Jon Wallace – Barrikaden

Im Krieg ‚künstlicher‘ gegen ‚natürliche‘ Menschen gerät ein ehemaliger Bauarbeiter-Androide, der sich als Blockadebrecher verdingt, in eine Verschwörung, die den ohnehin labilen Status Quo zuungunsten der „Artifiziellen“ verschieben könnte … – Woraufhin der betont unbeteiligte ‚Mann‘ zum Freiheitskämpfer wider Willen mutiert und im England einer nahen Zukunft allerlei Gewalttätigkeiten überstehen muss: vor allem anfangs spannend, dann vor allem routiniert: Lesefutter.

Das geschieht:

In einer nicht näher bestimmten aber nicht besonders fernen Zukunft wurde die Erde durch einen dritten Weltkrieg verwüstet. Schon zuvor hatte ein heftiger Kampf um Ressourcen und Nahrungsmittel getobt. Nachdem Europa von Hungersnöten und Seuchen verheert wurde, hatten die Menschen verzweifelt erst Hilfe gesucht und dann gewaltsam eingefordert. England nutzte seine Insellage und schottete sich ab; auf ‚Eindringlinge‘ wurde geschossen.

Um sich nicht selbst die Finger schmutzig bzw. blutig zu machen, entwickelte man die (Arti-) „Fiziellen“, Androiden in Menschengestalt, die dank interner Nano-Technik quasi unzerstörbar und krankheitsimmun sind. Sie waren als Sklaven gebaut, doch die „Kontrolle“ – die übergeordnete Kommunikationszentrale der „Fiziellen“ – entwickelte unbemerkt ein Eigenleben. Gerade als der Weltkrieg ausbrach, war die Stunde des Aufstands gekommen. Geplant war die Ausrottung sämtlicher „Realmenschen“, doch diese leisteten und leisten hartnäckiger Widerstand als gedacht.

Die „Fiziellen“ mussten sich in diverse Städte und hinter schwere Barrikaden zurückziehen. Außerhalb halten die „Realen“ trotz radioaktiver Strahlung, Hunger und atomarem Dauerwinter ihre Gegner in Schach. Zwischen den Barrikaden-Städten ist die Kommunikation schwierig, und die „Kontrolle“ meldet sich nicht mehr. Fizielle Reisende sind auf die wenigen Blockadebrecher angewiesen, die sich mit gepanzerten Wagen in das feindliche Ödland wagen. Zu ihnen gehört im schottischen Edinburgh Kenstibec, ein ehemaliger Bauarbeiter-Androide, der die ebenfalls künstliche Journalistin Starvie nach London bringen soll.

Diese Fahrt steht unter einem Unstern, denn die „Realen“ haben sich organisiert. Vor allem der irre „König von Birmingham“ bläst zum Sturm auf die Barrikaden. Er verfügt über einen Kampfstoff, gegen den die „Fiziellen“ machtlos sind. Kenstibec muss die Initiative ergreifen – und sich ausgerechnet mit einem „Realen“ zusammentun …

Künstlich verbessert aber nicht klüger

Wir lieben Roboter und künstliche Menschen: je menschlicher sie sich geben, desto intensiver ist dieses Gefühl – ein Widerspruch in sich, da grundsätzlich kein Anlass besteht, Maschinen möglichst naturecht zu gestalten. Sie haben einen Job zu erledigen, weshalb die Form der Aufgabe folgen sollte. Zudem gibt es mehr als genug echte Menschen. Allerdings ist es schwierig, beispielsweise für einen Toaster oder eine Müllpresse Gefühle zu entwickeln. Der androide Bauarbeiter Kenstibec wird daher ungeachtet der Bemühungen seines Schriftsteller-Schöpfers Jon Wallace, fizielle ‚Künstlichkeit‘ darzustellen, zu einer rein fiktiven, auf die gewünschten dramatischen Effekte zugeschnittenen Figur. Dies gilt auch für Starvie, die – natürlich – ihre Vergangenheit als Supersexy-Vergnügungsmodell nicht wirklich abschütteln kann, und für den „Terminator“-Nachbau Shersult.

Dem entspringt eine Schizophrenie, die Roboter oder Androiden vor das Problem stellt, selbst Gefühle entwickelt zu haben, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Das entspricht dem menschlichen Erwachsenwerden und geschieht im unterhaltungsförderlichen Zeitraffertempo. In diesem Zusammenhang darf Bedeutungsschwere nicht fehlen. Auch Kenstibec stellt sich deshalb die Frage, was der Sinn seiner Existenz in einer von Menschen ‚befreiten‘ Welt wäre, deren künstliche Bewohner keine von ihm errichteten Bauwerke benötigen. Auch Androiden-Soldaten wären überflüssig, da es keine Gegner mehr gäbe, gegen die sie antreten müssten.

Nur die lange ominös bleibende „Kontrolle“ hat sich diesbezüglich Gedanken gemacht. Sogar der konstruktionsbedingt intellektuell recht schmalspurige Kenstibec erkennt jedoch, dass es sich dabei um eine allzu bekannte Mischung aus Größenwahn und Machtgier handelt, der jede Originalität fehlt: Die klassische Diktatur ist inhaltlich ideenschwach, was sie durch Gewalt und Äußerlichkeit vertuschen will. In diesem Punkt kann die „Kontrolle“ den verachteten Menschen weder verbessern noch übertrumpfen.

Verschwörung über mindestens drei Ecken

Bis sich diese wenig sensationelle Erkenntnis offenbart, hat der Leser ein vor allem durch Action und Gewalteffekte dominiertes Routinegarn mit strukturellen Schwächen gelesen. „Barrikaden“ bietet nie langweilige Lektüre. Um die vom Verlag behauptete und vom Verfasser (vorsichtshalber nur) angedeutete Hintergründigkeit ist es allerdings schlecht bestellt. Daran ändern die gewichtig-kapiteleinleitenden Rückblenden auf die Zeit vor dem großen Knall wenig. Vor dem geistigen Auge lassen die von Wallace gebotenen Szenen ohnehin die Erinnerungen an unzählige Filme und TV-Serien aufsteigen. „Terminator“, „Mad Max“, „Appleseed“: Überall lassen sich ‚Inspirationsquellen“ entdecken.

Liest man „Barrikaden“ als reinen Unterhaltungsroman, fällt das Urteil freundlicher aus. Wallace kann schreiben und schematische aber interessante Figuren kreieren. Es hapert dagegen an einer stringenten Story. Zu lange schlagen sich Kenstibec, seine Passagierin Starvie und der „Reale“ Fatty durch ein klischeeverheertes Post-Doomsday-England. Ihnen auf den Fersen sind zur Abwechslung keine Zombies, sondern in die Neo-Barbarei zurückgefallene Menschen, die sich betont realitätsfern aber effektvoll irrwitzig benehmen. Episode reiht sich an Episode, ohne einen für den Plot notwendigen Zusammenhang zu entwickeln.

Im letzten Viertel entwickelt Wallace hastig eine komplizierte Verschwörung. Er hat sie bereits früher anklingen lassen, verpasst ihr aber nun einen Twist, über den man lieber nicht ausgiebig nachdenken sollte. „Warum einfach, wenn es auch umständlich geht“ gilt offensichtlich auch für Androiden. Selbstverständlich wirft ausgerechnet Kenstibec dem Schicksal einen Knüppel zwischen die Beine und sorgt für ein offenes Ende, das eine Fortsetzung ermöglicht, die nicht nur kommen, sondern sogar einen dritten Teil bekommen und eine „Barrikaden“-Trilogie bilden wird: Ökonomischer Erfindungsreichtum ist heutzutage nicht nur im Blockbuster-Kino Trumpf. Das funktioniert, wenn man leicht verdauliches Lesefutter sucht, ist aber nicht hilfreich, sollte die Lektüre unbedingt feierabendliches Einnicken verhindern.

Autor

Über Jon Wallace finden sich (noch) kaum biografische Angaben im Internet. Wenn man den kargen Worten auf der eigenen Website Glauben schenkt, gehört er zu jenen Autoren, die sich ihren Lebensunterhalt zuvor in allerlei seltsamen Aushilfsjobs verdienten.

Bevor Wallace 2014 mit seinem Roman „Barricades“ debütierte, veröffentlichte er bereits diverse Kurzgeschichten in SF- und Fantasy-Magazinen. Jon Wallace lebt und arbeitet in London.

Taschenbuch: 399 Seiten
Originaltitel: Barricade (London : Victor Gollancz 2014)
Übersetzung: Robert Brack
http://www.randomhouse.de/heyne
/jonwallace.co

eBook: 1033 KB
ISBN-13: 978-3-641-16258-0
http://www.randomhouse.de/heyne

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