Klein, Edward – Geheimnis der Kennedys, Das

„Dieses Buch ist eine Kriminalgeschichte. Es untersucht eines der großen Mysterien unserer Zeit – den Kennedy-Fluch. Es beschäftigt sich mit den Mustern, die dem Fluch zugrunde liegen und ihn bestimmen, und untersucht die zahlreichen Einflüsse – historische, psychologische und genetische -, die den Charakter der Kennedys geformt und zu ihrem selbstzerstörerischen Verhalten geführt haben.“ (S. 37)

Ob Verfasser Klein diesem hehren Ziel genügen kann, dazu äußert sich Ihr Rezensent weiter unten. An dieser Stelle sei vermerkt, dass er es in vier Buchteilen am Beispiel von insgesamt sieben Kennedys versucht. Um die Leser sogleich an den Kanthaken zu nehmen, beginnt Klein das Pferd am Schwanz aufzuzäumen und erzählt die dramatische, noch recht frische Geschichte vom tragischen Ende des John Fitzgerald Kennedy jr., der im Sommer 1999 samt Glamourgattin Carolyn mit seinem Kleinflugzeug ins Meer stürzte.

Eigentlich ist es nur die halbe Geschichte, denn Klein greift sie im Finale seines Buches, wenn das Risiko der Leserflucht gering geworden ist, noch einmal auf. Diese Zweiteilung soll gewährleisten, dass sich sein Publikum pflichttreu durch jene Kapitel arbeitet, in denen von weniger bekannten Kennedys die Rede ist. Klug nachgedacht, denn die Tatsache, dass Patrick Kennedy (1823-1858) der angebliche Auslöser des Familienfluches ist, lässt ihn nicht zwangsläufig interessanter wirken.

Wobei besagter „Fluch“ nach Ansicht Kleins eine Mischung aus Minderwertigkeitsgefühlen – entstanden durch die Erfahrungen einer an Entbehrungen und Zurückweisungen reichen, aber ansonsten bitterarmen irischen Auswandererfamilie -, Narzissmus und emotionaler Kälte ist, die in dem Slogan „Siegen um jeden Preis“ kulminierte. Dies ist nach Klein die Quelle des Musters, das noch heute so vielen Kennedys Kopf & Kragen kostet.

Auch die Ära des Politik-Hallodris John Francis „Honey Fitz“ Fitzgerald (1863-1950) dient Klein vor allem als Beleg dafür, dass die Kennedys, wie sie die Medien und die Öffentlichkeit zu schätzen wissen, sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits verflucht sind. Weiter geht es mit Joseph Patrick Kennedy (1888-1969), dem krankhaft ehrgeizigen, eiskalten Patriarchen, Alkoholschmuggler und Politgangster, den man – in Tateinheit mit seiner frömmelnden Gattin Rose (1890-1995) – objektiv wohl als eigentlichen Familienfluch bezeichnen müsste. Weniger bekannt ist die Geschichte von Kathleen „Kick“ Kennedy (1920-1948), die es bis zur englischen Marquise schaffte und einem Flugzeugabsturz zum Opfer fiel.

Auf vertrautem Terrain bewegt sich Klein im Kapitel „John F. Kennedy“. Im Blickpunkt seiner „Kriminalgeschichte“ stehen weniger die politische Leistung des US-Präsidenten (1917-1963), sondern sein ausschweifendes Sexleben, seine vertuschten Gesundheitsprobleme sowie sein historisches Ende. Am Beispiel des William Kennedy Smith (geb. 1960) zelebriert der Verfasser beispielhaft seine „Götterdämmerung“ des Kennedy-Clans, bevor er noch einmal zu J.-F. K. jr. zurückkehrt. Für jene, die noch immer nicht begriffen haben, folgt ein Epilog: „Der Fall des Hauses Kennedy“.

Was ist nun davon zu halten? Die Kennedys führen ein aktives Leben unter den Augen einer allzeit interessierten Öffentlichkeit. Außerdem vermehren sie sich wie die Karnickel. Ob es da wohl einen Zusammenhang mit den zahlreichen Schicksalsschlägen gibt, welche diese Familie in anderthalb Jahrhunderten trafen? Oder anders gefragt: Wenn man die Opfer ebenso kopfstarker, aber eben nicht berühmter Familien addiert, wäre das Ergebnis nicht ähnlich erschreckend? Natürlich fehlt hier der Kennedy-Glamour; die Normalsterblichen des 19. und 20. Jahrhundert starben unbemerkt und nur von den Ihren betrauert. Gibt ein Kennedy den Löffel ab, steht dagegen die Presse Spalier – so ist das schon seit vielen Jahrzehnten.

Nicht nur die Kennedys selbst, sondern viele von denen, welche sie aus unerfindlichen Gründen bewundern und auch an ihren privaten Geschicken Anteil nehmen, scheinen der Auffassung zu sein, dass nur böse Mächte aus dem Jenseits die göttergleichen Titanen dieses Clans fällen können. Ein „Fluch“ muss her, der die Story gleich wesentlich interessanter macht. Notfalls konstruiert man ihn halt selbst: „Keine zehn Jahre nach der Emigration aus Irland stirbt Patrick Kennedy … am 22. November [1858] an der Schwindsucht. Die Todesursache ist im neunzehnten Jahrhundert nicht ungewöhnlich, das Datum aber scheint manchen bedeutsam: Auf den Tag genau 105 Jahre vor dem Attentat auf John F. Kennedy.“ – S. 39. Klar, dass mit „manchen“ vor allem Edward Klein gemeint ist …

Womit wir die Urheber dieser Mär schon identifiziert haben: Die Kennedys sind und waren Medienmenschen. Über sie lassen sich Schlagzeilen füllen, hohe Auflagen und Zuschauerzahlen erzielen. Gleichzeitig scheinen menschliche Unzulänglichkeiten wie Wahlbetrug, Ehebruch oder Alkoholismus viel dramatischer zu sein, wenn sie jene zelebrieren, die doch angeblich unsere Vorbilder sein sollen. Bloß: Wer hat sie eigentlich dazu ernannt?

Auch Edward Klein scheint nicht fassen zu können, wieso sich die Kennedys so benehmen, wie sie sich benehmen. Vielleicht hat er allzu lange die Gnade genossen, bei Jacqueline Kennedy Onassis selig auf der Sofakante sitzen und den Erzählungen einer alternden, einsamen Frau lauschen zu dürfen. Die nötige Distanz zum Objekt seiner „historischen Forschungen“ lässt er jedenfalls jederzeit vermissen. Das mag wundern angesichts der „Skandale“, die er in diesem Buch gleich in Serie präsentiert. Der Blick ins Literaturverzeichnis belegt indes, dass Klein quasi ausschließlich auf längst publiziertes Material zurückgegriffen hat: Seine Zeter-Chronik ist zusammengeschrieben aus dem, was andere zu Tage brachten. Auf seinem angeblichen Schatz in Jahrzehnten angehäuften Insiderwissens bleibt Klein jedenfalls weiterhin eifersüchtig hocken. Ausgesprochen selten zitiert er aus eigenen Quellen (dies zudem – auf Wunsch des jeweiligen Informanten – stets anonym …)

Das rächt sich, wenn das Wissen aus erster und zweiter Hand zu versiegen beginnt. Für Klein ist spätestens das 19. Jahrhundert eine Informationswüste. Leider rührten sich die ersten Kennedys im Irland der 1850er Jahre. Aus dem Nachwort geht auch hervor, dass Klein vor Ort gewesen ist. Was hat er dort gemacht? In den Archiven hat er sich wohl nicht lange aufgehalten. Stattdessen zieht er einige allgemeine Geschichtsbücher zu Rate. Ein Bericht über den Emigrantenhafen Liverpool wird von Klein kurzerhand als historische Kulisse umgearbeitet, in die er „seine“ Kennedys setzt und sie wie in einem (schlechten) Historienroman reden und denken lässt. Dass keinerlei gesicherten Belege dies stützen, stört ihn überhaupt nicht.

Halbwissen, Insiderklatsch, für den eigenen Gebrauch aus dem historischen Zusammenhang gepickte Fakten bilden das Fundament, auf dem Klein sein faktenwackliges Kennedy-Monument errichtet. Viel Zeit – z. B. für echte Recherchen – darf er sich ohnehin nicht lassen, denn der Buchmarkt drängt ihn schon wieder (s. u.) zur nächsten Skandalchronik. Für den Leser muss deshalb das Fazit lauten, Zeit & Geld zu sparen. „Das Geheimnis der Kennedys“ ist als historisches Sachbuch indiskutabel und als Gossentrash einfach nicht unterhaltsam genug.

Aber Amerika ist halt ein seltsames Land … Edward Klein gilt dort keineswegs als Klatschmaulwurf, sondern genießt den Ruf eines seriösen Autors und Herausgebers. Tatsächlich liest sich sein journalistischer Lebenslauf eindrucksvoll. U. a. war Klein von 1977 bis 1988 Chefherausgeber des ganz und gar nicht unbekannten „New York Times Magazine“. In dieser Zeit gewann es den ersten Pulitzer-Preis in seiner Geschichte. 1989 ging Klein zu „Vanity Fair“. Hier wurde er bekannt für seine Artikel über Jacqueline Kennedy Onassis und Onassis-Enkelin Athina Onassis Roussel. Darüber hinaus schrieb Klein für viele andere Zeitschriften und Zeitungen, wobei er sich auf Interviews mit Persönlichkeiten der politischen Zeitgeschichte spezialisierte.

Der Buchautor Klein nutzt sein fein gesponnenes Netz prominenter Kontakte als Verfasser biografieähnlicher Sachbücher, die sich meist diverser Tragödien und Skandale als Aufhänger bedienen. Jackie Kennedy Onassis wurde als ertragreiche Gossip-Mine gleich mehrfach ausgebeutet, so in „Just Jackie: Her Private Years“, „All Too Human: The Love Story of Jack and Jackie Kennedy“ (dt. „Jack & Jackie. Das Kennedy-Traumpaar im Zentrum der Macht“) und – Peinlichkeit und Geschäftssinn kennen keine Grenzen – „Farewell Jackie. A Portrait of Her Final Days“. Nachdem Jackie nunmehr auf Wolke Sieben Hof hält, hat Klein in „The Kennedy Curse“ die letzten Notizbucheinträge verbraten und sich anschließend neuen saftigen Wiesen zugewandt. 2005 verfasste er nach bekanntem Muster „The Truth About Hillary“, dessen Vorverkauf durch die vorab verkündete „Topinfo“ angekurbelt wurde, Ex-Präsident Bill Clinton habe seine Tochter Chelsea durch Vergewaltigung der Gattin gezeugt …