Kurdo Baksi – Mein Freund Stieg Larsson

Der Mann, der sich Stieg nannte

„Dieses Buch ist keine Huldigung an einen Freund. Jeder, der sich Stieg Larsson kannte, trägt sein eigenes Bild von ihm in sich. Dasselbe gilt auch für die, die ihm nahestanden. (…) Es besteht die Gefahr, dass Stiegs Kampf um die Menschenrechte nach seinem großen Erfolg als Autor nicht mehr die verdiente Aufmerksamkeit erhält. Dieser Kampf aber war ein wichtiger Teil von Stieg, und ich hoffe, dass ich ihn mit diesem Buch angemessen beschrieben habe. (Verlagsinfo)

Der Autor

Necip Kurdo Sirka Baksi, geboren 1965 im kurdischen Batman, Ost-Türkei, ist ein schwedischer Gesellschaftskritiker, Journalist, Herausgeber und Autor. Er ist der Neffe des krudischen Schriftstellers Mahmut Baksi und Bruder von Nalin Pekgul. Er kam 1980 mit seiner Familie nach Schweden.

1987 gründete Baksi das anti-rassistische Magazin „Svartvitt“ (= Schwarzweiß), das 1998-2002 mit Larssons Anti-Nazismus-Magazin „Expo“ ((https://en.wikipedia.org/wiki/Expo_(magazine))) kooperierte bzw. verschmolz. „Svartvitt“ wurde 2002/03 eingestellt und benannte sich wieder in „Expo“ um.
1992 organisierte Baksi eine große Initiative in Schweden unter dem übersetzten Titel „Ohne Immigranten steht Schweden still“. So sollte deutlich werden, welche BED Einwanderer inzwischen für das Land hätten, ganz im Widerspruch zu dem, was die Neonazis behaupteten. Baksi nahm im Gegensatz zu Larsson an Debatten (und Talkshows) teil, hielt zahlreiche Vorlesungen und Reden zu den Themen Immigration, Rassismus und Meinungsmache, um so die Schaffung eines Kurdenstaates zu fördern.

Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1999 den Olof-Palme-Friedenspreis. In manchen Romane der erweiterten MILLENNIUM-Reihe tritt er als alter Freund von Mikael Blomkvist und Leiter des Svartvitt-Verlags auf.

Inhalte

Karl Stig-Erland Larsson „wurde am 10. Dezember 2004 in der Kapelle von Skogskyrkogarden im Süden Stockholms beerdigt. Die Kirche war zum Bersten gefüllt, seine Lebensgefährtin, seine Familie, seine Freunde, seine Kollegen, seine Weggefährten, Journalisten, alle waren gekommen, um Stieg Larssons Tod zu betrauern. Am Abend trennten sich ihre Wege, und jeder war fortan mit seiner Trauer allein.

Kurdo Baksi, Stieg Larssons bester Freund und langjähriger politischer Weggefährte, brauchte fünf Jahre, um den Verlust seines Freundes zu überwinden. Fünf Jahre, in denen er trauerte und miterlebte, wie Larsson plötzlich posthum zu einem der weltweit erfolgreichsten Schriftsteller der letzten Jahre avancierte. Fünf Jahre, in denen er wieder und wieder nach Stieg Larsson gefragt wurde. Wie er gewesen sei? Was ihm wichtig war? Wie er wohl mit all dem Ruhm und Erfolg umgegangen wäre?

Kurdo Baksi beschließt, ein Buch zu schreiben. Kein Buch über den Autor der Millennium-Trilogie, sondern ein Buch über seinen Freund Stieg Larsson. Über ihre erste Begegnung im Jahr 1992, über den Beginn ihrer Freundschaft, über ihre gemeinsame Arbeit, ihren Kampf gegen rechts. Über Stieg Larssons Integrität, seine Unbeirrbarkeit, seine Arbeitswut und seine Genauigkeit. Über seine Kindheit und Jugend, über die Menschen, die ihm wichtig waren. Über sein immenses Wissen, seine beeindruckende politische Bildung, über seine Besessenheit, das Richtige zu tun.

Über seinen Mut und seine Unerschrockenheit, über die Drohungen gegen ihn und die Angst, die Baksi immer wieder um seinen Freund hatte. Über Stieg Larssons Sturheit, seine Unfähigkeit, zu vergeben, seinen ungesunden Lebenswandel, seine schlechten Angewohnheiten. Über seine Romane, seine Inspiration, über Larssons Gewissheit, Bestseller geschrieben zu haben. Über den letzten Tag, den Anruf eines Expo-Mitarbeiters, dass es Larsson nicht gutgehe, er auf dem Weg ins Krankenhaus sei. Über Stieg Larssons letzte Worte im Krankenwagen. Über den Abschied von seinem toten Freund.…“ (Verlagsinfo)

Die Fotos

Ein Dutzend Fotos zeigen Larsson. Erst den sehr jungen Stig Larsson, Sohn von Viviane und Erland Larsson, dann den kleinen Jungen Stig, der bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Norrland aufwuchs. Durch seinen Opa Severin eignete er sich einen Kodex an: gegen Rassismus und Fremdenhass, für die Arbeit in Gewerkschaften und anderen Verbänden. Irgendwann benannte sich Stig selbstbewusst in Stieg Larsson um und begann, mit zwölf Jahren auf seiner ersten Schreibmaschine Artikel zu verfassen. Er beschließt, Journalist zu werden und ein immenses Archiv über den Rechtsextremismus aufzubauen.

Er fährt mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking, macht einen Abstecher nach Hongkong. Er gab vor, für die Reisezeitschrift „Vagabond“ zu arbeiten. Dort hatte man noch nie von dem 32-Jährigen gehört. Von 1979-199 arbeitete Larsson für die schwedische Nachrichtenagentur „Tidningars Telegrambyra“ (TT, entspricht der DPA), doch er hatte zahlreiche Nebentätigkeiten. So zeigt ihn ein Foto in seinem TT-Büro mit seinem Buch „Det eviga hatet“ („Der ewige Hass. Über Neonazismus, Antisemitismus und Radio Islam“). Er steckte sehr viel Geld in seine Zeitschrift „EXPO“ (entspricht „MILLENNIUM“), doch das Magazin war defizitär, daher tat er sich mit Kurdo Baksi zusammen, dem Herausgeber der Zeitschrift „Svartvitt“ (Schwarzweiß“, wie ein Foto vom 30.11.1998. Der 30. November ist seit jeher ein „Feiertag“ für die schwedischen Neonazis. Die Pressekonferenz zu dem Gemeinschaftsprojekt „EXPO/Svartvitt“ also eine Kampfansage.

Die zwei letzten Fotos stammen wohl aus dem Todesjahr 2004. Larsson war Kettenraucher, schlief extrem wenig (meist nur drei Stunden pro Tag) und trank unentwegt Kaffee. Am 9. November 2004, dem Jahrestag der „Reichskristallnacht“ von 1938, hielt Baksi einen Vortrag mit Seminar vor 100 Leuten, als Stieg einen Freund aus Grenada (das Larsson einmal besucht hatte) empfing und den Aufzug nicht nehmen konnte, weil dieser defekt war,. Nachdem sie sieben Stockwerke bewältigt hatten, brach Larsson im Büro zusammen. Als der Notarzt kam, schlug sein Herz noch. Seine letzten Worte lauteten: „Ich bin fünfzig, verdammt!“ Um 19:16 Uhr erhielt Baksi die Nachricht: „Stieg ist tot.“

Mein Eindruck

Dass Larsson mit seiner MILLENNIUM-Trilogie bald eine Milliarde Kronen Umsatz machte, wird nur am Rande erwähnt. Dem Autor Baksi geht es um den Menschen und Journalisten Larsson. Wer hofft, mehr über die Trilogie zu erfahren, geht aber nicht leer aus, denn die Bücher sind ja Ergebnisse der Arbeit des Journalisten Larsson. „Männer, die Frauen hassen“, so der wörtlich übersetzte O-Titel des ersten Bandes, handelt ja von Alt-Nazis, ihrem Feldzug gegen Jüdinnen bzw. Frauen allgemein – und ihren Missetaten innerhalb der eigenen Familie.

Die Filme zeigen zwar nur die grobe Handlungsstruktur im Thriller-Format, aber die Bücher gehen richtig in die Tiefe. Larsson beschreibt darin nicht nur Nazis, Antisemiten, sondern auch die Verstrickung der Staatspolizei Säpo in diverse Verbrechen. Angeheuerte Terroristen tauchen mitten in Stockholm auf, was an den Terroranschlag auf der Einkaufsmeile der Stadt erinnert.

Larsson arbeitete nicht nur wie ein Maulesel Tag und Nacht (s.o.), sondern verschlang auch jeden Krimi, den er bekommen konnte. Baksi zählt die Top-Liga der KrimischriftstellerInnen auf. Darunter befindet sich auch die Britin Liza Cody, die ein paar richtig schräge Figuren in ihre Romane eingebaut hat, etwa eine Obdachlose, ein freischaffende Wächterin auf einem Schrottplatz und viele mehr. Diese Basis könnte erklären, warum Lisbeth Salander so eine außergewöhnliche Figur geworden ist. Sie ist eine Kämpferin, die sich am Rande der bürgerlichen Gesellschaft bewegt. Und diese Gesellschaft besteht leider auch aus Kinderschändern, Alt- und Neonazis, Antisemiten und verkappten Terroristen – etwa wie Anders Brejvik in Norwegen.

Ganz nebenbei zeichnet Baksi eine besorgniserregende Entwicklung in der schwedischen Gesellschaft nach, nämlich die gleiche, die auch hierzulande erfolgt ist: eine Radikalisierung der Rassisten und Nazis sowie ihre brutalen Angriffe gegenüber Gewerkschaftern, Forschern, alle Humanisten wie Larsson und Baksi und Frauen. Die Auswirkungen dieses sehr realen Terrors bekamen auch Larsson und Baksi zu spüren, nicht nur als Publizisten, sondern als Bürger. Dass sie sich dagegen auflehnten und weiterhin die Rechtsextremisten entlarvten, bloßstellten und anprangerten – gegen den Widerstand in Redaktionen, Polizei, Behörden und Regierung – heftet sich Baksi jedoch nicht als Verdienstmedaille an die Brust. Das wäre ja Selbstbeweihräucherung. Er beschränkt sich auf die Fakten – und was die Entwicklung für sein Gastland Schweden bedeutet. Das ist viel überzeugender als jede direkte Anklage.

Unterm Strich

Das Buch ist in erster Linie interessant für diejenigen Larsson-Leser, die sich für die MILLENNIUM-Trilogie und ihre Folgebände begeistern können, aber mehr über deren Schöpfer erfahren wollen. Denn der Autor muss ja schon sehr viel gewusst haben, wie sich die extreme Rechte in Nord- und Mitteleuropa ausgebreitet hat – in bürgerlichen kreisen ebenso wie in der Bürokratie, der Polizei und im Geheimdienst. Sie alle schützen in den Romanen Lisbeths und Mikaels Verfolger oder sind selbst an der Verfolgung beteiligt. Wie war Larsson in der Lage, dies korrekt zu schreiben – und woher kam sein eigentlich sein Engagement gegen die Rechtsextremen?

Die Antworten finden sich in Baksis Buch. Er schreibt nicht nur sachlich korrekt, was Larssons Biografie angeht – siehe die Fotos -, sondern auch aus einer persönlichen Nähe heraus. Wer hätte vermutet, dass Larsson kein behäbiger Bürger war, sondern im Gegenteil ein (von sich selbst) getriebenes Arbeitstier, das kaum mehr als drei Stunden pro Tag schlief? Er arbeitete quasi für drei.

Er schrieb ab ca. 1992 mehrere Bücher (und behandelte seine Koautoren auf sehr eigenwillige Weise, indem er sie ausbeutete), bevor er ab etwa 2003 anfing, die Romane der Trilogie (die eigentlich eine Tetralogie ist) zu verfassen, ohne sie jemandem zu zeigen. Erst nach seinem Tod im November 2004 stellte sich der weltweite Erfolg ein. Heute gibt es Stadtführungen durch das Stockholmer Zentrum: Die Romanschauplätze sind zu Pilgerstätten geworden.

So gelingt es Larsson posthum, seinen zahlreichen Gegner auf der extremen Rechten eins auszuwischen. Auch Baksi hat viel von sich zu erzählen, denn auch sein Engagement gegen Rassismus und für Frauenrechte ist ehrenhaft und sollte gewürdigt werden. Quasi durch die Hintertür der Baksi-Biografie erfährt der Leser, dass Baksi für Larsson so wichtig war, dass er mit ihm ein gemeinsames Magazin namens „EXPO & Svartvitt“ veröffentlichte.

Die Kooperation verlangte Baksi einiges an Geduld ab, denn, das darf nicht verschwiegen werden, Larsson war ein sehr anstrengender und widersprüchlicher Mensch (siehe oben). Näheres findet sich auf den Seiten dieses informativen und zuweilen anrührenden Buches. Man könnte es als Biografie bezeichnen, wäre der Autor Baksi nicht untrennbar ebenfalls mit seiner Biografie damit verbunden und darin verewigt.

Hardcover: 224 Seiten
Originaltitel: Min Vän Stieg Larsson, 2010;
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann.
ISBN-13: 9783453170650

www.heyne.de

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