Mari Jungstedt – Den du nicht siehst (Hörbuch)

Ferieninselhorror: der Rachezug des Axtmörders

Die schwedische Ferieninsel Gotland bereitet sich auf den Mittsommer vor, die Hochsaison für den Tourismus. Helena und Per haben Freunde zum Fest eingeladen, doch die Party endet in bitterem Streit. Im Morgengrauen bricht Helena zu einem Spaziergang am Meer auf. Stunden später wird ihre Leiche gefunden. Sie wurde mit einer Axt erschlagen und mit ihrer Unterwäsche geknebelt, ihr Hund liegt enthauptet daneben.

Alles sieht nach einem Eifersuchtsdrama aus, und Hauptkommissar Robert Anders nimmt Per in Haft. Doch die Ruhe ist trügerisch. Als auf dem Friedhof des Hauptortes Visby eine auf gleiche Weise ermordete Frau gefunden wird, ahnt Anders, dass er es mit einem Serienmörder zu tun hat. Verzweifelt sucht er nach einer Verbindung. Nur wenn er den Plan des Mörders kennt, kann er weitere Morde verhindern. Doch Politik und Presse setzen ihn zunehmend unter Druck.

Die Autorin

Mari Jungstedt, geboren 1962 in Stockholm, arbeitet als Radio- und TV-Journalistin und steht zurzeit für das schwedische Fernsehen als Nachrichtensprecherin vor der Kamera.

Kriminalromane um Kommissar Anders Knutas:

Den Du nicht siehst – Band eins, Wilhelm Heyne Verlag, München 2004, ISBN 3-453-87990-2.
Näher als du denkst – Band zwei, Wilhelm Heyne Verlag, München 2006, ISBN 3-453-43194-4.
An einem einsamen Ort – Band drei, Wilhelm Heyne Verlag, München 2006, ISBN 3-453-01985-7.
Im Dunkeln der Tod – Band vier, Wilhelm Heyne Verlag, München 2008, ISBN 978-3-89480-438-1.
Sommerzeit (I Denna Ljuva Sommartid) – Band fünf, Wilhelm Heyne Verlag, München 2010, ISBN 978-3-453-40605-6.
Die Bücher sind auch als Hörbücher bei www.hoerbuch-hamburg.de erschienen und dienten als Grundlage für die deutsch-schwedische Fernsehkrimiserie Der Kommissar und das Meer.

Gemeinsam mit Ruben Eliassen schrieb sie den Krimi Tod auf Gran Canaria, der 2017 erschien (ISBN 978-3-442-71522-0).

HINWEIS des Verlages: Im Original heißt der Kommissar nicht Robert Anders, sondern Anders Knutas. Aber im Hörbuch wurde der Name dem in der ZDF-Verfilmung (s. u.) angeglichen. „Alle weiteren Handlungen und Namen entsprechen der Buchausgabe.“

Mari Jungstedt auf |Buchwurm.info|:

[„Den du nicht siehst“ (Buchausgabe)
[„Näher als du denkst“ (Buchausgabe)
[„Näher als du denkst“ (Hörbuch)

Der Sprecher

Walter Sittler, 1952 in Chicago geboren, arbeitet in Mannheim und Stuttgart am Theater. Dem TV-Publikum ist er durch seine zahlreichen Serienrollen, u. a. in „Girl Friends“ und „Nikola“ bekannt. Sittler spielt den Kommissar Robert Anders in der ZDF-Verfilmung der Mari-Jungstedt-Krimis, so auch in „Näher als du denkst“, dem anderen Hörbuch dieser Reihe, das er vorgelesen hat.

Regie führte Margit Osterwold, die Aufnahme fand im Mai 2007 im Eimsbütteler Tonstudio, Hamburg, statt.

Handlung

Das Pfingstwochenende nähert sich am 4. Juni seinem Ende, als es auf Helenas Party zu einem hässlichen Zwischenfall kommt. In ihrem Ferienhaus auf Gotland tanzt sie gerade mit ihrem alten Schulfreund Kristian, als sich ihr Lebensgefährte Per in rasender Eifersucht wütend auf Helena stürzt und sie auf der Terrasse zur Rede stellt. Sie kratzt ihm wutentbrannt fast die Augen aus, er pfeffert ihr eine, so dass sie heulend ins Klo eilt. Als Kristian mit Per reden will, fängt er sich einen Fausthieb auf die Nase ein, dass er blutet wie ein Schwein. Natürlich ist diese Party zu Ende.

Am nächsten Morgen erwacht Per und erwartet, dass Helena neben ihm liegt. Das ist überraschenderweise nicht der Fall. Sie ist bereits mit ihrem treuen Wachhund Spencer zum Strand gegangen. Dort liegt dichter Nebel über der Meeresküste. Endlich lassen ihre pochenden Kopfschmerzen nach. Sie will gerade umkehren, als sie ihren Hund vermisst. Sie hört ihn in der Ferne aufjaulen und knurren, dann folgt ominöse Stille. Auf ihre Rufe antwortet er nicht. Als sie hinter sich ein Geräusch hört, fährt sie herum …

Der 63-jährige Rentner Erik Andersson findet die Leiche des Hundes zuerst. Die Pfote ragt aus einem Gebüsch im Wald. Als Erik sieht, dass der Kopf fast abgetrennt ist, wird ihm übel. Doch dann entdeckt er auch noch eine nackte Frauenleiche. Das gibt ihm den Rest. In Panik eilt er zum Haus, wo er mit seiner Schwester Svea Johansson lebt, um die Polizei anzurufen. Auf dem schönen, friedlichen Gotland kriegt man Leichen von ermordeten Frauen nicht alle Tage zu sehen.

Kriminalkommissar Robert Anders, Karin Jakobsen und zwei Techniker von der Spurensicherung befinden sich schon bald am Tatort. Die Tatwaffe war offenbar eine Axt, die sie noch suchen. Sie wundern sich, mit welcher Wut der Täter auf Hund und Frau eingeschlagen haben muss. Und was wohl der Frauenslip in deren Mund zu bedeuten hat.

Kriminalreporter Johan Berg macht sich mit seinem Kameramann Peter auf den Weg zum Stockholmer Flughafen, um nach Visby zu fliegen. Ihr Ressortchef Max Grenfors hat sie losgeschickt, kaum dass er das erste Telegramm aus Gotland erhalten hatte. Als er auch noch hörte, was ihm Johans Informant auf der Insel am Telefon verklickert hatte, war der Beschluss unausweichlich, der Sache auf den Grund zu gehen. Wer weiß: Vielleicht ist dieser Mord erst der Auftakt zu einer Serie. Wenn die Aufklärung bis Mittsommer dauert, könnte das die Touristen, für die Gotland ein beliebtes Sommerfrischeziel ist, erheblich abschrecken. Und das gäbe erst Schlagzeilen!

Robert Anders befragt die Besucher der Party. Die Nachricht von Helena Hillerströms Tod scheint besonders die Lehrerin Emma Vinarve betroffen gemacht zu haben. Die verheiratete Mutter zweier Kinder ist in Tränen aufgelöst und scheint unter Schock zu stehen. Kein Wunder, war sie doch seit ihrer Kindheit Helenas beste Freundin. Mit ihrer Ehe steht es nicht zum besten, gesteht sich Emma ein, sie hat keinen Sex mehr mit ihrem Mann Ulle. Und nun das – sie fühlt sich distanziert und unwirklich. Zum Glück ist das Schuljahr bald zu Ende.

Johan Berg und sein Kameramann sind frustriert. Sie haben die Pressekonferenz der Polizei besucht, doch Kommissar Anders hat gemauert. Nach einem Ausflug zum Tatort versuchen sie ihr Glück bei den Nachbarn und stoßen auf eine Goldgrube: Svea Johannson, gerade mal 140 Zentimeter über den Erdboden ragend, ist eine Plaudertasche ohnegleichen und eine charmante Gastgeberin obendrein. Von ihr erfährt Johan, wie ihr Bruder die Leichen fand. Leichen? Plural?! Johan horcht auf. Da erfährt er erstmals von dem toten Hund, der mit einer Axt erschlagen wurde. Kurz darauf weiß ganz Schweden, welche ungeheuerlichen Dinge sich im Ferienparadies abspielen.

Nummer zwei

Der Oberstaatsanwalt lässt Per Beridahl, Helenas eifersüchtigen und gewalttätigen Lebensgefährten, festnehmen und ins Untersuchungsgefängnis stecken. Doch sowohl Anders als auch Emma Vinarve sind nicht von Pers Schuld überzeugt. Sie berichtet dies auch Johan Berg, dem Reporter aus Stockholm. Er sieht außergewöhnlich gut aus und starrt sie an, als wäre sie die schönste Frau der Welt. Na, so ‚was! Das hat Emma schon lange nicht mehr gefühlt, was jetzt ihr Blut in Wallung versetzt.

Am nächsten Tag ist der 6. Juni, Nationalfeiertag. Nach einem feuchtfröhlichen Abend radelt die Friseurin Frida Linda mitten in der Nacht zu ihrem Haus in einem höher gelegenen Vorort. Als sie auf halber Höhe am Friedhof vorbeikommt und ihr Rad schieben muss, hört sie hinter sich Schritte. Schwere Schritte, Männerschritte. Und das nur wenige Tage nach dem Mord an Helena. Sie hält an, lauscht, geht weiter. Da legen sich zwei Hände um ihren Hals und drücken zu …

Er hat auch die Kleider der zweiten Frau in der Küchenbank des alten verfallenden Bootshauses versteckt. Natürlich keine Unterhose. Die hat er in ihren Mund gesteckt, wie schon bei Nummer eins. Frida war Nummer zwei. Als er auf seine Liste schaut, sind noch zwei Namen übrig. Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen. Es gibt noch so viel zu tun …

Mein Eindruck

Eine simple Rachegeschichte, wie es scheint, und doch so geschickt erzählt, dass man von den Enthüllungen und Verbindungen überrascht und geschockt wird. Der Täter ist schier unsichtbar und erweist sich quasi als die Schlange im Ferienparadies. Ein Nichtschwede kann sich wohl kaum vorstellen, was die Ferieninsel Gotland für die Schweden bedeutet, aber es muss eine Kombination aus Rügen, Sylt und Riviera sein. Und wenn dann noch eine halbe Million Urlauber in eine mittelalterliche Stadt wie aus dem Märchen einfallen, kommt Disneyland-Stimmung auf.

Und nun dieses unsichtbare Monster im Paradies, als wäre es „Der Weiße Hai“ persönlich. Robert Anders spielt den Sheriff, und verständlicherweise spürt er schon bald mächtigen Druck seitens der Politiker und der Fremdenverkehrsbehörde. Er soll das Monster zur Strecke bringen, lautet die Dienstanweisung. Klingt ebenfalls nach „Weißem Hai“. Schon bald fühlt er sich, als würde er durchdrehen. Seine Suche nach der Verbindung zwischen den Opfern – bald sind es schon drei – geht einfach nicht weit genug zurück in die Vergangenheit. Erst Emma wird zum Schlüssel, um das Rätsel zu lösen.

Deshalb spielt der dritte Handlungsstrang um Emma Vinarve so eine wichtige Rolle. Zunächst fragt man sich, was es mit ihr auf sich hat, ist sie doch „bloß“ die beste Freundin von Helena, dem ersten Opfer. Aber gerade deshalb, weil uns die Autorin so eng mit Emmas Seelenleben vertraut macht, nehmen wir umso stärkeren Anteil an ihrem Schicksal: Sie hat der Täter zu seinem Opfer Nummer vier auserkoren.

Alle weiblichen Opfer haben sich exponiert. Helena ist allein am nebligen Strand, Frida mitten in der Nacht auf dem Rad unterwegs, Gunilla allein in ihrer Töpferwerkstatt und Emma allein in ihrem Elternhaus auf einer Insel. Sie sind angreifbar geworden, fern von jeder Hilfe. Niemand würde vermuten, dass sie es einmal selbst waren, die ein Opfer hatten und es zugrunde richteten: den Mann, der sich nun an ihnen rächt.

Doch Emma hat sich rechtzeitig um Beistand gekümmert: Johan Berg, der Kriminalreporter, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat, eilt ihr zu Hilfe und informiert zugleich die Polizei auf Gotland. Aber werden sie rechtzeitig eintreffen, um das Schlimmste zu verhindern? Wird sich Emma vor dem Angriff des Serienmörders in Sicherheit bringen können? Das soll hier nicht verraten werden.

Der Sprecher

Walter Sittler ist zwar kein Stimmgenie wie Rufus Beck, und die Stimmen seiner männlichen und weiblichen Figuren ähneln sich daher stark. Allerdings verleiht er ihnen eine jeweils andere Tonlage, so dass man weibliche Figuren schnell identifizieren kann. Der Informant, der Johan von Gotland die brandheißen News verklickert, hat eine operierte Kehle, wahrscheinlich eine künstliche. Folglich spricht er heiser und etwas zischend.

Der Täter wird mit einem aufnahmetechnischen Kniff auf besondere Weise herausgestellt. Da er nicht in eigenen Worten sein Seelenleben preisgibt, sondern dies der Erzähler tun muss, sind dessen Worte mit einem zusätzlichen Bass versehen. Die Wirkung ist verblüffend: Der Täter wirklich sowohl als bedrohlicher Mörder wahrgenommen, wie auch als Opfer weiblicher Gewalt.

Sittler kann eindrucksvoll der jeweiligen Figur und Situation angemessene Emotionen darstellen. Er kann heftig laut rufen, gehemmt oder bewegt stockend sprechen, wütend brüllen oder leise tröstend klingen. Der Täter zischt am Schluss sogar hasserfüllt Emma an, dass es einem einen Schauder über den Rücken jagt.

Alle diese verschiedenen Tonlagen sind in den normalen Gesprächston von Polizisten und Journalisten eingebettet. Häufig referiert Anders, wie es sein Job verlangt. Das sind die langweiligsten, weil normalsten Szenen. Und Sittlers Anliegen ist zu loben, von solchen Inseln des Durchschnitts schnellstens wieder auf Emotion umzuschalten. Daher wurde mir das Hörbuch nur höchst selten langweilig, sondern es steigerte sich im Gegenteil in der Anspannung und Beklemmung. Dies ist sicherlich keine Unterhaltung für zwischendurch.

Schade jedoch, dass es weder Geräusche noch Musik gibt, die den Hintergrund noch emotionaler gestaltet hätten. Doch es gibt einmal einen Geräuschersatz. „Schlürf“ machen Matildas Gummistiefel im nassen Schlamm, kurz bevor sie im Gebüsch die Tatwaffe, eine Axt, findet. Wie lustig und echt dieses „Schlürf“ klingt, muss man gehört haben. Vergnügen und Grauen liegen in diesem Krimi nah beieinander.

Unterm Strich

„Den du nicht siehst“ ist zwar weit davon entfernt, wie Henning Mankell und Liza Marklund gesellschaftliche Missstände oder wie Arne Dahl internationale Verbrechen anzuprangern. Doch es ist ein geschickt erzählter Rache-Krimi mit der typisch schwedischen menschlichen Wärme, die die Schwedenkrimis hierzulande zeitweise erfolgreicher als die amerikanischen Thriller gemacht hat, insbesondere beim weiblichen Publikum. Das ist zwar nicht die höchste Thrillerkunst, aber für ein paar spannende Stunden reicht es allemal. Insbesondere der packende Showdown hat mir gefallen. Denn der fehlte mir in der Fortsetzung „Näher als du denkst“.

Dass auch dieser Krimi vom ZDF verfilmt wurde, lag nahe: Die Mainzelmännchen haben eine ganze Produktionsgesellschaft für Schwedenkrimi-Verfilmungen auf die Beine gestellt. Wir dürfen aus der Reihe „Der Kommissar und das Meer“ – ein jugendfreier Titel für die ganze Familie – noch weitere Folgen erwarten.

Das Hörbuch

Walter Sittler erweist sich als sehr kompetenter und schier schlafwandlerisch sicherer Schauspieler, der sein Stimm-Metier vollkommen beherrscht. Hier gelingt es ihm, das Kindliche, Heimelige und Vertraute direkt neben das Unheimliche, Grausame und sogar Makabere zu stellen. Mit ein paar Tricks und Verstellungen gelingt es ihm, auch kleine Auftritte wie die zweier kleiner Mädchen oder eines Informanten mit künstlichem Kehlkopf zu einem Ereignis werden zu lassen.

395 Minuten auf 5 CDs
Originaltitel: Den Du inte ser
Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs
ISBN-13: 9783899034325

http://www.hoerbuch-hamburg.de
http://www.heyne.de

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