Jonathan L. Howard – Carter & Lovecraft: Das Erbe. Gruselkrimi

Daniel Carter war früher bei der Mordkommission, aber sein letzter Fall – die Jagd nach einem Serienmörder – ging auf seltsamste Weise schief und verleidete ihm den Beruf. Nun ist er ein Privatdetektiv, der ein ruhiges Leben zu führen versucht. Doch das Verrückte ist noch nicht fertig mit ihm. Zuerst erbt er einen Buchladen in Providence von jemandem, von dem er noch nie gehört hat, zusammen mit einer mürrischen Buchhändlerin, die keinen neuen Chef will: Emily Lovecraft, die letzte bekannte Nachfahrin von H. P. Lovecraft, den Autor aus Providence, der Geschichten über die Großen Alten und Älteren Götter erzählte – Kreaturen und Wesen, die über den Verstand des Menschen hinausgehen.

Plötzlich beginnen Leute auf unmöglichste Art und Weise zu sterben, und obwohl Carter nichts damit zu tun haben möchte, beginnt er zu vermuten, dass jemand anders eben das will. Während Carter widerwillig zu ermitteln beginnt, entdeckt er, dass H. P. Lovecrafts Geschichten mehr als nur Fiktion waren, und er muss ein weiteres unerwartetes und ungleich unerwünschteres Erbe antreten. (Verlagsinfo)

Diese Besprechung beruht auf der englischsprachigen Originalausgabe.

Der Autor

Jonathan L. Howard ist ein Spieldesigner, Drehbuchautor und seit den frühen Neunzigern Veteran der Computerspielindustrie, unter anderem bekannt für die Spielreihe Baphomets Fluch. Er ist Autor der Johannes Cabal-Romane sowie verschiedener Jugendbücher. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Großbritannien. (Verlagsinfo)

Handlung

Charlie Hammond und Daniel Carter sind Partner beim NYPD und auf einer heißen Spur. Der Serienmörder, den sie auf ihrem Polizeirevier den „Kinderfänger“ nennen, hat wieder zugeschlagen. Im Viertel Red Hook hat er den siebenjährigen Thiago Mara entführen. Sie wissen, was er mit dem Kind anstellen wird: eine Schädeloperation, die tödlich verlaufen wird. Was für ein Glück, dass Thiagos Mutter sich das Autokennzeichen des Lieferwagens gemerkt und notiert hat. Der Rest ist ein Kinderspiel.

Martin Suydam

Doch kaum sind sie vor Ort, geschehen Dinge, die nicht zusammenpassen, findet Carter. Als sie überlegen, welchen Vorwand sie brauchen, um in das verschlossene Haus, einen ehemaligen Laden, einzudringen, hören sie einen lauten Kinderschrei. Mehr braucht es nicht, um es Hammond zu erlauben, die Seitentür einzutreten und in den ersten Stock zu stürmen, von wo der Schrei kam. Ein Schuss fällt, und der Entführer, ein gewisser Martin Suydam, liegt sterbend an einer Seitenwand, bewacht von Hammond. Während Carter sich um den Jungen kümmert und einen Notruf absetzt, redet Hammond mit dem Sterbenden. Als Carter zu ihm zurückgeht, kann er nur mit ansehen, wie sich Hammond seine Dienstwaffe in den Mund steckt und abdrückt. Suydam, ein Grinsen auf dem Gesicht, ist da schon tot.

Die verstörenden Details, die Carters Hirn heimsuchen, nehmen zu: Suydams Waffe war nicht geladen; er kniff den Jungen, damit dessen Schrei die Cops ins Haus lockte; und er hatte eine Art Ruhmeshalle an eine der Wände gepinnt – etwas, das nur Psychopathen in Hollywood-Streifen tun. Nichts ergibt mehr einen Sinn, und es dauert nur vier Wochen, bis Dan den Dienst quittiert und die Lizenz als Privatdetektiv und um eine private Waffe beantragt.

Geerbt

Ein Rechtsanwalt, der sich Henry Weston aus Providence nennt, erklärt ihm, dass er, Dan Carter, alleiniger Erbe eines gewissen Alfred Hill sei. Er übergibt ihm die entsprechenden Dokumente und verschwindet spurlos. Als Dan nach Hastings, einem Vorort von Providence, Rhode Island, fährt, entdeckt er, dass sein Erbe aus einem Buchladen und einem darüber liegenden Apartment besteht. Von Büchern versteht Dan nichts, daher ist er ganz froh, dass er eine Buchhändlerin im Laden entdeckt, die sich damit auskennt. Sie ist eine Afroamerikanerin und nennt sich Emily. Viel später verrät sie, dass sie die letzte derer von Lovecraft sei. Dan weiß nichts über H.P.L., doch sie klärt ihn auf.

Dan mag die zunächst ziemlich misstrauisch wirkende Frau: Wird er sie rauswerfen? Auf keinen Fall! Wird er ihren Lohn streichen? Auch nicht. Er möchte sie zum Geschäftspartner haben. Dann darf er erfahren, dass sich der vor sieben Jahren verschwundene und deshalb für tot erklärte Alfred Hill selbst einen Monatslohn auf ein Bankkonto hat überweisen lassen. Und auf dieses Konto habe jetzt wohl er, Dan Carter, Zugriff.

Da tritt ein reicher Politiker ein, dem man das blaue Neuengland-Blut und den Anwaltsberuf an seinem Tausend-Dollar-Anzug ansehen kann: Ken Rothwell prüft Dans Dokumente und holt dann Emily zu einem Sponsorendinner ab. Dan darf im ersten Stock in Alfred Hills Wohnung übernachten. Nächtliche Geräusche stören seinen Schlaf ebenso wie ein sehr intensiver Traum vom letzten Tag seines Partners Charlie Hammond.

An Land ertrunken

Wieder zurück in New York City erhält Dan einen mysteriösen Hilferuf von Prof. Belasco, einem Dozenten des Clave College in Providence: Er sei in Gefahr. Doch bevor er Näheres fragen kann, legt der Mann auf. In den Nachrichten wird vom rätselhaften Tod des Dozenten berichtet, und Dan fährt hin, um Näheres herauszufinden – schließlich ist er ja Ermittler. Der Dozent scheint in seinem Pkw ertrunken zu sein, obwohl man keinen Tropfen darin finden kann.

Der leitende Cop vor Ort erkennt Dan wieder und erinnert sich auch Charlie Hammonds trauriges Ableben. Deshalb erzählt ihm alle bekannten Fakten – die nur noch mehr Fragen aufwerfen. Das Überwachungsvideo zeigt einen Mann in Trenchcoat und Hut, der den besagten Notruf an Dan tätigte, nur um dann spurlos zu verschwinden.

Rivalen

Obwohl ihm Emily Lovecraft, die Finger von diesem Fall zu lassen, der ihn doch gar nichts angehe, ermittelt Dan weiter am Clave College. Mit ausgefuchsten Tricks findet er heraus, dass der verblichene Mathe-Professor Belasco einen Rivalen hatte, der ebenfalls Mathe lehrt bzw. eigentlich lehren sollte: William Colt ist notorisch eigensinnig und wird allgemein als „arrogantes Arschloch“ beurteilt. Doch er ist kürzlich zu viel Geld gekommen und fährt einen feuerroten Mazda 3. Dan folgt ihm unauffällig.

William Colts Weg führt Dan in einen entlegenen und unheimlichen Teil der 1636 gegründeten Stadt. Über eine schmale Brücke führt der Weg an einer Eichenallee entlang auf eine Halbinsel, die von einer Ringstraße in Form einer Stimmgabel erschlossen wird. Der Mazda3 ist nirgendwo zu erspähen, daher parkt Dan unter der vielen Eichen und schaut sich um: Die Häuser stammen aus den 1930er Jahren und sind nicht gerade gepflegt, man tut offenbar nur das Nötigste. Ein junger Mann mit Übergewicht weist ihn darauf hin, dass er sich auf Privatgrund befinde: All dies, die Halbinsel, gehöre den Waites, die zu den Gründervätern gehören.

Während der Mann aufs Meer hinausstarrt, erleidet Dann auf einmal die Vision einer Hölle, in der sich die Zeiten und Anblicke der Stadt vermischen. Er verspürt den unwiderstehlichen Drang, diesem Grauen zu entgehen und schiebt sich den Lauf seiner Pistole in den Mund, um abzudrücken…

Mein Eindruck

Na, für Dan ist aber noch nicht Feierabend. Denn er ahnt nicht, dass er von Randolph Carter abstammt, dem besten Freund von H.P. Lovecraft (und nicht bloß eine erfundene Figur), und folglich über besondere Eigenschaften verfügt, die er noch zu entdecken hat. Das führt auch bei William Colt zu einigen unerfreulichen Entdeckungen: Wie kann es sein, dass der in Colts Haus gefangene Detektiv, das Colt sich mit wässriger Luft à la Belasco füllen lässt, entkommen kann?

The Twist

Martin Suydams letzte Botschaft an seine Häscher drehte sich um eine mysteriöse Sache, die er den „Twist“, also den Dreh nannte. Dan hat den „Twist“ auf der Waite-Halbinsel kennengelernt, sehr zu seinem Leidwesen. Auch Colt redet über den „Twist“, aber hat dafür wenigstens eine mathematische Erklärung: Es scheint der Übergang in eine alternative Realität zu sein, die parallel zu unserer gewohnten Realität existiert: ein Dreh. Ein uralter Würfel mit trügerischen Linien darauf scheint der Schlüssel zum Übergang zu sein. Colt sichert ihn sich als Diebesgut, und Dan lässt sich das Teil am College nachbauen. Doch was wartet auf der anderen Seite, fragen sich Dan und Colt.

Beide wagen sich nacheinander an das letzte Haus auf der Waite-Halbinsel vor. Colt ist sehr selbstsicher, und Dan will ihn, sekundiert von Lovecraft und einem Cop aus Providence, endgültig ausschalten. Denn Colt liebt es nun mal, an den Regeln der Wirklichkeit, etwa dem Zufall, herumzuspielen. Und nachdem er nun auch dem nichtsahnenden Rothwell das Hirn verdreht hat und Emily Lovecraft so schräg anmacht, ist seine Zeit definitiv abgelaufen.

Doch im letzten Haus der Straße stößt Dans Team auf unerwartet starke Gegner: Neben hirnamputierten Kerlen herrschen hier starke Frauen, die ganz und gar nicht menschlich sein können. Wie sonst wäre es zu erklären, dass drei Kopfschüsse nicht ausreichen, so eine schräge Lady ins jenseits zu befördern? In den Tunneln unterm Haus erstreckt sich eine andere Welt: ein Ozean, der bis ins Nirgendwo reicht.

Die Falte

Der Showdown zwischen Dan und Colt ist unausweichlich, doch er findet in den Tunneln ohne Waffen statt, denn alle Kugel fallen kraftlos zu Boden: Hier herrschen andere Gesetze der Physik. Sie befinden sich im Zentrum der „Falte“, und gestalten sie allein mit ihrer Willenskraft. Lovecraft lässt die doofen Jungs mal machen und verduftet. Doch den gedankenwettstreit bleibt nicht ohne Folgen: Einer muss seine eigene Realität durchsetzen. Zu Colts Entsetzen ist es nicht seine eigene, sondern die von Daniel Carter, dem Nachfahren von Randolph Carter. Und das hat weitreichende Konsequenzen…

Unterm Strich

Was recht harmlos als Cop-Story mit übernatürlichen Elementen beginnt, wächst sich im letzten Drittel zu einer feinen Horror-Story aus, die dem lieben Lovecraft, der hierfür Pate stand, Freude bereitet hätte. Action wird vorsorglich durch die verbogenen Gesetze der Physik verhindert, also ist Hirnschmalz vonnöten. Wie sich unverhofft zeigt, beherrscht auch der Detektiv den „Dreh“ alias Twist. Er kann sich die Fähigkeit allerdings nicht erklären, und so bleiben seine traumatischen Abenteuer auf Waite Island recht spannend.

Der Autor legt sich ebenfalls die Bremsklötze an, um den Leser nicht vor dem Finale schon alles durchschauen zu lassen. Er will nichts Geringeres als die Untergrabung der gewohnten Realität: Die vielen an HPL angelehnten Kapitelüberschriften verraten, auf welchen Pfaden er wandelt. Die Leser müssen ihm willig folgen, um herauszufinden, worauf das Ganze hinausläuft. Der Autor begnügt sich mit nichts weniger als dem ultimativen Ziel: die Zerstörung der Welt.

Die Alternativwelt

Die ist natürlich nicht das Ende, sondern nur ein Übergang in eine Realität, die alle HPL-Fans nur zu kennen: Durch ein Städtchen mit Namen Arkham fließt der düstere Miskatonic River und an dessen Ufern liegt die gleichnamige Universität, wo wackere Forscher gruselige Geheimnisse ergründen. Was ist aus dem guten alten Providence geworden, fragen sich Carter und Lovecraft. Nun, der Durchgang durch die FALTE hat es komplett verschwinden lassen. War es nur eine Durchgangsstation, eine vorübergehende Phase?

Ich habe eine ganze Weile für dieses fein gestrickte Garn gebraucht, denn mir ging der Ablauf der Handlung zu langsam. Der Horror ist sehr fein dosiert; so fein, dass es der Autor auf einmal am Schluss sehr eilig hat. An Sex oder wenigstens Liebe zwischen Dan und Emily ist nicht zu denken, aber wenigstens reicht es, ganz am Schluss, zu einer Partnerschaft. So leicht sind Lovecrafts von altem Schrot und Korn eben nicht rumzukriegen. Nicht ohne Grund bewahrt Emily unter ihrem Ladentisch eine Schrotflinte Marke Mossberg auf. Und es so aus, als wüsste sie, wie man mit diesem Biest umgeht.

Was mir fehlte, war die alternative Realität, also Arkham samt Miskatonic, Innsmouth und Dunwich. Cthulhus Existenz wird lediglich behauptet und offenbar für die letzte Zeile aufgespart. Der Erfolg dieses Roman muss recht mäßig gewesen sein, denn es gab keine Fortsetzung.

Taschenbuch: 380 Seiten.
O-Titel: Carter & Lovecraft, 2015
Aus dem Englischen von Andrea Bottlinger.
ISBN-13: 978-3864258541

www.cross-cult.de

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