Kirsten Wulf – Vino mortale. Ein Apulien-Krimi

Tief hängen die Wolken am apulischen Abendhimmel auf dem Cover des neuen Krimis der in Genua lebenden, deutschen Journalistin und Autorin Kirsten Wulf. Die Weinreben werfen lange Schatten und der Titel „Vino mortale“ trägt das Seine dazu bei, schon vor dem Aufschlagen des Romans einen wohligen Nervenkitzel zu erzeugen. Was ist da nur wieder los im sonst so beschaulichen Süditalien zwischen Meer, Wein und Olivenbäumen?

In ihrem nunmehr dritten Apulienkrimi schickt Kirsten Wulf ihre Fotojournalistin Elena von Eschenburg, die im ersten Band „Aller Anfang ist Apulien“ (2013) wegen ihres fremdgehenden Ehemannes in einer Kurzschlussreaktion aus Hamburg zu ihrem schwulen Onkel Gigi nach Lecce flüchtet und sich dort nicht nur ein neues Leben aufbaut, sondern sich dank ihrer journalistischen Schnüffelnase auch sofort mitten in ihrem ersten Kriminalfall um illegale Einwanderer und Prostitution in Apulien befindet, auf die Spur gleich zweier Gewaltverbrechen.

Der vermeintliche Selbstmord eines Touristenführers in der Nähe des kleinen Städtchens Scansano stellt sich bei genauerem Hinsehen als Mord heraus und als Onkel Gigi nach einer Weinprobe in der Masseria von Paola De Vittorio, die mir ihren ökologisch produzierten Tropfen ein aufstrebender Stern am Weinhimmel ist, mit einem unglaublichen Kater und Gedächtnislücken ausgerechnet auf dem Sofa aufwacht, hinter dessen Kissen wenig später ein Degustationssäbel gefunden wird, mit dem in der Nacht zuvor der überhebliche, französische Weinkritiker George Lille aufgeschlitzt wurde, kann sich Elena natürlich erst recht nicht aus den Ermittlungen heraushalten. Wenig begeistert von Elenas kriminalistischen Ambitionen ist wie immer Kommissar Pantaleo Cozzoli, der aufgrund seiner führenden Rolle bei der Bekämpfung der römischen Mafia und der damit verbundenen Gefahr für Leib und Leben, ins vermeintlich ruhigere Lecce versetzt wurde: „‚Und Sie? Was tun Sie hier, Madonna mia? Mal wieder über eine Leiche gestolpert?‘, blaffte Cozzoli. ‚Sie und Gigi am Tatort – ein Dream-Team. Das kann ja heiter werden.'“ Doch zufällig handelt es sich bei Gigi auch für den Kommissar um einen guten Freund, sodass er doppelt interessiert daran ist, diesen Fall aufzuklären und Elenas Onkel zu entlasten. Der macht es ihnen jedoch nicht gerade leicht, in dem er ihnen offensichtlich Fakten verschweigt und schließlich sogar einfach verschwindet.

Die Ermittlungsspuren im fingierten Selbstmord führen zu einer Begebenheit in den 60er Jahren, die der journalistisch ambitionierte Touristenführer Marcello Lazzari ausgegraben und untersucht hatte, bevor er ermordet wurde. „Vino mortale“ – „Tödlicher Wein“ nannte er seine Untersuchung über einen niedergeschlagenen Aufstand der Weinbauern im Salento, die ihren Wein aufgrund einer Falschmeldung von verdorbenen Trauben unter den Produktionskosten in den Norden verkaufen mussten, obwohl sie ohnehin kaum von ihren Einkommen als Weinbauern leben konnten. Dieses verleumderische Vorgehen erinnert nicht von ungefähr an das Verhalten des Weinkritikers, der ganz zufällig in Frankreich auch eine Weinhandlung besitzt und selbst an den hochwertigen, prämierten Weinen der salentinischen Winzer noch etwas auszusetzen hat, was ihm nicht nur den Zorn des patriotischen Onkel Gigi eingebracht zu haben scheint. Und doch verbirgt sich hinter dieser Episode aus der Vergangenheit nur die halbe Wahrheit, wie sich herausstellt, als Cozzoli einen Anruf aus Neapel bekommt und plötzlich auch noch mitten in einer Ermittlung über illegale Mülltransporte steckt.

Somit vermischt die Autorin Kirsten Wulf auch in ihrem dritten Apulienkrimi wieder ernste Themen mit der Leichtigkeit des italienischen Dolce Vita um gutes Essen und guten Wein. Zudem wird deutlich, wie sich die Bewohner der Region Apulien bemühen, aus diesem wirtschaftlich rückständigen Teil Italiens das Beste herauszuholen, indem sie bewährte Traditionen wie die alten Weinsorten aufgreifen und sie mit modernen, biologischen Anbaumethoden in die Moderne zu überführen versuchen. Die Autorin hat offensichtlich ausführlich zum Thema Wein recherchiert. So erfährt man nicht nur viel über Anbau und Ernte und den mit Wetter und Schädlingen verbundenen Schwierigkeiten, sondern kann die beschriebenen Weine fast auf der Zunge schmecken: Kräftig, ausgewogen, voller Sonne, ausdrucksstark, frisch, mit klarem Charakter – so werden vor allem die bewährten Sorten Negroamaro und Primitivo charakterisiert und je mehr im Roman degustiert wird, desto mehr wünscht man sich als Leser eine solche Flasche Wein an seine Seite.

Stand im ersten Roman noch Elenas Familie im Vordergrund, wird dieser Handlungsstrang in „Vino mortale“ nur noch am Rande weiter verfolgt. Dafür nehmen der Kommissar und die Kriminalhandlung nun einen größeren Raum ein, was den Roman spannender als seine Vorgänger macht. Doch sorgt das ungleiche Ermittlerduo Elena-Cozzoli auch immer wieder für witzige Momente, vor allem wenn sich der Kommissar wieder darüber ärgert, dass Elena ihm, dem ausgebildeten Schnüffler, in ihrer Naivität oder durch besondere Verbindungen einen Schritt voraus ist: „‚Sie wissen ja sonst auch immer alles, zum Beispiel, wer Mario Lillo war, eh? Was sollte diese Aktion mit Ihrem Michele, Signora Elena? Sie untergraben die polizeilichen Ermittlungen. Sie hätten mich informieren müssen.‘ … ‚Wo stecken Sie überhaupt?‘, unterbrach Cozzoli sie rüde. ‚Elena, keine Extratouren, ich … !‘ … ‚Man sollte Sie einsperren, ich habe es gewusst‘, stöhnte Cozzoli.“ Ja, er hat es wahrlich nicht leicht als Ermittler, der in ein verzweigtes Beziehungsgeflecht aus professionellen Mitarbeitern, Vorgesetzten, aber eben auch Freunden, die schon fast zu einer Familie geworden sind, eingebunden ist.

Im Gedächtnis des Lesers bleiben auch kurz, aber prägnant gezeichnete Nebenfiguren zurück wie die der Pathologin Mathilde, die zwar nur wenige Auftritte hat, aber als taffe, unabhängige und in ihrer Beziehung zu Cozzoli auch als anziehende Frau charakterisiert wird, so dass man zu hoffen beginnt, dass das Privatleben des Commissario nach dem tragischen Tod seiner Frau vielleicht doch noch einmal in glücklichere Bahnen gelenkt wird. Besonders hervor tritt auch der alte Signore Bocca, der unsympathischer kaum sein könnte, aber gerade dadurch aus der Fülle von Nebenfiguren und Verdächtigen heraussticht.

„Vino mortale“ ist also angefangen bei den mit eleganter, sprachlicher Leichtigkeit präsentierten, ernsten Themen, über die handwerkliche Konstruktion der Kriminalfälle und deren Auflösung, bis hin zur Figurenzeichnung ein rundum gelungener Roman, der mit seinem Cliffhanger am Ende sofort Lust darauf macht, eine Fortsetzung zu lesen. Die perfekte Urlaubslektüre, aber auch im Alltag ein Lesegenuss.

Taschenbuch
368 Seiten
ISBN: 978-3462047660

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