King, Stephen – Achterbahn

Dieser Telefonanruf beschert Alan Parker, Student an der University of Maine, den Schock seines 21-jährigen Lebens: Ein Schlaganfall hat seine Mutter Jean niedergestreckt. Kritisch sei ihr Zustand nicht, wird ihm versichert. Trotzdem macht sich der junge Mann sofort auf den weiten Weg nach Hause. Dummerweise steht sein Wagen in der Werkstatt; er entschließt sich zu trampen. Eine Weile geht alles gut. Alan nähert sich seinem Ziel, bis er schließlich doch auf einem einsamen Wegstück mitten in der Nacht strandet. Seine Stimmung hebt sich nicht, als er bemerkt, dass er am Rande eines alten Friedhofs steht. Ein Grabstein scheint ihn magisch anzuziehen – wie Alan der Inschrift entnehmen kann, liegt hier ein gewisser George Staub begraben, der zwei Jahre zuvor umgekommen ist.

Staubs Grab versetzt Alan in unerklärliche Furcht. Er verlässt den Friedhof fluchtartig und beglückwünscht sich, als er auf der einsamen Straße endlich ein Auto näher kommen sieht. Der Fahrer hält und lässt ihn einsteigen, doch schon nach wenigen Minuten kriecht in Alan die Angst hoch, den Fehler seines Lebens begangen zu haben. Sein Chauffeur ist unzweifelhaft tot, offensichtlich bei einem furchtbaren Unfall ums Leben gekommen. Alan erhält Gewissheit, als sich sein Gegenüber ihm vorstellt: Es ist George Staub, der als Bote des Todes aus dem Jenseits berufen wurde, um Alan vor eine grausame Wahl zu stellen: Er soll entscheiden, wen er mit sich nehmen soll – den Studenten oder seine kranke Mutter. Alan kämpft mit sich, bis die Angst siegt und er Staub das Leben der Mutter anbietet. Staub wirft ihn aus dem Wagen und verschwindet. Alan steht wieder dort, wo die unheimliche Reise begann – am Friedhof.

Er ist fest davon überzeugt, seine Mutter nur noch tot anzutreffen, als er Stunden später das Krankenhaus seines Heimatortes erreicht. Doch Jean lebt; sie erholt sich langsam, und Alan erkennt den wahren Schrecken, den er durch seine Entscheidung heraufbeschworen hat: Staub wird seine Mutter holen – nur eben nicht sofort! Die nächsten Jahre widmet Alan der ängstlichen Sorge um Jean, aber allen Bemühungen zum Trotz steigt sie eines Tages doch in die Achterbahn des Todes …

Ein weiterer Titel des Multimedia-Phänomens Stephen King wird angezeigt – jedes Mal scheint sich bei dieser Gelegenheit über die Büchertische dieser Welt eine Sturzflut zu ergießen, die alle anderen Titel fortreißt und nur die Werke des Meisters zurücklässt. Normalerweise wirft dies keine Probleme auf; der durchschnittliche King-Roman weist allein aufgrund seiner Dickleibigkeit ein enormes Beharrungsvermögen auf.

Aber King war und ist immer für eine Überraschung gut. Dieses „Buch“ zählt gerade 95 Seiten und ist eigentlich gar keines, sondern eine Novelle (eine Literaturform, die man als Kreuzung zwischen Roman und Kurzgeschichte bezeichnen könnte). „Riding the Bullet“ – im Deutschen höchst einfallslos mit „Achterbahn“ übersetzt – kommt durch seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte zur Ehre einer separaten Veröffentlichung. King hat diese Novelle ursprünglich exklusiv für das Internet geschrieben.

„Achterbahn“ stellt also so etwas wie einen Versuchsballon dar. Das Ergebnis ist entsprechend: ein Nichts von einer Geschichte, die eine dürftige Idee inspirationsarm auswalzt. Sollte sich King über die Vermarktungsfrage hinaus überhaupt den Kopf über „Achterbahn“ zerbrochen haben, gipfelten seine Gedanken offenbar höchstens in der fatalistischen Erkenntnis, dass das Leben von einem Moment auf den anderen vorbei sein kann; und zwar unabhängig davon, was wir Menschen dafür oder dagegen tun. An sich eine ziemliche Binsenweisheit, aber dass King über dieses Thema ins Grübeln gekommen ist, lässt sich durchaus nachvollziehen. Im Sommer des Jahres 1999 ist er während eines Spaziergangs von einem betrunkenen Autofahrer überfahren und schwer verletzt worden.

Sein Novellchen hat inzwischen in der Kurzgeschichten-Sammlung „Im Kabinett des Todes“ seinen endgültigen Platz gefunden. Dort gehört es auch hin. Es zwischen eigene Bücherdeckel zu pressen, kann man nur als Geschäftemacherei im Vertrauen darauf werten, dass die Stephen-King-Gemeinde nicht an sich halten kann, sobald sie den Namen ihres Idols liest. Allerdings hält sich bei einem niedrigen Verkaufspreis der Verdruss immerhin in Grenzen.