In einer nicht näher definierten Zukunft, vielleicht im 21. Jahrhundert, lernen wir die Robinsons aus Los Angeles im US-Staat Kalifornien kennen: Vater Paul, just zum Pressesprecher der Mondstadt Tycho ernannt, Mutter Helen, Kronprinz Jack (18 Jahre) und Brüderchen Frank (6) – eine amerikanische Durchschnitts- und Bilderbuchfamilie, die fest zusammenhält und es deshalb überall schaffen wird.
Das muss sie rasch unter Beweis stellen. Der Umzug gerät wegen eines Defekts im Bordcomputer des Raumschiffs „Aurora“ zum Fiasko. Statt auf dem Mond finden sich die Reisenden im Orbit des wolkenverhangenen Planeten Venus wieder. Schnöde lassen der Kapitän und seine Mannschaft Schiff und Passagiere im Stich. Knapp gelingt eine Bruchlandung. Die Robinsons haben überlebt. Sie finden sich auf einer Albtraumwelt wieder. Heiß und feucht ist es auf der Venus, und unheimliche Tiere schleichen durch die ewig halbdunklen Urwälder.
Mit den aus dem Wrack geborgenen Lebensmitteln richtet sich die Familie in einer Höhle ein. Wichtiger ist der Fund zweier Gewehre, die wie gerufen kommen, als sich herausstellt, dass es auf der Venus (halb-)intelligentes Leben gibt: riesige Fledermäuse, die sich von Blut ernähren! Sie halten sich als „Spender“ harmlose Dinosaurier wie den freundlichen „Oswald“, der von den Robinsons bald als Haustier adoptiert wird.
Das Leben der Schiffbrüchigen ist hart und gefährlich. Die ständige Dämmerung wird bald in die lange Venusnacht übergehen. Dann verlassen die Venus-Vampire ihren Schlupfwinkel und gehen auf die Jagd. Auch sonst wartet die Natur mit allerlei unfreundlichen Überraschungen auf. Außerdem scheint es auf der Venus zu spuken: Immer wieder tauchen geheimnisvolle Warnungen auf, die ein Mensch geschrieben haben muss. Hält sich irgendwo in der Wildnis ein weiterer Erdling und damit ein potenzieller Verbündeter auf? Die Antwort auf diese Frage wird wichtig, als dann die Vampire tatsächlich ausschwärmen und den Unterschlupf der Robinsons entdecken …
Jugendliche Leser dürfen nach Ansicht des Verfassers offenbar intellektuell keineswegs überfordert werden. Er legt die Latte ein wenig niedrig an, um einmal vorsichtige Kritik zu äußern. „Irrfahrt zur Venus“ erzählt seine Geschichte auf Privatfernseh-Niveau; einen ärgeren Tadel kann es sicherlich kaum geben. „Science“ Fiction will Latham bieten; er schwadroniert in einem langen Nachwort über seine Verantwortung dem Leser gegenüber, keine haltlosen Spekulationen zu liefern. Sein kümmerliches schriftstellerisches Talent steckt er in die astronomischen Aspekte dieser Robinsonade und singt ansonsten das Loblied einer Hochtechnologie, die der Menschheit endlich Frieden und Glück beschert hat.
Die gesellschaftliche Entwicklung ist dagegen irgendwann in den 1950er Jahren steckengeblieben. Lathams Welt der Zukunft – das sind die USA der Eisenhower-Ära. Ihre Ideale werden propagiert und präpariert, und das mit einer plumpen Direktheit, die heute eher amüsiert als ärgert. Freilich darf man Latham das nur bedingt zum Vorwurf machen. Auch seine begabteren Kollegen entdeckten die „Social Fiction“ erst sehr viel später. Insofern ist „Irrfahrt zur Venus“ das Relikt einer Epoche, die in der Tat fest daran glaubte, dass Technik = Fortschritt und Weltfrieden bedeutet.
Lathams Bild der Venus ist eines Astronomen eigentlich unwürdig. Schon vor einem halben Jahrhundert wusste man, dass dort oben mit romantischen Urwelten nicht zu rechnen ist; die Venus ist ein Höllenplanet mit einer vielhundert Grad heißen Schwefelsäure-Atmosphäre. Aber ganz genau wusste man es eben nicht bzw. es ließ sich nicht das Gegenteil beweisen. Also nutzte Latham die weißen Flecken und entwarf streng wissenschaftlich – so brüstet er sich – eine Ökologie, die den Fachmann zu brüllendem Gelächter reizt, aber als Abenteuerspielplatz ausgezeichnet funktioniert – nur dass Latham es eben ernst meinte mit seinem pädagogischen Auftrag.
Vergisst man diesen Unfug, bereitet „Irrfahrt zur Venus“ etwa dasselbe Vergnügen wie einer dieser alten SF-Filmheuler der 1950er Jahre. So war das nicht geplant von Latham, aber es hält sein krudes kleines Werk, das zwischen den Zeilen unfreiwillig viel aussagt über Zeit und Leute, auch heute am Leben.
Selten erschien einem die Zukunft vergänglicher als bei der Lektüre dieses Romans. Die US-Familie Robinson (Achtung: Hieb mit dem Zaunpfahl!) ist ein Herz zerreißendes (und Hirn erweichendes) Abbild des mittelständischen Ideal-Amerikaners. Strebsam, einig, obrigkeitshörig, dazu weiß und unverzagt an den amerikanischen Traum glaubend, wird sie jedes Hindernis meistern: Holzhammer-Pädagogik und dreiste Manipulation des Lesers zu seinem Besten (= dem Erhalt bestehender Verhältnisse) ist ein prägendes Merkmal zeitgenössischer Jugendliteratur.
Es dauert einige Zeit, bis der moderne Leser einschätzen kann, wie alt Hauptfigur Jack Robinson eigentlich ist. Er gehört einem pfadfinderähnlichen „Astronauten-Club“ an, liest in seiner Freizeit zur Entspannung im Lexikon und mäht für Mutti den Rasen. Also wird er wohl um die 12 Jahre alt sein? Von wegen – 18 ist er, aber halt ein vorbildlicher junger Mann, der fleißig lernt und profanen Ablenkungen wie hartem Rock und bösen Mädchen nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkt: Aus solchem Holz sollte der US-Amerikaner geschnitzt sein – besonders am Kopf!
Dass im Robinson-Rudel Vater Paul der Alpha-Rüde ist, wird von niemandem in Frage gestellt. Überhaupt herrscht stets eitel Übereinstimmung in dieser Familie, was sich die Leser ebenfalls zum Vorbild nehmen sollten. Paul weiß noch in aussichtsloser Lage, was als nächstes zu tun ist. Jack konkurriert nicht mit ihm, sondern ergänzt ihn; als Team schützen Vater und Sohn das Allerheiligste der menschlichen Zivilisation: die Familie.
Ein harter Job ist das, denn Hilfe von Helen können sie nicht erwarten; tun sie auch gar nicht. Helen ist Ehefrau und Mutter. Das ist ihre Aufgabe im Leben, die sie mehr als genug fordert. Für Heldentaten auf fremden Planeten gibt es da weder geistig noch körperlich Kapazitäten. Das führt zu absurden Situation wie dieser: Jagdausflüge und Erkundungsstreifzüge können nur von Paul oder Jack allein unternommen werden. Zwei Gewehre besitzen die Robinsons, aber es ist kein Denken daran, sich eines zu greifen, zu zweit loszuziehen und die zurückbleibende Helen zu bewaffnen, denn: „Ich habe ebensoviel Angst vor dem Gewehr, wie ich vor einem Venusbewohner hätte“ (S. 82/83). Auch sonst misstraut sie allem, das ihren engen Horizont und damit ihren Seelenfrieden bedroht. Sohn Jack darf daher für die Anwendung seines angelesenen Wissens nur spärlichen Beifall erwarten: „‚Schon wieder dieses schreckliche Lexikon‘, sagte Mrs. Robinson klagend. ‚Lauter unangenehme Dinge stehen in solchen Büchern.'“ (S. 138)
Bleibt noch Bram Simmons, der lange unsichtbare fünfte Kämpfer gegen die Venus (so der Originaltitel). Wohl mehr aus Versehen ist Latham hier eine Figur mit ambivalenter Persönlichkeit geglückt – kein „Mad Scientist“, sondern ein „Aussteiger“, der sich anders als die Robinsons tatsächlich auf der Venus akklimatisiert hat und dies auch wollte. Ohne Feuer und Flinte hat er sich den Vampiren angeschlossen und sogar Freundschaft mit ihrem König geschlossen. Deshalb bleibt er schließlich bei ihnen, auch wenn ihn die Robinsons und ihre Retter für endgültig übergeschnappt halten; sie werden niemals Simmons‘ Beweggründe verstehen.
„Philip Latham“ ist ein Pseudonym, hinter dem sich der Astronom Robert Shirley Richardson (1902-1981) verbarg. Er gehört ganz sicher nicht zu den Großen der Science-Fiction. In den 1940er bis 1970er Jahren steuerte eine Reihe von Kurzgeschichten und Artikeln zum Genre bei. Als Romanautor beließ er es bei „Five Against Venus“, dem er nur noch „Missing Men of Saturn“ folgen ließ.
„Irrfahrt zur Venus“ ist SF-Lesefutter von kaum durchschnittlicher Qualität. Beinahe interessanter ist die Lektüre des Klappentextes. Er atmet ungefiltert den Zeitgeist und markiert exemplarisch die Schwierigkeiten der Science-Fiction in den 1950er Jahren. Schmutz & Schund hießen (neben den Kommunisten) die Schreckgespenster dieser Ära. Junge Leute sollten lesen, das schon, aber dann gefälligst dabei lernen. Alles andere war verschwendete Zeit oder gar sittenloses und damit verdächtiges Vergnügen. Da hatte es ein Genre schwer, dessen Protagonisten im Weltraum umherflogen. Also musste ein Feigenblatt gefunden werden. Dabei wurde zum Wohle des Profits gelogen, dass sich die Balken bogen. Heute unglaublich erscheinen die dreisten Behauptungen, die der Awa-Verlag auftischte, um besorgte Eltern und Jugendschutzwarte zu beruhigen:
„Die Zukunftsromane der Astron Bücherei bieten dem Leser:
– Die hohe Spannung des großen Abenteuers
– Exaktes Wissen aus Technik und Naturlehre
– Die Begegnung mit den Wundern des Kosmos
– Befruchtung der Phantasie im Erlebnis fremder Welten
– Kritische Bestimmung auf die ethischen Ziele der Menschheit
– Ein Heldentum ohne Gewalt und den Wettstreit der guten Kräfte des menschlichen Herzens“
Erstaunlich, dass angesichts solch systematischen Spaßverderbens überhaupt jemand zu diesem Buch griff … Zudem stimmt rein gar nichts von dem, was da behauptet wurde. Selbst Verfasser Latham machte in seinem Nachwort keinen Hehl daraus, dass er um der Story willen kräftig „extrapolierte“. Schon damals war der Wissenschaft wie gesagt bekannt, dass sich unter den Wolken der Venus wohl keine saurierverseuchte Urwelt verbarg. Latham riskierte es trotzdem – und er lebte lang genug, um noch zu erfahren, wie gewaltig er daneben lag. Auch der beflissene Anhang „Angaben und Zahlen zum Nachdenken“ – eine Art Grundkurs in Astrophysik – macht „Irrfahrt zur Venus“ nicht zur „guten“ Literatur (was immer dies sein mag). SF kann eben niemals ein Blick in die reale Zukunft sein, sondern bleibt ein der Gegenwart verhaftetes Gedankenspiel. „Irrfahrt zur Venus“ macht diesen Aspekt so deutlich wie selten.
Taschenbuch: 190 Seiten
Besprochene Auflage: 1956