Julian Symons – Schnitzeljagd

Symons Schnitzeljagd Cover 1972 kleinDas geschieht:

Jung-Autor Charles Applegate ist in Geldnot. Deshalb fängt er als Aushilfslehrer im Landerziehungsheim Bramley Hall in der schönen englischen Grafschaft Kent an. 18 schwer erziehbare bis kriminelle Zöglinge beiderlei Geschlechts, ein seltsamer, weil antiautoritären bis anarchistischen Schulleiter und dessen im Dauerrausch das Chaos beflügelnde Gattin erwarten ihn.

Dann ist da noch Frank Montague, der am selben Tag wie Applegate seinen Dienst antritt, obwohl er alles andere als ein Lehrer ist. Bramleys Mauern bewahren ein lukratives Geheimnis, so Montague, der dem entgeisterten Charles unterstellt, ebenfalls auf der Suche zu sein. Um was es eigentlich genau geht, bleibt ungeklärt, und so wird es bleiben, denn als Applegate seinen geheimnisvollen Kollegen später noch einmal befragen will, findet er ihn in dessen Zimmer – mit einem langen Dolch im Herzen.

Während die Polizei im Dunkeln tappt, machen sich merkwürdige Gestalten an Charles heran. Da ist der verschlagene Henry Jenks, der ihn über die wahre Geschichte von Bramley Hall in Kenntnis setzt. Einst residierte hier der berüchtigte Johnny Bogue, der in den 1930er Jahren als Kopf einer faschistischen Gruppe England nach deutschem Vorbild umzugestalten trachtete. Später wurde er Doppelagent und ist angeblich im Dienste seines Heimatlandes auf einer geheimen Agentenmission umgekommen. Was aus seinem in vielen Jahren zusammengegaunerten Vermögen geworden ist, konnte nie geklärt werden.

Zwei rivalisierende Banden suchen das Geld. Drahtzieherin der Jenks wenig gewogenen Konkurrenz ist Bogues Ex-Geliebte Eileen Delany. Wie Jenks ist sie davon überzeugt, dass Applegate mehr weiß als er zugibt, was diesem Bekanntschaften mit dem Schläger Barney Craigen und dem psychopathischen Messerhelden Arthur beschert, nachdem Jenks und Eileen sich zusammentun und dem armen Charles das Leben doppelt schwermachen …

Die Welt ist (unterhaltsam) schlecht

„Schnitzeljagd“ gehört zu jener literarischen Kleinodien, die in einer Flut ständig in die Buchläden schwappenden Neuerscheinungen versinken, bis sie der Zufall eines Tages antiquarisch wieder an die Oberfläche schwemmt. Die Aufmerksamkeit dieses Rezensenten wurde geweckt, als ihm dieser Roman der ihm nur schwarzrückig bekannten RoRoRo-Thriller zitronengelb in die Finger geriet. Aber so sah diese einst bedeutende, leider längst eingestellte Reihe aus, als sie im Spätsommer des Jahres 1961 auf den Markt kam; „Schnitzeljagd“ war erst der dritte Band.

Ein glücklicher Griff, dann das übliche Schmachten irgendwo auf einem der vielen Regalbretter in der Bücher-Minen des besagten Rezensenten, endlich die Lektüre, gefolgt von der Erkenntnis, was er da erwischt hatte: einen Roman von Julian Symons, der zu den ganz, ganz Großen der angelsächsischen Kriminalliteratur gezählt wird.

„Schnitzeljagd“ macht eindrucksvoll deutlich, wieso dies der Fall ist: als spannende, verrückte, durchaus leichenreiche, mit trockenem sowie schwarzem Humor gespickte, glänzend erzählte Geschichte voller Listen und Finten, falscher Spuren und unverhoffter Entwicklungen – eine Schnitzeljagd eben – vor pittoresken Kulissen.

Eine Sammlung schräger Vögel

Zur vertrackten Story und zum leicht frivolen Tonfall – erstaunlich, wie unverkrampft Symons in dieses immerhin 1956 veröffentlichte Buch sexuelle Anspielungen einfließen lässt – kommt eine Galerie bemerkenswerter Gestalten, die ganz sicher nicht mit dem Attribut ‚normal‘ beschrieben werden können. Mindestens eine Macke haben sie alle, die sich hier belauern & betrügen. Ihr böses, wiederum grotesk überzeichnetes und dadurch entschärftes Ende ist daher nur folgerichtig, und das Ende ist nur bedingt so happy, wie der Autor es uns boshaft vorgaukelt. (Ein echter Held übersieht, dass die Dame seines Herzens auf stämmigen Beinen steht …)

Charles Applegate ist natürlich der reine Tor, der ahnungslos in die Bredouille gerät. Er ist gerade 23 Jahre ‚alt‘ und schon deshalb der ideale Tropf. Das Leben ‚kennt‘ er als Autor eines Kriminalromans, dessen Erfolg Charles leider nicht wiederholen konnte. So holt der Alltag den schon nicht mehr ganz so hoffnungsfrohen Autoren ein: Er verdingt sich als Lehrer, denn mit Worten kann er immerhin umgehen.

Schon die Schule, auf die es ihn verschlägt, sorgt für ein böses Erwachen. Symons schildert sie als Hort einer Jugend, die sich nicht den hehren Idealen einer klassischen Bildung verpflichtet fühlt. Nach dem II. Weltkrieg wächst eine Generation heran, die alten Regeln und Riten zu rütteln beginnt. Hinzu kommt eine Kollegenschaft, die sich desillusioniert in eine innere Immigration begeben hat, wobei Alkohol, Zynismus und leichter Wahnsinn hilfreiche Wegbegleiter sind. Um das Maß voll zu machen, tauchen schließlich Ganoven auf, da sich die Schule als alte Räuberhöhle entpuppt, deren Eigentümer große Reichtümer irgendwo in den Mauern zurücklassen musste.

Immerhin bzw. natürlich gibt es eine junge, energisch und selbstredend hübsche Dame, die dem zaudernden Charles auf die Sprünge hilft. Hedda Pont, die Nichte des Schulleiters von Bramley, übertreibt es genretypisch oft mit ihrem Eifer, was einige brenzlige, für den Leser indes unterhaltsame Zwischenfälle bedingt.

Irrungen, Wirrungen und Morde

Wie üblich sind die Bösen die interessanteren Gestalten. Symons gestaltet mit sichtlichem Vergnügen ein Panoptikum schräger Vögel, die nichtsdestotrotz ihre Bedrohlichkeit behalten, wenn sie den armen Charles in die Zange nehmen.

Den rettet primär die Tatsache, dass nicht eine Gaunerbande allein nach dem Jenks-Schatz fahndet. Lange blockieren die Schurken sich selbst, weil sie auf eigene Fäuste suchen und den Rivalen so viele Knüppel wie möglich zwischen die Beine werfen. Dieses Misstrauen lässt sich geschickt und folgenreich schüren. Schon in dieser Phase legt die Handlung ein bemerkenswertes Tempo vor. Noch stärker beeindruckt, dass dabei weder der rote Faden noch die Qualität der Einfälle leiden.

Ebenfalls genreüblich kommt es, wie es kommen musste: Die Gangster schließen sich zusammen. Jetzt können sie einerseits den bedauernswerten Charles erst recht piesacken. Andererseits ist nur ein Zweckbündnis entstanden, dessen Solidarität auf tönernen Füßen ruht. Zwar will dem erfahrenen Leser scheinen, dass sich der Verfasser ein wenig zu stark an Dashiell Hammetts „Der Malteser Falke“ anlehnt. Dem Vergnügen tut dies aber keinen Abbruch: Symons ist ideenreich genug, seinen eigenen Hexenkessel mit Krimispannung, Chaos und Humor zu füllen!

Autor

Julian (Gustave) Symons wurde 1912 in London geboren. Seine Schulzeit war kurz, sein Lebenslauf bunt, seine berufliche Laufbahn zunächst eher handwerklich geprägt, bevor er 1937 das Magazin „Twentieth Century Verse“ gründete, das immerhin bis zum Beginn des II. Weltkriegs bestand – dann musste der Redakteur einrücken. 1944 wurde Symons aus der Armee entlassen.

Während er noch in der Werbung tätig war, arbeitete er an seinem ersten Kriminalroman („The Immaterial Murder Case“), der 1945 erschien. Der Erfolg stellte sich rasch ein, sodass Symons ab 1947 die Schriftstellerei als Hauptberuf betrieb. Neben zahlreichen, von der Kritik hoch gelobten (Symons gewann u. a. den Preis der „British Crime Writers‘ Association“ und der „Mystery Writers‘ Association of America“ für den besten Krimi des Jahres) und viel gelesenen Thrillern verfasste der vielseitige Autor Gedichte, Biografien, Sachbücher und Kritiken. Julian Symons starb 1994.

Taschenbuch: 182 Seiten
Originaltitel: The Paper Chase (London : Collins/The Crime Club 1956)
Übersetzung: Arno Dohm
www.randomhouse.de/goldmann

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