Joseph Thomas Sheridan Le Fanu – Carmilla, der Vampir (Gruselkabinett 1)

Miau! Dieser Vampir ist eine Katze

1868 in einer einsamen Gegend der Steiermark: Vor dem Schloss eines pensionierten Generals verunglückt eine Kutsche. War es wirklich nur ein Unfall? Die mysteriöse Insassin ist gezwungen, ihre junge Tochter in der Obhut der Schlossbewohner zurückzulassen. Die ätherisch schöne Carmilla übt auf alle, aber besonders auf Laura, die gleichaltrige Tochter des Generals, eine starke Anziehungskraft aus. Ein undefinierbarer Zauber umgibt das Mädchen. Noch ahnt niemand, dass Carmilla ein dunkles Geheimnis hütet.

Der Autor

Joseph Sheridan Le Fanu (1814-1873) war ein irischer Schriftsteller, der die meiste Zeit seines Lebens die eine oder andere Zeitung oder Zeitschrift besaß. Er verfasste 17 Romane, von denen die meisten heute vergessen sind, sowie 40 Erzählungen, von denen die meisten übernatürliche Phänomene zum Thema haben. Die erste Story „The Ghost and the Bone-Setter“ erschien bereits 1838 in Dublin und mehrere weitere wurden bis 1853 verfasst, bevor eine Pause eintrat, die erst 1866 endete. Von 1866 bis zu seinem Tod 1873 schrieb Le Fanu seine besten Erzählungen, darunter auch „Carmilla“ (1871-72). Sein Roman „Uncle Silas“ wurde 1947 verfilmt.

Da Le Fanu ein konservativer Protestant in einem ansonsten irisch-katholischen Land war, das zu England gehörte, musste er um seinen Landbesitz fürchten, sollten die irischen Pächter auch nur ein Fitzelchen an Selbstbestimmungsrecht erhalten. Andererseits verstand er sich aber auch, mit einem gewissen Maß an Schuldbewusstsein, als Spross einer uralten Familie, deren Zeit der Existenzberechtigung vorüber ist. Daher gibt es massenhaft Sünden der Väter, für die Söhne und Töchter büßen müssen. Geister und Dämonen, die Missetäter bestrafen, und alte Gemäuer, die für die Familie stehen, deren Zeit vorüber ist. Ein solches Gemäuer ist Burg Karnstein.

Alles über „Carmilla“ gibt’s hier: http://mural.uv.es/franqui/engcar.html.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Carmilla: Daniela Hoffmann (Julia Roberts, „Ally McBeal“)
Laura: Manja Doering (Reese Witherspoon, Natalie Portman, Erika Christensen)
General: Heinz Ostermann
Madame Perrodon: Regina Lemnitz (Whoopi Goldberg, Kathy Bates)
Mademoiselle de Lafonataine: Arianne Borbach (Diane Lane, Catherine Zeta-Jones)
General Spieldorf: Christian Rode (Christopher Plummer, Michael Caine, Erzähler in „Pans Labyrinth“)
Bertha, seine Tochter: Janina Sachau
Die Fremde: Dagmar von Kurmin
Istvan: David Nathan (Johnny Depp, Christian Bale)
Doktor: Joachim Tennstedt (John Malkovich, Mickey Rourke, James Belushi, Michael Keaton)
Händler: Jens Hajek
Laura als Kind: Theresa Mertens

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand im Studio AudioCue, Rotor Musikproduktion, Scenario Studio und bei Kazuya statt. Die Illustration stammt in der aktuellen Version von Firuz Askin.

Handlung

Die junge Laura wächst nach dem Tod ihrer Mutter allein bei ihrem Vater, einem britischen General in österreichischen Diensten. auf. Zusammen mit ihm, ihrer Gouvernante und ihrer Französischlehrerin bewohnt sie ein abgeschieden im Wald gelegenes Schloss in der Steiermark. Es liegt nur drei Meilen entfernt von der Ruine der Burg Karnstein. Im Rückblick meint Laura, dass ihre Erzieher nur einen Fehler begingen: Sie lernte keine Furcht kennen.

So kommt es, dass sie im Jahr 1856, als sie etwa sechs Jahre alt ist, in einer stürmischen Nacht erwacht und einen Geist hört, der erst durch das Mondlicht sichtbar gemacht wird. Der Geist ist eine schöne Frau, die Laura beruhigt, tröstet und ihre Freundin sein will. Da Laura weder Furcht noch Geister kennt, beruhigt sie sich wieder und schläft ein. Sie erwacht kurz darauf von einem scharfen Schmerz in ihrer Brust. Die Geisterfrau tut ganz unschuldig und verschwindet. Als die herbeigerufenen Erzieherinnen und der Vater erscheinen, lässt sich die Erscheinung nicht als Traum abtun: Laura blutet aus zwei Einstichen.

Es vergehen zwölf Jahre, bis der Geist sich im Jahr 1868 wieder bemerkbar macht. Es ist ein schöner Sommer, in dem Laura volljährig wird und den sie eigentlich mit der jungen Bertha Spielfeld verbringen wollte, doch diese sei überraschend gestorben, wie ihr bedrückter Vater, General Spielfeld, in einem Brief mitteilt. Laura erfährt davon gerade auf einem Spaziergang mit ihrem Vater, als eine Kutsche mit vollem Karacho auf der Straße daherkommt – und prompt aus der Kurve fliegt!

Dem umgestürzten Gefährt entsteigen eine ältere Dame und eine junge, allerdings bewusstlose Frau, die sehr schön ist. Weil die Dame, offenbar ihre Mutter, es sehr eilig hat, wie sie sagt, fragt sie, ob sie nicht ihre Tochter einstweilen zur Erholung hier lassen könnte. Der General und Schlossherr bestätigt ausdrücklich auf zweimaliges Nachfragen, dass er die junge Dame dazu einlädt, in seinem Schloss zu übernachten, bis sie genesen sei. Die Dame reist schnell weiter, denn der Kutsche ist bei dem Sturz offenbar nichts passiert. Aber wieso lacht der Kutscher so hämisch zum Abschied?

Carmilla

Erst im Schloss erkennt Laura, wen sie da eingeladen haben. Sie erkennt den Geist aus ihren Kindheitstagen wieder. Und die Fremde erkennt Laura wieder, sie will ihre Freundin sein und nennt sich selbst Carmilla. Aber Carmilla ist eigensinnig: Sie duldet weder eine Wache noch will sie, dass jemand von ihrem Geheimnis erfährt. Es soll sich ja niemand unnötig beunruhigen.

Laura bemerkt seltsame Eigenheiten an ihrer neuen Freundin. Carmilla wandelt stets im Schatten, schläft immer bis zum späten Nachmittag, isst kaum je etwas und weigert sich, über ihre Vergangenheit oder Familie zu sprechen. Eines Tages bringt ein Bildrestaurateur alte Ölgemälde zurück. Sie wurden vom Ruß und Schmutz der Jahrhunderte gereinigt und erstrahlen nun in frischem Glanz. Darunter ist auch das Porträt einer gewissen adligen Gräfin Mircalla von Karnstein. Es ist auf das Jahr 1698 datiert, doch die Dame sieht exakt genauso aus wie Carmilla! Lauras Mutter stammte aus der Linie der Karnsteins, deren Stammsitz, nur drei Meilen entfernt gelegen, nun verlassen ist und verfällt. Laura scheint die letzte Nachfahrin der Karnsteins zu sein.

Ein Gespenst

Noch in der gleichen Nacht berichtet Mademoiselle de Lafontaine, sie habe das Gespenst einer Frau, die ganz in Weiß gekleidet war, im Schloss gesehen. Und der Dorfschmied habe ihr berichtet, auch dort habe man den Geist bemerkt. Tags darauf berichtet Lauras Vater, im Dorf gehe eine seltsame Krankheit um, der schon drei junge Frau zum Opfer gefallen seien. Er mache sich Sorgen und bittet alle, das Schloss möglichst nicht zu verlassen. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er fast seinem Arzt glauben, der behauptet, die sogenannte Krankheit rühre von einem Vampir her.

Es ist in der folgenden Nacht, als in Lauras Schlafzimmer ein Geist auftaucht, ein große schwarze Katze, die sich auf die Brust der Schlafenden setzt, um die Zähne in ihren Hals zu schlagen.

Mein Eindruck

„Carmilla“ ist eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Vampirgeschichte. Zum einen spielt sie in der Steiermark und keineswegs in Transsylvanien wie im später veröffentlichten „Dracula“ Bram Stokers. Dennoch vermutet der Arzt, dass es sich um das Auftreten eines Vampirs handelt, welches für die Todesfälle verantwortlich ist. Diese betreffen ausschließlich junge Frauen, niemals Männer. Dieser Vampir ist nämlich eine Lesbierin. Und das ist der eigentliche Faktor, der „Carmilla“ so pikant macht. Obwohl wir im Hörspiel nicht erfahren, welches Verbrechens sich die Ursprungsform dieses Vampirs schuldig gemacht hat, so hat sie es doch nur auf Frauen abgesehen: schöne, junge Maiden, deren „Freundin“ sie sein möchte.

Doch Laura, ihr nächstes Opfer, lernt zu ihrem Entsetzen auch die andere Seite ihrer „Freundin“ kennen. Wenn Carmilla wütend ist, verlangt sie das Auspeitschen und Aufhängen des Übeltäters, und seinen Hund, diese Töle, solle man erschießen. Es verwundert wenig, dass Carmilla niemals betet und immer im Schatten wandelt. Zudem gibt sie Laura ein Amulett, das angeblich schützen soll, aber in Wahrheit, wie der Arzt herausfindet, ein Betäubungsmittel enthält, das die Trägerin für den Zugriff des Vampirs gefügig macht.

Natürlich haben Vampire stets ein kleines Legitimationsproblem: Wie kann man der tumben Umwelt plausibel erklären, dass man keineswegs 200 Jahre alt sei, sondern jemand ganz anderes? Zu diesem Zweck behilft sich Carmilla mit ihrer unbekannten, namenlosen Mutter eines einfachen Tricks: Sie bildet aus ihrem Namen Anagramme, also Umstellungen. Eines dieser Anagramme ist beispielsweise Mircalla von Karnstein.

Natürlich muss jede ordentliche Vampirstory auch einen Vampirjäger vorweisen können. Wir können beruhigt sein: Es gibt ihn auch in dieser Erzählung. Es handelt sich um General Spielfeld, der ja seine geliebte Tochter Bertha an einen Vampir verloren hat. Er hat diesem ewige Rache geschworen und gedenkt nun, sie zu vollziehen. Auf eine im Hörspiel nicht näher erklärte Weise ist Spielfeld in den Besitz eines Lageplans von Burg Karnstein und ihrer Gruft gelangt. Wahrscheinlich hat er ihn von dem Helfershelfer der Vampirin, der möglicherweise auch als Kutscher und Lakai auftritt.

In einer sehr schön gestalteten Rückblende erzählt uns Spielfeld, wie er diese mysteriöse Mademoiselle Millarca – noch ein Anagramm – kennen lernte, die seiner Bertha zum Verhängnis wurde. Selbstredend hat Spielfeld Pflock und Hammer mitgebracht, denn schließlich ist Bereitsein alles.

Die Sprecher / Die Inszenierung

„Carmilla, der Vampir“ ist nicht nur Kino für die Ohren, sondern auch noch Hollywoodkino. Denn hier sprechen nicht irgendwelche Sprecher, sondern die deutschen Stimmen bekannter Stars aus der internationalen Filmgeschichte – siehe oben. Dass diese Profis eine solide Performance abliefern, versteht sich fast von selbst, und ich war entsprechend zufrieden.

Ganz besonders gefiel mir Daniela Hoffmann, die man sonst als deutsche Stimmbandvertretung von Julia Roberts oder „Ally McBeal“ zu hören bekommt. Inzwischen hat Hoffmann eine feste Anhängerschaft, wozu auch ich zähle. In diesem Hörspiel lernen wir sie von einer ungewohnten Seite kennen. Dass Carmilla eine lesbische Verführerin ist, passt ins Bild, doch wenn sie zur Furie wird, können wir Daniela Hoffmann auch mal brüllen hören. Kein schöner Klang, so viel steht fest.

Die Damen- wie auch die Herrenriege ist aus den |Titania|-Hörspielen bekannt, so etwa die Synchronstimme von John Malkovich, Joachim Tennstedt, oder von Johnny Depp, David Nathan. Nathan hat es inzwischen selbst zu einem großen Namen im Audiobook-Sektor gebracht, doch hier ist seine Rolle äußerst bescheiden.

Solche geübten und prestigeträchtigen Sprecher und Sprecherinnen einzusetzen, gehört zum Marketing von Marc Gruppe bzw. Titania Medien. Hinzu kommen jeweils traditionsreiche Schauergeschichten, die den nötigen emotionalen Rahmen für die Entfaltung solcher Stimmtalente liefern. Zu Anfang waren es eher unbekannte Geschichten wie etwa Launs „Totenbraut„, doch mittlerweile wagt sich Marc Gruppe an die Klassiker heran: „Frankenstein“ wurde ebenso verarbeitet wie „Dracula„.

Geräusche und Musik

Das zweite konstante Merkmal der „Gruselkabinett“-Inszenierungen – man könnte sie auch Grusicals nennen – besteht darin, alle Geräusche sehr realistisch und glaubwürdig zu gestalten, aber sich dabei stets an die Vorgaben des Horrorgenres zu halten. Wenn es also Nacht ist und Furcht und Grauen angesagt sind, so ruft das Käuzchen und heult der Wolf. Die Kirchturmuhr schlägt die Stunde, am besten rollen noch zwei oder drei Donnerschläge über den Himmel, um den Hörer wissen zu lassen, dass die Mächte des Bösen umgehen. Gleich wird etwas Schreckliches geschehen, so viel ist klar. Hufgekpapper und Kutschenpoltern machen uns klar, das wir uns im tiefsten viktorianischen Zeitalter befinden. Dies alles trifft voll und ganz auch auf „Carmilla“ zu.

Die Musik ist wie fast jede andere Filmmusik nach konventionellem Muster gestaltet, und niemand, der auf alte Dracula-Filme steht, wird sich daran stören. Die Musik lenkt die Emotionen auf subtile, aber wirkungsvolle Weise. Zärtliche Melodien des Sommers werden dabei von dräuenden Akkorden der Nacht abgelöst, das Mysteriöse vom Unheilvollen. Im Finale, der Öffnung der Gruft, kommt alles in potenzierter Form zusammen, und erst im Epilog erklingen tragische Akkorde und ein verspieltes Cembalo oder Spinett.

Am Anfang und Ende des Stückes jedoch ist die Stimme Carmillas in Lauras Verstand zu hören. „Wir sind eins, für immer, Laura.“ Und das gibt der Story noch einmal eine unheilvolle Pointe – denn die Geschichte von Carmilla, dem Vampir, könnte durchaus noch weitergehen.

Unterm Strich

„Carmilla“ ist eine stimmungsvolle Umsetzung des altbekannten Vampirmotivs. Doch als die Story 1871 erschien, galten die Stereotypen, die „Dracula“ einführte noch nicht. Der weibliche Vampir ist erstens lesbisch und erscheint zweitens nicht als Fledermaus, sondern als große schwarze Katze. Außerdem gibt es ein Detail, das man später wieder in Polanskis „Rosemarys Baby“ wiederfindet: das Amulett, das angeblich schützt, doch in Wahrheit seine Trägerin allen Schutzes beraubt.

Ansonsten ist alles wie gehabt, und deshalb können wir uns im Finale über eine triumphal endende Gruftöffnung freuen. Die Umsetzung ist ebenso geglückt wie die damalige Erzählung: Zahlreiche Rätsel verwirren den Leser oder Hörer zunächst, so dass klar wird, dass auch Laura, die nie Furcht kennen lernte, nicht erfasst, welche Gefahr auf sie zukommt. Doch wenigstens gibt es einen gestandenen Vampirjäger, auch wenn er diesmal nicht Van Helsing heißt.

Die Sprecher sind wie stets im „Gruselkabinett“ ausgezeichnet, und unter ihnen ist mir besonders Daniela Hoffmann in der Titelrolle aufgefallen. Von ihr sind sehr ungewohnte Laute zu vernehmen. So würde sich „Pretty Baby“-Julia Roberts anhören, wenn sie richtig wütend und vulgär ist. Musik und Geräusche sind nicht so aufdringlich, dass sie den Text überdecken, wie dies schon mal vorkommen könnte. Der Text hat immer Vorrang, damit wir der Handlung folgen können.

Natürlich ist die Handlung aufgrund der sattsam bekannten Versatzstücke des Vampir-Untergenres sehr vorhersehbar. Und die Dramaturgie tut wenig, um dies zu ändern. Nur die Rückblende, die General Spieldorf beisteuert, zögern noch den allzu kurzen Showdown hinaus und liefert zusätzliche Infos. Aber die brauchten wir im Grunde gar nicht mehr, denn wir wissen auch so Bescheid, was Sache ist. Immerhin: Selten waren die Vampirinnen so sexy wir hier.

78 Minuten auf 1 CD
http://www.titania-medien.de

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