Kjell Ola Dahl – Sommernachtstod

Solider Oslo-Krimi alter Schule

In einer hellen Sommernacht geschieht am Oslofjord ein grausamer Mord. Eine Frauenleiche wird nackt im Straßengraben gefunden. Der kauzige Kommissar Gunnarstranda und sein gutmütiger Kollege Frølich stehen vor mehr als einem Rätsel. Die Verdächtigen sind zahlreich und die Beweislage schwach. Als plötzlich ein weiterer Mord geschieht, ist Eile geboten… (Amazon.de)

Der Autor

Kjell Ola Dahl, 1958 in Norwegen geboren, hat mit seinen beiden Romanen „Sommernachtstod“ (dt. 2002) und „Schaufenstermord“ (dt. 2003, beide bei Lübbe) die deutschen Krimifans begeistert. Der ehemalige Gymnasiallehrer für Ökonomie und jetzige Halbtags-Landwirt in der Gegend von Gunnarstranda lässt in „Lügenmeer“ (2004) zum dritten Mal das einmalige Ermittlerduo Gunnarstranda und Frølich auf Verbrecherjagd gehen.

1) Tödliche Investitionen
2) Sommernachtstod
3) Schaufenstermord
4) Lügenmeer
5) Knochengrab
6) Ein letzter Schatten von Zweifel
7) Schwarzes Gold
8) Blutfeinde

Handlung

Kriminalhauptkommissar Gunnarstranda möchte eigentlich am Sonntag nie angerufen werden. Er will nur mit seinem Goldfisch Kalfatrus sprechen und seinen Raucherhusten pflegen. Daraus wird leider nichts: Eine Frauenleiche ist gefunden worden. Er muss mit seinem Kollegen Frank Frölich zum Tatort, draußen in der Pampa vor den Toren Oslos.

Katrine Brattrud war zu Lebzeiten Angestellte in einem Reisebüro, das Elise Hermansen gehört. Katrine war gerade aus einer Drogen-Reha im Kollektiv Vinterhagen entlassen worden, deshalb gab es in der Nacht vor ihrem Tod eine Feier bei den beiden Leitern der Institution, Annabeth As und Björn Gerhardsen. Soviel können die beiden Kriminaler aus den verschiedenen Zeugenaussagen rekonstruieren. Aber warum wurde es Katrine auf der Feier schlecht, wer brachte sie nach Hause und wer kommt alles als Täter infrage? Katrine wurde brutal erdrosselt und in den Straßengraben geworden. Der Mörder hatte offenbar keinerlei Skrupel.

Der letzte Kontakt?

Frölich stellt die Ohren auf, als Henning Kramer, ein Zivildienstleistender im Kollektiv Vinterhagen, mit der Information herausrückt, er habe Katrine nach der Feier, bei der sie kotzen musste, abgeholt und sei mit ihr in die Innenstadt gefahren, um Hamburger zu essen. Katrine sei irgendwie völlig aufgedreht gewesen und habe ein Geheimnis verborgen. Draußen an der Küste hatten sie im Cabrio seines Bruders Sex miteinander, aber wenig Stunden später fuhr er sie fast bis nach Holmlia, wo sie mit ihrem Freund Ole wohnte. Tja, und diese Information macht den braven Henning höchst verdächtig. Natürlich nicht für eine vertuschte Vergewaltigung, denn Katrine hatte ja einvernehmlichen Sex mit ihm gehabt. Aber es könnte ja noch andere Gründe geben, meint Gunnarstranda.

Vergangenheit

Eine Spur führt zurück in Katrines Vergangenheit als drogenabhängige Prostituierte. Ein brutal aussehender Mann mit Narbe war ins Reisebüro von Elise Hermansen eingedrungen und hatte Katrine bedroht, sie solle gefälligst tun, was er ihr sage. Dann war er wieder abgezogen. Katrine sagte Elise, er heiße Raymond. Dieser Raymond Skau lässt sich nur mit Mühe auftreiben, und als man ihn endlich hat, hat er ein wasserdichtes Alibi vorzuweisen: Er saß zur Tatzeit in U-Haft.

Neustart

Als eine zweite Leiche entdeckt wird, gehen Gunnarstranda nicht nur der Hauptverdächtige verloren, sondern auch eine große Menge jener Tätertheorien, die er gerade vor Staatsanwalt Fristad ausgebreitet hat. Aber muss er wirklich wieder von vorne anfangen? Die Tote hilft ihm weiter bzw. deren Mutter: Katrine war adoptiert und hatte an ihrem letzten Tag auf Erden entdeckt, wer ihre leibliche Mutter gewesen war – ein berühmtes Mordopfer nämlich…

Mein Eindruck

„Sommernachtstod“ ist ein Oslo-Krimi alter Schule. Kein Handy trillert nervtötend, keine Whatsapp wartet darauf abgerufen und beantwortet zu werden, selbst die Berichte von der Forensik, pardon: „Pathologie“ dauern ewig und werden natürlich auf Papier geliefert. Kaum zu glauben, dass der Roman im Jahr 2000 veröffentlicht wurde.

Deshalb gehen Frölich und Gunnarstranda auch schulbuchmäßig vor. Ganz gemächlich knöpfen sie sich einen nach dem anderen vor, besonders die Leute in Vinterberg und auf der Feier. Das ergibt eine Schar bunter Vögel, die alle einander widersprechen. Nach dem ersten, etwas enttäuschenden Resümee, das er Fristad darlegt, muss Gunnarstranda schon wieder umdisponieren: Sein Hauptverdächtiger ist den Weg allen Fleisches gegangen. Zu blöd auch.

Nun heißt es, eine Schicht tiefer zu buddeln: Nun sind die Mütter an der Reihe. Mehr Erkenntnisse, mehr Widersprüche. Darauf erstmal einen Klaren in Gunnarstrandas Datscha! Dann ist da noch das Rätsel von Katrines verschwundenem Schmuck. Sie hatte viel Schmuck (siehe den O-Titel), doch nun taucht er am falschen Ort auf. Warum logiert in Raymond Skaus Wohnung eine Minderjährige und kocht ihm Essen?

Schließlich der Hammer: Katrines leibliche Mutter vor über einem Dutzend Jahren ein bekanntes Mordopfer – ein Fall, der nie aufgeklärt wurde. Da wird den beiden Ermittlern allmählich klar, dass ihnen die Zeit davonläuft und ihr Hauptzeuge in Lebensgefahr schwebt…

Die Übersetzung

Ich freute mich über weite Strecken über die gelungene Übersetzung. Die Sprache ist verständlich, die Sätze klar formuliert. Nur in der Mitte des Buches wirkt dieser brave Stil ein wenig einschläfernd.

S. 342: „Torpedo“: Gemeint ist nicht das gleichnamige Kampfmittel der Kriegsmarine, sondern ein Knochenbrecher, den eine Verbrecherorganisation schickt, um Forderungen durchzusetzen. Es gibt sogar einen norwegischen Krimi mit dem Titel „Torpedo“.

S. 379: „Gunnarstranda sah einen älteren Mann mit grauem Sixpence…“. Benannt nach der 1980 abgeschafften englischen Münze scheint es sich um einen billigen Anzug oder dergleichen zu handeln. Ob heutige Leser dies noch kennen, wage ich zu bezweifeln.

S. 391: „Was sollen wir tun, wenn uns die Repliken ausgehen?“ Gemeint sind nicht Nachbildungen, sondern Erwiderungen.

Unterm Strich

Diese Mordermittlung, die unversehens zu einer zweifachen wird, entwickelt sich ganz sachte und folgerichtig, so dass der Leser gut beraten ist, allen Aussagen und Ereignissen seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Besonders die realistischen Charakterbeschreibungen fand ich überzeugend. Ich konnte mir die beiden grundverschiedenen Ermittler ebenso gut vorstellen wie den idealistischen Henning und die ausgeflippte Katrine.

Und als dann die aristokratische Gönnerin des Instituts sich von herab über Gunnarstranda, diesen minderbemittelten Proleten, lustig macht, ist das große Komödie. Denn nicht sie, sondern er hat das letzte Lachen. Der Humor ist meist staubtrocken und tritt selten so auf, dass er mit dem Finger auf sich zeigt. Der Leser muss den typisch norwegischen Humor zwischen den Zeilen suchen, etwa dann, wenn eine der Figuren unvermittelt Englisch spricht. So melancholisch, wie ihn eine Amazon-Leserin beschreibt, ist der Roman dann gar nicht mehr. Und Erotik findet man auch, wenn man danach sucht.

Kardinalfrage

Warum wurde es Katrine Brattrud auf der Party schlecht? Es ist eine entscheidende Kardinalfrage, weshalb es sich für die Ermittler lohnt, darüber nachzugrübeln. Für mich war immer klar, dass sie nicht nur Abscheu vor einem ihrer früheren Freier empfand, der sich auf der Party erneut an sie heranmachte, sondern auch, dass sie schwanger war. Dieser naheliegende Verdacht wird indes an keiner einzigen Stelle im Buch zur Sprache gebracht – und auch nicht vom Pathologiebericht bestätigt. Das finde ich schon etwas nachlässig seitens des Autors.

Erbitte Modernisierung

Die grundsolide Übersetzung durch Kerstin Hartmann-Butt hat mittlerweile rund 16 Jahre auf dem Buckel und nähert sich langsam, aber sicher der Unverständlichkeit. Eine Überarbeitung für die aktuelle Generation der Krimileser wäre dringend anzuraten, oder was soll man sich heute unter „Sixpence“, „Torpedo“ und „Repliken“ vorstellen?

Hardcover: 475 Seiten
Originaltitel: En liten gyllen ring, 2000.
aus dem Norwegischen von Kerstin Hartmann-Butt.
ISBN-13: 4026411109275

www.weltbild.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)