Koontz, Dean – Phantom – »Unheil über der Stadt«

Snowfield, ein Städtchen hoch in den Bergen des US-Staates Kalifornien, der nicht nur aus verbrannter Wüste und Hollywood besteht, sondern auch des Winters touristisch einiges zu bieten hat. Folgerichtig herrscht in Snowfield in der zweiten Jahreshälfte Hochbetrieb, und der kleinen Schar emsig im Fremdenverkehr tätiger Einheimischer steht eine zehnfache Übermacht vergnügungssüchtiger Urlauber gegenüber.

Noch herrscht jedoch die Ruhe vor dem Sturm an diesem schönen Spätsommertag, den die Ärztin Jennifer Paige für die Rückkehr nach Snowfield gewählt hat. Nach dem Tod der Mutter hat sie beschlossen, ihre erst vierzehnjährige Schwester Lisa zu sich zu nehmen. Der Empfang könnte allerdings schlechter gar nicht sein: Die Straßen des Ortes sind wie ausgestorben, und dann entdeckt Lisa in der Küche des schwesterlichen Hauses die Leiche der Haushälterin, die dort vor ganz kurzer Zeit unter mysteriösen, sichtlich unerfreulichen Umständen ihr Leben verloren haben muss.

Der Sheriff muss her – oder müsste, denn außerhalb der Saison hält nur Deputy Paul Henderson, gerade 24 Jahre alt geworden, die Stellung in Snowfield. Aber auf seine Hilfe kann ohnehin nicht gerechnet werden, denn die Paige-Schwestern finden auch ihn tot in der Polizeistation. Stichprobenartige Exkursionen in die Häuser der Stadt führen entweder in verlassene Räume – oder zu weiteren Leichen, die zum Teil grausam verstümmelt wurden. Außerdem mehrt sich für Jennifer und Lisa der Verdacht, aus den Schatten beobachtet zu werden.

Hilfe von außen wird gerufen. Aus Santa Mira, dem nicht weit entfernten Sitz der County-Verwaltung, macht sich Sheriff Bryce Hammond mit fünf erfahrenen Deputies auf den Weg nach Snowfield. Als sie dort ankommen, lässt der unsichtbare Gegner die Deckung allmählich fallen – und beginnt die Neuankömmlinge brutal zu verfolgen. Während sich die Reihen lichten, igelt man sich ein und hofft auf Rettung und Aufklärung durch General Galen Copperfield und die örtliche Zivilschutzeinheit, der Sheriff Hammond mehr Kompetenz zutraut als der eifrigen, aber schlecht ausgebildeten Nationalgarde. Eine Spur hat man inzwischen auch entdeckt: eine mysteriöse Nachricht, die da lautet |“Timothy Flyte. Der Alte Feind“|.

Ahnungslos fragt sich eben dieser Timothy Flyte im weit entfernten London gerade, ob er wohl endlich wieder auf die Gewinnerseite des Lebens überwechseln kann. Vor Jahren hat er seine akademische Karriere und seinen Professorentitel verspielt, als er mit seiner gewagten Theorie an die Öffentlichkeit trat, die Menschheit sei weder die einzige noch die erste Intelligenz auf dieser Erde. Seit Urzeiten müsse sie sich den Planeten mit einer Art protoplasmatischer Riesenamöbe ausgesprochen fremd- und bösartigen Charakters teilen, die jedes Lebewesen perfekt zu imitieren weiß, sobald sie es absorbiert und dabei seinen Intellekt und seine Fähigkeiten übernommen hat. In regelmäßigen Zyklen falle dieser quasi unsterbliche „Alte Feind“ über die meist ahnungslosen Menschen her und mäste sich an ihren, bevor er sich wieder in eine Art Winterschlaf zurückzöge, bis man ihn vergäße – so Professor Flytes These. Ihm wird bald die Chance geboten, sie in der Realität zu überprüfen, denn die Presse bekommt Wind von seiner Existenz und lässt ihn kurzerhand nach Snowfield einfliegen, wo ihn auch die Behörden gespannt erwarten. Im inzwischen großräumig abgeriegelten Ort beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Rollenverteilung wechselt, denn der Alte Feind schlägt zwar gern aus dem Hinterhalt zu, aber er wird mächtiger und verliert bald seine Scheu vor einer offenen Konfrontation – und er liebt es, wenn Todesangst seine menschliche Beute würzt, bevor er sie sich schnappt …

Der typische Koontz-Bestseller besonders der letzten Jahre ist eine vielhundertseitige Verfolgungsjagd, hinter der eine notdürftig zusammengezimmerte Allerweltsstory und grob geschnitztes Schablonen-Personal zum Vorschein kommen, sobald die Handlung einmal zur Ruhe kommt. Rau und irgendwie unfertig wirken diese Romane, als habe sie ihr Verfasser noch im Entwurfsstadium auf den Buchmarkt geworfen: Wieso sich unnötige Arbeit mit einer Überarbeitung machen, wo doch die Verkaufszahlen stimmen, mag sich Koontz sagen, während er sich dem nächsten Werk zuwendet; möglicherweise spielt auch die Ungeduld des Workaholics, der in schlampiger Hast mindestens zwei voluminöse Neutitel pro Jahr produziert, wie man es wohl nennen muss, eine gewichtige Rolle.

Der Ärger des erfahrenen Lesers wird um so größer, als er weiß, dass Koontz viel mehr zu Stande bringt, wenn er gut aufgelegt ist bzw. sich Zeit nimmt, seine Geschichte zu erzählen. „Watchers“ (1987, dt. „Brandzeichen“) war so ein Titel, und auch „Phantom“ gehört dazu. Die Geschichte ist sauber konstruiert, wird spannend und trügerisch einfach erzählt und besticht durch eine kunstvoll geschürte, lange am Leben erhaltene Atmosphäre stetiger Bedrohung. Hier treibt Koontz das Konzept des Monsters, das am intensivsten dort wirkt, wo es sich der Leser im Hinterkopf selbst zusammenbauen muss, fast schon auf die Spitze, aber er kommt durch damit!

1983 war H. P. Lovecrafts |Cthulhu|-Saga dem Mainstream-Publikum weiterhin unbekannt, und Stephen Kings Brachial-Epos „It“ (1986; dt. „Es“) lag noch in der Zukunft. So konnte Koontz mit dem „Alten Feind“ praktisch Neuland betreten und die Galerie der literarischen Ungeheuer (Frankenstein-Monster, Vampir, Werwolf, Mumie etc.) mit ihrem vielleicht letzten Archetypus bereichern: dem urzeitlichen Gestaltwandler – ein Zwischending aus Außerirdischem und Mutanten, wie es schon wenig später die Gen-Labore des Z-Films (u. a. daran zu erkennen, dass Lance Henrikson oder Doof Lundgren mitspielen) zu Hunderten ausspeien würden. Diese Chance hat er gut genutzt!

„Phantoms“, der Film von 1998, prunkt mit einem Drehbuch von Koontz persönlich und einer ebenso hochkarätigen wie interessanten Besetzung, die aktuelle Jungstars (Ben Affleck, Rose McGowan) und Hollywood-Altstars ohne abgesicherten Rentenanspruch (Peter O’Toole) vor der Kamera vereint. Die Regie von Horror-Routinier Joe Chappelle („Halloween“ 5 u. 6) ist handwerklich sauber, die Effekte sind sorgfältig (und zum Teil überraschend deftig) in Szene gesetzt, aber der Gruselspaß bleibt trotzdem aus, weil der Zuschauer jedes Bild, jede Figur, jeden Dialog schon aus tausend anderen mittelmäßigen Phantastik-Streifen zur Genüge kennt. Fatal ist zudem die formale Nähe zu den TV-Miniserien, die um die Romane des angeblichen Koontz-Konkurrenten Stephen King gesponnen werden. Statt eigene Wege zu gehen, folgte man dem bewährten, aber wenig aufregenden Muster.

Koontz ist da nicht von Schuld frei zu sprechen, denn gar zu offensichtlich treten im Film die Sünden zu Tage, die auch das Buch kennzeichnen. Die Figuren werden weniger eingeführt und entwickelt, sondern in ihre literarische Welt geworfen, wo sie primär vor dem Phantom fliehen und sich verstecken müssen. Sobald sie zur Ruhe kommen, wird es heikel, denn wirklich echt wirken sie nicht. Gänzlich misslungen ist Koontz zum Beispiel die Figur der jungen Lisa Paige. Sie verhält sich wenig kindgerecht ihrer mehr als doppelt so alten Schwester absolut ebenbürtig, redet auch so und hält sich im Übrigen wie ihre Mitstreiter strikt an das Klischeemuster, das für die Bewohner von Monstern belagerter amerikanischer Kleinstädte obligatorisch zu sein scheint und sie zuverlässig dorthin neugierig ihre Nase stecken lässt, wo es dunkel ist und garantiert das Böse lauert.

Rätselhaft bleibt die Klärung der Neuausgabe von „Phantoms“. Dean Koontz hat die Aktualisierung seiner alten Romane (die sich auf diese Weise ein weiteres Mal gut vermarkten lassen) fast zu einem Markenzeichen erhoben. Mit dieser Praxis bewegt er sich im Einklang mit dem Zeitgeist, für den die Grenzen zwischen Original, Urversion, Neufassung oder Remake eines Werkes sich immer rascher auflösen. Was noch irgendwie verständlich ist, wenn zum Beispiel zwischen „Prison of Ice“ von 1976 und dem Relaunch „Icebound“ von 1995 (dt. „Eisberg“) die bösen Sowjet-Kommunisten als von der Geschichte inzwischen aus dem Rennen geworfene Bösewichter weichen mussten, bleibt hier unklar: Stichproben machen deutlich, dass es zwischen „Unheil über der Stadt“ von 1983 und „Phantom“ von 1998 so gut wie keine Unterschiede gibt.

Was hat Koontz hier also „bearbeitet“? Hier und da hat er die Geldausgaben seiner Protagonisten der Inflation angepasst, die Rechenleistung der eingesetzten Computer-Software oder den Gentechno-Bubble auf den neuesten Stand gebracht. Aber einschneidende Veränderungen sind unterblieben, was sein Werk weiterhin recht anachronistisch wirken lässt – was ist von einer Geschichte zu halten, die jetzt angeblich auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert spielt, in der aber an keiner Stelle ein Handy auftaucht? Kein Wunder, denn in diesem Fall müsste die Phantomjagd ganz anders aussehen!

Genauso seltsam ist das Mysterium der doppelten Übersetzung. Während 1986 Wolfgang Crass „Phantoms“ ins Deutsche übertrug (und dabei gute Arbeit leistete), löste ihn nun Ulrike Laszlo ab. Angeblich stützte sie sich auf Koontz‘ Neufassung, doch auch hier stellt sich bei der Nachprüfung heraus, dass die neue Übersetzung der alten praktisch Wort für Wort folgt! Auch Kürzungen oder Auslassungen lassen sich im alten Text nicht feststellen.

Dean Koontz besitzt eine offizielle Website, die – wie es einem Erfolgsautor seines Kalibers zukommt – von seinem Hausverlag opulent gestaltet und mit Inhalten (und Werbung) bestückt wird: http://www.randomhouse.com/features/koontz. In Deutschland erweist das Publikum dem Meister seine Referenz; hier ist die wohl beste (wenn auch nicht unbedingt g u t e …) Seite wohl http://www.deankoontz.de.