Krauss, Lawrence M. – Jenseits von Star Trek

Der Untertitel „Die Physik hinter den Ideen der Science Fiction“ des Buches verrät bereits, worum es darin geht. Hier werden zahlreiche Ideen der Science-Fiction – angefangen bei Johannes Kepler und Galileo Galilei – auf den Prüfstand gestellt und auf ihre Stichhaltigkeit untersucht.

Die Ergebnisse, zu denen der Fachautor und Wissenschaftler Krauss gelangt, sind manchmal niederschmetternd und desillusionierend, manchmal aber machen sie uns auch Hoffnung – nach dem Motto „Das Leben findet immer einen Weg“, solange die Dummheit des Menschen es nicht daran hindert. Immerhin tröstet uns Krauss‘ Humor darüber hinweg.

_Der Autor_

Krauss ist Professor für Physik und Astronomie – das ist nicht weiter erstaunlich, da diese beiden Disziplinen ihm das Rüstzeug für seine Ausführungen liefern. Er leitet die Fakultät für Physik an der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio.

Bekannt wurde er in Science-Fiction-Kreisen mit seinem häufig diskutierten Buch „Die Physik von Star Trek“ (Heyne 06/5549). Darin untersuchte er die fabelhafte Technik dieses weitverbreiteten fiktionalen Universums auf ihre physikalisch-astronomische Stichhaltigkeit. Immerhin lehnt er den Warp-Antrieb nicht rundweg als unmöglich ab. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie erlaubt Warp. Warp erfordert lediglich viel mehr Energie, als auf die Schnelle bereitstellbar ist.

Krauss schrieb zudem die beiden Sachbücher „Fear of physics: A guide for the perplexed“ und „The fifth essence: The search for Dark Matter“ und mehr als hundert wissenschaftliche Artikel – mehr als genug Material für mehrere Bücher des vorliegenden Kalibers. Vom Weißen Haus wurde er ausgezeichnet, ebenso wie von eine Reihe wissenschaftlicher Organisationen.

_Inhalte_

Wir alle kennen die Szenen in Emmerichs Kassenschlager „Independence Day“: Riesige Raumschiffe schweben über den Hauptstädten der Erde ein. Wie extrem unwahrscheinlich dieses Bild ist, führt uns Krauss mit schlagenden Berechnungen aufgrund der Gesetze der Physik vor Augen: Die Menschen darunter wären schon längst vom Luftdruck platt gemacht worden, wenn nicht vorher die Anziehungskraft der Massen der Raumschiffe verheerende Flutwellen oder Erdbeben ausgelöst hätten.

In den nächsten Kapiteln wendet sich der Fachautor Fragen zu, die zwar in der Science-Fiction vorkommen, die man aber allgemein als akzeptiert unterstellt. „Haben Aliens mal unseren Planeten besucht? Können wir Aliens auf anderen Planeten besuchen?“

Besonders die zweite Frage ist ungeahnt komplex: Nachdem die Frage geklärt ist, ob es überhaupt andere Planeten gibt (Antwort: ja!) mit intelligentem (unwahrscheinlich) Leben (wahrscheinlich) gibt, erhebt sich die Frage, wie wir diese Welten überhaupt erreichen wollen bzw. können. Da gibt es ja zahlreiche faszinierende Techniken, unter anderem den oben erwähnten und grundsätzlich ad absurdum geführten Warp-Antrieb. Aber warum nicht mit Sonnensegel-Antrieb, das den Lichtdruck der Sonne(n) ausnutzt? Krauss legt auch dar, wie wahrscheinlich und effizient ein Antimaterie-Antrieb oder gar ein System von Wurmlöchern (wie im Trantor-Universum) wäre.

Eines der aktuellsten und bedeutungsvollsten Kapitel ist sicherlich jenes zu der Frage, wie man Planeten in anderen Systemen entdecken kann. Denn die NASA und andere Organisationen rechnen noch vor 2010 damit, solche Planeten, die extrem schwierig aufzuspüren sind, direkt (!!) beobachten zu können. Krauss liefert hier zahlreiche interessante Fakten.

Der zweite Teil des Buches trägt den Titel „Das Madonna-Universum“, frei nach ihrem Motto: „We are living in a material world, and I am a material girl.“ Damit legt Krauss den Finger schon in die Wunde. Denn viele Science-Fiction-Autor ignorieren beziehungsweise „überwinden“ in ihren Fiktionen die Beschränkungen, die uns die Materie auferlegt hat. Gemeint ist die Metaphysik.

Unter Metaphysik fallen alle außersinnlichen Wahrnehmungen, also ESP, Telekinese, Telepathie, das Zweite Gesicht. Übersinnliche Kräfte überhaupt sind mit Mystery-Serien wie „Akte X“ – Agent Mulder wird bevorzugt zitiert – täglich konsumierte TV-Realität geworden – aber eben nur dort. Oder?

Krauss stellt realistische Fragen wie etwa die, ob sich das menschliche Gehirn als Sender und/oder Empfänger eignet. Und ob die Quantenmechanik ein Erklärungsmodell anbietet. Erstaunlich, welche Möglichkeiten sich bieten: der Elektromagnetismus, Neutrinos, die Gravitation und schließlich der gute alte Äther. Der Äther, die „physikalische“ Grundlage der Astrologie, wurde vor ca. 2500 Jahren in Alexandria erfunden, aber erst 1889 (vorerst) widerlegt. Dennoch werden jährlich in den USA 20 Millionen Astrologiebücher verkauft. Was doch sehr für das menschliche Bedürfnis zu glauben spricht.

_Mein Eindruck_

Ich kann in aller Bescheidenheit sagen, dass ich 99 Prozent aller Beispiele, die Krauss vor meinem staunenden Geist ausgebreitet hat, verstanden habe. Aber auch andere Science-Fiction-Leser mit entsprechender Grundbildung sind überdurchschnittlich an Physik und Astronomie interessiert, wenn sie nicht gleich „Rocket Scientists“ sind. Das bin ich jedoch auch nicht, denn ich habe Geisteswissenschaften wie Germanistik und Anglistik studiert.

Also, abgesehen von den vielen anschaulichen Beispielen, mit denen Krauss seine Argumentation stützt, mochte ich auch seinen Humor. Er nimmt weder sich selbst noch seine Themen zu ernst, denn er weiß, er ist auch nur ein Mensch, mit Schwächen und Fehlern (und einer Frau, die ihm schon mal Bescheid stößt!). Seine Ironie ist durchaus annehmbar. Das soll aber nicht heißen, dass er sich über die Millionen von Star-Trek-Fans lustig macht. Im Gegenteil: Die Fans setzen sich ernsthaft mit den zahlreichen Star-Trek-Serien auseinander. Und die Autoren dieser Serien lobt er als äußerst einfallsreich (wenn auch manchmal an den Physikgesetzen vorbei geschrieben wird).

Seinem Thema steht er souverän gegenüber: „Der Jüngste Tag hat bislang eine sehr schlechte Presse erhalten. Ich will hier zu bedenken geben, dass er der Menschheit große Möglichkeiten eröffnet.“ Im Folgenden zeichnet er einige Wege auf, wie die Welt untergehen könnte. So fragt er sich beispielsweise, wie lang es dauern würde, bis das Licht ausgeht, wenn man die Sonne abschalten könnte. Die beruhigende Anwort: mindestens 30.000 Jahre!

Kurzum: Krauss beantwortet etliche Fragen, die ich mir schon oft beim Star-Trek-Gucken gestellt habe.

|Für wen eignet sich dieses Buch?|

Nun, nicht jeder mag sich näher mit Physik beschäftigen (obwohl wir jede Sekunde unseres Leben damit zu tun haben). Und so stellt auch dieses Buch gewisse Ansprüche an seine Leser – es müssen ja nicht Rocket Scientists sein. Aber sie sollten mal in der Schule von den Newton’schen Gesetzen (Impulserhaltung und solche Sachen) gehört und sie möglichst auch verstanden haben. (Manchen Leuten jagt allein schon der Gedanke an solche „Gesetze“ Schauder über den Rücken – siehe „Fear of physics“.) Auch wem die Struktur von Atomen bekannt ist, ist sicherlich im Vorteil.

Insofern würde ich von einem Mindestalter von 12 bis 16 Jahren ausgehen. Aber angesichts der Ergebnisse der PISA-Studie kann ich auch in dieser Hinsicht nur das Beste hoffen. Dass der Leser schon mal eine Folge von „Star Trek“ gesehen hat, darf ich immerhin schon bei Achtjährigen getrost voraussetzen.

|Originaltitel: Beyond Star Trek. Physic from alien invasions to the end of time, 1997
Aus dem US-Englischen von Erik Simon|