Robert Jordan – Der neue Frühling (Das Rad der Zeit 29)

„Das Rad der Zeit dreht sich,
Zeitalter kommen und gehen
und hinterlassen Erinnerungen,
die zu Legenden werden.

Legenden verblassen zu Mythen
und selbst die sind längst vergessen,
wenn das Zeitalter wiederkehrt,
das an ihrem Ursprung stand.“

Mit diesen Worten begann Robert Jordans „Das Rad der Zeit“-Zyklus – einer der umfangreichsten und erfolgreichsten Fantasy-Zyklen der letzten Jahre.

Mittlerweile sind 10 Bände der amerikanischen Originalausgabe erschienen, die satte 7569 (!) Seiten Umfang aufweisen. Bei den 29 (die Bände wurden gesplittet) bisher erschienenen Übersetzungen liegt die Seitenzahl gemäß der Regel, dass deutsche Übersetzungen umfangreicher werden, entsprechend mittlerweile bei über 10.000. Da seit dem Erscheinen des ersten US-Bandes „The Eye of the World“ im Jahre 1990 bereits einige Zeit verstrichen ist, verwundert es nicht, dass in der deutschen Übersetzung mit Andreas Decker bereits der dritte Übersetzer tätig und die Reihe von |Heyne| an den |Piper|-Verlag verkauft worden ist.

Piper veröffentlicht mit „Der neue Frühling“ den 29. Band der deutschen Rad-der-Zeit-Serie, der allerdings aus der Reihe fällt: In den USA wird „The New Spring“ getrennt vom Rad der Zeit als Prequel-Serie im selben Universum angeboten.

Zum besseren Verständnis der ausufernden Fantasy-Welt des Rads der Zeit möchte ich einen sehr groben Handlungsabriss des Rad-Zyklus voranstellen:

Das Grundkonzept des Rads der Zeit ist das des ewigen Konflikts zwischen Schöpfung und Chaos, verkörpert von dem jeweiligen „Drachen“ (im übertragenen Sinn: Der Drache ist ein Mensch) und seinem Widerstreiter vom Anbeginn der Schöpfung an, dem Dunklen König. Seit der Schöpfung der Welt treten sich Drache und Dunkler König am Ende eines jeden Zeitalters zum finalen Gefecht gegenüber, sollte der Dunkle König siegen, geht die Welt unter. Was bisher offensichtlich nicht geschehen ist …

Das Muster der Zeitalter ist dabei stets sehr ähnlich: Nicht nur der finale Konflikt, auch die Helfer des Drachen werden stets in einem neuen Zeitalter wiedergeboren. Aus dem Zeitalter der Legenden und dem Dritten und Vierten Zeitalter haben noch fragmentarische Schriften, unter anderem die „Prophezeiungen des Drachen“ im Karaethon-Zyklus, überdauert.

Diese versprechen nicht nur die Wiederkehr des Drachen, sie beunruhigen auch die wenigen Eingeweihten: Der Drache soll bei seiner Wiederkehr die Welt zerstören. Wie das zu interpretieren ist, darüber streitet man sich. Wird der Drache die Welt vor dem Dunklen König retten, sie aber dabei zerstören? Vieles spricht für einen Sieg des Schattens. Die magiebegabten Menschen der Welt des Rades, „Aes Sedai“ (Diener Aller) genannt, sind schwächer denn je: Beim Kampf gegen Lews Therin Telamon, den letzten Drachen, gelang es dem Dunklen König, die männliche Hälfte der „Wahren Quelle“ oder auch der „Einen Macht“, Saidin, zu verunreinigen: Jeder Mann, der sich ihrer bedient, wird unweigerlich früher oder später wahnsinnig. Das hat zur Folge, dass alle Aes Sedai des aktuellen Zeitalters weiblich sind und alle der Magie fähigen Männer gezielt suchen und ihrer Fähigkeit berauben, bevor sie sich selbst und anderen im Wahn Schaden zufügen können. Erschwerend sind im Zeitalter der Legenden bereits einige der mächtigsten Aes Sedai aller Zeiten zum Dunklen König übergelaufen; die so genannten „Verlorenen“ zählen neben anderen, heimlich dem Schatten dienenden Aes Sedai, der sogenannten „Schwarzen Ajah“, zu seinen mächtigsten Schergen.

Einer der potenziell wahnsinnigen männlichen Machtanwender ist der wiedergeborene Drache selbst, Rand al’Thor. Dank der Hilfe der Aes Sedai Moiraine Damodred und vieler anderer gelang es ihm, dem Wahnsinn, den Dienern des Dunklen Königs und zahllosen anderen Gefahren zu trotzen. Doch noch nie zuvor waren die Siegeschancen des Dunklen Königs besser, die magischen Siegel seines Gefängnisses im Berg Shayol Ghul bröckeln, die Verlorenen wandeln wieder auf der Welt und seine Trolloc-Heerscharen überziehen das Land mit Krieg, während eine Invasion der Seanchaner, die von einem Kontinent am anderen Ende des Aryth-Meers stammen, die Reiche der Menschen zum Fall zu bringen droht.

Das Ende scheint nahe, doch Robert Jordan lässt sich nicht hetzen: Bereits seit einigen Bänden tritt die Handlung auf der Stelle, bis zur entscheidenden Schlacht wird es wohl noch eine Weile dauern, es ist noch nicht einmal klar, wann der nächste Band erscheint. Aberhunderte von Charakteren, unzählige Völker, Monster, fremdartige Konzepte und Dinge bevölkern seine gigantische Fantasywelt.

„Der neue Frühling“ dient der Überbrückung der Zeitspanne bis zum nächsten Rad-der-Zeit-Band und erzählt die |Vorgeschichte| des Zyklus:

Moiraine Damodred und die spätere Amyrlin (Anführerin) der Aes Sedai, Siuan Sanche, sind zu dieser Zeit gerade erst Aufgenommene, noch nicht einmal richtige Aes Sedai. Doch während die wilden Aiel-Wüstenkrieger die Ländereien um den Drachenberg verwüsten, ereilt die Aes Sedai Gitara Moroso eine schicksalhafte Vision: Der Drache ist wiedergeboren worden! Sofort entsendet die regierende Amyrlin vertrauenswürdige Sucherinnen, die nur eine Aufgabe haben: Den Drachen zu finden. Moiraine und Siuan befinden sich ebenfalls darunter, denn sie waren während der Vision Gitaras zufällig zugegen.

Bald darauf stirbt die Amyrlin – und viele andere Aes Sedai mit ihr. Moiraine und Siuan kommt das nicht geheuer vor, und bald sehen sie sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Die „Schwarze Ajah“ – Schwestern, die nicht an die drei Eide der Aes Sedai (nicht lügen, keine Waffe mithilfe der Macht herstellen, die Macht nicht als Waffe gegen andere Menschen einsetzen außer zur Selbstverteidigung) gebunden sind und dem Dunklen König dienen – hat die Macht an sich gerissen! Doch sie können nichts beweisen, woraufhin Moiraine sich ganz der Suche nach dem und dem Schutz des Drachen verschreibt …

Auf diesem einsamen Weg trifft Moiraine auf ihren späteren „Behüter“ Lan Mandragoran, den letzten Königsohn des von den Heeren des Dunklen Königs überrannten Landes Malkier. Dieser hat anfangs noch keine wortlose Übereinstimmung mit ihr, hat ganz im Gegenteil seinen eigenen Kopf und empfindet die Aes-Sedai-Hexe als überaus lästig. Hat er doch ganz andere Sorgen, wie eine ehemalige Geliebte, die treue Malkieri zu einem vermutlich blutigen Desaster, einer unrealistischen Rückeroberung Malkiers, angeblich zu dessen Wohl, anstiften will.

Damit wäre die Handlung dieses Romans auch schon zusammengefasst – denn Neues erfährt der Rad-der-Zeit-Kenner wirklich nicht. Außer den Namen von Lans ehemaliger Geliebter, und der Tatsache, dass, wie man bereits vermuten konnte, schon damals die Schwarze Ajah ihr Unwesen trieb. Rand selbst kommt in diesem Buch gar nicht vor, dies bleibt wohl folgenden Prequels, von denen Jordan noch 2-3 weitere für möglich hält, vorbehalten.

Erschwerend kommt hinzu, dass Teile des „neuen Frühlings“ bereits in der Anthologie „Legends“ von Robert Silberberg erschienen und zuvor einige Zeit im Internet zum kostenlosen Download bereitstanden. Hier drängt sich der Verdacht der Geldmacherei auf, denn der nächste „Rad der Zeit“-Band lässt schon lange auf sich warten, die letzten drei US-Bände wurden kontinuierlich schlechter und die Handlung tappt schon seit langem auf der Stelle. Dies mit einer genauso langamtigen und ereignislosen Prequel-Reihe zu toppen, kann man nur noch als dreist bezeichnen.

Einen Großteil seiner Faszination schöpft dieser Band aus der Verbindung zum Rad-Zyklus sowie dem Wiederauftauchen der in diesem Zyklus bereits toten oder verschollenen Sympathieträgerin Moiraine. Leider wird die durchaus interessante Vorgeschichte im selben Schneckentempo abgehandelt, das leider die letzten Bände des Rad-Zyklus geprägt hat. So fallen vermehrt Unstimmigkeiten auf: Moiraine und Siuan hatten bereits als junge Mädchen dieselben Charakterzüge wie zur Zeit der Haupthandlung, auch Lans Charakter hat anscheinend keinerlei Entwicklung erfahren. Negativ fällt auch ins Gewicht, dass Siuan Sanche es wirklich in Rekordzeit zur Amyrlin gebracht haben muss, währt das Leben von Aes Sedai doch in Jahrhunderten. Rand wurde während ihrer Jugend geboren, insofern muss Siuan innerhalb von maximal zwanzig Jahren das höchste Amt in der extrem traditionellen Gesellschaft der Weißen Burg errungen haben.

Begeistern können Jordans Figuren nach wie vor. Die süßen Magierinnen im Abendkleid, auch Aes Sedai genannt, starke Frauencharaktere in einer faszinierenden matriarchalischen Gesellschaft, sind nur eine der vielen beeindrucken Facetten der überbordend komplexen Welt Jordans. Sein Erzählstil ist ebenfalls erstklassig, aber die Tendenz zur Langatmigkeit bei zahllosen unüberschaubar werdenden Handlungsfäden kann selbst den größten Fan enttäuschen.

Für Einsteiger ist dieses Buch nicht geeignet, diese sollten besser bei Band 1, „Drohende Schatten“, beginnen, der auch als Originalausgabe unter dem Namen [„Die Suche nach dem Auge der Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=700 als einbändige Neuauflage der in der Taschenbuch-Reihe gesplitteten US-Ausgabe verfügbar ist.

Treuen Fans wird die Tatsache, dass die |Piper|-Ausgabe im Vergleich zur |Heyne|-Fassung optisch leicht verändert wurde, sowie die bekannte Leier Jordans, auf der Stelle zu treten, den Spaß an „Der neue Frühling“ ein wenig verderben. Mag der Zyklus auch überdurchschnittlich gut sein und mit epischer Breite glänzen, auf solch belanglose Leerlauf-Geschichten kann man gerne verzichten.

Taschenbuch: 432 Seiten

Sehr gute deutsche Fanseite:
http://www.radderzeit.de/

Offizielle Homepage von Robert Jordan:
www.tor.com/jordan