Lee Child – Bad Luck and Trouble / Trouble (Jack Reacher 11)

Gefährliches altes Eisen

Eines Tages liegen auf Jack Reachers Konto 1030 Dollar. Der Mann ohne Telefon und festen Wohnsitz weiß sofort: Seine Vergangenheit hat ihn wieder. Er spürt die Frau auf, die ihm den militärischen Notrufcode zugespielt hat: seine Expartnerin aus Army-Zeiten, Frances Neagley. Sie hat schlechte Nachrichten. Calvin Franz, ein Mitglied der einstigen Neunergruppe, wurde grausam ermordet. Und es scheint, als sei Franz nicht der Einzige aus Reachers altem Team, der einem gefährlichen Gegner zum Opfer gefallen ist … (Verlagsinfo)

Der Autor

Lee Child verdankt seine außerordentliche Karriere als Krimiautor einer eher unangenehmen Lebenssituation: 1995 wurde ihm wegen einer Umstrukturierung sein Job beim Fernsehen gekündigt. Der Produzent so beliebter Krimiserien wie „Prime Suspect“ („Heißer Verdacht“) oder „Cracker“ („Für alle Fälle Fitz“) machte aus der Not eine Tugend und versuchte sich als Schriftsteller. Was selbst wie ein Roman klingt, entspricht in diesem Fall der Wahrheit: Bereits mit seinem ersten Thriller um den Ermittler Jack Reacher landete Child einen internationalen Bestseller. Er war zugleich Auftakt der heute mehrfach preisgekrönten „Jack-Reacher“-Serie. Child, der 1954 in Coventry in England geboren wurde, ist heute in den USA und Südfrankreich zu Hause. (Amazon.de)

1) Größenwahn (Killing Floor, 1997)
2) Ausgeliefert (Die Trying, 1998)
3) Sein wahres Gesicht (Tripwire, 1999)
4) Zeit der Rache (Running Blind/The Visitor, 2000)
5) In letzter Sekunde (Echo Burning, 2001)
6) Tödliche Absicht (Without Fail, 2002)
7) Der Janusmann (Persuader, 2003)
8) Die Abschussliste (The Enemy, 2004)
9) Sniper (One Shot, 2005)
10) Way Out (The Hard Way, 2006)
11) Trouble (Bad Luck and Trouble, 2007)
12) Outlaw (Nothing to Lose, 2008)
13) Underground (Gone Tomorrow, 2009)
14) 61 Stunden (61 Hours, 2010)
15) Wespennest (Worth Dying for, 2010)
15.5. Second Son (2011)
16. The Affair (2010)
16.5. Deep Down (2012)
17. Der Anhalter (A Wanted Man, 2012)
17.5. High Heat (2013)
18. Never Go Back (2013)
18.5. Not a Drill (2014)
19. Personal (2014)
20. Make Me (2015)
21. Night School (2016)
22. Midnight Line (2017)
und weitere.

Handlung

Reacher ist gerade in Portland, Oregon, als er auf seinem Kontoauszug vom Bankomaten einen unerwarteten Betrag entdeckt: 1030,00$. 10-30 ist ein Geheimcode, der nur in seiner Einheit für Sonderermittlungen in der Armee benutzt wurde: „Hilfe – sofort kommen!“ Er ruft im Büro der Army an, wo er zu arbeiten pflegte. Der Datenschutz verbietet es dem Sachbearbeiter, Namen herauszugeben. Reacher rät: Sgt. Frances Neagley. Der Mitarbeiter verneint nicht. Er meint, Neagleys letzter Kontakt wäre aus L.A. gekommen. Reacher fliegt sofort hin und versetzt sich in Neagleys Lage: Wo würde sie im Moment essen gehen? Auf der billigen Seite von Hollywood, in einem Schnellimbiss. Bingo!

Der erste Tote

Neagley ist durchtrainiert, gebräunt und betucht, ganz anders als Reacher. Eigentlich wohnt sie in Illinois nahe Chicago, doch der Tod eines früheren Kameraden hat sie hergeführt: „Calvin Franz ist tot in der Wüste nahe L.A. gefunden worden“, sagt sie, „offenbar hat man ihn aus einem Flugzeug geworfen.“ Franz‘ Körper weist zahlreiche Knochenbrüche auf, darunter zwei gebrochene Schienbeine, und war unterernährt.

Für Reacher ist der Fall schnell klar. Die bösen Jungs haben Franz aus einem Helikopter aus etwa 1000 Metern Höhe geworfen, als er noch lebte – aber erst, nachdem sie ihn zwei bis drei Tage lang gefoltert hatten. Daher die Unterernährung und Dehydration. Franz arbeitete als Privatschnüffler und musste auf etwas gestoßen sein, das den bösen Jungs so viel wert war, dass sie ihn tagelang folterten. Seine Witwe informierte Neagley aus Santa Monica heraus, so dass sich Neagley sofort auf den Weg machte. „Wir müssen das Team wieder zusammenstellen“, fordert Neagley.

Leichter gesagt als getan. Sie, Reacher und Franz sind drei von ehemals neun, doch Lowry starb in Montana bei einem Autounfall. Bleiben noch fünf. Keiner von denen meldet sich auf mehrfachen Anruf. Das Büro des Detektivs ist verwüstet, als sie es mithilfe des Schlüssels betreten, den ihnen Franz‘ Witwe gegeben hat. An seinem letzten Tag hatte Franz also sein Büro nicht betreten. Die Verwüstung bestätigt Reacher, dass Franz‘ Mörder nicht gefunden haben, was sie suchten.

Beute

Nebenan verrät der Vermieter des Büros, wer vor der Polizei nach Franz gefragt hat: Männer in Anzügen. Noch eins weiter steht ein Postamt, wo Franz sein Schließfach gehabt hat. Dafür passt der zweite Schlüssel am Bund. Zur Auswahl stehen 544 Postschließfächer. Nach einer Viertelstunde findet Reacher das richtige. Es ist gestopft voll. Er stößt auf etwas, das Neagley einen USB-Stick nennt. Franz war clever: Er hatte alle Arbeitsergebnisse nicht auf seinem Computer gespeichert, sondern an sein eigenes Postfach adressiert. Aber dieses schlaue System rettete nicht sein Leben. Er opferte sich, um die brisante Information in diesem Fach zu schützen.

Vermisste Kameraden

Wenn nicht die Leichen der vermissten Kameraden wären, sähe alles recht harmlos aus: Die „brisante Information“ entpuppt sich als negativer Verlauf einer Produktions- und Testreihe. Der einzige der Truppe, der in einer produzierenden Firma arbeitete, ist Tony Swan. Er arbeitete bei New Age Systems in L.A. als Sicherheitschef. Was diese Firma herstellt, will die Personalchefin um keinen Preis verraten. Reacher nennt sie „die Drachen-Lady“, doch später erfährt er, dass sie genauso erpresst wird wie Mrs. Franz und viele andere. Ein Detective von der Polizei von L.A. informiert sie über Leichenfunde in der Wüste: Franz und Snow. Und er gibt ihnen einen Zettel mit zwei Zahlen, den Orozco in Vegas wegwarf: 650 für jeweils 100.000$. Es geht also um etwas, dass 65 Mio. Dollar wert ist. Nicht gerade ein Pappenstiel.

Der Anschlag

Warum melden sich die beiden Ehemaligen nicht, die in Vegas arbeiteten? Um Sanchez und Orozco zu finden, fährt das Team mit dem Wagen hin. Sie finden Sanchez‘ Freundin und Orozcos Frau, die beide nicht ahnen, dass ihre Liebsten tot sind. Die vier schlendern gerade in Gedanken vertieft über den Gehsteig einer Straße, die am Tag recht verlassen wirkt, als Reachers scharfes Gehör ein unverkennbares Geräusch vernimmt: Der Schlitten des Verschlusses einer Pistole wird zurückgezogen, damit eine Patrone aus dem Magazin in die Kammer geladen wird. Als nächstes wird dann der Abzug gezogen und die soeben geladene Patrone abgefeuert.

Reacher reagiert instinktiv. Da er mit seinen zwei Metern Körpergröße das größte Ziel abgibt, wird er garantiert als erstes Ziel ausgewählt und O’Donnell als zweites. Binnen eines Sekundenbruchteils stößt er O’Donnell beiseite und wirft sich in die Gegenrichtung, wo er praktisch auf Neagley landet. Der Knall des Abschusses folgt, die Kugel zischt vorbei. Wie in Zeitlupe beobachtet er, wie O’Donnell am Boden liegend seine eigene Pistole zieht, kurz zielt und seinerseits feuert…

Mein Eindruck

Irgendjemandem muss die Aktivität von Reachers Gruppe nicht gepasst haben. Sie kamen der Wahrheit wohl etwas zu nahe. Nach dem Anschlag in Vegas kennt Reacher keine Skrupel mehr. Er verschafft sich etwas Bargeld und „erwirbt“ unter der Hand vier Pistolen. Ihm ist es ein Rätsel, wie sich seine vier getöteten Spitzenleute überwältigen lassen konnten, aber er hat nicht vor, sich ebenfalls überraschen zu lassen.

In Tony Snows Exfirma muss sich irgendwo ein Hinweis finden, den die Drachen-Lady verbergen wollte. In seinen Methoden ist Reacher nicht zimperlich, und so kracht schon bald um Mitternacht ein robuster Chrysler durchs Werkstor von New Age Systems und donnert weiter, bis er in den Eingangsbereich kracht…

Protokoll

Die Schilderung dieses Überfalls und aller anderen Aktionen erfolgt in „Echtzeit“, so dass der Leser dieses Protokolls nie mehr weiß als die Protagonisten. Es gibt nur eine Ausnahme, die aber eher der Ablenkung dient: Der Mann aus London bringt Werte in Höhe von 65 Mio. Dollar zu Leuten, die ihm etwas verkaufen, das er dann nach Westen fährt. Von Denver aus geht etwa zur gleichen Zeit ein halbleerer Laster auf große Fahrt – er kommt aus einer Waffen produzierenden Firma, die fürs Pentagon arbeitet.

Heißer Draht

Neagley hat einen exzellenten Kontakt mitten im Pentagon sitzen, der ihr noch eine Menge schuldig ist. Auf einmal scheint die Sache, der Reacher nachgeht, nicht mehr persönlicher Natur zu sei – quasi eine private Such- und Racheaktion -, sondern eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit. Endlich kommt die eigentliche Aussage des Romans in Sicht: Bei den Firmen, die das Pentagon mit Steuergeldern bezahlt, verschwinden jedes Jahr Unmengen an gefährlichem Material in dunklen Kanälen: Waffen aller Art, aber auch Software, elektronische Systeme – und natürlich Experten für alles Mögliche.

Dunkle Kanäle

Die Kritik des Autors richtet sich gegen die mangelhafte bis nicht vorhandene Kontrolle und Aufsicht über diese immensen Werte – die Rede ist von Milliarden. Und er demonstriert, zu wem die genannten „dunklen Kanäle“ führen könnten: zu Terroristen wie dem feinen Geschäftsmann aus London, der höchstwahrscheinlich aus einem kriegführenden Land im Nahen oder Mittleren Osten stammt. Einem Land, dass den Vereinigten Staaten schaden möchte. Beispielsweise durch Terroranschläge, die mit den gestohlenen bzw. unterschlagenen 650 Waffensystemen begangen werden könnten, von denen jedes mit 100.000$ bezahlt wurde – Orozco hatte es herausgefunden.

Altes Eisen

Reacher ist ein ehemaliger Angehöriger der Militärpolizei. Ebenso wie seine drei Mitstreiter und deren ermordete Kameraden. Nicht alle haben es so gut getroffen wie Neagley, sondern viele müssen sich als Sicherheitschef, Privatdetektiv oder sogar als Türsteher und Leibwächter durchschlagen. Und das, obwohl sie mal die Besten der Besten gewesen waren!

Ihnen stehen nun die Ehemaligen der Polizei von Los Angeles (LAPD) gegenüber. Auch diese Männer wollen für ihre Altersvorsorge Rücklagen bilden – indem sie erstklassige Militärtechnik an Terroristen verscherbeln. Dass Reacher für solche miesen Cops nur Verachtung übrig hat, versteht sich von selbst, außerdem haben sie seine ehemaligen Kameraden den Kojoten und Geiern der Wüste zum Fraß vorgeworfen.

Showdown

Entsprechend gnadenlos verfährt er mit ihnen. Es gibt nur ein Problem: Sie haben sich Dixon und O’Donnell gekrallt und sie in ihre Festung verschleppt. Diese Festung gilt es nun zu knacken. Dass er mit Neagley an der richtigen Adresse ist, verrät der am Boden wartende Helikopter. Damit Dixon und O’Donnell nicht das gleiche Schicksal wie Franz oder Snow erleiden müssen, bleibt Reacher und Neagley nur wenig Zeit. Denn schon bald wird jemand die geklauten Waffenkomponenten abholen wollen, um sie zusammenzusetzen…

Unterm Strich

Wieder einmal rettet Reacher mit unkonventionellen Methoden die Vereinigten Staaten vor dem sicheren Untergang. Nur Aussteiger wie er haben offenbar die Handlungsfreiheit und Skrupellosigkeit, um die Barrieren der Hierarchien zu durchbrechen und sich einen Teufel um den Patriot Act zu scheren, der offenbar sogar Gedanken verbietet, die die nationale Sicherheit gefährden könnten. Reacher und Co. haben ihre eigenen Quellen, genau wie die Gegenseite, die sich einfach bei den Waffen bedient, die sie unterschlagen können.

Es gibt eine Gegenwelt zu Reachers rauen, hemdsärmeligen Umgangsweisen: Smarte Typen in teuren Anzügen, die lederne Aktentaschen als Diplomatengepäck tragen, um damit finsterste Machenschaften und modernste Waffensysteme zu bezahlen. Auf diese Weise verhöhnt der Autor die Sicherheitsmaßnahmen, mit denen sich USA anno 2006/07 in Sicherheit wiegten. Anschläge wie jene vom 11. September 2001 erscheinen jederzeit wieder möglich, zum Beispiel auf Israel, den engsten verbündeten der USA im Nahen Osten..

Was ist schuld an dieser miesen Sicherheitslage? Der Autor sagt es klipp und klar: Das schlecht überwachte Liefersystem des Pentagon ist löchriger als ein Schweizer Käse, und weil die Ehemaligen aus Militär, Militärpolizei und Polizei so mies (wenn überhaupt) bezahlt werden, bedienen sie sich zwangsläufig dieser günstigen Gelegenheiten. Abnehmer für Waffen etc. gibt es überall, nicht zuletzt Terroristen, die als smarte Geschäftsleute oder Diplomaten in die USA einreisen.

Ob die sarkastische Kritik des Autors irgendetwas genützt hat, wird man wohl niemals erfahren. Dafür sorgt der Patriot Act, der alle Angehörigen des US-Militärs ebenso zum Schweigen verpflichtet wie die Mitarbeiter von Regierungsbehörden und ihren Zulieferern. Aber es hat immer wieder Whistleblower gegeben: Edgar Snowden, Manning u.a., die ihre Ehre über den Patriot Act gestellt haben und so automatisch zu Landesverrätern wurden. Auch Reacher wäre ein Landesverräter – wenn man ihn nur fassen könnte. Mittlerweile besitzt er nicht mal mehr eine Zahnbürste…

Richter und Henker

Der minutiöse Protokollstil des Textes kann zwar auf die Dauer nerven, aber er sorgt dafür, dass man rasend schnell umblättert, um die nächste Aktion zu erleben. Am Schluss kann man das Buch überhaupt nicht mehr weglegen, denn so ein Showdown darf ja nicht mittendrin aufhören. Gestört hat mich allerdings die skrupellose Brutalität, die Reacher als Richter und Vollstrecker in Personalunion an den Tag legt.

Taschenbuch: 552 Seiten
Sprache: Englisch
Originaltitel: Bad Luck and Trouble
ISBN-13: 9780553818109

www.rbooks.co.uk

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