John Wyndham – Kuckuckskinder


Under the Dome: Die Alien-Invasion im Hinterland

Als eines Tages im beschaulichen Dorf Midwich ein silbernes UFO landet, fallen alle Bewohner im Umkreis von zwei Meilen in Schlaf, um erst nach anderthalb Tagen zu erwachen. Neun Monate später bringen die Frauen des Dorfes 61 Kinder zur Welt, die alle goldene Augen aufweisen. Sie wurden als Wirtsmütter missbraucht, doch von wem und wofür? Der Schriftsteller Gordon Zellaby hat eine Theorie zu diesen Kuckuckskindern, die seine Nachbarn einfach nicht wahrhaben wollen…

Das Buch wurde bisher zweimal verfilmt, beide unter dem Titel „Das Dorf der Verdammten“: einmal im Jahr 1960 (mit George Sanders als Gordon Zellaby) und das zweite Mal im Jahr 1995 (mit „Superman“-Star Christopher Reeve als Dr. Alan Chaffee).

Der Autor

John Wyndham P. L. B. Harris wurde am 10. Juli 1903 in Knowle, Warwickshire, bei Birmingham geboren. Als er acht war, trennten sich seine Eltern; somit wuchs er in verschiedenen Internaten auf. Nach seiner Schulzeit arbeitete er u. a. als Landwirt, Grafiker, Werbefachmann und Verwaltungsangestellter. Ab 1925 versuchte er sich als Autor. 1931 erschien mit „Worlds to barter“ seine erste Story in „Wonder Stories“, einem der klassischen Pulp-Magazine der Zeit.

In seinen Anfangsjahren publizierte er meist unter Pseudonymen wie John Beynon harris und orientierte sich vor allem an H.G. Wells. Durch seine Erfahrungen im 2. Weltkrieg reifte er jedoch stark. Als Mitglied einer Nachrichteneinheit erlebte er ihn an vorderster Front mit, u.a. bei der Invasion in der Normandie 1944. Vor allem die durchaus realen Bedrohungen durch das Wettrüsten im Kalten Krieg inspirierten ihn zu postapokalyptischen Romanen wie „The Day of the Triffids“ oder „The Midwich Cuckoos“.

Diese SF-Klassiker beziehen ihre Spannung auch heute noch aus den Reaktionen der Protagonisten auf die Katastrophe und setzten inhaltlich und stilistisch neue Genre-Maßstäbe. Wyndhams humanistische Weltsicht offenbarte sich auch in seinen weiteren Storys, Weltraumabenteuern und Zeitreisegeschichten. Unter ihnen ragt die Novelle „Consider her ways“ heraus. Wyndham starb 1969 in Petersfield.

Wichtige Romane:

1) Die Triffids (1951, The Day of the Triffids)
2) Der Krake erwacht bzw. Kolonie im Meer (1953, The Kraken Wakes, dt. 1962)
3) Das Dorf der Verdammten bzw. Es geschah am Tage X (1957, The Midwich Cuckoos)
4) Wem gehört die Erde? (The Chrysalids, 1955)
5) Eiland der Spinnen (Web, 1979)
6) Ärger mit der Unsterblichkeit (Trouble with Lichen, 1960)

Handlung

Richard und Janet Gayford kommen gerade aus London zurück, als sie kurz vor ihrem Heimatdorf Midwich auf eine Straßensperre stoßen, und das mitten in der Nacht: Hier gebe es keine Durchfahrt, gibt ihnen der Polizist Bescheid. Natürlich kennen sie sämtliche Schleichwege, um ins Dorf zu gelangen, doch als sie eine weitere Warnung missachten, fallen beide auf einer Weide in tiefen Schlaf…

Bannmeile

Als der Soldat Cpt. Alan Hughes in Midwich seine Verlobte Ferrelyn Zellaby, die Tochter eines bekannten Philosophen und Lehrers, besuchen will, wird auch er aufgehalten. Beunruhigende Nachrichten kommen von den Straßen aus dem Umkreis des Dorfes: Überall haben sich Unfälle ereignet, und die Zufahrten sind von Fahrzeugen verstopft. Die Stille des Todes liegt über dem Dorf, wo seine Verlobte wohnt. Ist ein Gasunglück passiert?

Um herauszufinden, bis wohin sich die Gefahrenzone erstreckt, lässt er einen seiner Männer einen Käfig mit einem Kanarienvogel bestücken, wie man sie früher in den Bergwerken verwendete, um vor Grubengas gewarnt zu werden. Der Piepmatz fällt auch tatsächlich von der Stange, sobald sein Träger eine unsichtbare Linie überschreitet – nur um wieder wieder putzmunter herumzuhüpfen, sobald sein Träger zurücktritt. Auf diese Weise entdeckt Allans Mannschaft eine Linie, die sich in gleichmäßigem Abstand rings um das Dorfzentrum zieht. Dort haben Flieger ein Foto von einem silbern schimmernden Objekt geschossen. Was könnte es sein?

Erwachen

Am Morgen des dritten Tages steigt ein Helikopter mit einem weiteren Käfig auf, um herauszufinden, in welche Höhe sich die Bannmeile erstreckt. Nichts passiert. Auch am Boden wird das Verschwinden der unsichtbaren Barriere des Schlafs entdeckt, und sogleich düst Alan los, um nach Ferrelyn zu sehen.

Im Haus von Gordon Zellaby ist es nach anderthalb Tagen – man schreibt inzwischen den 28. September – eiskalt, und Gordon, Ferrelyn und ihre Stiefmutter Angela frieren, dass ihnen die Zähne klappern. Mit Mühe gelingt es ihnen, im Kamin ein Feuer zu entfachen – Zentralheizung kennt man hier draußen in der Pampa nicht. Da kommt auch schon Alan und besorgt heiße Getränke, während draußen die Armee einmarschiert. Von einem silbernen UFO ist nichts zu entdecken, aber vielleicht die Forschungseinrichtung dahinter, die im Gutshof untergebacht ist.

Sperrzone

Aber was ist überhaupt passiert, fragen sich Richard und Janet, als sie sich im nächstgelegenen Pub aufwärmen. Ins Dorf zurück lässt man sie nicht, das ist jetzt eine Sperrzone. Zum Glück entdeckt Richard seinen alten Kampfgenossen Bernard Westcott, mit dem er in den Ardennen und am Rhein gegen die Deutschen kämpfte. Jetzt ist Bernie beim Militärischen Geheimdienst. Aber sagen darf er auch nicht allzu viel. Aber er hat eine ungewöhnliche Bitte: Dick und Janet möchten doch bitte die Augen offenhalten und ihm berichten, was in Midwich vor sich geht. Spionieren?! Nein, nur wie eine Art Gesundheitsdienst melden, was ungewöhnlich ist. Kein Problem.

Ungewöhnliche Dinge

Da Janet außerhalb der Bannmeile des „Dayout“ niederfiel, bekommen sie und Richard nichts davon mit, wie es den anderen Frauen nach dem „Zwischenfall“ ergeht. Jede Frau merkt schnell, wenn ihre Periode überfällig ist. Aber das muss nicht der Fall sein, wenn sie es bei anderen merken soll. Unerklärliche Selbstmord- und unbeholfene Abtreibungsversuche finden im friedlichen Midwich statt, und unbescholtene Frauen werden der Untreue verdächtigt. Dr Willers erzählt Zellaby, was er von den Frauen erfahren hat: Insgesamt 61 Frauen glauben, schwanger zu sein. Aber wodurch und von wem, könne keine von ihnen sagen.

Nur eins ist sicher: Nicht für jede der so Beglückten ist die „unbefleckte Empfängnis“ à la Maria ein Segen. Miss Haxby vom Gutshof denkt daran, Entschädigung bei der Regierung zu beantragen, denn die hat sie ja als ihr Arbeitgeber in diese missliche Lage gebracht. Zellaby ist sich mit dem Doktor, dem Vikar und dem Militär, vertreten durch Alan, einig, dass etwas unternommen werden muss, bevor die Medien davon Wind bekommen und über das Dorf hereinbrechen. Bernard Westcott, verständigt von Richard, schirmt das Dorf nach besten Kräften ab.

Angela Zellaby lädt alle Frauen in die Gemeindehalle und hält eine beeindruckende Rede. Alle verpflichten sich zu Stillschweigen und tapferer Erduldung ihres Schicksals, als Wirtsmütter von einer unbekannten Macht missbraucht zu werden. Aber keine treibt ab, denn dafür ist ihnen das Leben zu heilig.

Geburtenwelle

Ende Juni/Anfang Juli des folgenden Jahres. 61 Babys auf einen Schlag zur Welt zu bringen, überfordert den alten Dr Willers. Er bekommt Assistenten und eine Hebamme. 61 gesunde Babys kommen auf die Welt, und alle weisen goldene Augen und platinblondes Haar auf. Doch das heißt nicht immer, dass jedes Kind bei seiner Mutter bleiben kann. Miss Haxby macht sich einfach aus dem Staub und hinterlässt die Frucht ihres Leibes der Obhut der Regierung.

Zellaby erkennt klar, dass die Mütter dieser Kuckuckskinder von den Babys auf unsichtbare Weise dazu gezwungen werden, sie in Midwich zu lassen, um sie zu versorgen. Wer wie Ferrelyn versucht, das Baby nach Trayne zu bringen, verspürt alsbald den Drang, sofort zurückzukehren. Und das passiert bei allen Kindern. Nach einer Grippewelle bleiben 30 männliche und 28 weibliche Kinder übrig, aufgezogen in einer Kinderkrippe der Gemeinde. Selbst Ferrelyn hat ihr Baby zurückgelassen, um mit Alan in Schottland in dessen Garnison leben zu können.

Der Schwarm

Schon nach einem Jahr sind die Neugeborenen so groß und so intelligent wie Zweijährige. Und wie Zellaby Richard und Janet mithilfe von zwei Experimenten beweist, kommunizieren die Kuckuckskinder auf unbekannte Weise miteinander, um einmal Gelerntes weiterzugeben. Das bedeutet, sie sind jedem menschlichen Kind haushoch überlegen – und womöglich sogar Erwachsenen. Sie besitzen eine Schwarmintelligenz, die Zellaby zu düstersten Prognosen veranlasst. Richard, unser Chronist, bekommt jedoch einen Job in Kanada und nimmt Janet mit.

Die Schule der Genies

Neun Jahre später besucht Richard Midwich erneut und fährt mit Bernard Westcott in das Dorf. Auf der Fahrt erfährt er, dass die neuen Kinder mittlerweile alle auf dem Gutshof leben, wo die Regierung eine Schule für sie eingerichtet hat. Es gibt zwei Klassen, eine für die Jungs und eine für die Mädels, denn es hat sich herausgestellt, dass das, was die Jungs untereinander an Wissen teilen, nicht an die Mädels weitergeleitet wird – und umgekehrt. Aber was ein Junge von einem Lehrer wie Zellaby lernt, wissen auch sofort alle anderen Jungs.

Folglich können mehrere Lehrer gleichzeitig viele Fachgebiete lehren, aber stets in zwei Klassen. Das Dumme ist nur, dass die Lehrer die Kinder nicht auseinanderhalten können, weil alle Jungs und alle Mädels gleich aussehen. Dass sich bei einem so hohen Lerntempo und dieser Gleichartigkeit der Besuch einer öffentlichen Schule verbietet, versteht sich wohl von selbst.

Als Richard und Bernard eintreffen, findet im Gemeindehaus gerade eine gerichtliche Anhörung statt: Der junge Jim Pawle von der Dacre-Farm ist mit seinem Sportwagen in die Mauer des Friedhofs gerast und dabei ums Leben gekommen. Der alte Zellaby nennt die Anhörung eine „Charade“ und erzählt seinen zwei Bekannten die wahre Geschichte: Jim Pawle streifte eines der Kinder und wurde dafür in die Mauer gelenkt. War es also Mord? Eins ist klar: Schuld daran waren die Kuckuckskinder, die ihre unheimlichen Kräfte einsetzten.

Aber das sieht nicht nur Zellaby so, sondern auch Jims Bruder David. Wenig später krachen zwei Schüsse durch das sonst verschlafene Dorf…

Mein Eindruck

Im Gegensatz zu den reißerischen Verfilmungen vermeidet der Roman die direkte Darstellung von Gewalt. Schüsse, Unfälle, Schlägereien – all dies ereignet sich nur „off-screen“ und wird unserem Chronisten Richard stets aus zweiter Hand berichtet. Selten, dass er mal selbst etwas erlebt. Diese Gewaltlosigkeit wirkt heute im Vergleich zu heutigen Alien- oder Zombie-Romanen geradezu hausbacken und betulich.

Das Äußerste an Gewaltanwendung ist die telepathisch induzierte Demütigung des Grafschafts-Sherriffs Sir John Tenby vor den Augen von Bernard Westcott – einer der fremdartigen Jungs hat einfach die entsprechenden Drüsen des Chief Constables angeregt. Das Ergebnis ist der völlige Zusammenbruch des Gesetzesvertreters – kein schöner Anblick, aber als Drohung umso eindrucksvoller und nachdrücklicher.

Selbst das explosive Ende der Geschichte um die Kuckuckskinder nimmt Richard, der Schriftsteller, nur indirekt als grellen Blitz, ein Donnergrollen und Beben der Erde wahr. Wer also auf Action aus ist, sollte sich anderes Lesefutter suchen, beispielsweise Larry Niven/Jerry Pournelle.

Die wahre Stärke des Romans liegt in den philosophischen Einsichten und beredsamen Ausführungen des Ortsphilosophen Gordon Zellaby. Der alte Mann – das Sprachrohr des Autors – hat jedoch Ansichten, die weit über die Konventionen seiner Zeit hinausgehen. So zweifelt er beispielsweise all die Annahmen über die Gutmütigkeit von „Mutter Natur“ an, nennt den Menschen keineswegs die „Krone der Schöpfung“, bezweifelt die Evolutionstheorie für die Entwicklung der Menschheit (viel zu viele Lücken anno 1957) und stellt schließlich sogar die kühne These auf, dass die Moral, die für homo sapiens gelten mag, nicht unbedingt auch für homo Midwich, die Kuckuckskinder, gelten muss.

Mit der Moral hat es nämlich schnell ein Ende, wenn Kuckuckskinder in eine „primitive“ Gesellschaft geboren werden: Sie werden sofort als Dämonen getötet oder in der Wildnis ausgesetzt. Und wenn das nicht passiert, so haben sie das Pech, in der Sowjetunion aufzutauchen: Wenn sie jedoch das Individuum über das Gemeinwohl stellen, dann wird ihnen ganz schnell ebenfalls der Garaus gemacht. Die Midwich-Kinder sind die letzten Überlebenden ihrer Art, erzählt der Geheimagent Bernard Westcott seinen Freunden – und die Midwich-Kinder wissen das.

Zellaby / der Autor arbeitet genau heraus, dass jede Regierung, die die Midwich-Kinder entweder gewähren lässt (und so ein Risiko auf die Gesellschaft loslässt) oder sie tötet, bei den nächsten Wahlen nicht mehr an die Macht kommt. Solches Verhalten mag zwar moralisch vertretbar sein, doch wenn es ums Überleben geht, ist Schluss mit lustig. Dann gilt nur noch der Grundsatz: Das kleinste Opfer für den Nutzen der größten Zahl ist die angebrachte Handlungsweise. Eindeutig eine Grenzzone der Ethik. Aber es ist eine Ethik, die sich der todkranke Zellaby zueigen macht.

Es gibt nämlich einen Faktor, den er ausnutzen kann, wenn er mit den Kindern zu tun hat: Sie vertrauen ihm. Er ist von Anfang ihr Lehrer gewesen und hat sie im Denken und Sprechen unterrichtet. Nun freuen sie sich auf einen seiner Filme über die griechischen Inseln. Eine Freude, die er auf fiese Weise auszunutzen gedenkt…

Der Autor lässt viele Möglichkeiten der Kooperation beiseite, um für die Haupthandlung die Linie der Konfrontation herauszuarbeiten. Das ist wesentlich dramatischer und unterhaltsamer als viele Experimente, die doch alle früher oder später ins Leere laufen müssen, wenn es hart auf hart kommt. Eine Möglichkeit wäre, auf die Forderung der Kinder einzugehen und sie auswandern zu lassen, um wie weiland Robinson eine Kolonie zu gründen.

Das ist sogar schon vorexerziert worden: In „Odd John“ aus dem Jahr 1937 (dt. als „Die Insel der Mutanten“, siehe meinen bericht). Aber auch dort geht das Experiment nicht gut aus. Genau wie auf dem realen Vorbild aus dem 19. Jahrhundert: Die Überlebenden der „Meuterei auf der Bounty“ gründeten eine Gemeinschaft auf der einsamen Pitcairn-Insel, wo es dann zu Mord und Totschlag kam. Da Auswandern keine Option ist, entschied sich der Autor zur finalen Konfrontation. Haben wir also wieder mal Glück gehabt, aber in moralischer Hinsicht den Kürzeren gezogen?

Unterm Strich

Der Roman ist die inzwischen klassische Geschichte von Aliens, die in unserer Mitte auftauchen, erforschen, wie wir reagieren, und dann in der Auseinandersetzung ein Ultimatum stellen. In Midwich wollen die von Zellaby erzogenen Kuckuckskinder nur auf eine einsame Insel auswandern, wo sie in Ruhe gelassen werden. Doch an den anderen Orten, wo die Aliens ihre Kuckuckskinder hinterlassen haben, werden sie alle getötet.

Merke: Die Gesellschaft kann IN SICH noch so freiheitlich orientiert sein, doch wenn es um das Überleben gegenüber einer anderen menschlichen Spezies geht, so hat es mit der Freiheit ein Ende. Der Philosoph Zellaby bringt es auf den Punkt: „Primeval danger“ – primitive Gefahr. Dass diese Gefahr von Kindern ausgehen soll, ist zunächst für Außenstehende nicht zu begreifen, wohl aber für direkt Betroffene wie Angela Zellaby, die ständig gegen die Kinder agitiert. Sie weiß: Gegen die neue überlegene Rasse hat ihr eigenes, natürliches Kind keine Chance, und das will sie verhindern.

Broschiert: 218 Seiten
Info: The Midwich Cuckoos, 1957
ISBN-13: 978-3518383933
www.suhrkamp.de

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