Katja Kettu – Wildauge


Die Handlung:

Lappland im Sommer 1944. Als Johannes Angelhurst ihr zum ersten Mal begegnet, ist sie gerade dabei, der Tochter des Schnapshändlers bei einer schweren Geburt zu helfen. Ihr Blick ist so frei und ungestüm – fast wie der eines wilden Tieres. Sie ist die Hebamme von Petsamo. Die meisten Dorfbewohner finden sie seltsam und begegnen ihr mit zwiespältigen Gefühlen, weil sie zu viel über das Geheimnis von Leben und Tod weiß. Johannes ist deutscher Offizier, er soll als Fotograf die finnischen Verbündeten porträtieren. »Wildauge« – so der Spitzname der Hebamme – fühlt sich sofort zu dem schweigsamen Mann in seiner schwarzen Uniform hingezogen. Sie ist sich sicher: Er ist ihr Mann. Überallhin würde sie ihm folgen, so stark sind Bestimmung und Begehren. Und so lässt sie sich, als er in ein Kriegsgefangenenlager abkommandiert wird, dort als Krankenschwester einschleusen. Zwischen beiden entbrennt eine bedingungslose, wilde Leidenschaft. Doch im Lager passieren grauenvolle Dinge. Keiner darf in die Nähe des Kuhstalls, in den die weiblichen Gefangenen gebracht werden. Und Johannes, der den Auftrag bekommen hat, ein riesiges Bassin auszuheben, schüttet immer größere Mengen einer Droge in sich hinein, die ihn stumpf und brutal macht.

Mein Einruck:

Das Schicksal der finnischen Hebamme im September 1944, die kurioserweise namenlos bleibt, und des deutschen SS-Mannes Johannes Angelhurst, welches Kettu in „Wildauge“ erzählt, ist sicher keine klassische Liebesgeschichte. Vielmehr geht es auch um das Leben in einer unfassbar schwierigen Zeit und um die Beschreibung zweier extrem unterschiedlicher Charaktere: während die Hebamme, von den Dorfbewohnern als etwas merkwürdig verschrien, mit ungeheurer Willenskraft und Energie alles daran setzt, um ihrem Johannes nah zu sein, ist dieser eigentlich eher in sich gekehrt.Wohl nicht zuletzt deshalb, da er traumatisiert von seinem Einsatz in der Ukraine nach Lappland kommt. Einzig die Fotografie scheint ihn abzulenken und all seine Leidenschaft zu wecken. Dass nicht nur abwechselnd aus der Sicht beider Protagonisten erzählt wird, sondern auch noch teilweise ein zeitlicher Versatz darin ist, hat mir nicht gut gefallen, da es manchmal etwas verwirrend war. Dennoch entwickelt der Roman schon nach einigen Seiten eine Art voyeuristischen Sog auf den Leser: Handlung und Sprache sind zum Teil dermaßen erschütternd und grausam, dass man gerade deswegen das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann. Sowohl das Beschriebene, als auch die Art des Beschreibens lassen den Leser jedenfalls an einigen Stellen schwer schlucken.

Manche Begriffe und Namen waren mir ein wenig unklar und konnten (leider) erst im Nachhinein geklärt werden, da ich viel zu spät das Glossar im Anhang entdeckte. Dort findet sich im ausführlichen Nachwort der Übersetzerin Angela Plöger auch eine Einordnung des Romans in den historischen Kontext der Kriege in Finnland. Dieses „Nachwort“ hätte ich eher als eine Art Vorwort eingefügt, denn es war mit vielen nützlichen Erklärungen gespickt.

Mein Fazit:

Der Roman ist so sprachgewaltig und bildreich, dass er seinesgleichen sucht. Persönlich fällt mir auf Anhieb keine „ähnliche“ Lektüre ein. Kettu spart nicht an Grausamkeiten und Details, egal ob bei der Beschreibung des Geschlechtsaktes der Protagonisten oder als es um die Zustände im Lager geht. Sicherlich ist das ein stark gewähltes und bewusst eingesetztes Gleichnis: das Buch ist zumindest genauso hart und heftig wie das Leben in der damaligen Zeit. Immerhin soll die finnische Autorin ihre Geschichte in Anlehnung an Aufzeichnungen ihrer eigenen Großmutter geschrieben haben. Bemerkenswert ist aber auch die Spannung in „Wildauge“, die sich trotz oder gerade wegen der verstörenden Wirkung entwickelt, beinahe wie ein Sog. Obwohl mir die Sprache insgesamt etwas zu „deftig“ war, ist dieses Werk von Kettu sicher eines, welches im Nachhinein noch beschäftigt. Verstörend, aber irgendwie betörend. Keine leichte Kost!

Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3869710822

www.galiani,de

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