Kate Atkinson – Glorreiche Zeiten

Die Handlung:

Zwischen den Weltkriegen erlebt Teddy Todd, geboren 1914, eine idyllische ländliche Jugend auf dem Anwesen seiner Familie nahe London. Einst wird er, der charmante Naturfreund und Möchtegern-Poet, mit seiner Sandkastenliebe Nancy vielleicht eine Tochter haben (die er nicht versteht und die ihn nicht versteht), und einst wird die Tochter ihm eine Enkelin schenken, die alle Enttäuschungen wettmacht. Zuvor allerdings kommt der Krieg ins Spiel – von Teddy zunächst als Abenteuer willkommen geheißen -, in dem er als todesmutiger Kampfpilot einer Halifax fast tagtäglich die Städte Hitlerdeutschlands zu bombardieren hat. Und dann, jenseits aller Katastrophen, wird es die größte Herausforderung für ihn sein, sich einem „Danach“ zu stellen, an das er nie geglaubt hatte. (Verlagsinfo)

Mein Einruck:

England in den frühen 1920er Jahren: Der Junge Edward „Teddy“Beresford Todd wächst mit seinen Geschwistern in Fox Corner – dem Landhaus seiner Eltern – behütet auf. Er interessiert sich schon früh für die ländliche Umgebung, liebt die Natur und ist außerdem ein großer Hundefreund. Seine Eltern, der Banker Hugh und die überaus charismatische Sylvie haben keine wirtschaftliche Not und versuchen, ihren Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Doch wer glaubt, mit diesem „Einstieg“ in eine fortlaufende, chronologische Lebensgeschichte abtauchen zu können, wird schon im nächsten Kapitel eines Besseren belehrt: Atkinson springt in ihrem Roman „Glorreiche Zeiten“ munter nicht nur in der Zeitgeschichte, sondern auch zwischen den Hauptpersonen hin und her. Während ein Kapitel Teddys früher Jugend gewidmet ist, findet sich der Leser im nächsten Abschnitt 55 Jahre später bei dessen Tochter Viola wieder, die, selber nunmehr Mutter zweier kleiner Kinder, versucht, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Doch damit nicht genug: Auch innerhalb der Kapitel gibt es immer wieder Einschübe aus Vergangenheit und Zukunft, viele Sätze sind oftmals noch gespickt mit in Klammern gefassten zusätzlichen Kommentaren. Dieser Schreibstil ist – zumindest zu Anfang – reichlich irritierend und der Roman lässt sich nicht unbedingt nebenbei lesen. Das Interessante daran ist, dass sich die Kapitel erst im Kopf des konzentrierten Lesers in die richtige Reihenfolge fügen und manche Geschehnisse und Erlebnisse der Personen dadurch erst später einen Sinn ergeben. Angefangen bei der Generation von Teddys Eltern, über Teddy und seine Tochter Viola bis hin zu deren Kindern Sunny und Bertie: die Handlung des Buches erstreckt sich dabei über etwa 100 Jahre und 4 Generationen. Die Stationen in Teddys Leben, so zum Beispiel die Zeit als Bomberpilot bei der Royal Air Force (RAF) im Zweiten Weltkrieg, die Ehe mit seiner Sandkastenliebe Nancy und Geburt der Tochter Viola bis hin zu dem Rentner Teddy, der in ein betreutes Wohnen zieht – alle Abschnitte werden von einer unglaublichen Vielzahl von Charakteren begleitet. Es gibt dabei natürlich einige Menschen, die eine lange Zeit größere Bedeutung für den Protagonisten Teddy haben. Seine 4 Jahre ältere Schwester Ursula beispielsweise, die ihm bis zu ihrem Tod immer eine enge Vertraute ist und auch seine Ehefrau Nancy, die Teddy ebenfalls bereits von Kindesbeinen an kennt. Der Leser lernt aber ebenso kurzzeitige Weggefährten kennen wie einige von Teddys Kameraden im Krieg oder auch ein paar flüchtige Affären. Auffällig ist hierbei, dass beinahe das ganze Leben der Hauptfigur von vierbeinigen Gefährten begleitet wird: so kommen im Laufe seines Lebens, vom Kindesalter bis zu seinem Rentnerdasein mindestens 5 oder 6 verschiedene Hunde in der Geschichte vor.

Der Zweite Weltkrieg ist für Teddys Leben ein absolut prägender Einschnitt und die Zeit als Pilot bei der RAF nimmt auch im Buch einen großen Teil ein. Nächtelang fliegt der noch junge Teddy mit wechselnden Kameraden Bombenangriffe auf Deutschland und kommt dabei dem Tod so nah, dass er sich ein Leben danach gar nicht vorstellen kann. Die beschriebenen Begebenheiten und auch die vielen technischen Details zu den verschiedenen Flugzeugen , Bomben und Einsätzen sind durch Atkinson sehr gut recherchiert worden. In ihrem Nachwort geht sie näher darauf ein, dass die Recherchen sie unter anderem in ein Museum auf einem ehemaligen Luftstützpunkt geführt haben.

Das Interesse und die Liebe zur Natur, im Besonderen zu Blumen und Vögeln zieht sich durch das ganze Leben des Teddy Todd, eine Eigenschaft, die seine Tochter Viola sicher nicht ausmacht. Deren nicht weniger bewegtes Leben ist vielmehr gekennzeichnet von einer steten Unsicherheit auf der Suche nach dem richtigen Mann, dem Sinn des Lebens in ihrem Engagement für verschiedene Organisationen und später als mehr oder weniger erfolgreiche Autorin. Interessant ist auch, was Atkinson sich für die Enkel von Todd ausgedacht hat und wie sie hier eine Vielzahl teilweise nicht weniger haarsträubende Klischees in deren Leben eingebaut hat, ohne dass diese aufgesetzt oder fehl am Platz wirken.

Mein Fazit:

Dieser Roman ist nicht unbedingt leicht zu lesen, ob der bereits beschriebenen großen Zeitsprünge in der Handlung. Immer, wenn man sich auf einen Charakter eingelassen hat, ist die Episode beendet und der Leser erneut gezwungen, in einem Abschnitt wiedereinzusteigen, der gerne mal 30 Jahre zurück oder aber 50 Jahre in der Zukunft liegt. Hinter der Anordnung der Kapitel scheint kein logisches Prinzip zu stecken, obwohl auf diese Weise durch die Autorin bestimmte Ereignisse zunächst vorenthalten werden. Einiges erschließt sich dann erst später, wenn sich die einzelnen Kapitel im Kopf des Lesers wie Puzzleteile ineinanderfügen und wohl genau das macht hier den Reiz aus! Eine strikt chronologische Erzählung der Lebensgeschichte des Teddy Todd, angefangen bei seinen Eltern und endend mit seinen Enkeln – hätte vermutlich nicht denselben Effekt erzielen können und wäre möglicherweise eher langweilig geworden.

Die Hauptfiguren in „Glorreiche Zeiten“ sind aber nahezu alle dermaßen fein und facettenreich charakterisiert, dass man als Leser den Eindruck gewinnen mag, diese persönlich zu kennen. Nicht nur das Leben von Teddy wird in diesem Roman von vielerlei Seiten betrachtet: auch das Leben seiner Tochter und wiederum das Leben deren Kinder spielen eine Rolle und Atkinson zeichnet ein einfühlsames Bild verschiedener Eltern-Kind-Beziehungen. Fast schon etwas philosophisch kommt die berühmte „Wie-wäre-mein-Leben-verlaufen,-wenn…?“-Frage daher, die nicht nur am Ende des Romanes den Leser ins Grübeln bringt.

Atkinson schafft es, zu Tränen zu rühren und gleichzeitig mit feinem und teilweise auch etwas bösem Humor zu begeistern. Manches Klischee wird bedient und lässt den Leser schmunzeln, insgesamt wirkt aber alles authentisch und glaubhaft. „Glorreiche Zeiten“ ist eine wirklich stimmungsvolle und tiefgründige Familiensaga!

Gebundene Ausgabe: 512 Seiten
ISBN-13: 978-3426281291

www.droemer-knaur.de

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