Harley Jane Kozak – Meine erste Leiche

Frauenkrimi zwischen Hollywood und Santa Monica

Mary Wollstonecraft Shelley, kurz Wollie genannt, hat ein überzogenes Konto, tolle Beine und den aufreibendsten Nebenjob aller Zeiten: Als Versuchskaninchen muss sie 40 Männer in 60 Tagen daten. Doch dann stolpert Wollie über ihre erste Leiche. Und Minuten später über den Mann ihres Lebens. Der der Mörder ist. Oder doch nicht? Wollie beschließt, den Fall selbst zu lösen. Schon bald fühlt sie sich verfolgt … Kurz gesagt: Frauenkrimi meets Screwball-Comedy.

Die Autorin

Harley Jane Kozak war Schauspielerin, bevor sie mit „Meine erste Leiche“ in den USA einen Bestseller landete. Mit der Mischung aus Crime und Comedy erntete sie euphorische Kritiken. In den USA wurde Wollie Shelley zur Kult-Detektivin und jeder wollte mehr aus ihrem turbulenten Leben erfahren. Mittlerweile ist der zweite Wollie-Roman unter dem Titel „Dating is Murder“ erschienen.

Handlung

Hauptberuflich arbeitet die blonde Mary Wollstonecraft Shelley, kurz Wollie genannt, als Verkäuferin in einem Andenkenladen in L.A. Das ist kein sonderlich aufregender Job, sollte man meinen, aber man kann sich täuschen. Da der Laden einer Kette gehört, gibt es eine geheime Überwachung, ob die Geschäftsführung auch alle Vorgaben der Zentrale beachtet. Und Wollie will ihre Lizenz keinesfalls verlieren. Ihre Freundin Joey steht ihr bei, denn Wollie ist immer noch ledig.

Ein wenig mehr Stress macht ihr der Nebenberuf. Im Rahmen einer Verhaltensstudie für das Buchprojekt „Nie wieder verlassen werden“ von Dr. Cookie Lavehn stellt sie sich als Testperson zur Verfügung. Ihre Aufgabe besteht darin, in sechzig Tagen vierzig Männer zu daten. Abgesehen von der 5000-Dollar-Bezahlung und den schicken Klamotten eines Sponsors hofft sie natürlich auch, bei dieser Gelegenheit ihren unbemannten Notstand in Gestalt von Mr. Right zu beenden. Das stellt sich allerdings als schwieriger heraus als gedacht.

Das Schicksal schlägt zu, als sie wieder mal eine lästige Labertasche losgeworden ist und zu ihrem schizophrenen Bruder P.B. in die psychiatrische Klinik fährt. Es ist schon Nacht und sie steuert ihren braven Käfer sehr vorsichtig. Deshalb gelingt es ihr auch problemlos, dem toten Mann, der in der Auffahrt zur Klinik liegt, auszuweichen. Sollten Leichen nicht vielmehr IM Krankenhaus liegen als DAVOR?

Wollie geht Ärger aus dem Weg und besucht ihren Bruder. Aber leider wird sie auf dem Weg nach draußen von einem netten Mann gekidnappt, der sich ihres Gefährts bedienen möchte, um zwei finsteren Typen zu entkommen, die ihn im Visier haben. Dieser Bursche nennt sich „Doc“ und hat ein Frettchen dabei, das auf den schönen Namen Margaret hört. Irgendwie fühlt sich Wollie genötigt, ihm zu helfen. Er ist genau ihr Typ.

Sie ist viel zu herzensgut, um ihm nicht auch noch ihren VW Rabbit zu leihen, mit dessen Hilfe er seinen Verfolgern entwischen kann. Obendrein nimmt sie sogar noch Margaret in ihre Obhut. Dann besorgt er sich mit ihr noch einen geklauten Anzug aus einer Trockenreinigung, und ab geht’s. Über die Leiche auf der Straße beruhigt er sie – er habe damit rein gar nichts zu tun. Sprach’s und verschwand. Ob sie ihm wirklich glauben soll? Immerhin meldet er sich bald wieder per Telefon.

Am nächsten Morgen liest Wollie in der Zeitung von einem geplatzten Gerichtsprozess gegen die Mafia. Die Richterin hat die Kronzeugenregelung für ungültig erklärt. Das findet nicht nur Wollie sehr seltsam. Aber es ist ja schließlich ein seltsames Land. Wesentlich beunruhigender findet Wollie den sechzigjährigen Kunden, der vorgibt, ein „Regierungsbeamter“ zu sein, sich Carmine nennt und sie nach ihrem verschwundenen Rabbit fragt. Außerdem solle sie ihrem „Freund“ bestellen, dass es mächtig Ärger geben würde, sollte er sich an einer gewissen „Ware“ vergreifen. Öha, hat ihr Mr. Right womöglich etwas mit Drogen zu tun?

Wollie beschließt, endlich einmal Licht in die Angelegenheit zu bringen. Es wird ein langer, turbulenter Weg, bis sich ihr Leben wieder beruhigt, und danach fällt es ihr schwer, es noch als ihres wiederzuerkennen.

Mein Eindruck

Am Schluss wundert sich der Leser, wie es die Autorin geschafft hat, all die verschiedenen Handlungsstränge auf die Reihe zu kriegen und zu einem plausibel erscheinenden Ende zu führen. Denn schließlich weiß die Ich-Erzählerin Wollie zu Anfang reichlich wenig über die Machenschaft, in die Doc verstrickt ist. Es kommt zu Verwechslungen und falschen Annahmen, aber auch zu handfesten Morden und einer oder zwei Attacken auf sie selbst.

Da ist es gut, wenn sich eine junge Frau wie Wollie, die keineswegs weltklug und weit gereist ist, an ein paar verlässliche Freundinnen wenden kann, um Trost und Rat zu finden. Da ist zum einen die mütterliche Fredreeq (= Friederike), die quasi die Disponentin des Dating-Programms spielt, und zum anderen die clevere Joey, die sogar über eine Pistole verfügt. Dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen, denkt man. Falsch gedacht.

Denn „Doc“ hat eine kleine Tochter namens Rubens. Die Elfjährige hängt sehr an ihrem Frettchen Margaret und weigert sich zu sprechen. Ihre Mutter ist zu einem Freund nach Japan geflogen, und nun schaut Ruby mutterseelenallein in die Welt, lediglich beschützt von einem Vater, der von der Mafia gesucht wird. Und obwohl ihr Verstand sie davor warnt, sich mit dieser Rumpffamilie einzulassen, bringt Wollie es (natürlich? Nur weil sie eine Frau ist?) nicht übers Herz, Ruby im Stich zu lassen und nimmt sie in ihre Obhut. Ob das wohl eine gute Idee ist? Aber was heißt schon „gute Idee“, bitteschön, wenn es um ein Kinderleben geht? Und wie sich herausstellt, hat Ruby einen guten Grund, sich das Sprechen zu verbieten …

Turbulentes Treiben in Los Angeles also, doch was nach einem harmlosen Frauenkrimi ohne Tiefsinn aussieht, ist ein kleines Panorama einer Riesenstadt, in der sich junge Frauen auf ihre Weise durchschlagen müssen. Das ungeschminkte Bild hinter der Hollywood-Leinwand ist immer noch realistischer als jeder Streifen aus der Traumfabrik.

Es mögen zwar keine Drogenbanden aus South L.A. oder irgendwelche Koreaner und Vietnamesen auftauchen, aber die Autorin dachte sich wohl, ich sollte meine Leser lieber mit etwas Vertrautem wie der Mafia – siehe „Der Pate“ Teil 1, 2 und 3 – bekannt machen, bevor ich sie ins kalte Wasser werfe. Tatsächlich kennt auch Joey nur diese Filme, um ihren gesamten Wissensstand über die Mafia zu beschreiben. Uns Normalsterblichen geht es wahrscheinlich genauso. Das macht uns die Figuren in diesem Roman so sympathisch.

Die Übersetzung

Der Text ist ziemlich gut übersetzt. Und wenn mir Stolperstellen auffielen, so wusste ich manchmal nicht, ob sie auf die Autorin oder den Übersetzer zurückgingen. Auf Seite 65 ist so ein Fall. Bekanntlich lebte Mary W. Shelley, die Autorin des „Frankenstein“ (1818), Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie war Zeitgenossin von Lord Byron und heiratete den Dichter Percy B. Shelley. Auf Seite 65 wird sie jedoch unter dem Aspekt des „Feminismus des achtzehnten (!) Jahrhunderts“ behandelt. Das ist offenbar nicht ganz korrekt.

Auf Seite 236 verwendet die Autorin den korrekten Begriff „alumni“, um ehemalige Angehörige einer Universität zu bezeichnen. Der Übersetzer lässt den Begriff als „Alumni“ einfach stehen. Er mag zwar korrekt sein, aber er dürfte den meisten Lesern nicht geläufig sein. Hierzulande redet man einfach von „den Ehemaligen“ oder „Absolventen“.

Unterm Strich

Wer sich schon immer nach einem spannenden Frauenkrimi aus L.A. sehnte, der kommt hier voll auf seine Kosten. Dashiell Hammett, mach Platz! Wer mit der spezifisch weiblichen Sicht der Dinge weniger etwas anfangen kann, der sollte um den Roman einen großen Bogen machen. Ständig geht es um Klamotten und Männer – schnarch! Aber es geht zum Glück auch um Menschen, Mafia und Margaret (das Frettchen). Man kann dem Buch also viele Aspekte abgewinnen.

Taschenbuch: 381 Seiten
Originaltitel: Dating dead men, 2004
Aus dem US-Englischen von Ulrich Hoffmann
www.luebbe.de