Fritz Leiber – Der unheilige Gral (Die Abenteuer von Fafhrd und dem Grauen Mausling 1)

Nehwon ist eine mittelalterlich anmutende Welt, in der die Magie zum alltäglichen Leben gehört. Götter, der Tod und Dämonen mischen sich gern persönlich in die Geschicke der Menschen ein. Das Land zerfällt in große und kleine Länder und Stadtstaaten, die in der Regel feudal regiert werden. Recht und Ordnung werden vom jeweiligen Herrscher definiert und mit Schwert und Dolch durchgesetzt. Die Landkarte weist viele weiße Flecken auf, außerdem gibt es mysteriöse Stätten, die anscheinend Passagen in fremde Welten oder Dimensionen ermöglichen.

Dies ist die Heimat von Fafhrd und dem Grauen Mausling. Der großwüchsige Barbar wuchs im hohen Norden auf, wo grimmige Kälte und Schnee das Leben hart und kurz werden lassen. „Die Schneefrauen“ erzählt von Fafhrds Jugend. Der junge Mann sehnt sich nach der Fremde, während seine Mutter, eine mächtige Hexe, ihn notfalls mit Magie an seinen Stamm binden will. Fafhrd bricht mit ihr und seinen Leuten und flieht mit der schönen Vlana hinaus in die Welt. In einem anderen Winkel von Nehwon erlebt der junge Zauberlehrling Maus in „Der unheilige Gral“ ein grausames Schicksal, als sein Meister ermordet und er selbst in die Folterkammer geworfen wird, bis auch ihm zusammen mit seiner geliebten Ivrian die Flucht gelingt.

Beide Paare siedeln sich in Lankhmar, der größten Stadt Nehwons, an, wo sich Fafhrd und der Graue Mausling zum ersten Mal begegnen, sofort Freunde werden und sich mit der örtlichen Diebesgilde anlegen („Schicksalhafte Begegnung in Lankhmar“). Nach dem traurigen Ende ihre Gefährtinnen verlässt das Duo die Stadt und begibt sich auf eine unstete, ziellose Wanderschaft durch viele Länder, bis sie schließlich doch nach Lankhmar zurückkehren („Der Fluch der Wiederkehr“). „Edelsteine im Wald“ locken unsere beiden Helden in ein Schatzhaus, das sich als trickreiche Todesfalle entpuppt. In Lankhmar geraten sie wenig später erneut mit der Diebesgilde aneinander und müssen sich nicht nur der lebenden, sondern auch einiger toter Mitglieder erwehren („Haus der Diebe“). Kaum haben die Freunde das überstanden, zwingt ein Fluch sie auf eine fast tödliche Reise an den Rand der bekannten Welt, wo sie „Die unwirkliche Küste“ ansteuern und ihr Ende finden sollen.

Der Anschlag misslingt, doch die Abenteurer sind weit entfernt von Lankhmar gestrandet und müssen sich auf eine lange Rückreise durch unbekannte Länder machen. Dabei geraten sie in den Bann eines Mörders, der dringend Opfer für die Geister sucht, die ihn verfolgen („“Der heulende Turm“). Während einer Seereise stürzt Fafhrd über Bord und wird vom verrückten Kapitän Lavas Laerk aufgefischt, der ihn zur Teilnahme an einer verwünschten Expedition in „Das versunkene Land“ zwingt. Ein unerwarteter Schatz bringt Fafhrd und dem Mausling kurz darauf kein Glück, weil dessen Eigentümer, „Die sieben schwarzen Priester“, sie keineswegs mit ihrem Fund entkommen lassen wollen.

Endlich zurück in Lankhmar, versucht sich das Duo als Juwelendiebe, erfährt jedoch unerwartet Konkurrenz durch eine halb vergessene Göttin, die mit Hilfe der „Klauen der Nacht“ Furcht und Terror in den nächtlichen Straßen der Stadt verbreitet. Magie ist ebenfalls im Spiel, als sich Fafhrd und der Mausling, die noch immer um ihre Gefährtinnen trauern, Hilfe suchend an die Zauberer Ningaubel und Schelba wenden und erfahren müssen, dass „Der Preis des Vergessens“ hoch ist. Sie müssen ihn prompt zahlen, als die beiden Magier sie ohne Möglichkeit zur Weigerung anheuern, um eine Attacke aus Zeit & Raum abzuwehren und den „Basar des Bizarren“ zu schließen.

Vor allem der erfahrene Freund des Genres Fantasy wird sich die Frage stellen, wieso er (oder sie) Geld für eine Sammlung von Geschichten ausgeben soll, die bereits vor Jahren in Deutschland erschienen sind: Der |Heyne|-Verlag veröffentlichte „Der unheilige Gral“ als „Schwerter und Teufelei“, „Schwerter gegen den Tod“ und „Schwerter im Nebel“ vor drei Jahrzehnten und legte diese Bücher seither mehrfach auf. Allerdings bedingt der Niedergang der einst glanzvollen Fantasy-Sparte dieses Hauses, welche heute kaum mehr als Tolkien-Derivate hervorbringt, dass Fafhrd und der Graue Mausling (sowie das übrige Werk von Fritz Leiber) längst vom Buchmarkt verschwunden sind. Außerdem war es bis weit in die 1970er Jahre üblich, Romane und Kurzgeschichten zu kürzen, damit sie ins genormte Schema von 128, 144 oder 160 Buchseiten passten.

Das eine ist eine Schande, das andere eine glücklicherweise überwundene Unsitte. Der kleinen aber feinen |Edition Phantasia| kann nicht genug dafür gedankt werden, dass sie unsere beiden seltsamen Helden nicht nur der Vergessenheit entrissen, sondern auch zu einer luxuriösen Wiederkehr verholfen hat. „Der unheilige Gral“ erinnert an den „Director’s Cut“ eines Kinofilms auf DVD: Die Storys kommen in Gestalt und Umfang erstmals so vor die Augen der Leser, wie sie der Autor ursprünglich vorgesehen hatte. Außerdem gibt es eine Menge interessantes Hintergrundmaterial. Schriftstellerkollege Michael Moorcock schrieb eine kenntnisreiche Einleitung, Autor Fritz Leiber äußert sich in mehreren Essays über die Entstehungsgeschichte Fafhrds und des Grauen Mauslings. Die ist gekennzeichnet durch die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, welche den bisher unerschütterlichen, aus heutiger Sicht naiven Glauben an einen unaufhaltsamen Fortschritt der USA in Frage stellte. Die daraus resultierende Unsicherheit hat die Zeitgenossen nachhaltig geprägt. Auch Fafhrd und dem Mausling zerrinnt in der Regel zwischen den Fingern, was sie sich mühsam ergaunern.

Leibers Geschichten wirken auch deshalb so modern, weil sie in einer Welt spielen, die zwar als Mischung aus Mittelalter und 1001er Nacht daherkommt, doch keineswegs simpler gestrickt ist als die Realität. Nehwon und seine Bewohner lassen sich nicht in Schwarz oder Weiß unterteilen. Der Mausling ist ihr typischer Vertreter: Er ist grau. Ehrbare Bürger sind Schurken, Schufte können nette Leute sein – In Nehwon ist nichts sicher, darf man sich auf niemanden verlassen.

Fafhrd ist zwar ein Barbar, aber einer mit Köpfchen. Seine Sehnsucht nach der Zivilisation, die ihn dazu bringt, seine Heimat und sein Volk zu verlassen, schlägt rasch in Ernüchterung um, als er Lankhmar erreicht. Doch Leiber lässt Fafhrd deshalb nicht reuevoll umkehren in die „reine“ Welt der einfachen Wilden, weil es die überhaupt nicht gibt: „Die Schneefrauen“ ist eine ebenso spannende wie gallig-witzige Novelle, die ganz sicher nicht das im Fantasygenre beliebte Loblied des von Dekadenz unangekränkelten Barbarentums singt, sondern die Beschränktheit und den engen geistigen Horizont der gar nicht „edlen“ Wilden herausstellt. Fafhrd drängt es hinaus in die Welt. Als er erkennt, dass er dort sein Paradies auch nicht finden wird, beginnt er zu lernen und passt sich an: Schon in „Schicksalhafte Begegnung in Lankhmar“ hat er sich akklimatisiert. Sowohl er als auch der Mausling entwickeln sich stetig weiter; sie werden erwachsen.

So war das ursprünglich allerdings nicht geplant. Leiber schrieb die ersten Fafhrd/Mausling-Storys in den 1930er Jahren als lose Folge abgeschlossener Abenteuergeschichten. Eine Chronologie entwickelte er erst drei Jahrzehnte später, als eine erste Gesamtausgabe der inzwischen entstandenen Storys geplant war. Leiber nutzte die Gelegenheit und schloss diverse Lücken mit neu verfassten Geschichten. „Der unheilige Gral“ ist dennoch ein erstaunlich „rundes“ Werk geworden – ein Roman in Erzählungen, die immer wieder aufeinander Bezug nehmen.

Inhaltlich bieten die Fafhrd/Grauer Mausling-Storys eine tour de force durch die Welt/en der Fantasy. Ungeheuer, Dämonen, Könige und Prinzessinnen in Not, Diebe, Zauberer – sie alle und noch mehr geben sich ein Stelldichein. Die daraus resultierenden Konfrontationen werden von Leiber unerhört spannend in Szene gesetzt. Dazu kommen zwei Aspekte, die den Klassikerstatus seiner Nehwon-Geschichten überhaupt erst begründeten: Leiber ist ein Schriftsteller mit ausgeprägtem Talent und handwerklichem Geschick. Er weiß mit Worten umzugehen, schildert uns fremde Welten so gewandt, dass sie plastisch vor unserem inneren Auge entstehen. Seine Storys sind gleichzeitig ausladend und knapp formuliert. Das ist kein Widerspruch: Leiber schwelgt einerseits in wunderschönen, fantasievollen Ortsbeschreibungen, während er andererseits mit jedem Wort geizt. Es gibt keine vieltausendseitigen, auf ziegelsteindicke Buchbände ausgewalzten Abenteuer – diese Pest der modernen Fantasy – von Fafhrd und dem Grauen Mausling. Leiber verdichtet in einem Absatz, wofür mancher jüngere Autor ganze Kapitel aufzuwenden für richtig hält.

Zusätzlich betört der trockene, oft schwarze Humor, den Leiber immer wieder einfließen lässt. Dabei nimmt er seine Helden und Leser stets ernst. Auf der anderen Seite beherrscht Leiber auch die tragischen Töne. Darüber hinaus hat er ein Gespür für atmosphärischen Horror. Er ist ein Zeitgenosse von H. P. Lovecraft (1890-1937), mit dem er in engem Briefkontakt stand. Lovecraft nahm sich gern die Zeit, jüngeren Schriftstellern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In Leiber fand er einen guten Schüler, der den Meister 1978 mit einem der besten postumen Beiträge zum legendären Cthulhu-Mythos überhaupt ehrte („Our Lady of Darkness“, dt. „Herrin der Dunkelheit“). Wenn Leiber es spuken lässt, dann wird es wirklich unheimlich!

Hoffen wir also, dass der Kreis sich schließt bzw. die geplanten vier Bände der |Fafhrd & Mausling|-Chronik tatsächlich erscheinen werden! Sie gehören in ihrer aktuellen Inkarnation zweifellos in das Bücherregal jedes Lesers, der sich ernsthaft für das Genre Fantasy interessiert, welches eben doch weitaus vielfältiger ist als die moderne Monokultur der immer gleichen, endlosen Schwertschwingen-Epen!

Fritz Reuter Leiber jr. wurde am Heiligen Abend des Jahres 1910 als Sohn eines bekannten Shakespeare-Schauspielers geboren. Nach einem Besuch der Universität von Chicago – er studierte Psychologie – trat er selbst kurze Zeit als Schauspieler auf. Seine wahre Liebe galt indes der Schriftstellerei. Bereits in den frühen 1930er Jahren verfasste Leiber einige Texte für kirchliche Zeitschriften. Doch in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts schwenkte er auf Horror-, SF- und Fantasygeschichten um. Zu seiner ersten Veröffentlichung wurde 1938 „Two Sought Adventure“, eine Geschichte aus der Welt Nehwon, die sich Leiber mit seinem Freund Harry Fischer ausgedacht hatte. Fafhrd und der Graue Mausling, die Hauptfiguren, wurden Leibers erfolgreichste Schöpfung und begleiteten ihn während seiner gesamten Karriere.

Seinen ersten Roman veröffentlichte Leiber 1943. „Conjure Wife“ (dt. „Spielball der Hexen“), ein moderner Horrorroman, erwies sich als erfolgreiches Werk und wurde bereits im folgenden Jahr unter der Regie von Reginald Le Borg mit Lon Chaney jr. als „Weird Woman“ in Hollywood verfilmt. Weitere Kurzgeschichten und Novellen folgten, obwohl Leiber noch bis 1956 hauptberuflich für das Theater und im Verlagswesen tätig war. Erst jetzt wurde er Vollzeit-Schriftsteller. Nunmehr stellte sich auch der Erfolg bei der Literaturkritik ein. In den nächsten Jahrzehnten heimste Leiber praktisch alle bedeutenden Preise ein, die in der phantastischen Literatur vergeben werden. Für die grandiose Lovecraft-Neuinterpretation „Our Lady of Darkness“ (dt. „Herrin der Dunkelheit“) wurde ihm 1978 der „World Fantasy Award“ verliehen.

Leibers Privatleben wurde immer wieder von Phasen exzessiven Alkoholmissbrauchs geprägt. Auch seine erste Ehefrau Jonquil trank und war medikamentenabhängig. Als sie 1969 nach einer Überdosis starb, begab sich Leiber in eine mehrjährige Therapie, die ihm endlich half, „trocken“ zu werden. 1992 heiratete Leiber ein zweites Mal. Er schrieb kontinuierlich weiter und begab er sich auf eine lange Reihe von Zugreisen kreuz und quer durch die USA, denen er nicht mehr gewachsen war. Leiber erlitt einen Zusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholte. Am 5. September 1992 ist er nur Wochen vor seinem 82. Geburtstag gestorben. „Thrice the Brinded Cat“, eine erst kurz zuvor entstandene Kurzgeschichte, wurde sein Abschiedsgeschenk.

Über die Welt von Fafhrd und dem Grauen Mausling informiert inhaltsreich und farbenprächtig www.lankhmar.demon.co.uk, die zahlreiche Links auf weitere einschlägige Websites liefert.

Fafhrd und Grauer Mausling: die ursprüngliche Serie, wie sie im Heyne-Verlag erschienen ist:

1. Schwerter im Nebel („Swords in the Mist“, 1968)
2. Schwerter gegen Zauberer („Swords against Wizardry“, 1968)
3. Die Schwerter von Lankhmar („The Swords of Lankhmar“, 1968)
4. Schwerter und Teufelei („Swords and Deviltry“, 1970)
5. Schwerter gegen den Tod („Swords against Death“)
6. Schwerter und Eismagie („Swords and Ice Magic“, 1977)
7. Ritter und Knappe des Schwerts („The Knight and Knave of Swords“, 1988)

Die neuen Sammelbände der Edition Phantasia:

1. Der unheilige Gral („Ill Met in Lankhmar“, 1995)
2. Die Herren von Quarmall („Lean Times in Lankhmar“, 1996)
3. Der traurige Henker („Return to Lankhmar“, 1997)
4. Noch nicht erschienen („Farewell to Lankhmar“, 1998)

Taschenbuch: 392 Seiten
Originaltitel: Ill Met in Lankhmar