King, Stephen – Buick, Der

Statler, eine kleine Stadt im Westen des US-Staates Pennsylvania, keine besonderen Attraktionen, einfach ein Ort, an dem Menschen zusammenleben – mal friedlich, mal auch wieder nicht. Dass zumindest auf den Straßen zwischen beiden Polen die Balance gewahrt bleibt, sichert die Pennsylvania State Police. In der kleinen Polizeikaserne von Statler residieren die Männer (und – der Fortschritt findet schließlich auch die Provinz – seit einigen Jahren einige Frauen) des Troop D. Ihr Dienst ist bei aller Routine hart und nicht ungefährlich; erst im Vorjahr hat ein betrunkener Autoraser den allseits beliebten Kollegen Curt Wilcox umgebracht.

Dessen Sohn Ned ist es, der die einzige echte Sehenswürdigkeit der Stadt entdeckt. Der junge Mann, gerade der High School entwachsen, verdient sich in der Telefonzentrale das Geld für sein Studium, als er im Schuppen B hinter der Kaserne eine erstaunliche Entdeckung macht: Dort steht gut versteckt ein fabelhaft erhaltener Oldtimer der Marke |Buick Roadmaster|, Baujahr 1958, genannt „Buick Eight“, denn acht Zylinder verleihen dem mächtigen Motor Schwung.

Theoretisch jedenfalls, denn tatsächlich ist die Maschine gar keine, wie überhaupt dieser |Buick| kein Auto ist. Statt dessen ist er eine Attrappe in Pkw-Gestalt, das rätselhafte Artefakt einer Intelligenz, die ganz sicher nicht von dieser Welt ist: Obwohl der |Buick| sich aus eigener Kraft überhaupt nicht bewegen kann, öffnet er das Tor in eine andere Dimension, wie sie fremdartiger kaum vorstellbar ist. Troop D ist 1979, vor mehr als zwei Jahrzehnten, in den Besitz des Buick gekommen. Es hatte damals nicht lange gedauert, bis die Polizisten begriffen, dass sie vom Schicksal zu Hütern dieses infernalischen Gefährts bestimmt waren: Der unglückliche Trooper Ennis Rafferty geriet noch am Abend des Fundtages in den Bann des |Buicks|, der eine eigentümliche Anziehungskraft auf Menschen ausübt – und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Seine entsetzten Kollegen beschlossen, die Tragödie zu vertuschen, und das Rätsel selbst zu lüften. Zwanzig Jahre gelingt es erfolgreich, den Wagen vor den vorgesetzten Behörden und der Öffentlichkeit zu verbergen; zwanzig Jahre, in denen besonders Curt Wilcox sich verbissen müht, hinter die Kulissen des |Buicks| zu blicken. Doch dieser bleibt ein Mysterium – ein hochgradig gefährliches dazu, denn obwohl der Buick nicht fahren kann, funktioniert er als Materietransmitter weiterhin hervorragend – und zwar in beide Richtungen! Ohne Vorwarnung sind in diesen beiden Jahrzehnten immer wieder Besucher aus der „Twilight Zone“ im Schuppen B aufgetaucht – unendlich fremde, grässlich anzusehende Kreaturen, die in der für sie giftigen Erdluft rasch zugrunde gingen, aber manchmal lange genug lebten, um ihre unfreiwilligen Gastgeber in Angst und Schrecken zu versetzen.

Das ist die Geschichte, die der faszinierte Ned zu hören bekommt. Es zeigt sich, dass der junge Wilcox von dem |Buick| genauso besessen ist wie der alte: Ned will Gewissheit erzwingen, wo sein Vater scheiterte. Mit vollem Wissen öffnet er die Schleuse zu jener anderen Welt. Darauf hat der |Buick| nur gewartet, und zum ersten Mal spielt er seine Macht voll aus. Die Folgen sind buchstäblich unglaublich …

Schon mit „Duddits – Dreamcatcher“ hatte es sich 2001 angekündigt: Nach seinem schweren Unfall 1999, vor allem aber nach Überwindung seiner langen Alkohol- und Drogenabhängigkeit findet der Schriftsteller Stephen King zu einer Form zurück, die man ihm nach den vielen enttäuschenden Werken der jüngeren Vergangenheit (unter denen das wirr-komplizierte, hohl-geschwätzige Endlos-Epos „Wizard and Glass“, 1997 – dt. „Glas“ – einen traurigen Spitzenplatz einnimmt) gar nicht mehr zugetraut hatte. „From a Buick Eight“ stellt zu „Duddits“ sogar noch einmal eine deutliche Steigerung dar.

Da ist zunächst einmal die wohltuende Kürze des Werkes. Nun sind 500 Seiten nicht gerade wenig, doch im Vergleich zu den immer umfangreicher werdenden King-Geschichten der Jahre bis ca. 2000 eben doch deutlich weniger. (Auch „Duddits“ war bei allen Qualitäten deutlich zu lang.) Nachdem endlich der Profi und Horror-Spezialist Stephen King sein Alter Ego, den Koks-König gleichen Namens, ersetzt hat, wird nun wieder deutlich, was diesen Mann so beliebt und berühmt gemacht hat: Hier ist ein Autor, der das Unheimliche nicht nur in einzelnen Szenen heraufzubeschwören weiß, sondern es in eine Gesamtgeschichte integriert, die kundig die Spannung aufbaut, meisterhaft hält und stetig intensiviert, um in einem furiosen Finale die Fetzen fliegen zu lassen. Da ist es um so erfreulicher, dass es ihm inzwischen gelingt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Überhaupt ist „Der Buick“ im Grunde ein Roman ohne Handlung – da sitzen einige Männer und Frauen und erzählen Geschichten, die sich längst ereignet haben. Und der Buick, der doch die Rolle der Chef-Monsters übernimmt, fährt aus eigener Kraft keinen Millimeter. Das ist von King ebenso boshaft wie klug ausgedacht; er nimmt dadurch vor allem auch den Kritikern den Wind aus den Segeln, die sich darüber mokieren, dass der ohnehin von ihnen gern Geschmähte „schon wieder“ ein Geisterauto ins Zentrum stellt. Dabei sind seit „Christine“ knapp zwei Jahrzehnte verstrichen; bezieht eigentlich Anne Rice soviel Prügel wie King, weil sie seit Jahr und Tag Vampirreißer am Fließband produziert? King selbst hat die (rhetorische) Frage gestellt, welcher wirklich neue Plot denn einem Schriftsteller noch einfallen könnte, der fünfzig Romane verfasst hat. Nüchtern kann er sich jedenfalls heute müheloser denn je gegen die schreibende Konkurrenz wie Dean Koontz oder James Herbert (oder ihr klägliches deutsches Surrogat Wolfgang Hohlbein) behaupten!

So begibt sich Profi King zwangsläufig auf bereits beackerte Felder. Der |Buick Roadmaster| ist eindeutig das Transportmittel eines der legendären „Männer in Schwarz“ (oder „Men in Black“ – die klamottige Variante verbreitet von Zeit zu Zeit in Gestalt des Duos Will Smith/Tommy Lee Jones im Kino Ärger und Langeweile), die als tölpelhafte Kundschafter angeblich außerirdischer Besucher untrennbar zur UFO-Hysterie ab 1950 gehören.

Macht man ihm solche „Anleihen“ nicht zum Vorwurf, bietet „Der Buick“ Spaß und Grusel für viele angenehme Lektüre-Stunden. Natürlich ist dies nicht der fein gesponnene, „psychologische“ Horror (möglichst ohne Gespenst), den die Literaturkritik ebenso wehmütig wie scheinheilig einzufordern pflegt. Der ist aber auch gar nicht Kings Metier, wie er selbst nie müde wird zu erwähnen. Trotzdem lässt sein gern zitiertes Bild vom „Hamburger mit einer großen Portion Fritten“ als Pendant zum typischen King-Roman viel Koketterie erkennen: Er weiß sehr gut, was er kann. Auch „Der Buick“ ist nicht einfach „nur“ spannend. Das Drumherum stimmt: Wieder hat King mit den Männern und Frauen des Troop D nicht nur Pappkameraden geschaffen, sondern echte Menschen, keine Helden oder Schurken, sondern Durchschnittsamerikaner, wie sie so authentisch (und sympathisch) wenigen anderen Autoren gelingen würden.

Apropos Kritik: Ja, es trifft zu, dass King (wieder) zu viel des Guten tut, wenn er seinem Publikum die aus dem Kofferraum des Buicks schlüpfenden Ungetüme in allen Details vor Augen führt. H. P. Lovecraft wurde derselbe Vorwurf gemacht. Seltsamerweise liest man seine Geschichten deshalb heute nicht wenig gern und oft. Es kommt auch hier darauf an, dass man es richtig macht – und der alte Mann aus Maine zieht noch manchen Trumpf aus dem Ärmel; die Episode mit dem im eigenen Saft kochenden Polizeihund Mr. Dillon ist in ihrer Mischung aus Tragödie, Grauen und schwarzer Komik King at his best: Volldampf im Kessel, wenn’s sein muss, und zum Teufel mit den Nörglern!