Julian Osgood Field – Der Judas-Kuss (Gruselkabinett 141)

Des Furchtlosen Ende und Markierung

Im Jahr 1900 erfährt der englische Colonel Richard Ulick Verner Rowan, genannt „Hippy“ Rowan, während seines Aufenthalts im Palast des türkischen Millionärs Djavil Pascha von einer außergewöhnlichen Vampir-Legende aus Moldawien… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Der Autor

Julian Osgood Field (1852-1925) war ein US-amerikanischer Schriftsteller. Einige seiner Werke erschienen unter den Pseudonymen X.L. oder Sigma, insbesondere seine Erzählungen dekadenten Horrors. Er war der Sohn eines Finanzbeamten unter Abraham Lincoln. Ausgebildet in England, lebte er vor allem in London und Paris, wobei er ein enger Freund des englischen Königs Edward VII wurde. Er hinterließ umfangreiche, anonym verfasste Lebenserinnerungen.

Darüber hinaus war er aber auch ein Gauner und Betrüger. Er trug die Verantwortung daran, dass Lady Ida Sitwell ab 1912 in einen Finanzskandal verwickelt wurde. 1914 verklagte sie ihn erfolgreich wegen Betrugs. Im Folgejahr wanderte sie drei Monate ins Gefängnis, er ab für 18 Monate.

Belletristische Werke

1893 „A Kiss of Judas“ published in The Pall Mall Magazine, July 1893
reprinted in Vampyres: Lord Byron to Count Dracula, ed. Christopher Frayling (London: Faber, 1991)
• 1893 „The Luck of the Devil“ published in The Pall Mall Magazine, October 1893
• 1894 Aut Diabolus Aut Nihil and Other Tales (London: Methuen & Co.)
• 1898 With All the Powders of the Merchant published in The Pall Mall Magazine, September to December 1898

Mehr Info: https://en.wikipedia.org/wiki/Julian_Osgood_Field (Quelle: Wikipedia)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Annina Braunmiller-Jest: Zigeunerin
Claus Thull-Emden: Leopold Maryx
Rolf Berg: Colonel „Hippy“ Rowan
Tom Raczko: Butler Adams
Peter Weis: Erzähler
Jean Paul Baeck: Isaac Lebendenko
Bert Stevens: Kapitän Pellegrini
Sascha von Zambelly: Prinz Valerian Eldourdza

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden im Titania Medien Studio statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Ende September 1900 dampft die „Albrecht“ die Donau hinunter gen Varna am Schwarzen Meer. In der Obhut von Kapitän Pellegrini befinden sich eine Handvoll Passagiere, unter ihnen auch der britische Colonel „Hippy“ Rowan und sein Butler Adams. Djavil Pascha, ein türkischer Millionär, hat sie eingeladen, ihn in Istanbul zu besuchen.

An Bord befindet sich aber auch, vom Colonel kritisch beäugt, ein spindeldürrer Mann, der stets sein gesicht verhüllt und nie bei Tageslicht zu sehen ist. Seinen wimpernlosen Augen ist etwas Fiebriges zueigen, das ihm Unbehagen bereitet. Der Diamantring an den Fingern mit den ungewaschenen Nägeln straft die abgerissenen Kleider Lügen. Er befragt den Kapitän, der den Mann als Isaac Lebendenko aus Moldawien identifiziert.

Um Mitternacht legt Rowan eine Zigarettenpause ein. Da wird er von Lebedenko wütend angegangen, dass er sich so eingehend nach ihm erkundigt habe, als wäre er ein Aussätziger. Rown gerät selbst ob der Beleidigungen in Rage und ist bereit, sich mit dem schrägen Vogel zu duellieren. Erst Pellegrini gelingt es, die Streithähne zu trennen. Doch der Moldawier schwört ihm dennoch Rache. Dabei fällt sein Gesichtsschleier und enthüllt einen mit Haut überzogenen Totenschädel.

Istanbul

Auf der Terrasse des Palastes des Paschas unterhalten sich Rowan und Adams mit dem österreichischen Psychologen Leopold Maryx und dem moldawischen Prinzen Valerian Eldourdza über die „Kinder des Judas“ – gibt es sie wirklich oder sind sie nur eine moldawische Legende? Denn das Sonderbare, das sie auszeichnet, ist der Umstand, dass sie sich zunächst umbringen, von den höllischen Majestäten umgewandelt und dann in neuer Gestalt wieder auf die Erde geschickt werden, häufig in Begleitung von Seuchen. Dort können sie sich dann über ihre ursprünglichen Opfer hermachen.

Maryx erzählt von der unverkennbaren Bisswunde, die sie ihren Opfern beibringen. Sie habe die Gestalt von drei römischen X’en. Das stellt die römische Zahl dreißig dar, was, wie jeder weiß, die Anzahl der Silbermünzen ist, die der Verräter Jesu von den Römern als Lohn erhielt. Die Selbsttötung sei eine Verdrehung und Verhöhnung von Jesu Opferung am Kreuz, warnt Maryx. Sie erfolge aus brennendem Hass statt aus Liebe.

Als Rowan nachts am Ufer des Bosporus spazieren geht, um seinem Laster des Rauchens zu frönen, wird er unvermittelt von Lebendenko angefallen. Obwohl dieser bewaffnet ist, kann ihn Rowan K.O. schlagen. Als Lebendenko wieder zu sich kommt, droht er Rowan Rache an – und stößt sich selbst den Dolch in die Brust! Was meinte er damit: „Ich komme wieder!“, wundert sich Rowan.

In den Karpaten

Weil Rowan behauptet hat, er kenne keine Angst, hat ihn Prinz Valerian zu einer Wette herausgefordert: Binnen 40 Tagen werde Rowan Todesangst erleben – oder er, Valerian, werde ihm 4000 Pfund Sterling zahlen müssen. Deshalb sitzen Rowan und Adams nun schon seit Wochen in Valerians Karpatenschloss auf einer Bergspitze und langweilen sich schier zu Tode. Es ist ein unheimlicher Ort, direkt aus Stokers Roman „Dracula“, doch Rowan hat Vorkehrungen getroffen: Er hat stets einen geladenen Revolver bei sich und geht nicht vor Morgengrauen zu Bett. Prinz Valerian ist nicht erfreut, das zu hören. Aber er weist auf die Ankunft von Zigeunern hin, der Musik die Gentlemen hoffentlich nicht stören werde.

Rowan stören Zigeuner nicht, weiß er doch, dass Roma und Sinti sehr schöne Frauen hervorbringen. In der letzten Nacht vor Ablauf der Wette vernimmt er eine weibliche Stimme, die ein Lied singt – aber nicht unten im Hof, sondern auf dem Gang vor seinen Gemächern. Adams schläft schon, also geht Rowan selbst nachsehen, allerdings nicht ohne seine Waffe. Auf dem Korridor erwartet ihn eine Reihe von Überraschungen…

Mein Eindruck

Die Vampir-Story weiß mit mehreren außergewöhnlichen Elementen aufzuwarten. Erstens soll es eine Rasse von Nachkommen des Judas Ischariot geben, der angeblich Jesus für 30 Silberstücke an die Römer verraten haben soll. Diese Vergangenheit wiederholen sie, indem sie bei einem Biss XXX = 30 in die Haut stanzen – was sicherlich ein speziell ausgestattetes Gebiss mit drei Eckzähnen erfordert.

Dass diese Judaskinder sich zudem an einem Menschen, den sie hassen, rächen, indem sie Selbstmord begehen, klingt zunächst wiedersinnig. Doch sie sind natürlich Verbündete der Hölle, deren Fürsten ihnen die Fähigkeit zum Geschlechtertausch verleihen. Dieses Switch-Element macht die Story besonders reizvoll, denn nun weiß der Colonel nicht, von welcher Seite ihm künftig Gefahr droht (wir aber schon).

Als drittes Element tritt noch die Wette hinzu: Angeblich weiß der Colonel nicht, was Furcht ist. na, dem Manne kann geholfen werden! Prinz Valerian, ein eher zwielichtiger Bewohner der durch „Dracula“ in Verruf geratenen Karpaten, will Hippy Rowan zu dieser raren Empfindung verhelfen. Da kommen die Höllenkreaturen der Judaskinder eigentlich gerade recht.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Der Colonel spricht tief, wie es einem furchtlosen Charakter zukommt. So ziemlich das Gegenteil bildet sein Assistent Adams, der naiv, furchtsam und zweifelnd auftritt. Ihnen tritt das höchst zweifelhafte Subjekt des Isaak Lebedenko gegenüber, der an Zwielichtigkeit kaum zu überbieten ist – eine Glanzleistung des Sprechers Jean Paul Baeck. Dass Lebedenko später den Colonel angreift, erscheint daher folgerichtig, denn er fühlt sich in seiner Ehre angegriffen.

Prinz Valerian, mit dem der Oberst seine Wette abschließt, hätte durchaus etwas mehr Durchtriebenheit vertragen können. So aber weiß man am Schluss nicht, ob er mit den Zigeunern unter einer Decke steckt oder ehrlich überrascht von deren Attacke ist, wie er vorgibt. Die Regie lässt diese Haltung in der Schwebe. Offenbar konnte man sich selbst nicht entscheiden, welcher Haltung man den Vorzug geben soll. Die „Zigeunerin“ spielt ihre Rolle als verhängnisvolle Verführerin ausgezeichnet.

Etwas merkwürdig erscheint der Umstand, dass die entscheidende Party, auf der die Wette abgeschlossen und die Judaskuss-Legende erzählt wird, zwar im Palast des Djavil Pascha stattfindet, der Pascha jedoch überhaupt nicht auftritt. So wird der Palast zu einer bloßen Kulisse, in der sich Europäer treffen – Asiaten fehlen. Das steht im Widerspruch zu dem Anspruch der türkischen Musik, die extra aufgeboten wird, um Exotik zu suggerieren.

Geräusche

Eine Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Papierrascheln, klappernde Teetassen, knisterndes Kaminfeuer im Karpatenschloss, der Motor des Dampfers und die Donaumöwen – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene einen gewissen Realismus zu vermitteln.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Das bedeutet, dass mal schnelle und dramatische, mal langsame, idyllische Musikmotive einander abwechseln. Die türkische Musik, die die Palast-Szene einläutet, findet ihren Widerhall in der exotischen Singstimme der Zigeunerin.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der die Zigeunerin kraftvoll zubeißt, damit ein gewisser Lebedenko seine Rache vollziehen kann. Lernt der Oberst endlich, was Angst ist? Das geht aus dieser perspektive nicht hervor.

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Im Booklet finden sich Verweise auf die im Frühjahr 2019 kommenden Hörspiele aufgeführt:

144: Arthur Machen: Der gewaltige Gott Pan
145: M.R. James: Das unheimliche Puppenhaus
146: H.G. Wells: Der rote Raum
147: Per McGraup: Die Höllenfahrt des Schörgen-Toni (Original-Hörspiel!)
148: Louisa May Alcott: Im Labyrinth der Großen Pyramide
149: E. & H. Heron: Flaxman Low – Der Fall Teufelsmoor

Unterm Strich

Obwohl der Verlauf der Handlung recht geradlinig ist und das Personal auf ein Minimum reduziert ist, weiß die Geschichte doch mit drei reizvollen Elementen aufzuwarten, die ich in dieser Kombination noch nie angetroffen habe. Erstens sind die Kinder des Verräters Judas virtuell unsterblich, stehen zudem im Bund mit der Hölle. Ihre Opfer zeichnen sie obendrein mit ihren Zähnen – siehe die anschaulich Titelillustration. Der pfiffige Clou: Sie kehren aus der Hölle, in die sie sich selbst per Suizid expedieren, eventuell mit dem jeweils anderen Geschlecht zurück. Dieser formidablen Gefahr stellt sich Colonel Hippy Rowan, natürlich ein gestandener Brite, als furchtloser Ritter entgegen. Um ihn Mores zu lehren, macht sich ein zwielichtiger Karpatenprinz anerbötig. Die Wette gilt! Wie die Sache ausgeht, darf hier nicht verraten werden. Einziger Wermutstropfen: Es gibt nur eine einzige Actionszene.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Türkische Musik wird eingesetzt, um orientalisches Ambiente zu evozieren, was aber gar nicht nötig wäre: Alle Gäste im Palast des Djavil Pascha sind Europäer. Besonders gefiel mir die Figur des Leopold Maryx, der mit seinem leicht österreichischen Akzent ein wenig an Siegmund Freud und einen gewissen OSCAR-Preisträger (Christoph Waltz) erinnert.

CD: über 45 Minuten
Originaltitel: A Kiss of Judas, 1893
ISBN-13: 9783785757215

www.titania-medien.de

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