Kathy Reichs – Die Hand des Todes (Tempe Brennan 22)

Knochenreiches Karibik-Abenteuer

Eine Reihe bizarrer Mordfälle führt die forensische Anthropologin Tempe Brennan auf die karibischen Turks- und Caicos-Inseln. Stehen die grausam verstümmelten Leichen junger amerikanischer Touristen in Zusammenhang mit Bandenkriminalität? Je tiefer Tempe recherchiert, desto beunruhigendere Dimensionen nimmt der Fall an. Und plötzlich findet sie sich im Mittelpunkt einer Verschwörung wieder, die viele Hunderte Menschenleben kosten könnte … (Verlagsinfo)

Die Autorin

Kathy Reichs, geboren in Chicago, lebt in Charlotte und Montreal. Sie ist Professorin für Soziologie und Anthropologie, eine von nur knapp hundert vom American Board of Forensics Anthropology zertifizierte forensischen Anthropolog*innen und unter anderem für gerichtsmedizinische Institute in Quebec und North Carolina tätig. Ihre Romane erreichen regelmäßig Spitzenplätze auf internationalen und deutschen Bestsellerlisten und wurden in dreißig Sprachen übersetzt. Für den ersten Band ihrer Tempe-Brennan-Reihe wurde sie 1998 mit dem Arthur Ellis Award ausgezeichnet. Die darauf basierende Serie »BONES – Die Knochenjägerin« wurde von Reichs mitkreiert und -produziert.

Temperance-Brennan-Romane

Déjà Dead (1997), dt. Tote lügen nicht (1998)
Death du Jour (1999), dt. Knochenarbeit (1999)
Deadly Décisions (2000), dt. Lasst Knochen sprechen (2001)
Fatal Voyage (2001), dt. Durch Mark und Bein (2002)
Grave Secrets (2002), dt. Knochenlese (2003)
Bare Bones (2003), dt. Mit Haut und Haar (2004)
Monday Mourning (2004), dt. Totenmontag (2004)
Cross Bones (2005), dt. Totgeglaubte leben länger (2005)
Break no Bones (2006), dt. Hals über Kopf (2006)
Bones to Ashes (2007), dt. Knochen zu Asche (2007)
Devil Bones (2008), dt. Der Tod kommt wie gerufen (2008)
206 Bones (2009), dt. Das Grab ist erst der Anfang (2009)
Spider Bones (2010), dt. Blut vergisst nicht (2010)
Flash and Bones (2011), dt. Fahr zur Hölle (2011)
Bones Are Forever (2012), dt. Knochenjagd (2012)
Bones of the Lost (2013), dt. Totengeld. Blessing Verlag, München 2013, ISBN 978-3-89667-452-4.
Bones Never Lie (2014), dt. Knochen lügen nie. Blessing Verlag, München 2015, ISBN 978-3-89667-453-1.
Speaking in Bones (2015), dt. Die Sprache der Knochen. Blessing Verlag, München 2016, ISBN 3896674544.
The Bone Collection (2016), dt. Die Knochenjägerin. Vier Fälle für Tempe Brennan. Blessing Verlag, München 2017, ISBN 978-3-896-67580-4.
A Conspiracy of Bones (2020), dt. Das Gesicht des Bösen. Blessing Verlag, München 2020, ISBN 978-3-89667-455-5.
The Bone Code (2021), dt. Der Code der Knochen. Blessing Verlag, München 2021, ISBN 978-3-89667-724-2.
Cold, Cold Bones (2022), dt. Kalte, kalte Knochen. Blessing Verlag, München 2022, ISBN 978-3-89667-740-2.

Virals-Romane

Virals (2010), dt. Virals – Tote können nicht mehr reden (2011)
Seizure (2011), dt. Virals – Nur die Tote kennt die Wahrheit (2012)
Code (2013), dt. Virals – Jeder Tote hütet ein Geheimnis (2013), ISBN 978-3-570-15367-3
Exposure (2014)
Terminal (2015)

Sunday-Night-Reihe

Two Nights (2017), dt. Blutschatten. Blessing Verlag, München 2018, ISBN 978-3-896-67621-4.

Handlung

Die forensische Anthropologin Temperance Brennan lebt im kanadischen Montreal, jetzt zusammen mit ihrem langjährigen Freund, dem Privatdetektiv Ryan. Beide haben zusammengelegt und sich eine schicke Luxuswohnung im 15. Stock mitten im Stadtzentrum zugelegt. An diesem Abend gesteht ihr Ryan, dass ihn die Stadtpolizei gebeten habe, zu ihr zurückzukehren, um eine Serie Morde in der Stadt aufzuklären. Nicht nur, dass ein Bandenkrieg zwischen den Bloods und Crips tobt, nein, jetzt sei auch noch eine Art Wettbewerb hinzugekommen: das „Punkten“ Tempe ist baff. Was soll das denn sein? Es bedeute, erklärt Ryan, dass jeder beliebige Mensch getötet werden könnte, um „Punkte“ einzuheimsen.

Ein rätselhafter Todesfall

Könnte diese Serie vielleicht auch mit ihrem jüngsten Fall zusammen, fragt sich Tempe insgeheim. Ein Bootseigner hat aus den Schreiben seines Außenbordmotors Leichenteile gefischt. Handelt es sich um den gleichen jungen Mann, der vor vier Tagen beim jährlichen Riesenfeuerwerk in den St.-Lorenz-Strom gestürzt ist, als er auf einer Brücke stand? Tempe erinnert sich an diesen ersten Julitag bestens, weil sie mit Ryan und zwei Freunden einen Bootsausflug auf dem Strom machte und dabei fast ertrunken wäre. Eine Windhose hatte das Boot erfasst, und weil es keinerlei Rettungswesten an Bord gab (aber jede Menge Bier), musste sie fürchten, über Bord zu gehen und jämmerlich zu ertrinken.

Todesursache

Weitere Leichenteile werden gefunden und lassen sich dem ersten Opfer zuordnen. Erstmals können Brennan und ihre Helfer Fingerabdrücke nehmen und an die Datenbank zum Abgleich schicken. Tempe macht eine beunruhigen Entdeckung: In der Brust des Opfers klafft eine Einschusswunde. Ihr entspricht eine Austrittswunde auf dem Rücken. Der junge Mann wurde erschossen und keineswegs vom Blitz erschlagen, wie man bisher annahm. Ein Tattoo auf dem Oberarm verrät seine Herkunft: die Royal Turks and Caicos Inseln (TCI), eine britische Kolonie in der Karibik. Detective Musgrove kündigt sofort ihr Kommen an.

Mordserie

Der Ermittlungsleiter hat eine Auskunft der Datenbank erhalten: Es handelt sich um Deniz Been, einen jungen Mann von den TCI, eingereist vor sieben Monaten, vorbestraft. Detective Tiersa Musgrove bestätigt diese Identität und ordnet den Toten einer Gang auf den TCI zu. Was wollte er in Kanada? Aber sie hat noch ein anderes Anliegen: Drei männliche Touristen sind in den letzten sieben Jahren auf den TCI auf genau gleiche Weise erschossen worden. Es geht ein Serienmörder um. Kürzlich habe man die die sterbliche Überreste der letzten zwei Opfer an einem abgelegen Ort entdeckt. Doch Musgroves Behörde benötigt einen Experten, um diese Überreste ordentlich bergen zu können. Sie bittet Tempe, mit ihr zu kommen und den Fall aufzuklären. Tempe willigt ein.

Auf den Inseln

Nach der Landung auf der Hauptinsel erhält Musgrove eine Nachricht, die sie zur Küste ruft. Dort wurde von einem Fischer ein treibendes Motorboot entdeckt, in dem sich fünf Leichen befinden. Es handelt sich um vier Männer und einen etwa 16-jährigen Jungen, also bestimmt keine Migranten. Musgrove bittet Tempe, die Leichen fachmännisch zu bergen und zu untersuchen. Die Dokumente, die man bei den Leichen findet, weisen auf eine Herkunft in der Umgebung von Miami hin. Was hatten sie 600 Seemeilen südlich von Miami zu suchen? Tempe kann zumindest die Todesursache nennen: Die Männer seien verdurstet. Ihrem Boot war das Benzin ausgegangen. Merkwürdig, dass der Bordcomputer sie nicht davor gewarnt hatte. Sie setzten nicht einmal einen Notruf ab, wie es aussieht.

Knochenfund

Noch am gleichen Tag hat Tempe das zweifelhafte Vergnügen, die kürzlich gefundenen Überreste der letzten beiden Opfer zu bergen. Sie liegen in einer kleinen Schlucht und waren mit Vegetation zugedeckt, nun sind fast nur noch Knochen von ihnen übrig. Musgrove lässt die Überreste in die Pathologie des Polizeireviers bringen und fordert aus Miami zwei Experten an: einen Pathologen für die Knochen und eine Ingenieurin für das Boot. Ein weiterer Tourist werde vermisst, und der sei vom FBI: Special Agent Cloke aus Washington, D.C.

Den Leichen fehlt jeweils die linke Hand, denn die wurde fein säuberlich abgetrennt. Aber womit? An den Knochen finden sich Schnittspuren, doch ohne Mikroskop kann Tempe nicht genauer untersuchen, ob da noch mehr ist. Und dieses Mikroskop ist derzeit im Krankenhaus in Benutzung, erfährt sie. Wer hat scharfe Schneideinstrumente, fragt sie Musgrove. Zum Beispiel der Schlachter der jüdischen Gemeinde, Uri Stribbe. Uri erweist sich ebenso wie sein bruder Dovid als sehr widerspenstig, als man ihm den Mordverdacht mitteilt. Und die Mutter der beiden wird noch viel zorniger. Aber sie hat auch nichts Gutes über ihren Nachbarn Joe Benjamin zu sagen, einen Eigenbrötler, der angeblich Webseiten entwirft. Tempe fallen die beiden scharfen Samurai-Schwerter in Benjamins Hütte auf, aber sie fragt nicht ohne begründeten Verdacht. Von den toten Männern wisse er nichts, behauptet er.

Verstummt

Am nächsten Morgen wollen sich Mugrave, Tempe und die Ingenieurin zu einer Besprechung treffen. Doch als Musgrove nicht auftaucht und nicht auf Anrufe antwortet, fahren Tempe und Luna Flores zu Musgroves Adresse, die sie Tempe angegeben hat. Auf Klopfen antwortet niemand. Als Tempe Schreie hört, drückt sie die Haustür auf und dringt in die Wohnung ein. Die Schreie dringen aus einem Fernseher, wo ein Spielfilm läuft, und nicht etwa von der Frau, die am Boden des Wohnzimmers liegt. Detective Musgrove bewegt sich nicht…

Mein Eindruck

Dieses jüngste Abenteuer in der langen Reihe von Krimis mit Tempe Brennan hält auf wackelige Weise das Gleichgewicht zwischen Karibik-Idyll und harter kriminalistischer Ermittlung. Denn die Anthropologin mag ja auf Knochen spezialisiert sein, aber sie ist auch eminent neugierig und weiß Fakten zusammenzufügen. Auf diese Weise macht sie sich erst Detective Musgrove nützlich und nach deren Ableben ihrem Nachfolger Delroy Monck, einem Mann mit einer bionischen Hand. Das Leitmotiv der fehlenden Hände durchzieht den ganzen Roman. Der Leser kann sich seinen Reim darauf machen, was das zu bedeuten hat, oder auch nicht. Es rechtfertigt auch etwas den deutschen Titel

Einerseits gibt es auf TCI einen Serienmörder, der schon sieben Jahre unentdeckt sein Unwesen treibt, andererseits aber auch rätselhafte Unglücke mit Maschinen: das hilflos dahintreibende Motorboot aus Miami, davor eine urplötzlich abstürzende Propellermaschine. Als auch das Navi in Tempes Auto in strömendem Regen sie in die Irre und fast in einen Abgrund führt, macht sie sich noch keine Sorgen, ist aber beunruhigt. Später fügen sich all diese Vorfälle in ein stimmiges Bild.

Diese Seite des Plots erhält auf den letzten sechzig Seiten eine unerwartete Wendung, als auf Detective Moncks Anfrage bezüglich des verschwundenen Agenten Cloke zwei weitere Special Agents auftauchen, die Monck in den Arm fallen wollen. Das alles sei ultrageheim. Da kommen sie aber an den Falschen. Seine Drohung ist nicht von schlechten Eltern, und er bringt Reid und Rossiter dazu, ihre Karten auf den Tisch zu legen – auch vor der „Dame“ namens Brennan. Es ist alles viel schlimmer, als Tempe geahnt hat. Und als sie erfasst, dass ein Countdown läuft, erkennt sie, dass Ryan, dessen baldiges Eintreffen von ihrer Schwester Harry inoffiziell angekündigt wurde, in seinem Flugzeug bereits in Lebensgefahr schwebt…

Die Übersetzung

Die Übersetzung ist meist korrekt, obwohl es an Fachausdrücken nicht mangelt. Nur an einer Stelle ist dem Übersetzer eine Verwechslung unterlaufen.

S. 16: „in Lebensgefahr inmitten der Mütter aller Stürme“: Eine „Mutter aller Stürme“ reicht völlig.

S. 16: „mit einer schlammfarbenen Schlotze aus gefrorenem Schmelzwasser“: Was diese Schlotze ist, muss sich jeder Leser selber vorstellen.

S. 25: „sie hätten ein[en] Mann beobachtet…“: Die Endung fehlt.

S. 37: „vergnügt ihr[e] Eier ablegen würden.“ Das E fehlt.

S. 61: „das V seines Mund[es] breiter…“. Auch hier fehlt die Endung.

S. 115: „besteht sie (die menschliche Hand) aus siebenundzwanzig K[n]ochen…“: Das N fehlt.

S. 145: Folgende Stelle ist widersprüchlich: „Als Jamaika 1655 von den Spaniern (!) besetzt wurde, befahl (Lord Protector Oliver) Cromwell den Transport von Tausenden von Iren auf die Insel, vorwiegend für die Arbeit auf den Plantagen. Zwei Jahre später ernannte King James II. Christopher Monck, den Zweiten Herzog von Albermarle, zum Lieutenant Governor.“ Wie konnten die Engländer derart eine über Insel verfügen, die angeblich den Spaniern gehörte? Es ist nämlich genau andersherum:

„Santiago de la Vega (heute Spanish Town) war die erste spanische Siedlung auf der Insel und blieb Hauptstadt des Landes, bis 350 Jahre später die Briten Interesse an den spanischen Besitzungen in der Karibik bekundeten. Am 10. Mai 1655 landete eine von Oliver Cromwell entsandte Flotte auf Santiago.“ Alles weitere findet sich in einem Wikipedia-Artikel. Es waren nicht die Spanier, sondern die Engländer, die Jamaika 1655 besetzten.

Unterm Strich

Ich habe den Krimi in wenigen Tagen gelesen. Erstens weiß sich die routinierte Autorin leicht verständlich auszudrücken, obwohl Forensik vor Fachausdrücken nur so wimmelt. Zweitens bringt ihre Ermittlerin Tempe Brennan ihren ganz speziellen Sinn für Humor ein, eine Mischung aus Ironie und Sarkasmus, was mich gut unterhielt. Es gebricht ihr auch nicht an viel Mitgefühl, besonders für die Schwachen und Wehrlosen, von unschuldigen Toten ganz zu schweigen, und das fand ich sympathisch.

Sie ist aber auch den sinnlichen Seiten, die das Leben zu bieten hat, nicht abgeneigt, beispielsweise bei Speisen und Getränken, stets aber auch bei den Annehmlichkeiten eines guten Domizils. Auf diese Weise vermittelt die Autorin, dass unter der glänzenden Oberfläche der Karibik, wo viele ihren Urlaub verbringen oder wenigstens verbringen möchten, eine zweite, wesentlich dunklere Realität lauert, die so manchem Verderben bringt. Die beiden körperlichen Attacken auf Tempe in ihrem Domizil belegen dies.

Der Originaltitel „The Bone Hacker” weist darauf hin, dass hier auf den idyllischen Inseln Seiner Majestät ein fieser Hacker am Werk ist, der die Spionage-Software Pegasus der Firma NSO wirksam umgestaltet hat, um seinen finsteren Ziele zu erreichen. Mehr darf nicht verraten werden. Ein echter Nägelbeißer, dieser Thriller. Es gibt zwar Verschnaufpausen, doch die erweisen sich als allzu kurz. Und von Cosy Crime kann man zwar etwas mitnehmen, doch das Finale ist alles andere als kuschelig.

Gebunden: 368 Seiten.
O-Titel: The Bone Hacker
Aus dem Englischen von Klaus Berr.
ISBN-13: 978-3453274761

www.heyne.de

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