Kim Stanley Robinson – Goldküste (Kalifornien-Trilogie 2)

Bombenleger in Autopia

Orange County, Kalifornien, 2067: L.A. ist eine Metropolis der flüchtigen Begegnungen und schneller Geschäfte, der harten Drogen und falschen Träume. Wie ein verirrter Nachtfalter schwirrt Jim McPherson durch diese bunte Neonwelt, von einer Party zur nächsten. Der Möchtegern-Dichter schlägt sich als Aushilfslehrer durch. Das laute, hektische Treiben an der Goldküste scheint ihm ohne Sinn, ohne Aussicht auf Glück. Dann lernt er Arthur kennen. Dieser gehört einer revolutionären Gruppe an, die durch Sabotage die Rüstungsindustrie Amerikas zerstören will. Begeistert macht Jim bei den Aktionen mit, obwohl – oder gerade weil – sein Vater Ingenieur in dem größten Rüstungskonzern von Orange County ist … (Verlagsinfo)

Mit „Goldküste“ kehrt Robinson wieder an den Schauplatz seines Erstlings „Das wilde Ufer“ zurück. Er zeigt nun aber nicht mehr Orange County nach der Verheerung, sondern präsentiert seine Heimat als Beispiel für einen Stadt-Alptraum: Die Bombe ist nicht gefallen, aber die Fortschreibung aktueller Tendenzen ist genauso schwerwiegend in ihren Folgen.

Der Autor

Kim Stanley Robinson, geboren 1952 und passionierter Bergsteiger, gehört seit seiner Doktorarbeit über Philip K. Dick und diversen Romanen zur Autoren-Mannschaft, die Mitte der achtziger Jahre als „Humanisten“ bezeichnet wurde. Damit stellte man ihn in Opposition zu den neuen „Cyberpunks“ um William Gibson und Bruce Sterling, die neue Techniktrends aufgriffen und kritisch verarbeiteten. KSR selbst hat es stets als lächerlich abgelehnt, dieses Etikett auf sich selbst anzuwenden. Er legte in seiner bekannten Orange County Trilogie (The Wild Shore; The Gold Coast; Pacific Edge; 1984-1990) mehr Wert auf gute Charakterisierung der Figuren, eine Vision gesellschaftlicher Entwicklung und die Überzeugungskraft seiner Ideen. Das hat mir immer am besten an seinen Büchern gefallen.

Wesentlich bekannter wurde Robinson mit seiner Mars-Trilogie Red Mars, Green Mars und Blue Mars, die in naher Zukunft zu einer Kurzserie fürs Fernsehen gemacht werden soll. Danach folgten die umfangreichen Romane „Antarktika“ (Umweltthriller) und „The Years of Rice and Salt“ (Alternative History), dem im Juni 2004 ein weiterer Roman folgte: „Forty Signs of Rain“, der Startband seiner bislang unübersetzten CAPTIAL-CODE-Trilogie. Im Herzen ist KSR stets ein Erforscher und Warner.

Übersetzte Werke

1) Das wilde Ufer
2) Goldküste
3) Pazifische Grenze
4) Roter Mars
5) Grüner Mars
6) Blauer Mars
7) Flucht aus Kathmandu
8) Geschöpfe der Sonne
9) Die Marsianer
10) Antarktika
11) New York 2312
12) New York 2140
13) Aurora
14) Schamane
15) Die eisigen Säulen des Pluto
16) Sphären-Klänge

Handlung

Man schreibt das Jahr 2067: Orange County ist inzwischen eine wuchernde Megalopolis mit doppelstöckigen Freeways – das „Autopia“ – und riesigen Apartmentsilos. In einer an die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts erinnernden Szenerie wächst Jim McPherson auf, Ende zwanzig, Verfasser schlechter Gedichte, der sich als Teilzeitlehrer für Englisch durchs Leben schlägt. Ebenso wie seine Freunde nimmt er hemmungslos Drogen und flüchtet sich in oberflächliche Liebesaffären.

Historie & Revoluzzer

Doch anders als die meisten weiß er um die Geschichte des Orange County. Er hat erfahren, dass es hier einmal, bis etwa 1942, Wälder und Wiesen gab und ausgedehnte Orangenhaine, in denen Kinder spielten. Bis dann der Krieg und damit die Militärindustrie kamen. Ratlos und gleichzeitig verzweifelt versucht er, seine Welt aus Beton und Neon zu verändern und schließt sich einer revolutionären Gruppe (ähnlich den „Weathermen“ der 60er) an, um sich an Sabotageakten auf die zahlreichen, mehr oder wenigen korrupten Rüstungsbetriebe der Stadt zu beteiligen. Bei diesen Firmen ist auch sein Vater angestellt.

Lektionen

Jims Rebellion scheitert kläglich, und er muss sich am Ende fragen, ob er sich gegen das System aufgelehnt hat oder er nur ein Teil des Systems war. Am Ende muss er erkennen, dass er auf sich allein gestellt ist und seine Welt nicht einmal durch Gewalt und Bomben verändern kann. Aber er hat viel dabei gelernt: dass in den Bergen seine wahre Heimat ist; dass es möglich ist, eine dauerhafte und tiefe Partnerschaft einzugehen und dass man dafür kämpfen muss; und dass nur die Rekonstruktion der Vergangenheit und die daraus folgende Selbstbesinnung das Land und seine Bewohner für die Gegenwart und die Zukunft retten können.

Mission

In den von ihm eingefügten Abschnitten über die Geschichte des Orange County hat Jim in „Goldküste“ schon einen Schritt dorthin getan. Dies ist von nun an aber seine Aufgabe als Dichter und Künstler: Zeitkritik zu üben – mit dem Ziel der Bewusstmachung und der Warnung.

Mein Eindruck

Robinsons Science Fiction, soviel steht fest, widerspricht allen Klischees, unterläuft sie. Seine Prosa vibriert förmlich, seine Figuren wirken lebendig, und seine Romane sind in der Regel sorgfältig durchkomponiert. Nicht simple Weltraumabenteuer und realitätsferne Sternenwelten sind mittlerweile seine Themen, sondern die Schilderung der Zukunft eines Landes, wie sie sich aus dessen Geschichte ergibt. (Selbst wenn dieses Land, wie im Falle des Mars, erst noch geschaffen werden muss.) Dabei wirkt Robinsons Darstellung aufgrund der gründlichen Recherche, beispielsweise des SDI-Programms unter Reagan, so überzeugend und realistisch, dass auch der Leser unwillkürlich glaubt, die eigene Welt von morgen gesehen zu haben.

Ausufernd

Allerdings kann Robinson diese Akribie auch zu weit treiben, wie man ihm nicht nur bei „Grüner Mars“ vorgeworfen hat. Dann werden diese Passagen nämlich langatmig und wirken geschwätzig. In „Goldküste“ sind dies ausufernde Schilderungen aus dem Management der Rüstungsbetriebe, breitgewalzte Berichte vom Geschehen auf den Highways und die Beschreibung einer bekifften jugendlichen Subkultur, die sich in narzisstischen Selbstdarstellungsorgien feiert. Daher wirken Passagen wie das Wandern in den Bergen und die Erforschung der County-Geschichte wie Befreiungsschläge, Atempausen für den Leser.

Tiefpunkt

Trotz dieser langen Passagen akribischer Faktenhuberei fand ich daher „Goldküste“ insgesamt ein eher gelungenes Werk. In der Orange-County-Trilogie stellt es den negativen Tiefpunkt dar, an dem Hoffnung für die Zukunft erkämpft werden muss und kann, und zwar auf individueller Ebene. In „Das wilde Ufer“ hingegen war die Vergangenheit vernichtet, und das Leben des „Helden“ begann in einer Stunde-Null-Situation. Man musste nur das Beste daraus machen. Im Schlussband „Pazifische Grenze“ hingegen zeigt uns Robinson ein vollkommenes Utopia, so scheint es. Doch genau da liegt die Gefahr: Erreichte Ideale haben es dummerweise an sich, sehr schnell langweilig zu werden.

Mittlerweile gibt es diesen Roman als Ebook aus dem Heyne-Verlag.

Taschenbuch & E-Book: 538 Seiten
Originaltitel: The Gold Coast, 1988
Aus dem Englischen von Michael Kubiak
ISBN-13: 9783404241163

www.heyne.de

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