Josh Pachter (Hg.) – Top Science Fiction (Band 1)

Classic SF: durchwachsene Auswahl

Bekannte SF-Autoren haben für diese Anthologie jeweils eine eigene Erzählung ausgewählt, die sie für die beste halten. Die Begründungen für diese ihre Auswahl ist manchmal interessanter als die Story selbst. Unter den Autoren des ersten Bandes dieser Originalausgabe finden sich illustre Namen wie Aldiss, Bester, Brunner, Silverberg und van Vogt.

Der Herausgeber

Josh Pachter ist ein US-amerikanischer Krimiautor, College-Dozent, Übersetzer und Anthologie-Herausgeber, der in Herndon, Virginia lebt. Seine Webseite: www.joshpachter.com.

Zur Anthologie „Top Science Fiction“: http://joshpachter.com/bib/tsf.html schreibt er: “ „Early in 1983, I wrote to over 100 of the greatest living science-fiction authors, inviting them to select and introduce the very best sf story they had ever written, or their favorite of their own stories, or the story which they felt was the most representative of their work in the genre….“. Weitere TOP-Anthologien sind „Top Fantasy“ (ebenfalls bei Heyne), „Top Horror“ und „Top Crime“.

Die Inhaltsangabe von „Top Science Fiction“ gibt es hier: http://joshpachter.com/bib/tsfcontents.html. Interessant ist die Auskunft, dass sich die deutschen und niederländischen Ausgaben beträchtlich von der Originalausgabe (1984) unterscheiden, die nur 25 Stories enthält. „Top Science Fiction“ wurde vom Wilhelm Heyne Verlag in drei Bänden 1987, 1988 und 1990 veröffentlicht. Sie enthält mindestens 45 Texte.

DIE ERZÄHLUNGEN

1) Brian W. Aldiss: Alle Tränen dieser Welt (All the World’s Tears, 1956)

Es ist ein schöner Sommertag im 87. Jahrhundert, als Dr. Smithlao mit seinem Venti über das zugewucherte Grundstück seines Klienten Mr. Gunpat einschwebt und landet. Ringsum herrscht ordentlich kontrollierte Natur, nur Gunpats Eigentum ist von Ulmen und wilden Rosen bewachsen. Sofort wird Gunpat von den Wachrobotern angehalten und überprüft. Ja, er kann sich als Psychodynamiker Smithlao ausweisen und ja, er hat einen Termin mit dem hohen Herrn, Mr. Gunpat. Sie lassen ihn durch. Von Gunpats verrückter Tochter ist nichts zu sehen.

Wie bestellt verpasst Smithlao seinem Kunden eine Hassstütze, indem er ihn derartig beleidigt und demütigt, dass Gunpat wütend das Visiphon abstellt und ihn des Geländes verweist, bevor er sich in den Clinch mit seinen Geschäftspartnern begibt. Aber Smithlao verschwindet nicht sofort, sondern folgt der erspähten Gestalt von Ployploy, Gunpats verrückter Tochter. Gerüchte besagen, sie strebe nach Liebe. Längst haben ihr die Behörden verboten, sich fortzupflanzen – die ausgelaugte Erde vermag nur noch wenige hundert Menschen zu ernähren.

Heimlich wird Smithlao Zeuge eines ungewöhnlichen und höchst verbotenen Rendezvous‘, das die verrückte junge Frau mit einem jungen Mann hat. Diesem Casanova gelingt es, die Wachroboter durch Lügen und Tarnung zu verwirren, bis sie verschwinden, um neue Anweisungen einzuholen. Er gesteht Ployploy seine Liebe, und sie ihm ihre. Doch die Logik der Behörden ist unerbittlich: Als der Fremde das Gesicht der Frau berührt, kommt es zur Katastrophe…

Mein Eindruck

Hoffnung und Enttäuschung, Liebe und Tod machen die wichtigsten Themen aus, schreibt der 1925 geborene Autor in seinem Vorwort. Diese Themen setzt hier teilweise um. Er hat zudem bemerkt, dass in den Erzählungen, die er ab 1955 veröffentlichte, auffällig viele Verlierer auftraten, dass aber ihr Scheitern genauso viel über ihre Umwelt aussagt, als wenn sie Sieger gewesen wären.

Die Erde ist im 87. Jahrhundert so ein Verlierer. Da es an Nahrung mangelt, wird Liebe zwecks Fortpflanzung entmutigt und Hass gefördert. Letzteres ist die Aufgabe von Leuten wie Smithlao. Er fragt sich, ob man heutzutage wirklich noch auf die Erfüllung von Liebe hoffen darf, wie Ployploy es zu tun scheint. Wachroboter sorgen für die nötige Distanz, um Annäherung zu verhindern.

Doch was passiert, wenn sie überlistet werden, verfolgt dann Smithlao, als der junge Casanova auftaucht und Anstalten macht, die junge Dame des Hauses zu berühren. Weiß er denn nicht, dass gegen solche Berührungen Vorkehrungen getroffen wurden? Fazit: Man darf zwar auf Liebe hoffen, wenn man dafür verrückt genug ist, aber dass man enttäuscht wird, dafür ist gesorgt. Auf eine traurige Art und Weise ist dies höchst ironisch.

2) Alfred Bester: Die Männer, die Mohammed ermordeten (The Men Who Murdered Mohammed, 1967)

Henry Hassel, Professor am Psychotic Center der Unknown University irgendwo im Mittelwesten, ist eifersüchtig: Er hat seine Frau Greta in den Armen eines Fremden entdeckt. Doch statt sie beide über den Haufen zu schießen, fällt ihm als verrücktes Genie etwas viel besseres ein: eine Reise in die Zeit, um Gretas Vorfahrinnen zu töten. Die Zeitmaschine ist rasch erfunden und Großvater sowie Großmutter getötet. Der Effekt? Gleich null. Greta und der Fremde liegen sich weiterhin in den Armen.

Nach einem Anruf bei der Künstlichen Intelligenz Sam ändert Henry seine Methode: Er setzt auf Masseneffekte. Daher erschießt er als nächsten George Washington im Jahr 1775. Die Wirkung? Absolut null. Ebenso auch bei Napoleon, Mohammed, Caesar und Christoph Kolumbus. Woran kann es nur liegen, fragt er sich frustriert.

Ein Anruf bei der Bibliotheks-KI bringt ihn auf die Spur eines weiteren Zeitreise-Genies: Israel Lennox, Astrophysiker, der 1975 verschwand. Zudem erfährt er, dass auch der Liebhaber seiner Frau ein Zeitspezialist ist, William Murphy. Könnte er ihn ausgetrickst haben? Lennox belehrt Henry eines Besseren: Henry Problem liegt nicht an seiner Methode, sondern an der Natur der Zeit: Sie ist stets individuell. Eine Veränderung betrifft stets nur den Zeitreisenden selbst, nicht aber die anderen Zielpersonen. Und weil jeder „Mord“ den Zeitreisenden weiter von seinen Mitmenschen entfernt, ist Henry Hassel jetzt ebenso wie Israel Lennox ein Geist…

Mein Eindruck

Die Story ist zwar völlig verrückt, aber eminent lesbar, wie so häufig bei Alfred Bester. Neu ist hier das Konzept, dass Zeit völlig individuell sein soll. Jedem Menschen ist wie einer Spaghetti-Nudel im Kochtopf seine eigene Zeit zugewiesen (von wem, fragt man sich). Das macht die Einwirkung auf andere Zeit-Besitzer, quasi also auf andere Nudeln im Topf, unmöglich.

Noch irrsinniger ist die Vorstellung, dass all die Versuche, auf andere einzuwirken, zum Verschwinden des „Mörders“ führen könnten. Aufgrund welcher Gesetzmäßigkeit? Hat es etwas mit Entropie zu tun? Der Autor erklärt mal wieder nichts, obwohl er, wie so häufig, mit Formeln um sich wirft, was den Spaß nur halb so groß werden lässt.

3) Marion Zimmer Bradley: Ellbogenfreiheit (Elbow Room, 1980)

Die Ich-Erzählerin ist die Direktorin einer Check-out- und Check-in-Station an den beiden Enden eines Vortex, den man auch als Wurmloch bezeichnen könnte. Mit seiner Hilfe überwinden Raumschiffe, die ihn benutzen, rund 50 Lichtjahre, also eine beachtliche Distanz. Entsprechend wertvoll sind die Stationen und angesehen die Stationsleiter. Doch die Direktorin ist der einzige Mensch weit und breit, hat sich doch nur dieses Betriebsmodell als psychologisch zuverlässig und stabil erwiesen.

Dennoch beichtet sie ihrem Priester Nicholas, dass sie den Vortex wie einen Gott anbete; sie beschimpft ihre Köchin ob des eintönigen Essens; und sie empfängt Julian, um mit ihm Sex zu haben. Dennoch ist es ihr aufgrund psychischer Konditionierung unmöglich, in einen Spiegel zu schauen. Was sie sehen würde, wäre nämlich immer ihr eigenes Gesicht , in Priester, Köchin, Sexdiener. Sie hat eine multiple Persönlichkeit.

Eines Tages trifft ein weiteres Raumschiff ein, und sie verbringt eine heiße Nacht mit dem verführerischen Kapitän. Der wundert sich über ihre Unerfahrenheit und Naivität, so dass sie beschämt Abschied nimmt. Verachtet er sie etwa? Folglich ist er ihr piepegal, ob er sein Schiff reibungslos durch den Vortex navigiert oder darin umkommt. Weil seine unbedachte Bemerkung sie verunsichert hat, bekommen ihre Persönlichkeiten Risse. Der Stationscomputer empfiehlt ihr dringend eine Neukonditionierung – bis zum nächsten Raumschiff…

Mein Eindruck

Die Prämisse dieser Story ist alleine schon sehr ironisch: Um allein auf einer einsamen Raumstation geistig-seelisch überleben zu können, muss man verrückt sein. „Verrückt“ in jenem klinisch definierten Sinne, dass man über verschiedene Persönlichkeiten verfügen muss, die klar gegeneinander abgegrenzt sind.

Dieses Multi-Tenant-Modell des Parallelbetriebs ist bestens aus den heutigen Betriebsmodellen des Cloud Computings bekannt. Darin „lebt“ die jeweilige Anwendung in einer Virtuellen Maschine, die einen logischen Computer innerhalb des physischen Computers darstellt. Ein Server kann aufgrund dieses Virtualisierungsprinzips mehrere tausend VMs beherbergen und betreiben. Das erlaubt die optimale Auslastung des teuren Rechners und macht Cloud Computing erst wirtschaftlich sinnvoll.

In psychologischer Hinsicht scheint die Autorin genau dieses Prinzip genau erfasst zu haben. Dass ihre Protagonistin auch noch eine sexuell attraktive und aktive Frau ist (MZB wird heute als „feministische“ Autorin betrachtet), macht die Story umso interessanter. Selbst 1980, als der Text veröffentlicht wurde, dürfte er für Aufsehen gesorgt haben_ Männer kommen nur am Rande und nur in dienender Rolle vor.

4) John Brunner: Die sehr Reichen (The Totally Rich, 1963)

Der Erfinder Cooper hat einen wundervollen Apparat gebaut, für dessen Entwicklung er Jahre gebraucht hat: Das Maschinchen ist in der Lage, die Eigenarten eines menschlichen Individuums fast hundertprozentig aufzuzeichnen – allein durch eine einfache Berührung. Als sein Cooper-Effekt-Gerät fertig ist, bereitet ihm die Auftraggeberin eine Überraschung.

Naomi sieht keinen Tag älter aus als 35, ist aber schon 50. Sie gehört zu den total Reichen, die alles haben, sogar Doppelgänger in verschiedenen Staaten. Natürlich bietet sie Cooper seinen Lohn an: unbegrenzten Kredit. Aber sie will auch wissen, wie lange es dauert, bis sie das haben kann, was sie am meisten ersehnt und was sie einfach nicht mit Geld kaufen kann: ihren vor drei Jahren verstorbenen Mann und dessen Liebe. Die folgenden Ereignisse enden tragisch…

Mein Eindruck

Die moralische Botschaft über die armen Total-Reichen dürfte klar sein, und der Autor erklärt im Vorwort, worum es ihm in dieser flott geschriebenen Erzählung ging. Am Schluss wird der Held sogar ein wenig selbstgerecht. Die Idee einer Wiedererschaffung eines einst geliebten Toten aus seiner Leiche und seiner Lebensumgebung ist so alt wie das Gilgamesch-Epos oder unzählige Horror-Storys, etwa von Poe. Nur die Methode hat sich geändert. Brunner beschreibt sie nicht detailliert, sondern lässt den Vorgang im märchenhaften Ungewissen. Wichtig sind lediglich die Folgen des Cooper-Effekts.

5) Arthur C. Clarke: Transit (Transit of Earth, 1971)

Man schreibt den 10. Mai 1984 – auf dem Mars. Der letzte überlebende Astronaut spricht seine Erinnerungen und Beobachtungen auf ein Tonband. Das Mutterschiff, die Olympus, ist zurück zur Erde gestartet und hinterlässt die havarierte Landefähre „Pegasus“. Der Chronist hat noch Atemluft für 24 Stunden. Er hat noch nicht entschieden, was er tun wird, wenn es soweit ist.

Aber bis es soweit ist, gilt es noch, ein grandioses, überaus seltenes Naturschauspiel zu beschreiben – den Durchgang der Erde zwischen Mars und Sonde am 11.5.1984. Er wird sich erst wieder in 100 Jahren wiederholen – und muss daher gebührend gewürdigt werden…

Mein Eindruck

Der Autor gehört schon immer zu den fünf Giganten der englischsprachigen Science Fiction. Diese Geschichte belegt bestens, wie gerechtfertigt seine überragende Stellung im Feld ist. Obwohl die Fakten trocken sind, doch wird das Beobachtete doch durch die Tatsache, dass der Beobachter todgeweiht ist, tragisch überhöht, bis der Leser berührt ist.

Hinzukommt das grandiose Wunderwerk des Erdtransits, vom Mars aus beobachtet – ist gleichzeitig unheimlich anzusehen, wie das Zentralgestirn verschlungen wird, als auch erhebend, wie es wiedergeboren wird. Dazu passt nur die Musik von Johann Sebastian Bachs TOCCATA. Was der Astronaut tun wird, wenn seine Stunde gekommen ist, darf hier nicht verraten werden.

6) Lyon Sprague de Camp: Innere Verbrennung (Internal Combustion, 1955)

Am Strand von Coquila hat der alte Roboter Napoleon das leerstehende Haus der MacDonalds übernommen und es mit seinen Kumpanen Herkules, Konfuzius, Galahad und Sancho Pansa besetzt. Nappo träumt, es seinem berühmten Namensvetter gleichzutun und ein Imperium zu gründen. Er gibt seinen Ropennern den Befehl, ein Menschenjunges zu entführen und herzubringen.

Unterdessen erhält der alte Roboter Homer, der für sein Leben gerne dichtet, von Archie Sanborn die Anweisung, 20 Liter Benzin an der Tankstelle zu kaufen, damit er seinen Wagen wieder flottkriegt und zum Psycho-Doc fahren kann. Doch auf dem Rückweg fällt der arglose Homer den listigen Robotern Napoleons in die Hände. Sie bringen ihn dazu, ihn von dem köstlichen Rohstoff etwas abzugeben. Daraus entwickelt sich eine Party.

Da läuft ihnen aus Sanborns Haus dessen dreijähriger Sohn Gordon über den Weg, der Homer sucht. Sie locken ihn in Napoleons Haus und sperren ihn ein. Leider vertragen sich alte Robotechnik und neues Benzin nicht besonders gut: Die innere Verbrennung beginnt – die MacDonald-Villa fängt Feuer – mit dem kleinen Gordie darin. Homer ist ebenso alarmiert wie die Nachbarn, darunter die Sanborns…

Mein Eindruck

In seinem Vorwort nennt der Autor sein Vorbild: Es handelt sich um John Steinbecks Roman „Die Schelme von Tortilla Flat“. Aber mit Steinbeck hat er sich wenigstens einen Literaturnobelpreisträger zum Vorbild genommen. Das Ergebnis ist einigermaßen unterhaltsam, reichlich turbulent und natürlich höchst humorvoll – wie von einem Autor wie Sprague de Camp nicht anders zu erwarten. Konfuzius und Homer sprechen in den ihnen gemäßen Worten – Zitate ihrer jeweiligen Namensvorbilder, die ihnen einprogrammiert worden sind.

Aber wenn man sucht, findet man auch ein paar ernsthafte Vorhersagen, die der Autor über die Zukunft seines Landes macht. So sind die diversen Roboter ausrangierte, längst veraltete Modelle, denn anders als Menschen unterliegen sie einem ständigen Innovationsdruck. Die Ansprüche der Kunden steigen ständig, und was diesen nicht mehr genügt, wird außer Dienst gestellt. Ist es ein Zufall, dass dies auch für ältere Menschen gilt? Wahrscheinlich nicht.

Zweitens ist Mr. Sanborn ständig arbeitslos. Ähnlich wie der Roboter Napoleon leidet seine Frau Roberta an dem Größenwahn, Dinge erlangen zu müssen – Urlaubsreisen, Luxusautos, Imperien – die für ihre Einkommensschicht längst unerschwinglich geworden sind. (Dies klagt Sanborn seinem Psychiater.) Doch bei ihr wie bei Napoleon herrscht noch die Selbsttäuschung vor.

Das menschliche Kind Gordon Sanborn, genannt „Gordie“, ist der Prüfstein für alle diese Fehlwahrnehmungen und Illusionen. Er wird entführt, um von Menschen, die eh nichts besitzen, Leistungen wie etwa Benzin zu erpressen. Als er in Gefahr gerät, im Haus seiner Entführer zu verbrennen, richten die Gesetze der Physik und der Moral darüber, welcher von den Robotern überlebt und welcher nicht: „innere Verbrennung“ ist eben ein vieldeutiger Begriff.

7) Thomas M. Disch: Veränderlichkeit (Mutability, 1978)

Tübingen im Jahre 2097 ist eine freie Stadt im kleindeutschen Staat Baden-Baden, der von Anarchisten geführt wird. In der Wohnung des vierzigjährigen Michael Divine hat sich Prof. emer. Veronika Quin, ihres Zeichens unsterbliche Historikerin, wohnlich eingerichtet. Sie und Michael verbindet indirekt ein Band der Liebe: Sie beide liebten Joseph, der sich auf französisch verabschiedet und einfach seine geparkten Koffer zurückgelassen hat. Dass der jeweils andere Josephs Gunst genoss, sorgt für Reibereien.

Der Franzose Paul, Veronikas Freund, der ebenfalls Joseph kannte, tritt ein, gefolgt von Niobe, einer hochschwangeren Katze. Deren Zustand erinnert Veronika schmerzlich daran, dass sie nie ein Kind hatte. Vielmehr ist es nicht auszuschließen, dass Veronika eine Androidin ist – deshalb ihre Unsterblichkeit. Das würde auch ihren Besitz von Tonbändern erklären, die aus dem Jahr 1998 stammen. Paul war Veronikas Pygmalion, sie seine Galathea, während Joseph ihr Stier, sie seine Europa gewesen war. Veronika ist promisk, Paul bi und Michael schwul.

Etwas hat den Selbstmordimpuls in Michael ausgelöst. Er schneidet sich im Bad die Pulsadern auf und muss ins Krankenhaus gebracht werden. Paul nennt ihn einen „Werther“, Auf dem Band ihres AB entdeckt Veronika per Zufall einen aufgezeichneten Anruf, den Michael mit der Gesellschaft Jesu tätigte: Er wolle den Jesuiten beitreten, sagt er. Was hat ihn nur zu diesem Schritt bewogen?

Mein Eindruck

Der Text wurde 1967 oder 1968 geschrieben, als die New Wave SF en vogue war, doch der Autor hatte Schwierigkeiten, sie in seine Romane einzubauen. Also endete sie 1978 in einer Anthologie des britischen New Wave Autors Christopher Priest. Sie ist hier wahrscheinlich das erste Mal seit 1978 abgedruckt, rund 20 Jahre nach ihrer Entstehung.

Wie viele New Wave Texte setzt sie beim erwachsenen Leser ein hohes, europäisches Bildungsniveau voraus. Laufend gibt es original deutsche Zitate, etwa von Hölderlin, der ja in Tübingen studierte und starb. Aber auch mit Französisch kann der Autor aufwarten.

Das Thema „Veränderlichkeit“ ist abstrakt, wird aber hier in Dialog und Tat umgesetzt. Michael Divine ändert sich laufend, wird von seinem Lover Joseph verlassen und versucht sich das Leben zu nehmen. Eine Katze ist hochschwanger. Nur Veronika „Ronny“ Quin hat sich in 100 Jahren nicht geändert, doch der Grund dafür wird nicht genannt – man muss ihn aus kleinen Details erschließen. Da sind uralte Tonbänder, da sind alte Holografien – und ein verstecktes Bild, das Michael bei Veronikas Sachen entdeckt hat. Es lohnt sich also, den Text mehr als einmal zu lesen, vielleicht sogar dreimal.

8) Alan Dean Foster: California Freeway (Why Johnny Can’t Speed, 1971)

Frank Merwin hat gerade seinen 18-jährigen Sohn Bob in einem Gefecht auf dem Freeway verloren, wie ihm die Polizei mitteilt. Offenbar hat Bob sich und die Kampfausrüstung seines VW überschätzt. Warum er aber ausgerechnet einem hochgerüsteten Caddy Marauder in die Quere kommen? Das soll Frank nicht passieren, wenn er das Paket, das Bob transportierte, nach San Diego bringt.

Die Werkstatt sagt, mit seinem J.J. sei technisch alles in Ordnung. Nun müssen nur noch ein paar Spezialwaffen montiert und geladen werden, dann kann’s losgehen. So eine Fahrt auf der Autobahn ist ja kein Zuckerschlecken mehr, seit die Polizei nur noch bestimmte Strecken patrouilliert, etwa bei Armeestützpunkten. Viele Pendler nehmen auch lieber die öffentlichen Transportmittel. Das ist nichts für Frank. Ein freier Mann braucht eine freie Straße, komme, was wolle.

Kurz vor San Diego taucht der schwarze Caddy Marauder auf, der Bob zum Verhängnis wurde. Na, der kann sich auf ein paar Überraschungen gefasst machen. Frank aktiviert den Flammenwerfer, um ihm einen Vorgeschmack zu geben, dann fährt er den Geschützturm aus. Auf einmal rumst es ordentlich im Heck – öha, der Einschlag einer Rakete! Ausweichmanöver einleiten…

Mein Eindruck

In den siebziger Jahren war es in Hollywood und Kalifornien allgemein schick, die Anarchie zu inszenieren, um das Establishment zu provozieren. Heute wirkt das nur noch abgeschmackt. Die Kampfszene, die das Finale dieser fesselnden Story bildet, ist die Übertragung des Vietnamkriegs auf die Heimatfront. Letzten Endes plädiert der Autor natürlich Frieden, Liebe und Verständigung, ruft aber auch nach einer Kontrolle der permanenten Aufrüstung in den Städten. Es ist sein Recht, die Entwicklung überspitzt zu skizzieren.

9) Harry Harrison: Befreiungsoperation (Rescue Operation, 1963)

Zwei jugoslawische Fischer werden Anfang der sechziger Jahre Zeuge, wie ein außerirdisches Raumschiff auf dem Wasser zerschellt und der Pilot in seinem Schutzanzug unter die Wasseroberfläche sinkt. Sie müssen ihn retten, lautet ihr erster Gedanke. Da sie einen Taucher brauchen, wenden sie sich an Prof. Joze Kukovic. Der ist zwar eigentlich Kernphysiker, verfügt aber über einen Tauchanzug, mit dem er umgehen kann.

Der fremde Pilot ist leicht anhand der Boje, die die Fischer angebracht haben, zu finden. Joze ist überrascht, dass der Pilot zwar verletzt, aber noch am Leben ist. Er bringt ihn in Fischerboot, doch die erste Reaktion Dragomirs besteht darin, entsetzt zurückzuweichen. Das ist nur der Vorbote dessen, was Joze an Land erwartet. Sogar der Priester nennt das Wesen erst einen Teufel, dann einen Dämon. Blödsinn, faucht Joze, es sei nur ein Wanderer von anderen Welten – und selbst der Papst erkenne die Möglichkeit von Leben auf anderen Welten an.

Endlich trifft auch der angeforderte Arzt ein, gefahren von Petar, einem ehemaligen Partisanen. Doch Dr. Bratos ist ein geistesabwesender Tattergreis, der Angst hat, sich dem Alien zu nähern. Wenigstens gibt seine Arzttasche einen Mullverband her. Doch der Verband – amerikanische Ware – ist mit giftigen Sulfonamiden getränkt – das Alien schreit vor Schmerzen auf. Es kann sich nicht mit den Erdlingen verständigen, holt aber eine Art Buch aus seiner Gürteltasche hervor. Als es Luft holt, verbrennt ihm der Sauerstoff die Lunge, und es stirbt.

Das Buch verschwindet wie von Zauberhand. Erst als Joze den Priester verdächtigt, fällt ihm eine Möglichkeit ein, und tatsächlich: Das Buch brennt bereits im Ofen der Küche. „Teufelszeug!“ schreit der Priester, und das Buch explodiert…

Mein Eindruck

Der Kernphysiker Kukovic ist Wissenschaftler. Er weiß, dass es nur 200 Meilen entfernt einen hochmodernen Teilchenbeschleuniger gibt, Dass in Triest und Rijeka Krankenhäuser mit moderner Einrichtung stehen, die ein wehrloses Alien retten können. Warum nur, hadert er, musste der fremde Raumpilot im hinterwäldlerischsten, abergläubischsten Teil von Jugoslawien herunterkommen?! Die Handlungen des Priesters könnten genauso gut aus dem finstersten Mittelalter stammen. Hier bekreuzigt man sich angesichts des Fremden – und treibt den Teufel aus.

Ob Menschen heute, 55 Jahre später, überall anders handeln würden, darf bezweifelt werden. Wenn Betonmauern gegen Mexikaner errichtet werden, steckt offensichtlich Angst dahinter. Wenn afrikanische Flüchtlinge als Sklaven verkauft werden, dann weiß man (schon seit 2016!), dass das Mittelalter real existiert, überall. Harrisons warnende Erzählung ist sowohl detailreich als auch emotional packend. Kein Leser, dessen Herz nicht aus Silizium besteht, dürfte sich ihrer Wirkung entziehen können.

10) Edward D. Hoch: Zoo (Zoo, 1958)

Wieder einmal ist es soweit: Der Zoo kommt! Halb Chicago, ach was, GANZ Chicago begibt sich hinaus aufs freie Feld, wo Professor Hugos berühmter Interplanetarischer Zoo gelandet ist. Es gilt, die sechs Stunden seiner gnädigen Anwesenheit auszunützen! Zehntausende von Kinder defilieren an den Gitterstäben der Käfige jener Aliens vorbei, die der Professor diesmal mitgebracht hat: die Pferdespinnen von Kaan!

Wie anmutig sie klettern und gucken, tollen und schnattern – doch nur sechs Stunden lang. Dann entschwebt das Zoo-Raumschiff wieder, bis zum nächsten 23. August – versprochen.

Als die Pferdespinnen nach Kaan zurückkehren, entspringen sie fröhlich ihren Käfigen und erzählen ihren Lieben daheim, wie sie die Menschen besucht haben, natürlich gut geschützt durch Gitterstäbe an den Aussichtskäfigen. Wie putzig diese Zweibeiner aussahen, mit den künstlichen Häuten über den rosa Körpern und den haarigen Kopfbedeckungen am oberen Ende. Alle Teilnehmer der Expedition sind sich einig, dass es der bisher beste Zoobesuch gewesen ist, den der Professor je organisiert hat…

Mein Eindruck

Es ist alles eine Frage des Standpunktes und des Blickwinkels. Die Menschen meinen, sie seien die Besucher und Betrachter des interplanetaren Zoos, dabei sind in Wahrheit sie es, die von den Raumschiffpassagieren als Zoo-Bewohner angesehen werden. Die Gitterstäbe der Käfige trennen die Welt in ein Außen und ein Innen. Es kommt darauf an zu erkennen, wo man sich jeweils befindet. – Der Autor gibt an, dieser kurze Text sei mittlerweile

11) Ursula K. Le Guin: Labyrinthe (Mazes, 1975)

Die Geschichte schildert die Tage der Ratte im Labyrinth – aus dem Blickwinkel der Ratte. Ob es sich wirklich um Rattus norvegicus etc. handelt, wird allerdings nie gesagt: Es könnte sich genauso gut um ein Fremdwesen handeln. Sein Gegenüber ist ein Riese, dem es ausgeliefert ist, und dieser setzt es immer wieder in ein Labyrinth, in dem es Belohnung oder Bestrafung gibt. Wie erniedrigend und demütigend, meint das intelligente und feinfühlige Wesen.

Aber es hilft alles nichts: Es ist keine Kommunikation mit dem Riesen möglich. Es kann sich noch so geschickt mit seinen Tanzfiguren ausdrücken – die Bedeutung wird einfach nicht wahrgenommen. Umgekehrt kann sich der Riese nicht mit dem Wesen verständigen, das er ständig ungenießbarem Essen oder Stromschlägen aussetzt. Was will der Riese, warum ist er so grausam und wie kann es seine Wünsche erfüllen, fragt sich das Wesen. Es gibt keine Antworten und keine Hoffnung…

Mein Eindruck

Unter den vielen wissenschaftskritischen SF-Storys der siebziger Jahre, die gegen den tumben, elenden Positivismus anrannten, ist dies eine der besten. Die Ratte – oder welches Wesen auch immer – ist eine hochentwickelte Intelligenz mit ausgeprägter Moral und Würde. Sein Kommunikationssystem beruht auf Bewegung, insbesondere auf Tanz, ähnlich wie bei den Bienen. Kein Wunder also, dass die Verweigerung der Kommunikation auf SEINER Ebene als Grausamkeit wahrgenommen wird. Eine Story, die durch die Verzweiflung des Subjekts, das als dummes Objekt missbraucht wird, den Leser berührt.

12) Barry Malzberg: Eine Galaxis namens Rom (A Galaxy Called Rome, 1975)

Dies sind die Notizen zur Verfertigung einer SF-Geschichte mit dem Titel „Eine Galaxis namens Rom“. Die Story soll die Realisierung eines Entwurfs von Altmeister Hohn W. Campbell jr. aus dem Jahr 1931 sein, also völlig an Naturwissenschaft orientiert: sogenannte Hard SF.

Der Plot: Die Astrogatorin Lena Thomas fliegt auf der „Skipstone“ mit 500 Kälteschlaf-Toten an Bord durch eine Himmelsgegend, die sich plötzlich durch eine erhöhte und unentrinnbare Gravitation bemerkbar macht. Sie rührt nicht von einem Schwarzen Loch, sondern von einer Schwarzen Galaxis her. Und weil alle Wege zu ihr führen, heißt sie Rom. Sobald Lena den Ereignishorizont und den Schwarzschild-Radius überquert hat, gibt es für sie kein Einkommen mehr – nicht mal ihr überlichtschneller FTL-Antrieb kann ihr helfen, denn die Mega-Gravitation frisst ihren Lichteffekt auf. Einziger vorstellbarer Ausweg: sofort umschalten auf Tachyonenantrieb – ohne vorherige Beschleunigung. Verfügt die „Skipstone“ über diesen Antrieb? Es sieht nicht so aus.

Nun passieren mit der Annäherung an die Schwarze Galaxis mehrere höchst sonderbare Dinge. Die Kausalität wird zusammen mit den Anordnungen von Raum und Zeit aufgehoben, so dass Lena nicht nur mehrere Leben hintereinander, sondern auch parallel führen kann. Aber nach, sagen wir mal, 14.000 Jahren ist wirklich die Luft raus: Genug ist genug. Sie braucht eine Lösung und befragt ihren Meisteringenieur – der durchdreht – und drei weitere Ingenieure, die sich, nach nutzlosen Ratschlägen, ebenfalls die Kante geben.

Doch ein Schwarzes Loch wie „Rom“ kann sich auch als Durchgang erweisen. Lena und ihre vervielfachte Seelenfracht landen im Jahr 1975 an einem Ort namens Ridgefield Park, New Jersey. Von den Erdlingen bemerkt keiner die Ankunft, denn es handelt sich um ein Pfingst-Ereignis: Seelen fallen vom Himmel und erfüllen die körperlichen Gefäße der Einwohner…

Mein Eindruck

Aber vielleicht ist auch alles ganz anders. Schließlich handelt es sich um einen Entwurf für eine mögliche SF-Geschichte. In diesem Stadium hat der Schöpfer der Fiktion noch alle Freiheiten – mit einer Ausnahme: die physikalischen Gesetze. Anno 1974 wusste die Astronomie schon einiges mehr über die Entstehung und die Verbreitung von Schwarzen Löchern. Heute weiß man, nach Forschern wie Stephen Hawking, dass in praktisch jeder Galaxis und in jedem Nebel ein Schwarzes Loch Sterne verschlingt. Damals schienen die Singularitäten den abnormalen Horror des Universums darzustellen, doch heute weiß man: Sie sind ganz normal – und überall.

Bekannten Herausgebern wie Jack Dann und George Zebrowski, die eine Anthologie mit Überlicht-Storys zusammenstellten, kam die gelieferte Geschichte „fremdartig“ (ein sehr seltsames Attribut für einen SF-Text), „weitschweifig“ und „lausig vom wissenschaftlichen Gehalt her“ vor. Das ist eine sehr unfaire Beschreibung. Bessere Herausgeber wie Silverberg und Harrison nahmen sie in ihre Jahresauswahl auf, und beim NEBULA Award 1975 belegte die Story den 2. Platz- eine Qualitätsempfehlung.

Das Besondere an dieser Erzählung: Sie verbindet Hard SF über Schwarze Löcher mit emotionalen Szenen über Lena Thomas, eingebettet in einen überspannenden, distanzierenden Diskurs über die Möglichkeiten und Bedingungen der Gestaltung dieser Geschichte. Als Folge erhält der Leser nicht nur eine Version, der er die „Aufhebung des Unglaubens“ (S.T. Coleridge) zugestehen soll, sondern gleich mehrere, die parallel möglich sind. Wer zwischen den Zeilen zu lesen vermag, entdeckt sogar eine ganze Menge Humor – und sogar Erotik.

13) Larry Niven: Der grüne Marodeur (The Green Marauder, 1980)

Das Draco ist Rick Schumanns im ganzen bekannten Weltraum bekannte Bar, wo sich Krethi und Plethi zu einem Drink treffen. Heute ist der Reporter Greg Noyes zugegen, und der macht gerade Rick auf die drei Neuankömmlinge aufmerksam: Chirpsithra, unverkennbar. Die Chirps behaupten, sie würden Milliarden Jahre alt. Ein Glück, dass das dritte Mitglied ihrer Runde ein wenig jünger ist. Es hat die Erde erst vor rund 150 Mio. Jahren zuletzt besucht.

Beiläufig erzählt es, wie es damals auf der Erde zuging. Sie war keineswegs der blaue Planet von heute, sondern besaß eine Atmosphäre aus Methan, Ammoniak, Sticksoff und anderem giftigem Zeug. Doch es gab häufig Erdbeben, und deshalb hatte die dominante Spezies ihre Städte unter der Meeresoberfläche gebaut. Doch, ach! Sie verschwanden alle, als der grüne Zerstörer auftauchte.

Zunächst war das nur ein grünlicher Schleim, der am Rande der Meere in seichtem Wasser schwappte. Doch der Schleim breitete sich aus. Was er von sich gab, war sogar noch giftiger als das bisherige Gemisch: Sauerstoff! Erzeugt von primitiven Algen, die Photosynthese erfunden hatten. Gegen dieses Gift gab es (noch) kein Gegenmittel, mussten die Chirps feststellen, als sie die Einheimischen retten wollten…

Mein Eindruck

Verpackt in eine farbige Umgebung mit exotischen Besuchern, eben Schumanns Bar bzw. Rick’s Cafe wie in „Casablanca“, erfahren die Leser, dass die Atmosphäre der Erde und die Farbe ihres Himmels nicht immer die war, die zu sehen und zu atmen sie gewöhnt sind. Die Erzeugung und Ausbreitung von Sauerstoff bedeutet seinerzeit, als der „grüne Zerstörer“ (Algen) auftauchte, in der Tat den Tod zahlreicher Arten, insbesondere jener, die auf die alte Atmosphärenzusammensetzung spezialisiert und angewiesen waren. Ein Massensterben war die Folge.

Ob die Datierung auf das Perm korrekt ist, sei dahingestellt. Zutreffend ist aber, dass in der Zeit nach dieser Zäsur in der Kreidezeit und dem Jura („Jurassic“) die Dinosaurier auftauchten, von denen die Vögel abstammen. Auf eine elegante, interessante, wenn nicht sogar humorvolle – wer könnte solche Hochstapeleien von Aliens schon ernstnehmen? – Weise bringt die Erzählung dem jungen Leser näher, was es bedeutet, wenn eine globale Veränderung auftritt.

14) Josh Pachter: Der Junge, der den Alien sah (The Boy Who Cried Alien, 1987)

Der neunjährige Eric Lindeman lebt bei seiner Oma und seinem Opa auf dem Lande. Als er einen Alien mit Schuppenschwanz draußen auf seinem Klettergerüst herumturnen sieht, sagt er es sofort seinem Opa. Aber Opa liest Zeitung und will nicht gestört werden. Oma backt Pastete und will nicht gestört werden. Also geht Eric hinauf in sein Zimmer und guckt dem Alien zu. Der turnt wie ein Äffchen auf dem Gerüst herum und entdeckt dabei, wie Eric ihn beobachtet. Er zwinkert Eric zu, der sofort los und aus dem Haus stürmt. Er hat sich schon so sehr einen Spielkameraden gewünscht.

Der Alien nimmt Erics gesicht zwischen seinen Pfoten und beginnt, ihm den Verstand auszusaugen. Dann saugt er den Inhalt von Erics Körper und schließlich vertilgt den Körper mitsamt den Gummistiefeln. Als er ins Haus geht, verfügt er über die Sprechfähigkeiten Erics. Leider hat Opa keine Zeit für den Alien, denn er will Baseball gucken, und Oma hat keine Zeit, weil sie den Boden staubsaugt. Danach gucken sie zusammen einen Spielfilm. Also telefoniert der Alien nach Hause – zwei Monate lang…

Mein Eindruck

Pachter, berichtet er, musste diese Story schreiben, weil er für seinen US-Verleger Peter Loeb – es handelt sich also doch nicht um eine „Originalausgabe“ – seine eigene beste Geschichte liefern sollte. Naja, obwohl auch dies wie „Innere Verbrennung“ die fehlerhafte Wahrnehmung der Menschen auf die Schippe nimmt, so fällt doch das Fehlen einer wichtigen Altersgruppe auf: die der Eltern von Eric. Wo sie abgeblieben sind, wird nicht erklärt, aber der Verdacht liegt nahe, dass Eric eine Vollwaise ist. Deshalb haben ihn die Großeltern bei sich aufgenommen.

Das Fehlen ist deshalb so folgenreich, weil sie die einzigen sind, die sich wirklich um Eric gekümmert und ihn schleunigst vor dem Alien gewarnt hätten. Sie haben die Erfahrung, die Eric fehlt, und die Aufmerksamkeit, die den Großeltern fehlt. Daher kommt es zu Erics vorzeitigem Ende und der grotesken Situation, dass auch Aliens eine Chance haben, als Kinder durchzugehen, solange man sie nur lange genug ignoriert. Da hilft nur eines: hinschauen. Aber diese Fähigkeit ist den Großeltern abtrainiert worden: vor allem vom Fernsehen. Und das gilt nicht nur für Großeltern und nicht nur in den USA.

15) Robert Silverberg: Steinbock-Spiele (Capricorn Games, 1974)

Man schreibt den 7. Januar 1999 – Steinbock-Tag! Es ist Nikkis Geburtstag – und der von vielen anderen Partygästen, die sich heute Nacht im 88. Stockwerk von Steiners Wolkenkratzer einfinden, um sich zu verlustieren. Während draußen ein Schneesturm tobt, trägt Nikki, knackige 24 „Jahre“ alt, ein luftiges Etwas, das ihr gerade mal bis zum Oberschenkel reicht. Diese wandelnde Augenweide entgeht zahlreichen Männeraugenpaaren keineswegs. Wen soll sie heute Nacht in ihr Bett mitnehmen?

Da sind ein Wunderheiler, ein Milliardär (leider todkrank, schade drum), ein Telepath (alles in Deckung!) und – oh Wunder – ein Unsterblicher! Nicholson wurde im Jahr 982 geboren, also vor 1017 Jährchen. Schier unglaublich, aber der Telepath ermöglicht ihr eine Art Bewusstseinsverschmelzung. Bei dieser Gelegenheit erhält sie Einblick in seine vielen fremdartigen Erlebnisse, von mittelalterlichen Schlachten bis zur Büffeljagd im Wilden Westen (vom sicheren Zug aus, versteht sich).

Die Erkenntnis, dass Nicholson seinerseits auch in IHREN Geist sehen konnte, erschüttert Nikki derart, dass sie auf die windige Terrasse hinaustritt. Will sie etwa Selbstmord begehen?

Mein Eindruck

Unsterblichkeit und der Weg dorthin waren immer Thema von Silverbergs ernsthafteren Texten (er schrieb auch viel Auftragsschrott). Stets nimmt er dann das Thema ebenso ernst wie die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Hier ist es die virtuell „junge“ Nikki, die sich bereits ihre eigene Art von Unsterblichkeit geschaffen hat, in einem Elfenbeinturm, auf der Grundlage von Traumdrogen, die sie Vorleben vergessen lassen. Gut, dass ihr reales Fleisch immer noch makellos ist.

Nicholson, der Unsterbliche, wirkt, als wäre er einem Zeitpatrouille-Roman von Poul Anderson entsprungen: Abenteuer als Genuss. Auffällig ist die Abwesenheit jeglicher Frauen und Amouren in seinem Leben – offenbar ein Zugeständnis an die Magazinzensur in den USA (selbst nach den bahnbrechenden Urteilen Ende der 1960er Jahre).

Für Nikki ist die Begegnung sowohl ernüchternd, was Nicholsons Charakter angeht, als auch erschütternd, was seine Erlebnisse anbelangt. Warum kann sie das nicht auch erleben? Stattdessen nimmt sie Drogen, die die Realität verzerren (in den 1970ern ganz normal), konsumiert problemlosen Sex und schickt sich ins Vergessen. Es ist wohl das, was sie als „eine gelungene Party“ bezeichnen würde.

16) Michael Swanwick: Walden Drei (Walden Three, 1981)

Die Videoreporterin Maude Bataleur kommt von der Erde zu den zwei L5-Kolonien Walden und O’Neil. Bei der Führung wundert sie sich, warum Walden so idyllisch ist und die Bürger friedfertig und heiter wirken. Dagegen wirkt O’Neil wie verwüstetes Land: Hier fand einmal eine Atomexplosion statt. Die übervölkerte Erde plant, diese Kolonie zu restaurieren und neu zu besiedeln. Maude erforscht, ob dies nach dem Vorbild von Walden geschehen soll.

Walden ist eine Utopie im Sinne des Verhaltensforschers und Sozialreformers B. F. Skinner, der es seinem Vorbild Henry David Thoreau, der den biografischen Roman „Walden“ schrieb, nachmachen und eine ideale Gesellschaft gründen will. Diese ist nach dem Prinzip der positiven Verstärkung aufgebaut: „Glück ist ansteckend“. Maude fragt sich, ob das funktionieren kann. Sie ist auf der Erde eine berühmte Revolutionärin und lässt sich auf Walden nichts vormachen.

Deshalb fällt ihr der Clown Coco, gespielt von Dylan Corcoran, umso mehr auf. Die Zuschauer lachen in regelmäßigen Abständen von 20 Sekunden und immer auf sein Stichwort, auch an Stellen, die gar nicht lustig sind. Ein Hologramm, das an eine Luftnymphe namens Sylphe erinnert, erfüllt ihr ihren Wunsch und führt sie zu Dylan. Er wohnt in einer düsteren, einsamen Hütte im wüsten Land auf O’Neil. Von ihm erfährt sie die schreckliche Wahrheit über die dunkle Seite des Utopia Walden…

Mein Eindruck

Maude kommt zum Schluss, dass eine ideale Gesellschaft, die auf Konditionierung und Manipulation beruht statt auf dem freien Willen, nichts wert ist. Ihre Live-Übertragung dieses grotesken Schauspiels bei einem weiteren Clowns-Auftritt Dylans ruft auf der Erde Empörung und Bestürzung hervor. Als sich Dylan auch noch opfert, ist es vollends aus mit dem Plan, aus der verwüsteten Kolonie ein drittes oder viertes Walden zu machen. Sie wird in „Dickens“ umbenannt, selbst wenn das bedeutet, dass sich das reformierte Walden und Dickens nicht freundschaftlich gegenüberstehen.

Selten hat man ein fehlgeleitetes Sozialexperiment so erschütternd und anschaulich in einer SF-Geschichte scheitern gesehen. Das verrät die große Klasse des Autors Michael Swanwick, dessen viele Geschichten und wenigen Romane in den achtziger Jahren beim Heyne-Verlag veröffentlicht wurden.

17) A.E. van Vogt: Filmbibliothek (Film Library, 1946)

Das Rätsel der vertauschten Lehrfilme nimmt seinen Anfang, als Mr. Corteya, der Filmverleiher, von Mr. Dorman, dem Direktor des Amerikanischen Instituts für Elektronik, gefragt wird, ob er noch weitere solche Lehrfilme habe und woher er sie beziehe. 30 Dollar machen Corteyas Zunge geschmeidig, und schon bald empfängt ein Mr. Arlay in Kalifornien Mr. Dormans Anfrage. Dorman ist als Elektronikfachmann besonders an dem Geheimnis für die „Küchenmaschine, die einfach alles kann“, interessiert.

Doch Mr. Arlay hat ein anderes Problem. Sein Leihkunden schicken ihm verärgert die Filme mit dem Vermerk zurück, dass diese nicht zeigten, was Arlay versprochen habe. Er kann von Glück sagen, wenn sie nicht ihre Leihgebühr zurückverlangen. Auf der Suche nach der Ursache für diese Vertauschungen stößt Arlay immer wieder auf das Tichenor College und dessen Ansprechpartner, den Dozenten Peter Caxton. Beim ersten Anruf äußert sich Caxton herablassend: Ihm sei nichts dergleichen bekannt.

Doch Caxtons Schicksal nimmt eine dramatische Wendung, als er selbst im Hörsaal Zeuge eines solchen Films wird. Ein Schülerstreich, kein Zweifel. Doch kein Schuldiger bekennt sich zu der Schandtat. Auf höchst bedauerliche Weise nimmt Caxton, der Ambitionen auf den Rektorsposten hat, dieses Problem zum Rektor Dr. Varney. Nachdem auch dieser von den Schülersprechern negativen Bescheid bekommen hat, beschuldigt Caxton seinen Rivalen um das Amt und die Gunst der schönen Miss Gregg.

Dieser Schuss geht massiv nach hinten los. Das Ende vom Lied: Caxton muss seinen Abschied einreichen. Als letzte Amtshandlung schaut er sich jedoch die Filme und den entsprechenden Projektor im College an. Er erlebt eine Überraschung: Jedes Mal, wenn er den gleichen Film einlegt und abspielt, sieht er einen anderen Inhalt angezeigt, Und nicht irgendwelchen Unsinn, sondern Themen, die 50 Jahre in der Zukunft aktuell sein könnten. Doch dann begeht er einen fatalen Fehler: Er zerlegt den Projektor und baut ihn neu zusammen…

Mein Eindruck

Die Frage, die sich der Leser stellt, lautet natürlich: Wie kommt die Verbindung dieses Filmprojektors in die Zukunft zustande und wie wird der Projektor von dort gesteuert? Ich kann nicht behaupten, dass die verschwurbelte Antwort, die der Autor liefert, mit zufriedengestellt hat. Aber das steht bei van Vogt, diesem „Grundstückmakler des Universums“ (Damon Knight) immer zu befürchten. Irgendetwas weiß er einem immer unterzujubeln, auch wenn es ausgemachter Unsinn ist.

Es gibt allerdings eine theoretische Möglichkeit, die van Vogts Idee retten könnte: die Quantenverschränkung. Diese seit 1935 bestehende und 1964 korrigierte Einstein-Theorie soll das quantenmechanische Phänomen erklären, dass sich zwei entfernte Teilchen dennoch gleichartig verhalten können. Wird Teilchen A beeinflusst, so widerfährt dies aufgrund der Verschränkung auch Teilchen B. (Mehr dazu in der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Quantenverschr%C3%A4nkung.)

Auf diese Weise wäre die nötige zeitversetzte Steuerung des Filmprojektors vorstellbar. Aber es wäre schon eine weitaus höherentwickelte Technologiestufe nötig, als sie im Jahr 1961 besteht, nämlich, wie im vorletzten Absatz erklärt, die des Jahres 2011. Nun, aus Sicht des Jahres 2011 können wir feststellen, dass bis jetzt noch keine derartige Fernsteuerung bekanntgeworden ist und dass Filmprojektoren ebenso wie Filmspulen beträchtlich aus der Mode gekommen sind.

Die Übersetzung

Die Texte enthalten zahlreiche Stil- und Druckfehler.

S. 52: Ein Wort fehlt in dem Satz: „Ich bin [nicht] sicher, ob ich das mag.“
S. 120: „Sinphonie“. Das Wort existiert nicht. Verwendet wird entweder „Symphonie“ oder „Sinfonie“.
S. 160: „die Rate“ der Zuschauer wird heutzutage als „Quote“ bezeichnet.
S. 164: „das vorrostete Spandau“: Sicher muss es „verrostete“ heißen, aber warum die Stadt Spandau aus Metall sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Möglicherweise handelt es sich um ein verallgemeinerndes Synonym wie „Meißener“ = Porzellan.
S. 182: „Augen eines Maniaks“. Das Wort existiert nicht im Deutschen, sondern nur im Englischen. Es bezeichnet einen manisch-depressiv veranlagten Menschen.
S. 204: „Der Verhältnisse haben sich geändert.“ Gemeint sind „Die Verhältnisse“.
S. 252: „…Fakten, die natürlich vom Handlungsablauf [abhängig] wären.“ Hier fehlt erneut ein ganzes Wort.
S. 261: „Tehorie“ statt „Theorie“. Buchstabendreher.
S. 262: „und es wird hart ankommen, diese Szene…zu gebrauchen…“ Der Ausdruck „hart ankommen“ ist mittlerweile völlig ungebräuchlich. Sinn: „es wird schwerfallen“.
S. 263: „Sciende Fiction“ statt „Science fiction“.
S. 268: „sehen Jesus am Kreuz zum Kalvarienberg hinaufschleppen“. Jesus musste sein eigenes Kreuz schleppen, aber er konnte nicht gleichzeitig daran hängen.. Die Syntax führt in die Irre.
S. 304: a) „Girlanden aus biolumi[ne]szenten Perlen…“ Die Silbe „ne“ fehlt.
S. 304: b) „Eine Gesetzeslü[c]ke.“ Das C fehlt.
S. 314: „Ein Holo aus Dampf umgab sie.“ Gemeint ist aber kein Hologramm, sondern ein Halo, also ein umgebender Hof, evtl. leuchtend.
S. 352: „Konferenz der Elektronik[er]hersteller“. Die Hersteller stellen wahrscheinlich weniger Elektroniker als Elektronik her.

Unterm Strich

Illustre Namen fürwahr, aber nicht immer hält der ausgewählte Text, was der Name verspricht. Das ist mir nicht nur bei A.E. van Vogt aufgefallen (der wohl eine seiner kürzesten Geschichte wählen musste), sondern auch bei Niven, Le Guin, Harrison und Marion Zimmer Bradley. Richtig gut gelungen würde ich hingegen die Klassiker von Alfred Bester, Lyon Sprague de Camp, Michael Swanwick, Malzberg und Silverberg bezeichnen. Andere Texte wie der von Disch setzen sich zwischen sämtliche Stühle und Schubladen, sind innovativ, erfordern aber Kopfarbeit.

Somit ist die Auswahl dieser ersten Hälfte der Auswahl vielseitig, indem sie unterschiedlichste Autoren und Themen versammelt. Sie sorgt für Abwechslung, indem sich humorvolle Texte auf solche mit sehr ernsten Themen folgen. Modernistische Neutöner wie Disch und Malzberg sind ebenso versammelt wie absolute Klassiker wie Arthur C. Clarkes vielfach abgedruckte Erzählung vom Erdtransit.

Interessant fand ich stets auch die Vorbemerkungen der jeweiligen Autoren. Ursula Le Guin erweist sich etwa als sehr gestrenge Lehrerin in der Schreibwerkstatt und zeigt mit ihrer Story, wie man’s richtig macht.

Wenn die vielen Stil- und Druckfehler nicht wären, so könnte man diese Auswahl fast uneingeschränkt zur Ansicht empfehlen.

Taschenbuch: 384 Seiten
Aus dem Englischen von diversen ÜbersetzerInnen
www.heyne.de

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