Lena Klassen – Die Seele des Schattens (Magyria 2)

Wer Lena Klassens Trilogieauftakt „Magyria – Das Herz des Schattens“ mochte, der wird auch die Fortsetzung lieben. Denn in „Magyria – Die Seele des Schattens“ führt Klassen ihre Geschichte meisterhaft fort – nicht nur baut sie atemberaubende Spannung auf, auch hat sie sich für die Fortsetzung ein paar überraschende Twists ausgedacht.

Die Handlung setzt ziemlich genau da ein, wo der erste Band endete. Allerdings ist es Klassen ein wohl zu banales Ziel, die Handlung schlicht voranzutreiben und den Kampf um das fantastische Land Magyria und dessen Hauptstadt Akink einfach geradlinig fortzuführen. Stattdessen dekonstruiert sie mit Vergnügen die Fronten, die sie noch im ersten Band aufgebaut hatte: Dort waren König Farank und seine Frau Elira die Guten: die Kämpfer für das Licht, die verzweifelt versuchten zu verhindern, dass ihre Stadt von der Dunkelheit überrannt wird. Diese Dunkelheit wurde repräsentiert von Kunun, ihrem ältesten Sohn und dem Anführer der Schatten. Immer und immer wieder griff er Akink an, versuchte die Stadt einzunehmen und für sich und die Schatten zu gewinnen. Dabei heiligt der Zweck die Mittel. Ob er nun Réka in Gefahr bringt oder seinen Bruder Mattim – schlussendlich würden sich ihre Opfer gelohnt haben, wenn nur Kunun wieder nach Akink könnte. Dabei blieb seine Motivation zunächst im Dunkel, und so musste man als Leser annehmen, dass er schlicht aus Bösartigkeit handelte. Dem ist aber mitnichten so, wie Klassen uns nun vorführt.

Gut und Böse – so einfach war das noch im ersten Band der Trilogie. Nun jedoch, wo der Leser etwas mehr über die Schatten und auch über Kunun erfährt, wackelt dieses so simple Bild. Erstmals bekommen wir eine Ahnung, wie die Schatten eigentlich nach Magyria kamen und warum wohl dieser Krieg ausgelöst wurde. Ist Faranks Ablehnung der Schatten vielleicht nur eine Ablehnung einer uralten Erbschuld? Zumindest lässt er nicht mit sich reden: Eine Versöhnung von Akinkern und Schatten, wie der junge Mattim sie immer wieder anstrebt, scheint unmöglich. Immer wieder hält er seinen Eltern eine versöhnliche Hand hin, und immer wieder wird diese ausgeschlagen. Als Hanna, seine große Liebe, hingerichtet werden soll, bricht die Enttäuschung sich bahn: „Das dürft ihr nicht tun! Das soll das Licht sein? Ihr seid die Guten? Ich hasse dich, Vater!“ Und auf diese Art besteht der Konflikt – besteht der Krieg – immer weiter: Niemand ist zur Versöhnung bereit, niemand ist bereit, der gegnerischen Seite einen Zoll breit zuzugestehen. Beide Seiten – Farank wie Kunun – kämpfen verbissen und unerbittlich und einer ist so sehr im Recht oder Unrecht wie der andere.

Der Kampf um Akink erreicht eine neue Qualität, als es Kunun gelingt, einen seiner Wölfe nach Akink zu schmuggeln. Denn, was wir in diesem Roman lernen: Wo ein Wolf in Magyria einen Menschen beißt, dort entsteht eine Pforte nach Budapest. Bisher war Kununs Problem, dass er Akink nicht erreichen konnte, wenn es in der Stadt jedoch eine Pforte gebe, dann könnten seine Schatten die Stadt überrennen. Denn was Kunun vor allem will, ist nach Hause zu gehen. Er glaubt fest daran, dass die Schatten dort geheilt würden.

Hanna hat wider Willen einen nicht unerheblichen Anteil daran, Akink für die Schatten erreichbar zu machen und als sie in Akink gefangengesetzt wird, führt das zum endgültigen Bruch zwischen Mattim und seinem Vater. Trotzdem fühlt er sich immer noch dem Licht verpflichtet und heckt einen ziemlich wahnsinnigen Plan aus, um dem König die nötige Zeit zu verschaffen, die Stadt zu räumen. Mattims Aufgabe ist also zu lernen, dass auch das Gute verschlungene, ja böse Wege gehen muss, um sein Ziel zu erreichen. Und so fängt er langsam an, Kununs Motivation zu verstehen. Plötzlich ziehen sie nämlich beide – aus unterschiedlichen Gründen – an einem Strang. Etwas, das Mattim noch vor kurzer Zeit für unmöglich gehalten hätte.

Damit verhandelt Lena Klassen wie nebenbei die ganz großen Fragen: Wann ist das Gute gut? Was definiert das Böse als böse? Wo verlaufen die Grenzen und sind die fließend oder scharf abgegrenzt? Klare Antworten gibt sie darauf nicht. Sie überlässt es lieber dem Leser, zu seinen eigenen Schlüssen zu kommen. Das macht ihre Romane zu solch einem Lesevergnügen: Wo ansonsten nur an der Oberfläche von Konflikten und Charakteren gekratzt wird, bohrt Lena Klassen mit spitzbübischer Freude immer tiefer und tiefer, legt eine Schicht nach der anderen frei und präsentiert die Ergebnisse dem Leser: Schau hier, scheint sie zu sagen, was sagst du jetzt zu dieser und jener Figur? Das hättest du jetzt nicht gedacht, oder?

Da noch ein dritter Band die Trilogie vervollständigen wird, ist auch klar, dass Klassens literarische Bohrungen noch nicht abgeschlossen sind. Man darf gespannt sein, welche Überraschungen sie dann noch bereithält. Stoff hat sie sich noch reichlich übrig gelassen, denn es sind längst nicht alle Fragen geklärt. Und trotzdem: Die Hoffnung besteht weiterhin, dass vielleicht doch eine Versöhnung zwischen Menschen und Schatten möglich sein wird.

Taschenbuch: 574 Seiten
ISBN 13:978-3-442-26894-8
blanvalet.de
lenaklassen.de

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