1943 steht Nazideutschland auf der Höhe seiner Macht. Der Süden Großbritanniens steht unter Dauerfeuer. Aus der Luft greifen Bomber die Städte an, die Küsten werden von Kriegsschiffen und U-Booten abgeriegelt. Gefürchtet sind auch die deutschen Minen, die aus der Luft abgeworfen oder im Meer versenkt werden. Viele enden als Blindgänger, andere werden entdeckt, bevor sie explodieren können. Alle sind sie zu entschärfen – eine gefährliche Aufgabe, denn die Konstrukteure haben Todesfallen eingebaut. Zwölf Sekunden bleiben dem unglücklichen Entschärfer zu erkennen, dass er einen Fehler gemacht hat, bevor er in Stücke gerissen wird.
So hat der Vorgänger von Korvettenkapitän David Masters seinen Job verloren. Die Royal Navy ernennt den neuen Mann zum Kommandanten der Torpedo- und Versuchsanstalt „HMS Vernon“, wo man sich auf Sprengkörper aller Art spezialisiert hat. Auch Minenleger, -räumer und Entschärfer werden hier ausgebildet; der Bedarf ist groß … Die Angst ist ständiger Begleiter der Männer, die gleichzeitig fasziniert sind vom Kampf mit der Bombe, dem „Biest“, den sie stets ganz allein führen müssen. In der letzten Zeit sind die Verluste höher denn je, denn die Deutschen testen einen neuen Minentyp, der bei jedem Entschärfungsversuch bisher unweigerlich explodierte.
An einer zweiten Front müssen Masters und seine Leute kämpfen, als der Navy auf See eine Geheimwaffe der Deutschen in die Hände fällt: ein Miniatur-U-Boot, das unbemerkt Hafengewässer ansteuern kann, um den dort ankernden Kriegsschiffen heimlich Minen anzuheften. Nun lässt sich der Spieß umdrehen: Lässt sich das erbeutete U-Boot nutzen , um die auf den Kanalinseln stationierte deutsche Flotte auszuschalten? Ein Himmelfahrtskommando so ganz nach dem Herzen des Konteradmirals Keith Fawcett, den man nicht umsonst „Polter“ nennt. Er schickt Wachboot ML 366 mit seiner kampferprobten Mannschaft ins Gefecht …
Du und die Bombe – eine intensive Beziehung
„Zwölf Sekunden bis zum Untergang“ ist nur bedingt der Seekriegsroman, den der deutsche Titel suggerieren möchte. „Noch zwölf Sekunden zu leben“, wie es im Original heißt, beschreibt die Handlung wesentlich exakter. Sie dreht sich um das „Biest“, die Bombe, die entschärft werden muss. Dabei geht es naturgemäß recht ruhig zu – äußerlich jedenfalls, denn jene, die sich dem Biest stellen, sehen das anders. Dieser Dienst bestimmt ihr Dasein, selbst wenn sie gerade nicht in einem einstürzenden Haus oder einem ausgebrannten Flugzeug liegen und einen widerspenstigen, mehrfach gesicherten Zünder ausbauen. Daraus entwickelt Alexander Kent den Großteil der Spannung. Es klappt zuverlässig, wie jeder sich denken kann, der sich im Geiste in die gerade beschriebene Situation versetzt.
Kents Figuren geht stets viel durch den Kopf – zu viel, denn es ist irritierend, wenn praktisch jeder Schritt, jeder Handgriff ausführlich geschilderte Erinnerungen an die Jugend, das Leben vor dem und im Krieg oder Gedanken an die Zukunft aufsteigen lässt. Die Handlung wird durch diese Abschweifungen endlos gedehnt, ohne davon zu profitieren.
Daran müssen sich jene Leser gewöhnen, die womöglich auf das übliche Kommandounternehmen stahlharter Jungs gegen eine Übermacht böser Nazis hoffen. „Zwölf Sekunden …“ ist eher ein ruhiger Blick auf den Kriegsalltag an der südenglischen Küste. Kämpfe gehören zwar dazu, aber es dominieren die langen Pausen dazwischen, in denen man hier hinter der Front seine Opfer birgt, die Schäden repariert und auf den nächsten Angriff wartet. Gefechte bedeuten blitzartige Flugzeugattacken aus der Luft oder Schnellfeuerduelle mit Feindschiffen auf große Distanz. Den Gegner sieht man höchstens zufällig – als Leiche oder Gefangenen.
Klar Schiff zum Gefecht!
Im zweiten Teil geht es doch in den Fronteinsatz. Eine kaum erprobte deutsche Geheimwaffe wird gegen den Feind eingesetzt. Das führt zu den üblichen Schwierigkeiten und Zwischenfällen, hier bewegt sich „Zwölf Sekunden …“ auf den üblichen Bahnen des Kriegsromans. Schon das Wissen um die reale Geschichte schließt einen glorreichen Sieg aus, aber Kent findet trotzdem eine Lücke für ein nicht unwahrscheinliches Finale.
Erfreulicherweise kommt „Zwölf Sekunden …“ ohne Heldengestalten aus, wenn man nicht von „Helden des Alltags“ sprechen möchte, als die Kent seine Figuren durchaus sieht und schildert. Dieser Alltag heißt Krieg. Was das bedeutet, stellt Kent – der den II. Weltkrieg selbst erlebt hatte und wusste, worüber er schrieb – am Beispiel seiner Protagonisten dar. Es gelingt ihm gut, normale Zeitgenossen zu schildern – so gut, dass man mit keiner Figur wirklich warm wird. Das schließt sogar die Liebesgeschichte zwischen Kapitänleutnant Chris Foley und Wren Margot Lovett ein, die britisch-unterkühlt daherkommt.
An Bord von ML 366 treffen wir dann die übliche Mannschaft kauziger Seeleute, die gern den Piraten mimen, auf die man sich in kritischer Situation aber bedingungslos verlassen kann. Die typischen rauen Männer- und Landser-Scherze des Genres halten sich in angenehmen Grenzen; auch die harten Jungs auf See halten in England halt Disziplin. Mit dem Bodycount steigt der klassische Spannungspegel; es ist halt doch aufregender, wenn keine geistlose Bombe, sondern ein wachsamer Nazi mit der Waffe im Anschlag wartet …
Autor
Alexander Kent wurde als Douglas Reeman 1924 im englischen Thames Ditton geboren. Schon seine Kindesbeine trugen ihn zum Meer; angeblich war es der Besuch von Admiral Nelsons Flaggschiff „Victory“ in Portmouth – es wird in „Zwölf Sekunden bis zum Untergang“ erwähnt -, der im jungen Alexander den Wunsch weckte Seemann zu werden. Das bedeutete wie für so viele Männer seiner Generation den Kriegsdienst. Kent leistete ihn ab 1941 an Bord eines Torpedoboots auf Atlantik und Mittelmeer ab.
Seine Erfahrungen führten 1958 zur Niederschrift seines Romanerstlings „Die Schnellbootpatrouille“, dem weitere Kriegsabenteuer folgten. Doch der eigentliche Ruhm stellte sich ein, als Kent sich entschloss, à la C. S. Forester (Horatio Hornblower-Serie) die fiktive Biografie eines Seemanns des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu verfassen: Die Romane um Richard Bolitho (nach seinem Buch-Tod fortgesetzt vom Neffen Adam) fanden ein riesiges Publikum; die weltweite Auflage liegt bei etwa 25 Mio. Exemplaren.
Inzwischen in Surrey lebend, ist Kent ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters ein fleißiger Autor geblieben, der jährlich mindestens ein neues Werk vorlegt. Dabei wechseln Abenteuer aus der Zeit der Segelschiffe mit Episoden aus modernen Kriegen und Krisen ab.
Nur in Deutschland wurde „Zwölf Sekunden …“ unter dem (verkaufsfördernden) Pseudonym „Alexander Kent“ herausgebracht. Douglas Reeman veröffentlicht Non-Bolitho-Romane unter seinem richtigen Namen.
Taschenbuch: 461 Seiten
Originalausgabe: Twelve Seconds to Live (London : William Heineman 2002)
http://www.ullsteinbuchverlage.de
Der Autor vergibt: