Josh Pachter (Hrsg.) Top Science Fiction Band 2. Erzählungen

Abwechslungsreiche SF-Erzählungen

Bekannte SF-Autoren haben jeweils eine eigene Erzählung ausgewählt, die sie für die beste halten. Unter den Autoren finden sich illustre Namen wie Asimov, Pohl, Williamson und Wolfe. Manchmal sind die Begründungen des Autors bzw. der Autorin interessanter als die Story selbst.

Der Herausgeber

Josh Pachter ist ein US-amerikanischer Krimiautor, College-Dozent, Übersetzer und Anthologie-Herausgeber, der in Herndon, Virginia lebt. Seine Webseite: www.joshpachter.com.

Zur Anthologie „Top Science Fiction“: http://joshpachter.com/bib/tsf.html schreibt er: “ „Early in 1983, I wrote to over 100 of the greatest living science-fiction authors, inviting them to select and introduce the very best sf story they had ever written, or their favorite of their own stories, or the story which they felt was the most representative of their work in the genre….“. Weitere TOP-Anthologien sind „Top Fantasy“ (ebenfalls bei Heyne), „Top Horror“ und „Top Crime“.

Die Inhaltsangabe von „Top Science Fiction“ gibt es hier: http://joshpachter.com/bib/tsfcontents.html. Interessant ist die Auskunft, dass sich die deutschen und niederländischen Ausgaben beträchtlich von der Originalausgabe (1984) unterscheiden, die nur 25 Stories enthält. „Top Science Fiction“ wurde vom Wilhelm Heyne Verlag in drei Bänden 1987, 1988 und 1990 veröffentlicht. Sie enthält mindestens 45 Texte.

Die Erzählungen

1) Isaac Asimov: Die letzte Frage (The Last Question, 1956)

In den 1950er Jahren (als diese Story entstand) stellen zwei angesäuselte Computertechniker zum ersten Mal jene Frage an das leistungsfähigste Elektronengehirn. Die Frage, die Multivac beantworten soll, lautet: „Gibt es eine Möglichkeit, die Entropie umzukehren?“ Die Entropie ist bekanntlich die allgemeine Bewegung des Universums zu allgemeinem Chaos, Energieverlust und Wärmetod. „Ließe sich beispielsweise eine neue Sonne schaffen, um die Entropie umzukehren?“ Diese Frage wird den jeweiligen Superhirnen ihrer Zeit immer wieder gestellt, heißen sie nun Mikrovac, Galaktischer AC, Universaler AC oder gar Kosmischer AC. Noch in Milliarden Jahren wird sie gestellt.

Und immer lautet die Antwort gleich: „Bisher reichen die Daten für eine sinnvolle Antwort noch nicht aus.“ Bis auf das letzte Mal, als der Kosmische AC, der vollständig im Hyperraum existiert, auf eine geniale Antwort verfällt. Schließlich verfügt er nach dem Ende des Universums über genügend Daten…

Mein Eindruck

Die letzte Frage gilt, wie zu erwarten, den letzten Dingen. Eines dieser letzten Dinge ist das Ende von allem. Lässt es sich aufhalten oder gar – verwegener Gedanke – umkehren? Bemerkenswert ist an der Story, dass die Frage nicht dem Papst oder dem Dalai Lama gestellt wird, sondern dem leistungsfähigsten künstlichen Gehirn. Denn die Frage gilt ja nicht einem Glaubenssatz – wo ist Gott? – sondern einem wissenschaftlichen Faktum: Die Entropie nimmt unendlich zu. Das ist einfach einer der Hauptsätze der Thermodynamik. Er gilt schon seit Jahrhunderten unangefochten. Warum sollte ihn also ein wissenschaftlich errichtetes Gerät nicht beantworten können?

Da die Frage nie beantwortet wird – „unzureichende Daten“ – begleitet sie die Menschheit bei ihrer Ausbreitung über das Sonnensystem, die Galaxis und alles darum herum. Denn die Menschen sind nicht nur überall, sondern auch unsterblich geworden. Trotz dieser annähernden Allmacht können sie den Hauptsatz der Thermodynamik nicht beugen, sondern werden vielmehr dessen Opfer. Auch sie können der Entropie nur auf dem Wege des Hyperraums entgehen, wo der Kosmische AC weiterexistiert. Und nur von dort aus lässt sich ein Neuanfang wagen: „Es werde Licht…“

Der Biochemieprofessor Asimov vermittelt in seiner Geschichte einige wertvolle Einsichten über die Begrenztheit menschlichen Wollens und Erkennens angesichts der Gesetze der Physik. Und ob Computer nun wirklich aus Molekülen gebaut werden oder nicht, spielt eigentlich nur eine untergeordnete Rolle. Heute wird jedenfalls schon daran geforscht.

2) Barrington J. Bayley: Die Erforschung des Raumes (1972, The Exploration of Space)

Der Ich-Erzähler befindet sich gerade im Opiumrausch, als er über einem Schachbrett nachgrübelt. Auf einmal beginnen sich die Schachfiguren zu bewegen. Sie stellen sich in einem Kreis um einen Springer auf. Der Springer beginnt zu sprechen: „Vielen Dank für die Zuflucht!“ Er sei mit seiner Raumschiff-Crew aus einer anderen Raumdimension in den hiesigen Raum geflüchtet.

Es gebe nämlich auch anders geartete Räume, führt der Springer aus. Damit verbunden seien andersartige Dimensionen von Zeit, Zahlen, Alchimie und Bewusstsein. Nach all diesen Ausführungen muss der Springer aus Energiemangel wieder losdüsen und der Erzähler erwacht aus seinem Opiumtraum.

Mein Eindruck

Wie der Autor als erster zugibt, erinnert seine Geschichte an „Die Bibliothek von Babel“ des ehrwürdigen Granden der lateinamerikanischen Literatur Jorge Luis Borges. Leser versicherten ihm zudem, sie seien Edwin Abbotts Roman „Flatland“ erinnert worden.

Ein schmeichelhafter Vergleich in der Tat, denn Barringtons Erzählung lässt sich viel weniger anschaulich lesen. Sie will nicht unterhalten, sondern belehren. Da es keinen herkömmlichen Dialog im Sinne eines Wortwechsels gibt, mutet sie an, als wäre ein mathematischer Essay ins Korsett einer Prosa-Erzählung gezwängt worden, um ihn verkaufen zu können. Selbst Rudy Rucker hat seinen ähnlich gelagerten Roman „Weißes Licht“ (s. meinen Bericht) unterhaltsamer gestaltet.

3) Robert Bloch: Ich mag Blondinen (I Like Blondes, 1956)

Er ist in der großen Stadt wieder auf der Pirsch, auf Blondinen. Die auf der Straße sind vergeben, also geht er zur „Wasserstelle“: Der Tanzclub heißt „Traumwege“, wie passend. Er tanzt mit ihr, richtig gut, und sie lässt sich von ihm zu einem Drink oder zwei in der Bar an der Ecke einladen. Er nennt sich Mr. Bier, sie heißt Shirley Collins, ein Kleinstadtmädchen, und ledig – blond, so blond. Ein Mädel, das gerne „Ui!“ sagt.

Nach einem halben Dutzend Drinks und einem Hunderter lässt sich Shirley mitnehmen, zu den Shane Apartments. Doch statt in ein Zimmer führt der Weg aufs Dach. Hier steht sein Schweber, der sie zu den Sternen bringen kann. Ihre Knie beginnen zu zittern. Ja, er sei ein Sammler, gibt er zu, und er sammle eben Blondinen. Denn Blondinen, das hat er nach 102 Exemplaren herausgefunden, schmecken köstlich…

Mein Eindruck

Der Autor, literarischer Schöpfer von Hitchcocks „Psycho“, war einer der engsten Brieffreunde von H.P. Lovecraft und steht folglich dem Horror recht nahe. Er lässt den Leser lange zappeln, was Mr. Bier eigentlich mit Miss Collins vorhat. Es kann alles Mögliche sein, aber worin besteht Mr. Biers eigentliche „Sammelleidenschaft“? Das darf nicht verraten werden, aber es ist ratsam, Mr. Bier wörtlich zu nehmen.

Interessanter Seitenhieb: Mr. Bier ist selbst nur ein Sammelobjekt, eine fleischliche Hülle von vielen, unter denen sein außerirdischer Sammler wählen kann…

4) Ben Bova: Eine kleine Freundlichkeit (A Small Kindness, 1983)

Jeremy Keating lauert im Schatten eines Hauseingangs auf sein Opfer. Es ist aber keine Frau, sondern ein Mann, ein ganz besonderer Mann: der „Heilige von Afrika“, Mr. Rungawa. Beim hier in Athen stattfindenden Kongress der seit fünf Jahren etablierten Weltregierung leitet Rungawa die Delegation von Tansania, dem Ursprung der Menschheit. Nicht mehr lange, wenn es nach Keatings Vorgesetzten im US-amerikanischen Ministerium geht. Rungawa ist zu terminieren. Wenn er fällt, dann folgt auch der Block der Dritten Welt, sagen sie. Der Rest sei ein Kinderspiel, sagen sie.

Keating ist der richtige Mann für diesen Job. Als in Tunesien der Aufstand für die Weltregierung begann, kam seine Frau in den Unruhen ums Leben, sein kleiner Sohn starb danach qualvoll an Typhus. Hass und Rachedurst zerfressen Keating, doch als er nun Rungawa und seinen drei Leibwächtern im Regen folgt, hat er seine Emotionen unter Kontrolle. Das Infrarotfernrohr erleichtert es, die Rungawa-Gruppe im starken Regen selbst bei Nacht im Auge zu behalten. Sie gehen zur Akropolis. Was soll das? Und das Zielobjekt geht allein den heiligen Weg zum Burgberg hinauf.

Es ist ein Kinderspiel, den Hang hinaufzuklettern, die Pfeilpistole hervorzuholen und auf den Mann zu zielen. Da erstarrt sein Arm und eine Stimme ertönt in seinem Kopf. „Guten Tag, Mr. Keating. Ich habe auf Sie gewartet. Ich habe einen Vorschlag zu machen…“

Mein Eindruck

Rungawa ist ein Telepath und Telekinetiker und nein: Er ist kein Mensch, selbst wenn er genauso wie einer aussieht. Aber angesichts der zahllosen Phobien, die Menschen gegenüber Andersartigen hegen, bleibt einem Außerirdischen nichts anderes übrig, als sich eine fleischliche Hülle zuzulegen, die genau passt, so dass sie nicht auffällt.

Das einzige, was Rungawa von Keating erbittet, ist zugleich auch das Allerschwierigste: Vergebung. Nicht etwa Verschonung vor dem Giftpfeil in Keatings Pistole, nein, das wäre einfach zu verhindern. Rungawa erbittet Keatings Vergebung dafür, dass Aufständische seinen Sohn und seine Frau umbrachten. Er erbittet die Überwindung von Wut, Hass und Rachedurst.

Die Menschheit stehe hier und jetzt am Scheideweg. Wolle er, Keating, eine Weltregierung, die sich zur Weltdiktatur entwickelt und noch mehr Opfer fordere, oder einen wohlwollenden Partner, quasi eine Agentur, die allen gleichermaßen hilft? Und nein, die Aliens werden sich nicht einmischen, sie werden nur wie Rungawa im Verborgenen als Agenten arbeiten – so wie Keating, wenn er will. Ein kleines Zeichen: Trockenen Fußes kehrt Keating zurück in sein Hotelzimmer. Lächelnd.

5) Gardner R. Dozois: Maschinen von liebevoller Güte (Machines of Loving Grace, 1972)

Sie hat es wieder einmal geschafft. Die junge Frau hat das Rasiermesser genommen, sich die Pulsadern geöffnet. Das dauerte aber zu lange, und so schnitt sie sich auch noch die Halsschlagader auf. Sofort fängt ihr eingepflanztes Überwachungsgerät, der Monitor, an, sein Alarmsignal an die Zentrale zu schicken. „Verdammt, die beknackte Schlampe hat es schon das dritte Mal diesen Monat getan!“, flucht der verständigte Techniker, holt sie aus der Wohnung und bringt sie zur Notaufnahme.

Die Maschinen flicken sie zusammen, so wie schon unzählige Male zuvor. Blut, Fleisch, Fettabsaugung, Kreislaufstärkung, dann der Herzstart. Sobald sie wieder angezogen ist, holt der weißhaarige Mann sie in sein Büro, und sie folgt ihm wortlos. Sie sei doch so privilegiert und dürfe sich glücklich schätzen, blabla. Dann entlässt er sie in die Hölle: giftige Luft, grauer Himmel, die Gitter der Regierung überm Kopf, darunter die sich drängenden Massen der Fußgänger auf der Straße…

Mein Eindruck

Die kurze Erzählung schildert sehr anschaulich, wie sich der Selbstmord einer Lebensmüden bewerkstelligen lässt, wenn diese der Hölle, in der alle wohnen, entkommen will. Die liebevolle Güte der Maschinen verkehrt sich in ihr Gegenteil, nämlich in boshafte Folter. Die Botschaft ist klar: Das Heilmittel muss die Krankheit kurieren, nicht das Symptom.

6) Carol Emshwiller: Der Anfang vom Ende der Welt (The Start of the End of the World, 1978)

Die Außerirdischen kommen in Frieden, verkleidet als Männer in Regenmänteln und beschlagenen Brillengläsern. Und sie besuchen nur geschiedene Frauen mit Katzen. Um die Übernahme der Welt vorzubereiten, müssen die Katzen allerdings verschwinden, sagen sie. Dadurch ergibt sich für die Chronistin, die eine ebensolche Frau ist, ein Problem: Sie liebt ihre Katzen. Die Lösung: Die Katzen dürfen auf dem Dachboden leben.

Klimp ist der Anführer der vier Alien-Männer und, wie sich zeigt, mit einer männlichen Ausstattung versehen, die in der Lage ist, Menschenfrauen zu schwängern – und Schafe und Hündinnen. Das Ergebnis zeigt sich Monate später, als unsere Chronistin nicht mehr nur von Elritzen träumt, sondern selbst welche zur Welt bringt. Dass sie dies vor den „Männern“ verbirgt, macht diese ebenso wütend wie die Tatsache der Existenz von Katzen.

Enttäuscht wendet sich unsere Chronistin von Klimp & Co. ab. Das war’s dann wohl mit der Übernahme der Welt. Und fliegen, wie sie behaupten, können diese Dummschwätzer natürlich auch nicht…

Mein Eindruck

Tja, dieser Start ins Weltende war wohl ein klassischer Fehlstart. Auch wenn die Chronistin manches übertrieben oder verzerrt hat, um das Detail kenntlicher zu machen, so kommt doch eines klar zum Ausdruck: Eine Übernahme der Erde wird es ohne Berücksichtigung der Frauen nicht geben. Zweitens haben geschiedene Frauen eine abgeklärte Sicht auf Männer und wissen deren Forderungen geschickt zu umgehen. Damit sollten Männer rechnen.

Ganz abgesehen von diesen Erkenntnissen macht die Chronistin deutlich, dass die Übernahmemaßnahmen der Neuankömmlinge weit entfernt von Realismus sind. Das Zerdeppern von Straßenlaternenlampen macht höchstens die Straße dunkler, aber dafür interessiert sich nicht mal die Army. Und die Sache mit den neugeborenen Elritzen-Babys belegt nur, dass solche Nachkommenschaft auf Erden nicht den menschlichen Ansprüchen genügt, sondern schnell ein Opfer kätzischer Neugier wird – Katzen stehen auf Fisch…

7) Horace L. Gold: Der Mann, der englischte (The Man With English, 1953)

Mr. Stone betreibt ein Geschäft für Schneidereibedarf wie etwa Stoffe, Nadeln, Scheren und dergleichen. Er ist ein Choleriker, wie er im Buche steht, und als eine Kundin einen Stoff verlangt, der schon längst nicht produziert wird, treibt dieses Ansinnen seinen Blutdruck in ungesunde Höhen. So kommt es, dass er mitsamt Leiter einen tiefen Sturz tut – und erst im Krankenhaus aufwacht.

Dr. Rankin und Mrs. Stone müssen nach der Operation des gebrochenen Schädelknochens feststellen, dass danach mit Mr. Stones Wahrnehmung nichts mehr stimmt oder vielmehr, dass alles in sein Gegenteil verkehrt ist: Hell empfindet er dunkel, süß als salzig, salzig als süß, heiß als kalt und so weiter. Dr. Rankin kommt richtiggehend ins Schwitzen, insbesondere dann, als Stone einen Rechtsanwalt bemüht, der Schadenersatz einklagen will. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Mr. Stone Dr. Rankins Angebot annimmt: Er muss Mr Stone erneut operieren – gratis, kostenlos, für lau, wirklich.

Das Ergebnis der zweiten Operation ist allerdings nur wenig zufriedenstellend…

Mein Eindruck

Der Autor Horace L. Gold war nicht irgendwer, sondern der Herausgeber eines der beiden wichtigsten SF-Magazine in den frühen fünfziger Jahren: „Galaxy“. Im Unterschied zu Pulp Fiction vom Schlage „Amazing Stories“ punktete GALAXY mit Hochglanzpapier und höherem Worthonorar.

Gold ist ein ebenso witziger wie gebildeter Autor. Seine Story „Trouble with Water“ gehört bis heute zu den absoluten Klassikern der Fantasy. In „Der Mann, der englischte“ beschreibt er einen Hirnschaden, der bis dato noch nie beschrieben worden war: die Umkehrung der Sinneswahrnehmung durch ein geschädigtes Gehirn. Was etwas psychedelisch anmutet, wird in der Pointe fortgesetzt: Mr. Stone „leidet“ fortan unter Synästhesie, d.h. ein Geruch hat eine Farbe. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft. Für Jimi Hendrix etwa hatten Töne eine Farbe.

Den seltsamen Titel der Story erklärt der Autor in seiner Vorbemerkung: „Englischen“ sagen Amerikaner, wenn man etwas auf die umgekehrte statt auf die amerikanische Weise macht (was den Rest der Welt zu Engländern macht…).

8) R.A. Lafferty: Fortsetzung auf dem nächsten Felsen (Continued on Next Rock, 1970)

Dies ist die Story von der wahrscheinlich verrücktesten Archäologenexpedition der Literaturgeschichte. Fünf Archäologen finden sich über dem Green River im Nordwesten der USA zu einer Grabung ein, doch das fünfte Mitglied, Magdalen, ist „nur“ eine Hilfsarbeiterin. Ihre hellseherischen Fähigkeiten verblüffen die anderen immer wieder. Sie weiß, wo ein bestimmtes Stück Wild zu finden ist und dergleichen. Nicht genug damit, nun taucht auch noch ein alter Mann auf, der sich Anteros (= Gott der unerfüllten Liebe) Manypenny nennt und weiß, wo in der geheimnisvollen Felsnadel, an der sie graben, ein bestimmtes Artefakt eingeschlossen ist. Merke: Er kann in den Fels hineinsehen!

Darüber hinaus beginnen die gefundenen Artefakte eine Geschichte zu erzählen, und da diese auf drei Objekten – aus verschiedenen Zeiten, wohlgemerkt – steht, steht jeweils am Ende ein mysteriöses Zeichen. Es ist natürlich Magdalen, die es als „Fortsetzung folgt auf dem nächsten Stein“ interpretiert. Die Geschichte besteht aus den Angeboten eines reichen Mannes an eine Angebetete oder an einen Gott, der mit seinem Reichtum prahlt und wirbt.

Die Archäologen sind konsterniert, um es gelinde auszudrücken. Aber es scheint eine enge Verbindung zwischen Geist und Stein zu bestehen. Die Analogie wird weitergetrieben. Als die Felsnadel durch eine Explosion zerstört wird, verschwinden erst Anteros, dann Magdalen, schließlich auch die Erinnerung an die beiden. Als eine Statue aus der Felsnadel geborgen wird, die wie Anteros aussieht, wundern sich alle. Ob hierauf wohl die Geschichte der Indianer fortgesetzt wird?

Mein Eindruck

Der Amerikaner Raphael Aloysius Lafferty ist ja bekannt für seine ungewöhnlichen Ideen und Erzählweisen, und diese seine Story stellt selbst den SF-Leser vor Herausforderungen. 1914 in Iowa geboren, arbeitete er 35 Jahre lang als Elektriker. Erst mit 45 Jahren begann er zu schreiben und hatte auf Anhieb Erfolg. Mit seinen geistreichen Schnurrpfeifereien gewann er die Gunst der Leser und 1973 sogar den bedeutenden Hugo Gernsback Award.

In dieser Erzählung bekommen wir so ganz nebenbei die Archäologie der indianischen Völker Mittel- und Nordamerikas mitgeteilt, aber nicht etwa trocken und akademisch, sondern mit Leben und Bedeutung erfüllt. Obendrein handelt es sich um eine witzige Geistergeschichte, wie das Auftauchen von Anteros und Magdalen belegt. Magdalen lässt einen der Forscher, Robert, abblitzen, als er ihr Avancen macht. Dass es erotische Spannungen gibt, wird nur unterschwellig, durch die Blume, mitgeteilt, aber man kann diese Hinweise finden.

Die Story mag vielleicht keinen offensichtlichen Sinn ergeben, aber einen symbolischen. Setzt man Schichten des Geistes (inklusive Unterbewusstsein, Gedächtnis usw.) mit geologischen Schichtungen gleich, dann ergeben sich daraus zahlreiche Folgerungen. Diese spielt Lafferty wortwörtlich durch. Auf einer übertragenen Ebene wird hier also Bewusstseinsarchäologie betrieben.

9) Anne McCaffrey: Ein Raumschiff namens Helva (The Ship Who Sang) (1961)

Klein-Helva kommt missgebildet zur Welt, doch Kinder sind in dieser Zukunft selten geworden und so wird sie an lebenserhaltende Systeme angeschlossen, in eine Metallhülle gesteckt und ausgebildet. Sie erweist sich als gelehrig, intelligent und anpassungsfähig. Die Behörden der Zentralwelten werden auf sie aufmerksam und merken sie als Vorzeigefall vor, als die Protestler für die Rechte von Minderheiten die Wesen in den Metallhüllen sehen wollen. Sie ist erst 14, aber bereits in der Lage, da Vincis ABENDMAHL auf einen Schraubenkopf zu malen – mit ferngesteuerten Armen und Pinseln, versteht sich.

Mit 16 graduiert sie, wird in ein eigenes Raumschiff namens Xh-834 eingebaut und braucht einen Piloten. Bei einer feuchtfröhlichen Kabinenparty mit den Kandidaten kann sie ihre ausgebildete Stimme unter Beweis stellen. Wow, sie könnte eine ganze Oper ganz allein singen! Aber Janner ist der einzige, der Helva direkt anspricht und sich für sie interessiert. Also wählt sie ihn. Er hat wie sie seine Eltern verloren und spricht nicht gerne darüber.

Ein Schiff, das singt? Lachhaft! Janner muss sich regelmäßig in Hafenkneipen für Helva schlagen, um ihre Ehre zu verteidigen. Unmerklich verliebt sie sich in ihn. Als sie die Kolonisten der Planeten von Leviticus retten müssen, wird der Zentralstern instabil und droht in einer Supernova zu explodieren. Die Nonnen eines Klosters zögern zu lange und stellen sich in der Luftschleuse derart dämlich an, dass Janner, nur durch einen Raumanzug vor der Hitze und der Strahlung der Nova, geschützt, sein Leben verliert. Helva ist untröstlich. Doch es gibt Wege, die Trauer zu überwinden…

Mein Eindruck

Es ist diese Trauer, die die Autorin aus dem Tod ihres Vaters bezog, der 1954 an Tuberkulose starb, ein hochdekorierter Kriegsveteran (wie sie in ihrer Einleitung schreibt). Und es ist die Trauer des Verlustes, die auch Janner kennengelernt hat. Auf der Grundlage ihrer Erfahrung konnte die Autorin einen emotional absolut überzeugenden Text schreiben, der keinen Leser unberührt lässt. Als Cyborg-Geschichte funktioniert die später zum Roman ausgebaute Erzählung ebenfalls.

10) Doris Piserchia: Ein ganz gewöhnlicher Tag (A Typical Day, 1974)

Diesmal ist die weibliche Chronistin eine achtjährige Bewohnerin eines Turms, in dem ihr Vater, ein Gentechniker, ein begehrtes „Aphrodisiakum“ erfunden hat. Damit kann man Ei und Spermatozoon verschiedener Gattungen dazu bringen, sich miteinander zu vereinen. Entgegen den Erwartungen ist Dr. Dakis mit dieser Erfindung keineswegs glücklich, denn aus aller Welt wollen Leute sie haben – deutsche Zoos beispielsweise. Und die Universitäten, die ihn einladen, wollen ihm sein Aphrodisiakum eh nur abluchsen.

Leider kann die Erzählerin dazu wenig sagen. Sie ist nicht in der Lage, in ihrer Kehle menschliche Laute zu formen, sondern sie nur zu hauchen. Sie muss sich ganz nah an ihren Vater kuscheln, um sich ihm mitzuteilen. Sie verspricht, laut zu sprechen, sobald er aufgehört hat, sich regelmäßig jede Nacht zu betrinken. Dann geht zu ihrer Mutter zurück, die in ihrem Käfig bereits auf sie wartet. Mutter nimmt sie in ihre weichen Arme und beginnt, sie zu lausen…

Mein Eindruck

Die Autorin wurde zu dieser Geschichte durch ein Mischwesen inspiriert, das sie im Zoo von Salt Lake City gesehen hatte: eine Kreuzung aus Tiger und Löwe (Liger). Die Geschichte spitzt das Thema Mischwesen und genetische Kombinatorik dramatisch zu. Dass sich die Erzählerin am Schluss als ebensolches Mischwesen aus Mensch und Schimpanse (oder eine andere Primatenart) herausstellt, ist ein emotionaler Tiefschlag, der auch dem letzten Leser die tragischen Dimensionen des Problems klarmachen dürfte.

11) Frederik Pohl: Der Tag Million (Day Million, 1966)

Das Thema dieser Story ist einfach: Liebe zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau. Der Unterschied: Der Mann – nennen wir ihn Don, von aDONis – ist schon über 100 Jahre alt, weil er ständig durch den Raum fliegt, und zwar mit annähernder Lichtgeschwindigkeit oder sogar schneller. Und das Mädchen – nennen wir sie Dora, von S Doradus – lebt in der Tiefsee, woran sie optimal angepasst ist. Man merkt schon, dies ist nicht unsere Gegenwart. Nein, dies ist der Tag Million, also in etwa zehntausend Jahren. (Wir leben heute ungefähr 730.000 Tage nach Christus.)

Ach ja, fast hätte ich es vergessen: die Liebe. Don und Dora heiraten, indem sie ihre Identitätsaufzeichnungen austauschen. Danach gehen sie auseinander, können aber jederzeit auf die Aufzeichnungen zurückgreifen – was sicherlich viel befriedigender sein dürfte, als ständig vom jeweils anderen getrennt leben zu müssen. Und wem das komisch vorkommt, der denke mal daran, was Attila oder Dschingis-Khan über unsere Televisions- und Internet-Gegenwart denken würden….

Mein Eindruck

Dies ist wohl die berühmteste Story von Fred Pohl. Sie erschien 1966 im Magazin „Rogue“. Da es sich dabei um ein Herrenmagazin gehandelt haben dürfte, passt die Thematik „Liebe in der Zukunft“ sehr gut dazu. Er ärgerte sich kurz darauf, dass seine SF-Fans sie nicht lasen – und er den erhofften Award nicht bekam. Macht nichts: Ruhm hält länger.

12) Bill Pronzini: Nächste Station: Venus (Then We Went to Venus, 1980)

Die bemannte Raumsonde „Exploration V“ ist von der Venus zurückgekehrt, doch immer noch herrscht Nachrichtensperre. Erst als der Druck der Öffentlichkeit zunimmt, bequemt sich die NASA zu einer Pressekonferenz. Unser Chronist, ein Reporter, bekommt für seine Zeit reichlich wenig geboten. Die beiden Astronauten Webber und Stiles seien in katatonischem Zustand, heißt es schließlich, und folglich unansprechbar. Sie seien intelligentem Leben begegnet. Das sorgt für Aufregung, aber für keine weiteren Antworten. Die Astronauten hatten die Sonde zu keinem Zeitpunkt verlassen, und die Luke war luftdicht verschlossen.

Da es ein Wahljahr ist, wird die Venussonde zum Wahlkampfthema, so dass die NASA schließlich wieder dem Druck nachgibt und ausgewählten Journalisten Zugang zu Webber und Stiles gewährt. Sie befinden sich in einer Klinik hinter einem Einwegspiegel. Während Webber, um 20 Jahre zu einem Greis gealtert, vor sich hin brabbelt, ist Stiles, wiewohl ebenso gealtert, hellwach – und verzweifelt. Er scheint durch den Einwegspiegel schauen zu können. Direkt vor den Augen unseren Chronisten formen Stiles‘ Lippen ein einziges Wort, doch dieses erschüttert ihn ins Mark.

Die NASA droht mit Anklage, sollte auch nur ein Fitzelchen Spekulation darüber gedruckt werden. Als sich unser Chronist erst einmal kräftig betrinkt, steckt ihm ein Kollege, dass die NASA demnächst eine Sechs-Mann-Expedition zur Venus schicken wolle. „Oh Gott!“ ist die unwillkürliche Reaktion unseres Gewährsmannes…

Mein Eindruck

Der Autor gehört nicht der naturwissenschaftlichen Tradition unter den SF-Autoren an. Vielmehr zählt der mehr als Krimi-Autor bekannt gewordene Autor zur Fraktion, die über „weiche“ Wissenschaften wie Psychologie oder Soziologe schreibt. Doch er macht deutlich, dass die Schrecken, die Venus bereithält, als psychologisches Ereignis genauso schrecklich sein können wie ein naturwissenschaftliches Ereignis. Das Phänomen der Medusa ist der NASA nicht unbekannt: Es nennt sich „öffentliche Meinung“…

13) Pamela Sargent: Clone Sister (dito, 1973)

Paul Swenson war der erste Mensch, der sich von einem Wissenschaftler hat klonen lassen, bevor er nach Nepal verschwand. Seine Klonkinder heißen Ed, Al, Mike, Kira und Jim. Sie alle sind erwachsen und gut in dem, was sie als ihr Fachgebiet gewählt haben. Jims Ding ist die Literatur, und er hat sich als Dichter hervorgetan. Ed, Al und Mike sind eher der Naturwissenschaft zugetan.

Nun trennt sich Jim schweren Herzens von seiner Freundin Moira oder vielmehr ist es andersherum: Sie sagt, sie will ihrer Mutter und deren Töchtern helfen. Dadurch vertieft sie den seelischen Graben zu Jim endgültig, der nicht versteht, warum sie keine Empathie für ihn empfindet. Er schiebt die Schuld auf seine Eigenschaft als Klon. Ist er am Ende kein vollgültiger Mensch für Moira?

Diese Frage ist Grund genug, geknickt zu sein. Also stürzt sich Jim in die Arbeit am gemeinsamen Haus der Klongeschwister und kommt allmählich über Moira hinweg. Dadurch kommt er seiner Klonschwester Kira immer näher, und eines Tages im Park passiert es: Sie will mit ihm schlafen, und er hat sich so nach einer Frau gesehnt, dass er einwilligt, das Inzesttabu zu brechen. Aber die Frage ist ja, ob das Tabu überhaupt auf Klone zutrifft.

Dass Kira auch mit Ed schläft, um dessen seelischen Rückzug zu stoppen, stört Jim zunächst. Doch das bestärkt in ihm seinen Entschluss, der Sache mit Moira auf den Grund zu gehen. Denn der Biologe, der das Cloning einst vornahm, erzählt, dass Paul Swenson einst mit einer Studentin namens Rhoda zusammen war, aber sie genau das gleiche Problem der seelischen Zurückhaltung hatte wie Moira mit Jim. Auf einmal kommt sich Jim wie eine Marionette seines Vaters vor, die dazu verdammt ist, dessen Leben nachzuvollziehen. Er muss aus der Gussform ausbrechen…

Mein Eindruck

Pamela Sargent ist eine herausragende Autorin, die es ebenso wie Kate Wilhelm versteht, ein wissenschaftliches Thema in seinen menschlichen und emotionalen Aspekten auszuloten und sympathisch und reibungslos darzustellen. Sie baute ihre Story zu einem Roman und sogar zu einem Zyklus aus – so viel gibt das Thema her.

Schon diese Erzählung liest sich mühelos, ohne schwierige Szenen zu vermeiden. Es ist die mit Abstand die einfühlsamste Story mit dem höchsten Emotionalen Intelligenzquotienten (EQ) dieses Bandes.

14) Brian M. Stableford: Der Ingenieur und der Exekutor (The Engineer and the Executioner, 1975)

Im hohlen Inneren des Asteroiden „Lamarck“ hat der Biotechniker eine abweichende Form der Evolution umgesetzt, die nicht auf der Proteinsynthese basiert, sondern mit den Mitteln von Virus-DNS und Metamorphose arbeitet. Den Tod eines Körpers gibt es hier nicht, nur die Umwandlung seiner Bestandteile in etwas anderes.

Der Roboter ist von der Erde gekommen, um diese Schöpfung zu vernichten. Der Exekutor hat bereits den Mechanismus installiert, der den Asteroiden verlangsamt und ihn in die Sonne stürzen lassen wird. Gegen das Urteil, das die Behörden der Erde verhängt haben, kann der Techniker keine Revision einlegen. Er wird mitsamt seiner Schöpfung und dem Roboter verbrennen. Jeglicher Protest ist zwecklos, denn die Sporen, die der Asteroid freisetzen könnte, würden auf der Erde jegliches Leben vernichten. Also…

Der Techniker nimmt seine antike Projektilwaffe und zerstört den Roboter. Dann durchbricht er die gläserne Trennwand zwischen seinem Labor und dem Lebensraum seiner Schöpfung. Sogleich machen sich die Viren über sein Protein her und zersetzen es, um es in etwas anderes umzuwandeln. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, erscheint eine fledermausartige Lebensform, die Millionen von Teilchen aussät – Sporen.

Unterdessen befindet sich der Asteroid bereits auf dem Weg zum Orbit der Venus. Als die Lamarck-Organismen die Luftschleuse zerstören, gelangen Millionen mutierter Sporen in den Partikelstrom des Sonnenwinds und so auf direktem Weg zur Erde…

Mein Eindruck

In der ersten Hälfte führen Techniker und Roboter eine essayistisch anmutende Debatte über den Wert von Leben und Schöpfung. Dennoch muss man diesen Teil lesen, um die zweite Hälfte zu verstehen und sie als ironische Bewahrheitung aller düsteren Prophezeiungen des Roboters zu erkennen. Die Erde wird umgeformt werden, kein Zweifel.

Die Argumente, die Roboter und Techniker austauschen, waren schon 1968, als der Text entstand, noch exotisch, doch heute sind sie überaus relevant. Deshalb sollte der Text Pflichtlektüre für jeden Gentechniker sein, der an Genen und Viren herumpfuschen darf. Als Folgetext bietet sich der letzte dieses Bandes an: „Der heidnische Gott“, in dem es ebenfalls um Schöpfung geht.

Die erwähnten Arrhenius-Sporen, die im Vakuum überleben, wurden von einem dänischen Chemiker „erfunden“. Wer sich für dieses Thema interessiert, kommt am Begriff der „Panspermie“ nicht vorbei, der die Übertragung von Lebensträgern (Sporen etc.) zwischen Himmelskörpern beschreibt. Siehe dazu die entsprechenden Artikel in der Wikipedia.

15) Jack Williamson: Kosmos-Express (The Cosmic Express, 1929/1931)

Eric ist im Utopia der Zukunft ein erfolgreicher Autor von Action-Romanen, die alle davon handeln, dass eine Existenz in der Nähe der Natur viel humaner ist, sei das nun im Dschungel oder im Alten Westen. Seine Frau Nada ist der gleichen Ansicht, nur dass ihre Gedichte von der Schönheit der Natur handeln – die sie nie zuvor selbst gesehen hat. Darum macht sie einen riskanten Vorschlag.

Eric wendet sich an einen jungen Fan namens Charley, der den Kosmischen Express bedient, und bittet ihn um einen Gefallen: Eric und Nada möchten einen Monat oder so auf dem Polarplateau der Venus zubringen, um die ursprüngliche Natur kennenzulernen. Um Charley zu überreden, sie dorthin unregistriert zu beamen, überreicht ihm Eric ein kleines Fläschchen „Bewusstseinserweiterungselixier“, auch als „Alkohol“ bekannt. Charley hat ein paar bedeutungslose Einwände, so etwa den, dass sich Venus von der Erde wegbewegt und erst wieder in einem Erdenjahr… Unwichtig! Los geht’s!

Der Durchgang durch den Scanner und den Empfänger ist zwar nicht besonders angenehm, aber Eric und Nada kommen in einem Stück auf dem Venusnordpol an. Es schüttet wie aus Kübeln. Naja, unten im Tiefland herrscht gerade Dürre, also ist das schon ein Fortschritt. Aber der Regen hört und hört nicht auf. Schließlich will Nada zurück – ihr Wunsch wird erfüllt…

Mein Eindruck

Narren muss eine Lektion erteilt werden. So könnte die Moral von der Geschicht‘ lauten. Der SF-Autor rechnete 1929 mit all den verlogenen Abenteuerromanen ab, die als Pulp Fiction unters Volk gebracht worden waren – von Autoren wie Edgar Rice Burroughs (John Carter, Tarzan und viele andere) oder Abraham Merritt („Das Schiff der Ischtar“), die ihrerseits in den ausgetretenen Pfaden von henry Rider Haggard und Konsorten wandelten.

Die Annahme, dass der Planet Venus ein feuchtes Klima besitzt, war damals unter Autoren allgemeine Konvention, der sogar noch zehn Jahre später der frühe Heinlein folgte. Die Story lässt sich gut zusammen mit Pronzinis Venus-Story lesen.

16) Gene Wolfe: Im Spiegelglas-Schloss (In Looking-Glass Castle, 1979/1980)

Daisy McKane (nicht ihr richtiger Name) ist aus New York City nach Florida gezogen, um auf dem Weltraumbahnhof Cape Rose als Mathematikerin arbeiten zu können. Denn hier wird das Sternenschiff „Aphrodite“ gebaut, das zahlreiche Passagiere zur nächsten Welt befördern soll.

Daisy kann den Preis, den die Maklerin für das große Haus verlangt, runterhandeln, denn schließlich stehen ringsherum zahlreiche Häuser leer. Es ist obendrein hilfreich, dass das Haus möbliert angeboten wird – so kann sie sofort einziehen, nachdem sie erst mal beim Supermarkt ihre Speisekammer gefüllt hat. Da die Gegend subtropisch ist, spart sie Heizungskosten, und die Nachbarin von gegenüber, eine Klatschtante, klärt sie über die Bewohner des Viertels auf (und horcht ihrerseits Daisy aus).

Während die Tage von ihrer Berufstätigkeit ausgefüllt sind, erscheinen Daisy ihre Nächte leer. Als sie nächstens durch Zimmerfluchten und Korridore wandert, bemerkt sie etwas Merkwürdiges: Die Gegenstände sind verrückt worden – und in ihre Speisekammer fehlen Lebensmittel. Sie kombiniert messerscharf: Ich habe einen unsichtbaren Untermieter. Dennoch gerät sie nicht in Panik, noch ruft sie den Kammerjäger.

Eines Morgens sitzt er dann da und futtert sein Frühstück. Er scheint gar nicht so aggressiv zu sein, wie alle behaupten. Tatsächlich redet er sogar vernünftig – und weist sie gleich auf ihr Problem hin: Sie hätte ihn längst melden müssen. Nun hat sie sich strafbar gemacht. Sie ist quasi sein Komplize geworden. OK, aber damit sie beide nicht auffliegen, muss er sich weiterhin verborgen halten. Kein Problem – solange er genügend Romane von männlichen Autoren zur Verfügung gestellt bekommt. Die sind allerdings genauso verboten. Am nächsten tag stehen die Polizistinnen vor ihrer Tür und verlangen Zugang. Die Nachbarin hat Verdacht geschöpft. Daisy hat nichts zu verbergen…

Ihre Chefin gewährt Daisy eine Beförderung und einen Segeltörn. Noch in der gleichen Nacht packt Daisy ihre Sachen und geht an Bord des Seglers. Kaum ist er mit der Flut in See gestochen, bemerkt Daisy den bärtigen blinden Passagier an Bord…

Mein Eindruck

Die Gesellschaft wird von Frauen beherrscht, die alle Männer gejagt und eingesperrt haben (wenn nicht Schlimmeres). Jeder Mann in freier Wildbahn, der den Häschern entgangen ist, muss gemeldet werden. Frauen, die sich durch Cloning oder Jungfernzeugung vermehren, schmeißen jetzt den Laden, erledigen alle Arbeiten.

Doch Daisy ist falsch gepolt: Sie hält einen Mann verborgen. Folglich macht sie sich strafbar. Wer nun amouröse Verstrickungen erwartet, ist indes auf dem Holzweg. Daisy will ihre Arbeitsstelle nicht riskieren. Und sie will mit heiler Haut davonkommen. Wer weiß? Am Ende ist vielleicht sogar ein verkappter Mann.

Man sollte diesen Text zweimal lesen, um dem Autor auf die Schliche zu kommen. Gene Wolfe ist ein Schlitzohr und weiß, wie man eine Story so erzählt, dass der Leser eine harte Nuss zu knacken hat. Weit unter der trügerisch einfachen Oberfläche könnte ein Abgrund lauern.

17) George Zebrowski: Der heidnische Gott (Heathen God, 1970, nominiert für den NEBULA Award)

Auf der idyllischen Welt IV der roten Riesensonne Antares lebt ein Gnom, von dem es heißt, er habe, als Angehöriger einer fremden Rasse, vor Jahrmillionen die Formen des Lebens auf der Erde erschaffen. Pater Sanchez und der Politiker Compton besuchen den kleinwüchsigen Mann in dem Garten, der schwer bewacht wird. Schon hundert Jahre der Gnom hier, ausgestoßen von seinem eigenen Volk. Heute ist sein letzter Tag.

Compton ist nämlich nicht irgendjemand, sondern der mächtigste Mann der nördlichen Hemisphäre von Terra. Leider hat er kaum Zeit, den Pseudo-Gott für seine politischen Pläne einzuspannen, als 20 Soldaten aus dem Gebüsch hervortreten. Deren Offizier deklamiert das Urteil, das die Erdregierung über Compton verhängt hat – und über seinen mutmaßlichen Komplizen, den Gnomen. Beide werden standrechtlich erschossen. Dann gehen die Soldaten wieder.

Pater ist wie gelähmt, konnte keinen Finger rühren. Doch die letzten Worte und der letzte Gedanke des Gottes, der gerade getötet wurde, sind ihm Ansporn genug, einen ganz eigenen Plan zu fassen. Diesen muss er sorgfältig verschleiern, wenn er auf der Erde überleben will…

Mein Eindruck

Über der Geschichte liegt eine elegische Stimmung, die schon allein durch den roten Widerschein der alten Riesensonne Antares erzeugt wird. Aber auch der titelgebende Heidengott sieht nach hundert Jahren der Gefangenschaft seinem Lebensende gegenüber. Die Erdlinge sind gekommen, um ihn für ihre zwielichtigen Zwecke einzuspannen. Dabei waren es die Menschen, die er selbst als Spezies erschaffen hatte. Diese Schöpfung erfolgte aus Liebe – auch aus Eigenliebe: Seine Geschöpfe sollten ihm für ihre Existenz dankbar sein und ihn verehren.

Tja, und nun dieses Malheur. Compton wird ebenso wie sein vermeintlicher Komplize hingerichtet. Nach dem Abzug der Soldaten steht Pater Sanchez neben einer zusammengebrochenen Nonne. Was ist zu tun? Da erinnert sich Sanchez an die letzte telepathischen Worte des Gottes und sieht einen Weg, dessen Vermächtnis zu verbreiten. Mehr darf nicht verraten werden.

Die Übersetzung

S. 75: „zukünftige Weltraumwagnisse zu entwickeln…“ „Wagnisse“ ist hier eine Eins-zu-eins-Übersetzung von „ventures“, also riskanten Unternehmungen.

S. 104: „Die Maschinen öffneten die Bauchdecke, deaktivierten den Monitor“. Hier ist offenkundig kein Bildschirm gemeint, sondern ein Überwachungssensor. Das wäre vielleicht der bessere Ausdruck.

S. 119: „Ich weiß, dass ich es vermissen werde[n][,] wichtige Vorhaben auszubrüten…“ Das N ist überflüssig, dafür fehlt das Komma.

S. 285: „Dass es den Eindruck hatte, der Blick müsse weit in den Wald hineinreichen“. Das Wort „Eindruck“ ist falsch gewählt. Korrekt wäre: „dass es den Anschein hatte…“

S. 304: „Sprialförmigen Fortwindung“: Offensichtlich ein Buchstabendreher.

Unterm Strich

Dieser zweite Band der Anthologie mit herausragenden SF-Erzählungen (die Fantasy hat ihre eigene Auswahl bekommen) bietet meist ein hohes Niveau hinsichtlich der Qualität der Texte. Mit Ausnahme des essayistischen Textes von Bayley fand ich alle Geschichten leicht zu lesen, teils spannend, teils bewegend, teils amüsant.

Die Autoren folgen alphabetisch hintereinander, Asimov am Anfang, Zebrowski am Schluss. Auf diese Weise konnte es zu keinen inhaltlichen Komplexen oder anderen künstlichen Anordnungen kommen. Aber gerade solche Komplexe lassen sich mit ein wenig Mühe leicht entdecken.

So ist es unübersehbar, dass es in den Geschichten „Clone Sister“, „Ein heidnischer Gott“, „Die letzte Frage“ und „Der Ingenieur und der Exekutor“ stets um den Aspekt der – mehr oder weniger künstlichen – Schöpfung geht. Stablefords Techniker ist ein Schöpfer zweiter Klasse, aber für seine Geschöpfe ist er Gott. In Piserchias Geschichte „Ein ganz gewöhnlicher Tag“ betätigt sich der Schöpfer als dubioser Meister der Rassenvermischung, mit mehr als fragwürdigen Ergebnissen.

Ein ähnlicher Schöpfergott taucht bei Zebrowski als gefangener Gnom auf, der als Sekten-Guru zweckentfremdet werden soll. In „Clone Sister“ hat sich Paul Swenson als Gott seiner geklonten Nachkommenschaft etabliert, und die Klone finden heraus, dass es ihnen derart an Einzigartigkeit, dass sie sich wie Marionetten vorkommen. Sie müssen aus der Gussform ausbrechen. Das Gleiche gilt vielleicht auch für „normale“ Menschen in ihrer Gesamtheit. John Brunner hat mit dem Roman „Die Gussform der Zeit“ das Thema ideenreich angepackt.

Aber es gibt auch einiges zu lachen. Der Alien in „Ich mag Blondinen“ entlockt dem Leser ein boshaftes Kichern, wenn er sich an sein nichtsahnendes Opfer heranmacht. In Carol Emshwillers Story scheitert die Übernahme der Welt bereits an geschiedenen Frauen, die – wieder mal – von Kerlen getäuscht werden, die sich als Schmalspurrevoluzzer erweisen. Auch Wolfes Geschichte über die künftige Welt der Frauen hat ihre witzigen Momente und eine nette Pointe.

Die Texte weisen erfreulich wenige Druckfehler auf, doch der Stil ließe sich, wie so oft in der SF noch verbessern.

Taschenbuch: 364 Seiten
Aus dem Englischen von diversen ÜbersetzerInnen
www.heyne.de

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