch nicht in die Irre führen lassen sollte: Die Lektüre lohnt sich allemal, und besonders teuer dürfte das Bändchen im Antiquariat oder auf dem Flohmarkt auch nicht kommen! Für die beliebte Love-Story darf man den Übersetzer nicht verantwortlich machen; die heute eher lästigen als lustigen Verwicklungen waren zeitgenössischer Stil und eine Zugabe, die Carr zeit seines Autorenlebens nicht in den Griff bekam.
Autor
John Dickson Carr (1906-1977), der so wunderbare englische Kriminalromane schrieb, wurde im US-Staat Pennsylvania geboren. Europa hatte es ihm sofort angetan, als er 1927 als Student nach Paris kam. Carrs lebenslange Faszination richtete sich auf alte Städte, verfallene Schlösser, verwunschene Plätze. Die fand er nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland und Großbritannien, die von ihm eifrig bereist wurden.
1933 siedelte sich Carr in England an, wo er bis 1965 blieb. Volker Neuhaus weist in seinem Nachwort zur „Die schottische Selbstmordserie“ (DuMont’s Kriminal-Bibliothek Bd. 1018) darauf hin, dass seine Kriminalromane so lebendig und scharf konturiert wirken, weil hier ein Fremder seine neue Heimat erst entdecken musste und ihm dabei Dinge auffielen, die den Einheimischen längst zur Selbstverständlichkeit geworden waren.
Carr fand schnell die Resonanz, die sich ein Schriftsteller wünscht. Ihm kam dabei zugute, dass er nicht nur gut, sondern auch schnell arbeitete. Obwohl ihm kein ausgesprochen langes Leben vergönnt war, verfasste Carr ungefähr 90 Romane – übrigens nicht nur Thriller. Seine Biografie des Sherlock-Holmes-Vaters Arthur Conan Doyle wurde 1950 sogar mit einem Preis ausgezeichnet. Da hatte man ihn bereits in den erlesenen „Detection Club“ zu London aufgenommen, wo er an der Seite von Agatha Christie, G. K. Chesterton (der übrigens das Vorbild für Gideon Fell wurde) oder Dorothy L. Sayers thronte. 1970 zeichneten die „Mystery Writers of America“ Carr mit einem „Grand Master“ aus; die höchste Auszeichnung, die in der angelsächsischen Krimiwelt vergeben wird.
Zu John Dickson Carrs Leben und Werk gibt es eine Unzahl oft sehr schöner und informativer Websites; an dieser Stelle sei daher nur auf diese verwiesen, die dem Rezensenten ganz besonders gut gefallen hat.
Taschenbuch: 155 Seiten
Originaltitel: The Problem of the Wire Cage (New York : Harper & Brothers 1939/ London : Hamish Hamilton 1940)
Übersetzung: Rudolf Hochglend
www.ullsteinbuchverlage.de
Der Autor vergibt: