Lena Klassen – Herz des Schattens (Magyria 1)

All-Age-Vampir-Fantasy – das gibts wie Sand am Meer. Aber gute All-Age-Vampir-Fantasy ist dagegen gar nicht so leicht zu finden. Wer sich vom verkitschten Cover nicht irritieren lässt und trotzdem zu Lena Klassens Trilogie-Auftakt “Magyria – Das Herz des Schattens” greift, wird mit einer ausgereiften Story und einem episch angehauchten Setting belohnt. Die Liebesgeschichte ist da nur noch das Sahnehäubchen, nicht bereits der Hauptgang.

Der Charme des Buches beruht hauptsächlich darauf, dass sich Klassen für die Entwicklung ihrer Handlung und ihres Fantasysettings viel Zeit lässt. Die ersten zweihundert Seiten verbringt der Leser abwechselt in Budapest und in einem geheimnisvollen Land, das Magyria heißt. Dabei bleibt zunächst unklar, wie beide Plots zusammenhängen, doch je weiter der Roman fortschreitet, desto mehr Berührungspunkte versteckt Lena Klassen in den beiden Schauplätzen und überlässt es erst einmal dem Leser, das Puzzle zusammenzusetzen. Daraus erwächst viel Spannung, und obwohl man eine ganze Weile braucht, um das Geheimnis zu lüften (eben genau die Zeit, die Lena Klassen für ihre Exposition braucht), kommen nie Langeweile oder Frust auf.

Protagonistin des Budapest-Teils in Hanna, die gerade mit der Schule fertig geworden ist und nun ein Jahr als Au pair bei den Szigethys verbringt, wo sie sich um den kleinen Attila und die 14-jährige Réka kümmern soll. Während sie mit Attila bald warm wird, stellt sich Réka als schwer pubertätsgeplagt heraus. Oder steckt etwa mehr dahinter? Irgendwann erfährt Hanna, dass Réka heimlich einen Freund hat, den geheimnisvollen Kunun, dem sie vollkommen verfallen ist. Allerdings wird Réka von Gedächtnislücken geplagt und kann sich in der Regel nicht an ihre Dates mit Kunun erinnern. Hanna kommt das seltsam vor, und so macht sie es sich zur Aufgabe, Réka aus den Fängen dieses Kunun zu befreien. Dabei handelt sie sich allerdings einiges an Ärger ein, denn Kunun ist viel mehr, als er zu sein vorgibt.

Außerdem lernt der Leser das Land Magyria kennen, dass von einem Lichtkönig und seiner Frau regiert wird. Diese haben alle ihre Kinder – bis auf Mattim, den Jüngsten – an die Schatten verloren. Diese Schatten, wir würden sie Vampire nennen, haben es auf die Hauptstadt Akink abgesehen, schaffen es aber nicht über den Fluss Donua, der die Stadt vom Wald trennt. Mattim, der sprichwörtliche jugendliche Held, ist mit der defensiven Haltung seiner Eltern nicht einverstanden. Immer nur Schatten verfolgen und deren Wölfe töten, das kann auf Dauer nicht den Sieg bringen. Er will herausfinden, woher die Schatten ihre Kraft beziehen. Dazu heckt er den verrückten Plan aus, selbst zum Schatten zu werden, um herauszufinden, was die Schatten in die Höhlen im Wald zieht. Mit diesem Wissen möchte er seinen Eltern den entscheidenden Vorteil im Kampf gegen den Feind verschaffen. Was er jedoch nicht bedacht hat, ist, dass er als Schatten sein Licht verliert und Magyria in einen anhaltenden Winter stürzt. Und das könnte fatale Folgen für das Land haben!

Natürlich werden sich Hanna und Mattim irgendwann in Budapest begegnen – Schmetterlinge im Bauch sind vorprogrammiert. Gemeinsam werden sie versuchen, Réka aus Kununs Einflussbereich zu befreien und Akink vor Kununs Zugriff zu schützen. Dazwischen bleibt zum Glück immer noch ein wenig Zeit für Romantik und den einen oder anderen Bluttrunk aus Hannas Adern.

Was “Magyria” zu einem überzeugenden Fantasyroman macht, ist die Tatsache, dass die zentrale Liebesgeschichte nicht den gesamten Plot kapert – außer der Romanze um Hanna und Mattim gibt es in dem Buch noch viel mehr zu entdecken. Im Gegenteil, die Liebesgeschichte ist noch nicht einmal der interessanteste Teil des Romans. Lena Klassen hat mit dem Land Magyria ein groß angelegtes Fantasysetting erfunden, das sowohl geheimnisvoll als auch faszinierend ist. Gleichzeitig gibt Magyria noch nicht alle seine Geheimnisse preis – schließlich sollen noch zwei Romane folgen und auch dort will der Leser ja Neues erfahren.

Ein bisschen schade ist, dass Kunun als der große Gegenspieler etwas blass bleibt. Als der älteste Sohn des Lichtkönigs ist er einst den Schatten zum Opfer gefallen und nun möchte er Akink überfallen und seinen – wie er meint – rechtmäßigen Platz auf dem Thron einnehmen. Woher die Schatten jedoch ursprünglich kamen, wie das “Böse” also in die Welt von Magyria kam, das enthält uns Lena Klassen (zumindest bisher) vor. Auch wird nicht recht ersichtlich, warum genau Kunun so abgrundtief böse ist. Seine Motivation bleibt weitestgehend im Dunkeln, was auf Dauer etwas frustrierend ist. Es bleibt zu hoffen, dass Lena Klassen in den weiteren Bänden auf diese Details weiter eingeht und Kununs Charakter mehr Tiefe verleiht.

Vor den farbenprächtigen Kulissen agieren interessante und dreidimensionale Charaktere. Lena Klassen macht sich einen Spaß daraus, Klischees zu zitieren, diese dann aber umzuinterpretieren: Da ist der ungestüme Mattim, der Inbegriff des jungen Helden, der zwar mutig ist, seine Pläne aber nicht bis zu Ende denkt. Und da ist Hanna, die beherzte Heldin, die für die Liebe alles tun würde. Und dann noch Réka, die genauso nervtötend ist, wie es wohl alle Mädchen in der Pubertät sind – nur steckt eben nicht nur die Pubertät dahinter. Klassen spielt mit solchen Topoi und nutzt sie geschickt für ihre Handlung. Und deshalb bereitet “Magyria” auch solch ein Vergnügen: Die Figuren sind immer sowohl die typischen Charaktere des Genres als auch eine Uminterpretation genau dieser Klischees. Darum ist für jeden Leser gut vorgesorgt: für den, der auf der Suche nach der schematischen Liebesgeschichte ist, und für den, der genau dies nicht lesen will. Lena Klassen hat das Kunststück geschafft, beides in “Magyria” unterzubringen. Ein echtes Lesevergnügen!

Taschenbuch: 560 Seiten
ISBN-13: 978-3-7645-3044-0
www.penhaligon.de
www.lenaklassen.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)