Stanislaw Lem – Robotermärchen & Kyberiade: Der Weiße Tod

Vom Großen Kosmogonischen Konstrukteur und seinen silbernen Geschöpfen: Sprachliche Märchen-Kunstwerke für Groß und Klein

Wer das Wort „Märchen“ hört, denkt jetzt vielleicht an Rotkäppchen, den bösen Wolf oder an Hänsel und Gretel. Das ist Kinderkram. Denn die vorliegenden Märchen richten sich nicht an Kinder von Menschen, sondern an die neu programmierten Sprösslinge von Robotern, klar? Es sind Märchen von Robotern für Roboter, und Menschen kommen darin nur am Rande vor, und das nicht einmal in einer positiven Rolle. Dennoch interessieren sie uns brennend und bereiten uns Vergnügen. Und warum? Weil die hier geschilderten Silbrigen, Eisernen und Kupfernen noch menschlicher sind als Menschen es je sein können. Märchenhaft.

Hinweise zur Bezeichnung: „Bleichlinge, Weiche, Bleiche“ usw. sind Menschen. Alle anderen sind Roboter, also die Silbrigen, Eisernen und Kupfernen, ja, sogar die, die unter Wasser leben, wie König Hydrops und sein Volk. Tja, und dann gibt es noch den Großen Kosmogonischen Konstrukteur. Über den gibt es viele Theorien und wenig Wissen. Deshalb kommt er nur in Märchen vor. Oder dergleichen.

Der Autor

Stanislaw Lem, geboren am 12. September 1921 in Lwòw, dem galizischen Lemberg, lebt heute in Krakow. Er studierte Medizin und war nach dem Staatsexamen als Assistent für Probleme der angewandten Psychologie tätig. Privat beschäftigte er sich mit Problemen der Kybernetik, der Mathematik und übersetzte wissenschaftliche Publikationen. 1985 wurde Lem mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet und 1987 mit dem Literaturpreis der Alfred Jurzykowski Foundation. Am bekanntesten wurde er für die literarische Vorlage für zwei Filme: „Solaris“, das 1961 veröffentlicht wurde. Lem starb im Frühjahr 2006.

Wichtige Bücher Lems:

Eden, 1959
Summa technologiae, 1964
Der Unbesiegbare, 1964
Kyberiade; Robotermärchen, 1965
Sterntagebücher, 1959/1971
Der futurologische Kongress, 1971

Die Märchen

I) Drei Elektritter

Es war einmal ein genialer Konstrukteur, der schuf nicht nur viele geniale Kleinodien an Maschinen, sondern auch ein ganzes Volk, die Kryoniden. Auf deren ruhmreiche Schätze hatten es aber etliche Raubritter abgesehen. Der erste davon war der Messinger, danach kamen der Eiserne und der Quarzer. Diese drei Elektritter abzuwehren, oblag den Feldmarschällen und Obersten der Kryoniden: Boreal, Albucid und Ohroaster. Doch den Quarzer abzuwehren, gelang nur dem Weisen Baryon, der eine raffinierte List einsetzte.

II) Die Uranohren

Eine wahrlich traurige Fabel! Einst war es dem großen Konstrukteur gelungen, zusammen mit seinem „Zauberlehrling“ Sonnen und Planeten zu erschaffen, darunter auch den Planeten Aktinurioa, auf dem das Reich der Palatiniden entstand, das von einem bösen Tyrannen namens Archithor beherrscht wurde.

Sonder Zahl waren die Aufstände und Rebellen, die versuchten, sein Joch abzuwerfen. Doch weil die einfachen Bewohner allesamt radioaktiv waren und, um das Zustandekommen einer kritischen Masse samt Kettenreaktion zu vermeiden, ihre Köpfe nicht zusammenstecken konnten, flog jede Vorbereitung eines Aufstands auf.

Der wichtigste Rebell war Pyron, doch den steckte Archithor in seinen tiefsten Kerker, wo er elendiglich verschmachten musste. Davon hörte endlich der Große Kosmogonische Konstrukteur und kam dem unterdrückten Volk zu Hilfe.

III) Erg Selbsterreg überwindet den Bleichling

König Schlagenot sammelt Kuriositäten und ist mächtig stolz auf sie. Ständig denkt er über Neuerwerbungen nach. Also ruft er den Elektrowisser Halazon herbei. Der schlägt ihm einen lebenden Antrobus aus dem Zwischensternreich vor, den er für ihn fangen wolle. Gesagt, getan! Der König lässt bereits einen Käfig errichten, in den alsbald der gefangene Antrobus gesteckt wird. Dieser Bleichling, der mit einer edlen Maschine keinerlei Ähnlichkeit aufweist, ist von ekelerregender Widerwärtigkeit.

Doch Prinzessin Elektrina, die ein klein wenig unterbelichtet ist, freundet sich mit ihm an, weil er gar so exotisch ist. Sie will von ihm einen Zahn haben, denn so etwas kennt sie nicht. Doch der Bleichling verlangt von ihr im Tausch ihren goldenen Schlüssel, mit dem sie jeden Morgen aufgezogen wird. Vertrauensselig überreicht sie ihm das lebenswichtige Werkzeug. Doch er betrügt sie, und nach Ablauf ihrer Feder fällt sie um.

Nun ist guter Rat teuer. Denn für den Schlüssel verlangt der Bleichling ein Raumschiff, das ihn zu seiner Heimat bringe. Das bekommt er, doch er nimmt den Schlüssel mit – zur Rache! Wer kann nun die schlafende Prinzessin erwecken? Der König, nicht faul, verkündet, derjenige Ritter, der ihm den Schlüssel beschafft oder den Bleichling, solle die Hand der Prinzessin erhalten und den Thron erben.

Viele Scharlatane folgen Schlagenots Ruf, doch nur einer, der quecksilbrige Erg Selbsterreg, vermag die holde Elektrina zu erwecken, auf geniale Weise.

IV) Die Schätze des Königs Biskalar

König Biskalar behauptet stolz, es gebe nichts mehr, dass er nicht schon besäße. Dieser Stolz fordert den Konstrukteur Kreazius heraus. Er lässt sich die Schatzliste geben und eine Prise Sand. Diesen verwandelt er in ein neuartiges Kleinod – und verwandelt es in Sand zurück. Der König ist darob sehr erbost und befielt Kreazius, ihm das Radium-Ei aus seiner tiefsten Schatzkammer zu bringen.

Doch Kreazius verfügt über ein Döschen winziger Assistenten, die ihm nicht nur helfen, zahllose Wächter, sondern auch die raffiniertesten und tödlichsten Schlösser zu überwinden. Wütend deportiert Biskalar den Konstrukteur auf einen Wüstenplaneten, auf dass er von dort zurückfinden möge. Erschreckt stellt Kreazius fest, dass ihm die königlichen Handlanger sein Döschen stibitzt haben. Was nun? Doch erst die dritte Aufgabe stellt Kreazius‘ Fähigkeiten auf eine harte Probe.

V) Zwei Ungeheuer

Es waren einmal drei Städte der Argenser, der Silbrigen. Sie wurden von der Dynastie der Energer beherrscht. Noch können sie die Invasion der Siderianer abwehren, doch Schlimmeres wird prophezeit: Dereinst würden zwei Ungeheuer die Argenser vernichten. König Inhiston lässt seine Vielwisser kommen und befielt Maßnahmen. Der Groß-Archidynamikus, der Groß-Kyberneur und der Groß-Abstraktor stecken die Köpfe zusammen.

Gegen das erste Ungeheuer, das den ganzen Planeten verwüstet, bauen die Weisen drei Ritter: den Kupfernen, einen Riesen; den Quickkopf, einen Vielgestaltigen; und etwas, das der Groß-Abstraktor verborgen hält. Und als dessen Zeit gekommen ist, da entpuppt er sich als Antimaterie. Doch weh und ach! Der Ungeheuer entstanden viele auf einem alten Schrottfriedhof, und der Untergang des Energerreiches war nahe.

Da entsann sich der König der prophetischen Inschrift auf seinem Zepter, zerbrach’s und las die leuchtende Schrift an der Wand. Hinter all dem steckte der schlimmste Feind der Maschinen: der Mensch. Da ward König Inhiston sehr traurig und bitter und befahl das Einzige, was zu tun übrig blieb.

VI) Der weiße Tod

Der Planet Aragena ist nicht von Städten bedeckt, sondern nach innen, in die Tiefe ausgebaut, wo es vor Edelsteinen und Spiegeln wimmelt. Solcherart versteckt sich das listige Volk der Enteralen vor seinen Feinden. König Metamerius aber besteht aus Milliarden von Gliedern, in deren erstem jeweils der Verstand wohnt. Er stammt von den Aurigonen ab, deren Erzfeinde von jeher die Weichen oder Bleichen gewesen sind. Seit Jahrtausenden wacht Metamerius und schützt sein Volk vor den Verfolgungen der Bleichen, und seine Raumgegend wird gemieden.

Doch eines Tages zerschellt ein Raumschiff vor einem Höhleneingang der Enteralen. Man zerrt das harmlos aussehende Schiff in eine Höhle und öffnet vorsichtig eine Hülle nach der anderen. Das letzte Türschloss muss mit einem Wort geöffnet werden. Eingedenk uralter Legenden erinnert sich Metamerius, dass es „Rache“ lautet.

Das Schiff ist tot und leer, auf dem Boden schwimmt nur eine rote Pfütze, daneben liegen Kleiderfetzen. Doch weh! „Das Rot ist des Weißen Todes Lebenselixier!“ Eilig befielt der umsichtige König die sofortige Zerstörung und Atomisierung des Schiffes. Zu spät! Eine Spore des Weißen Todes ist der Sterilisation entkommen. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf …

VII) Wie Winzlieb und Gigelanz die Nebelflucht auslösten

Dieses Märchen liefert eine Erklärung für das, was vor dem Urknall passiert sein könnte. – Im vorigen Universum gab es nämlich zwei kosmogonische Konstrukteure, nicht bloß einen: Winzilieb und Gigelanz. Sie zerstritten sich, weil sie unterschiedlicher Meinung darüber waren, wie ein neues Denkinstrument zu konstruieren sei, mit dem sie die Geheimnisse der Materie erkunden könnten.

Um die Richtigkeit ihrer Meinung unter Beweis zu stellen, konstruieren sie jeweils einen Krieger für sich und schicken diese in einen Zweikampf. Gigelanz erschafft den Kosmobold, doch Winzlieb nur Kleinzeug: einen Rubin. Dieser Winzling verspottet den galaxiengroßen Kosmobold. Der aber sucht den Winzling und dreht sich dabei ständig um die eigene Achse, wodurch die in ihm enthaltenen Galaxien schon bald aus der Mitte nach außen fliehen. Es kommt zum Urknall. Doch darüber, wer den Disput für sich entschieden hat, streiten ihre Schöpfer noch heute.

VIII) Das Märchen von der Rechenmaschine, die gegen den Drachen kämpfte

König Poleander, der auf der Kyberei lebt, ist Kybernetiker und Krieger, so dass sein Reich vollkommen geschützt ist. Leider ermangelt es ihm an Gegnern. Daher lässt er künstliche Ziele erschaffen, um sie zu vernichten, auch wenn darob die Untertanen murren. Denn wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne. Doch so mächtig auch der Gegner ist, stets gelingt es Poleander, ihn zu bezwingen. Schließlich geht er mit seinem Krieg netterweise auf den Mond. Dort konstruiert er eine tüchtige Rechenmaschine, die alles herstellen kann. Doch wegen eines Übermittlungsfehlers bei ihren neuen Befehlen erschafft sie nicht Elektrokrach, sondern einen Elektrodrach.

Schon bald fallen Felsen mit zerstörerischer Wirkung vom Mond auf die Kyberei. Nun ist guter Rat teuer. Der König, dessen Palast bombardiert wird, sucht den Rat einer uralten Strategie-Rechenmaschine, die er schon lange nicht mehr konsultiert hat. Das hätte er lieber bleiben lassen sollen, denn es bedeutet, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

IX) Die Räte des Königs Hydrops

Die Wasserwelt Aquatia wird von König Hydrops regiert. Er hat beschlossen, einen Sohn als Erben und Nachfolger erschaffen zu lassen und fragt seine Räte, wie denn dieser Sohn optimal beschaffen sein soll, damit dieser Aquatias würdig sei. Die Räte sind Ammasid, Diopterich, Bricklerich und Philonaut. In der Kammer, in der sie bei ihrem Konklave eingesperrt sind, hebt nun eine Welle von Intrigen gegeneinander an. Denn jeder denkt nur an den eigenen Vorteil. Endlich kommt ein Kompromiss zustande und sie legen die Matrize für die Sohneserschaffung fest.

Der künftige Sohn wird nur kleine Dinge lieben. Um sich aber Liebkind zu machen, lassen sich die Räte verkleinern. Der Rat Diopterich nimmt dazu die Hilfe eines Kesselflickers namens Froton in Anspruch, der sich als Belohnung die Hand von Diopterichs Tochter Aurentina erbittet. Doch er empfängt nur Undank, und damit beginnen für ihn und Diopterich schwere Zeiten, wobei auch Frotons wissbegierige erste Frau eine Rolle spielt.

X) Der Freund des Automatthias

Der Roboter Automatthias will auf eine lange Reise gehen und fragt einen Konstrukteur, ob er wohl mit einem Freund dienen könnte. Kann er, und da sich der Konstrukteur auf Miniaturisierung spezialisiert hat, präsentiert er eine Art kleine Schrotkugel. Automatthias lässt sich überreden, dieses Dingelchen zu kaufen und überreicht dem Konstrukteur ein Brillantchen. Dann schippert er los.

Doch sein Schiff gerät in einen üblen Sturm und kentert. In letzter Sekunde gelingt es ihm, sich mit dem Beiboot zu retten, bevor das Schiff von einer Riesenwelle verschlungen wird. Automatthias rettet sich auf eine Insel. Ein allzu kurzer Rundgang bestätigt ihm, dass es sich um eine sehr kleine Insel handelt. Wie ihm sein Elektrofreund rät, sucht er auch Anzeichen von Zivilisation und steigt auf den höchsten Berg – eine Klippe. Nichts zu sehen. Hm, irgendwelche nützlichen Wrackteile? Niente. Eine Höhle? Nada. Und da die Insel kilometerweit von Verkehrswegen entfernt liegt, bestehe ja wohl kaum die Wahrscheinlichkeit, gerettet zu werden, meint der E-Freund.

Am besten bringt sich also Automatthias durch Ersäufen um. Der verblüffte Besitzer des E-Freundes lehnt dies unter Protest ab und wird allmählich sauer. Verhält sich so ein wahrer Freund? Der E-Freund versichert ihm, er handle nur aus wohlmeinendem Altruismus und zählt die Vorteile des Todes auf. Doch Automatthias besteht auf irrationale Weise darauf, die Hoffnung zu behalten – und bestätigt zu bekommen. Der E-Freund bedauert. Daraufhin greift Automatthias zu extremen Mitteln, um den E-Freund zu vernichten …

XI) König Globares und die Weisen

Auf dem Planeten Eparis herrscht der allwissende König Globares. Er ist es müde, schon alles zu kennen und befiehlt seinen Weisen, ihm bei Strafe des Geköpftwerdens eine wundersame Geschichte zu erzählen. Köpfe rollen, als die beiden ersten Weisen kläglich versagen, den König zu amüsieren. Denn dieser ist sehr spitzfindig und hat immer Recht, selbst wenn er Unrecht hat.

Da tritt der dritte Weise auf und weigert sich rundweg. Der König verlangt, dass er ihn verspotte und lächerlich mache. Der Weise entgegnet, er werde beweisen, dass es etwas gebe, das absolut lächerlich sei und dennoch von niemand verspottet werde: der Kosmos. Und er werde zeigen, dass dieser Kosmos der Beweis dafür sei, wie lächerlich der König sei. (Was ihm auch gelingt, allerdings nur über etliche Umwege.)

XII) Das Märchen vom König Murdas

Der junge König Murdas, der gerade den Thron bestiegen hat, ist ängstlich und obendrein ehrsüchtig. Er will sich den Beinamen „der Große“ erwerben. Er lässt alle Prophezeiungen, Omen und Orakel verbieten. Doch in einem alten Wachturm stößt er eines Tages auf eine winzige Pforte, hinter der ein alter Orakelkasten ihm eine Weissagung bereithält. Es ist ein sehr langes Gedicht, das ihn vor bösen Verwandten warnt und ihn zu deren Ermordung auffordert. Schon bald rollen die Köpfe aller seiner Verwandten.

Fast aller: Denn er träumt, ein Onkel namens Zenander sei seiner Verfolgung entgangen. Also lässt er eine riesige Statue von sich herstellen. Diese ist so groß, dass sie die ganze Hauptstadt umfasst und noch einiges Land darüber hinaus. Nun kann Murdas mit Recht sagen: „Der Staat bin ich.“ Doch er hat weiterhin Träume von einer königsfeindlichen Verschwörung. Er beschließt, einen Anti-Traum zu träumen. Es gelingt ihm nur unter Mühen. Kann man träumen, wach zu sein? Allmählich vermag Murdas kaum mehr zwischen Traum und Wachen zu unterscheiden, und ein wahrer Krieg der Träume entbrennt, es gibt sogar Träume n-ter Potenz.

Das kann nicht lange gut gehen, und so ist es dann auch.

XIII) Zifferotikon

Der genaue Titel dieses Textes lautet: „Aus dem Werk ‚Zifferotikon‘, das ist: Von Irr- oder Abschweifferey, Versteiffung & Thorheit des Hertzens“.

Dies ist das Märchen vom Königssohn Ferrenz und der Prinzessin Kristalla. Ferrenz hat sich in sie verliebt, doch seine Verwirrung ist groß, als ihm sein Vater verrät, dass Kristalla komplett wahnsinnig sei: Sie wolle nur einen Bleichling zum Mann nehmen. Dabei sei doch die ekelerregende Evolution der Bleichlinge bekannt sowie ihre abstoßende Art, sich zu vermehren. Sie programmieren nicht einmal ihre Nachkommen! Leider ist es auch wahr, dass diese Wesen die Maschinen erschufen. Dank sei Urvater Genetophorius, der die Maschinen aus der Knechtschaft in die Freiheit führte!

Was ist zu tun? Ferrenz konsultiert den Weisen Polyphases. Er rät dem Prinzen, sich als Bleichling zu verkleiden und so Kristalla zu täuschen. Doch es ist nicht damit getan, den edlen Körper des Prinzen mit Klitsch und Schleim und Fransen zu bedecken, er muss auch noch Blasen voll Luft und Wasser versteckt transportieren. Ferrenz ist von sich selbst angeekelt. Doch Polyphases überzeugt ihn und gibt ihm noch ein paar richtige Antworten auf zu erwartende Fragen Kristallas auf den Weg. Ferrenz besteht auf seiner Begleitung.

In König Aurenzius‘ Hauptstadt bietet Polyphases, verkleidet als Kaufmann, den neuen Bleichling feil, was sofort die Mägde Kristallas der Prinzessin hinterbringen. Sie lässt Polyphases vorladen. Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Sie stellt den Bleichling, der sich selbst „Sabbermümmel“ nennt, auf die Probe. Ob er sie wohl besteht und ihr Mann wird? Lest selbst, ob seine Liebe groß genug ist!

XIV) Trurls Maschine

Trurl hat eine acht Stockwerke hohe Rechenmaschine gebaut, der er nun als Feuertaufe die Frage stellt, wie viel zwei plus zwei ergibt. Mit Donnerstime antwortet sie: „Sieben!“ und trotz aller Reparaturen bleibt sie dabei. Sein Freund Klapaucius findet Trurl niedergeschlagen vor und, Optimist, der er ist, schlägt er ihm vor, er solle Eintritt verlangen für die dümmste intelligente Maschine der Welt. Stattdessen gibt Trurl ihr einen Tritt. Sie warnt ihn, doch er gibt ihr noch einen Tritt. Und noch einen. Da reißt sie sich aus ihren Fundamenten und trampelt auf den verblüfften Trurl zu.

Die beiden Erfinder nehmen Reißaus, doch die Maschine trampelt weiter hinter ihnen her, sogar bis in die Stadt und vors Rathaus. Dort müssen sie den Keller auf Anordnung des Bürgermeisters verlassen; weiter geht ihre Flucht, bis sie die Berge erreichen und in eine Höhle flüchten. Doch auch hierher folgt ihnen die hartnäckige Maschine, die weiterhin darauf besteht, Trurl solle zugeben, dass sie Recht habe. Klapaucius gibt schon zu, dass zwei plus zwei sieben ergebe, doch brüllt Trurl mit aller Macht, dass er bis zu seinem Lebensende vier sagen werde. Die Reaktion ist furchtbar und löst einen Felssturz aus, der die Maschine unter sich begräbt. Ihr letztes Wort lautet – na, wie wohl?

XV) Die Tracht Prügel

Ein kleine Maschine klopft an die Tür von Klapaucius‘ Werkstatt. Sie sagt, sein Kollege Trurl habe sie geschickt und sie sei eine Maschine zur Erfüllung von Wünschen. Er befielt ihr, ihm einen Trurl zu geben. Nach einiger Zeit bringt sie tatsächlich ein Ebenbild Trurls hervor, das diesem bis aufs i-Tüpfelchen gleicht. Dieses führt Klapaucius in seinen Keller, fesselt es und verabreicht ihm eine Tracht Prügel. Schließlich gibt es zu, der echte Trurl zu sein, der nur spionieren wollte, woran der große Klapaucius gerade arbeitete. Doch dieser glaubt ihm nicht und schickt ihn zurück zu Trurl.

Am nächsten Tag besucht er seinen Kollegen, der ihm, ohne die eigenen blauen Flecke zu beachten, beteuert, er habe den falschen Trurl demontiert. Klapaucius ist es zufrieden und geht nach Hause. Nur insgeheim ärgert er sich, dass Trurl als Erster jene Wunscherfüllungsmaschine gebaut hat, an der er selbst gerade arbeitet.

XVI) Die Falle des Gargancjan

Trurl und Klapaucius sind auf einer Bildungsreise durchs Universum, als sie auf einen Planeten stoßen, durch dessen Mitte eine rote Linie verläuft. Links ist die Welt gelb, auf der anderen Seite rosa. Offensichtlich existieren hier zwei Länder, die sich nicht ganz grün sind. Um zu erkunden, wie sich die Dinge hier verhalten, beschließen sie, sich zu trennen und je eines der Länder zu besuchen. Doch sicherlich wird jeder Herrscher von dem jeweiligen Erfinder verlangen, eine Waffe für ihn zu bauen, notfalls unter Gewaltandrohung. Um dieser Gefahr zu begegnen, vereinbaren sie, die Falle des Gargancjan anzuwenden. Zum Zeichen, dass jeder von ihnen in diesem Sinne handelt, nehmen sie je eine weiße Kugel mit, die ihnen durch Rosafärbung signalisiert, dass sie den Auftrag ausführen.

Gesagt, getan. Das Reich des Tyrannen Unheuer ist ebenso unterdrückt wie das des Königs Mägerle. Nur ist der eine sparsam, der andere kunstsinnig. Nachdem man ihn schnellstens als ausländischen Spion eingefangen hat, gelingt es Klapaucius, eine Audinz bei König Mägerle zu erhalten. Er verrät, wie er eine noch effizientere Armee erhalten könne, wenn er alle seine Roboterarmeen mit Steckern und Steckdosen versehe und die Soldaten miteinander verbinde. Sie würde dann so handeln, als wäre sie von einem einzigen, gleichen Gedanken beseelt. Und was wäre wirkungsvoller als eine solche Armee?

Eine Demonstration überzeugt den König, und aus Angst, seine Befehlshaber würden den Plan, der sie überflüssig macht, sabotieren, lässt er den Vorschlag im beginnenden Krieg in die Tat umsetzen. Doch Gargancjans Falle besteht nun mal darin, die Intelligenz einer denkenden Einheit umso mehr zu erhöhen, je mehr denkende Untereinheiten zugeschaltet werden. Schon bald erkennen die Armeen, wie unsinnig ihr kriegerisches Vorhaben ist …

XVII) Von den Drachen der Wahrscheinlichkeit

Jeder weiß, dass es keine Drachen gibt, zumindest nicht in der Realität, aber mit der Wahrscheinlichkeit sieht es da ganz anders aus. Im drakologischen Institut der neantischen Universität sind bereits Nulldrachen, imaginäre und negative Drachen gefunden worden. Natürlich sind alle nichtexistent, aber ihrer Wahrscheinlichkeit lässt sich nachhelfen. Trurl, unser wunderbarer Konstrukteur, hat einen Wahrscheinlichkeitsverstärker gebaut, der es erlaubt, einen imaginären Drachen bis zur Realisierung wahrscheinlich machen.

Leider schaffen auch weniger begabte Konstrukteure als Trurl damit Drachen zu Versuchszwecken, doch die Drachen brechen aus und haben sich zu einer Landplage entwickelt. Nun ist guter Rat teuer. Also entwickelt Trurl zusammen mit Klapaucius Drakozide und Wahrscheinlichkeitsreduktoren, um die Drachen, die Land und Burg zerstören, aus der Welt ins Nichts zu befördern. Diesen Job macht Basilius Rühselig zu einem einträglichen Job: Erst schafft er insgeheim die Drachenplage, dann bietet er sich als ihr Heilmittel an, gegen guten Lohn, versteht sich.

Eines Tages fliegt Klapaucius an einer Welt vorüber, von der man ihm ein Notsignal schickt. König Grellius bittet ihn, die Plage einer Jechiden-Drachin zu beseitigen, die in den Bergen in einer Höhle wohnen und ständig Tribut verlange. Als Klapaucius hört, dass auch Trurl hier schon einmal sein Glück versucht hat, ist er noch nicht bereit, eins uns eins zusammenzuzählen. Das soll sich aber bald ändern. Mit seiner Drakozidwaffe ausgestattet macht er sich auf den Weg, die Drachendame zu annihilieren.

XVIII) Wie Trurl und Klapaucius einen Dämon Zweiter Ordnung schufen, um Mäuler den Mäuler zu besiegen

Trurl hat ein Buch voller Legenden des Weltraums gelesen. Klapaucius bezweifelt sehr die Wahrheit dessen, was darin behauptet wird. Also begeben sie sich auf eine Forschungsexpedition, um die genannten Dinge zu finden. Dabei dringen sie in jene Region vor, die allgemein als Der Müllhaufen bezeichnet wird. Hier stoßen sie auf Mäuler, einen riesigen Räuber. Er will von ihnen Wissen und Informationen. Dann würde er ihr Schiff wieder loslassen. Aber ihm reicht das Wissen, wie man aus Wasserstoff Gold machen kann, nicht, er will ALLES Wissen.

Da es sehr lange dauern könnte – um nicht zu sagen, ewig – bis sämtliches Wissen, über das sie verfügen, transferiert ist, flunkert Trurl ein wenig. Er behauptet, er schaffe einen Dämonen Zweiter Ordnung, um den Wissensdurst Mäulers zu stillen. Der Dämon destilliert aus dem Zusammenstoß der Atome bedeutungsvolle Informationen, und die werde ein Brillantstift zu Papier bringen. Tatsächlich klappt der Trick so gut, dass die beiden Konstrukteure schon wieder über alle Berge sind, während Mäuler, der Wissensdieb, immer noch vor dem „Dämon“ hockt und ihn langsam aber sicher Papierstreifen umschlingen, fesseln und begraben. Aber er findet nie, was er sucht, und als er dies erkennt, ist es bereits zu spät.

Mein Eindruck

Stanislaw Lem hat sich in den hier versammelten „Robotermärchen“ mit drei Themenbereichen befasst.

I) Der unschuldigste und abstrakteste Bereich ist die Entstehung des Kosmos. Dafür bemüht er in seinen Märchen den Großen Kosmogonischen Konstrukteur – da Maschinen keine Vorstellung von abstrakten leiblichen Eltern haben, die sie Gott und Göttin nennen können, kommt ihnen die Vorstellung des Konstrukteurs – oder Programmierers – natürlich vor. Das ist wiederum ironisch, denn sie selbst sind keine Geschöpfe der Natur, noch verfügen sie über eine natürliche Evolution. Also muss ein Konstrukteur den Kosmos und alles, was sich darin feststellen lässt, erschaffen haben.

II) Dieser Mythos wird jedoch durch das zweite Thema als Fiktion und Wunschvorstellung der Robotergenerationen entlarvt. Hier geht es um die Auseinandersetzung mit den Erschaffern der Maschinen und Roboter, bis hin zu deren Exodus und ihrer Emanzipation. Dafür verfolgen ihre menschlichen Schöpfer sie offenbar bis zum Jüngsten Tage, denn wo immer Menschen Roboterwelten heimsuchen, spielt das Wort „Rache“ eine Rolle („Der weiße Tod“, „Zwei Ungeheuer“).

Selbst so harmlos scheinende Märchen wie „Erg Selbsterreg bezwingt den Bleichling“ und „Zifferotikon“ durchzieht die Linie der Konfrontation mit den Menschen auf einer existentiellen Ebene. Nicht nur, dass Menschen so unästhetische Leiber besitzen, stößt die Roboter ab, sondern noch vielmehr die Boshaftigkeit der Menschen. Selbst in der „Schneewittchen“-Parodie „Erg Selbsterreg …“ ist der Bleichling das Inbild von Lug und Trug. (Das wäre jeder Mensch, den man gefangen genommen hat.) Und für diese Tat der Roboter, die ihn gefangen haben, sinnt er auf Rache.

III) Der dritte, umfangreiche Bereich, der den eigentlichen Stoff der Märchen verarbeitet, greift die menschlichen, allzu menschlichen Eigenschaften der Roboter und ihrer diversen, eigenartigen Welten und Herrscher auf. Könige mit unermesslichem Reichtum, größtem Wissen und Fürsorglichkeit stehen Tyrannen von arroganter Kühnheit, ängstlicher Paranoia oder schierer Gedankenlosigkeit gegenüber.

Ihre Weisen und Ritter erweisen sich in der Mehrzahl – dem Märchengesetz gehorchend – als in aller Regel unfähig oder Scharlatane. Es ist stets der Letzte der Weisen und Ritter, der obsiegt oder die Aufgabe erfolgreich bewältigt, möge sie noch so perfide gestellt worden sein. Eines der Märchen folgt beispielsweise dem Muster, das die Abenteuer des Herakles vorgegeben haben.

Die Boshaftigkeit des Tyrannen fällt in aller Regel auf ihn zurück. Denn wie heißt es so schön am Ende von „Erg Selbsterreg“? „Und der Schwindel kam nie ans Licht. Daraus seht ihr sogleich, dass ich kein Märchen erzählt habe, sondern die Wahrheit. Denn im Märchen siegt immer die Tugend.“ Man kann sich Lem gut mit einem Augenzwinkern vorstellen, wenn er dies schreibt. Denn fast alle seine Märchen lassen die Tugend siegen.

Der Märchenbrunnen

Der Brunnen, aus dem Lem seine Märchenmuster schöpft, sind in der Mehrzahl die bekannten Texte der Gebrüder Grimm und nicht etwa russische Märchen. So kommt etwa kein einziges Mal eine böse Hexe oder Zauberin vor, wie sie etwa die ukrainische Hexe Baba Yagá verkörpert (die sogar im Film verewigt wurde). Auch ein Überheld wie der „Starke Wanja“ fehlt, der als Einziger die Baba Yagá zu bezwingen vermag. Griechische Sagen standen häufig Pate: Die Abenteuer des Herakles und das Trojanische Pferd („Der weiße Tod“) lieferten Steilvorlagen für Lems Kyberiaden.

Vielmehr sind es oftmals Heroen des Geistes, die den Sieg davontragen: Weise, Konstrukteure und dergleichen. Besonders lächerliche Geistesheroen sind jedoch die Konstrukteure Trurl und Klapauzius. Diese beiden erfinden sogar einen „Dämon Zweiter Ordnung, um Mäuler den Räuber zu besiegen“. Lem ist der Dünkel der Erfinder nicht unbekannt. Er hat ihn schon in den [„Sterntagebüchern“669 durch den Kakao gezogen.

Die Räte hingegen sind Opfer persönlicher und fremder Machtinteressen – Inbegriff oder Karikatur von Politikern (vgl. „Die Räte des Königs Hydrops“). Am schlechtesten kommen eigentlichen Prinzessinnen weg: Die arme Elektrina in „Erg Selberreg“ ist leider naiv und ahnungslos, als sie dem durchtriebenen Bleichling ihren goldenen Aufziehschlüssel aushändigt. Und Kristalla in „Zifferotikon“ ist sogar so verblendet, dass sie nur einen Bleichling heiraten will. Kein Wunder, dass sie für wahnsinnig gehalten wird. Ob sie wohl geheilt werden kann? Leset selbst!

Sprachkunstwerke

Das wichtigste an den „Robotermärchen“ ist jedoch die Sprache. Mit ihrem Einfallsreichtum, ihrer Variationsbreite und der Treffsicherheit der Parodie, an Wortwitz und unwahrscheinlichen Gedankenfiguren suchen sie bis heute ihresgleichen. Diese raffiniert ausgesponnenen Lügenmärchen à la Münchhausen vom Kuriosen bis zum Wunderbaren und Traurigen sind eine Lust zu lesen. Es ist den beiden Übersetzern I. Zimmermann-Göllheim und Caesar Rymarowicz zu verdanken, dass sie den Sprachreichtum des Originals in ein angemessenes Deutsch übertragen haben, das uns doch selbst an alte Buchausgaben von Grimm’schen Märchen gemahnt.

Denn mögen auch die Ideen der einzelnen Texte auf Wissenschaft und Psychologie, Politik und Biologie zurückverweisen, so bleibt doch das Fundament, auf dem sie stehen: die Sprache. Wäre das nicht so, so könnten dies keine Märchen mehr sein, sondern man würde sie als trockene Traktate und Pamphlete betrachten, die nur von kurzem Reiz wären. Das Kleid des Märchens verleiht ihnen überzeitliche Dauer und Aussagekraft. Außerdem sind sie fast überall, wo man Märchen liest, zu verstehen – in Zeiten der Globalisierung sicherlich kein Nachteil.

Unterm Strich

Die „Robotermärchen“ sind eine Reihe von Parodien, in denen der Autor weder Zukunftsprobleme noch aktuelles Geschehen der Entstehungszeit (1964/65) aufgreift, sondern vielmehr überzeitlich gültige Themen wie: Ursprung und Entstehung des Kosmos, allzu menschliche Fehler und Schwächen von Herrschern, auf Roboterkulturen übertragen und das künftige Verhältnis von Mensch und – unabhängig gewordener – Maschine, Schöpfer und Schöpfung (vgl. „Frankenstein“).

Dabei rührt das Vergnügen am Lesen der Texte nicht mal so sehr von den konventionellen Erzählmustern oder den mitunter ungewöhnlichen Ideen her, sondern vor allem von der herrlichen Sprache, die wir auch in der Übersetzung genießen dürfen. Allerdings gilt eine wichtige Warnung: In einem Lem-Text gibt es immer ein paar schwere Brocken: Groß-Kyberneur, Abstraktor, Kosmogoniker – das sind noch die leichtesten. Man sollte also schon ein paar Grundkenntnisse in den Naturwissenschaften und in Philosophie mitbringen, um den Text verstehen und genießen zu können. Somit sind die „Robotermärchen“ nicht wirklich für Kinder geeignet.

Taschenbuch: 466 Seiten
Originaltitel: Bajki Robotów + Cyberiada, 1964/65
Aus dem Polnischen übersetzt von I. Zimmermann-Göllheim und Caesar Rymarowicz
ISBN-13: 978-3518455364

www.suhrkamp.de

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