Lilach Mer – Seacrest House

Der Krieg ist seit zehn Jahren vorbei, aber Joss Nash ist noch immer nicht im Frieden angekommen. Die Normalität um ihn herum erscheint ihm fremd, und er weiß irgendwie nichts Rechtes mit sich anzufangen. Bis er sich eines Tages infolge einer Reihe unerwarteter Begegnungen im Hausflur einer schäbigen Pension wiederfindet, an der einiges wirklich sehr seltsam ist …!

Lilach Mers Geschichten neigten schon immer eher zur Kürze, insofern kam der Autorin die literarische Form der Novelle wohl durchaus entgegen. Und bisher ist es ihr auch stets gelungen, Figuren, Situationen und Stimmungen eindrucksvoll zu vermitteln. In diesem speziellen Fall muss ich allerdings sagen, ist es ihr nicht ganz so intensiv gelungen wie sonst.

Joss Nash ist eigentlich ein netter Kerl, groß, gutaussehend, charmant, aber auch widersprüchlich. Einerseits vermißt er den Kick, den der Krieg verursacht hat, das intensive Erleben des Augenblicks, zu dem man nur fähig ist in dem Bewusstsein, dass jeder Tag der letzte sein könnte. Andererseits fürchtet er sich davor, womöglich zu enden wie ein Kamerad, der jetzt mit Paranoia in einer psychiatrischen Klinik lebt.

Von sich aus hätte er die Pension „Seacrest House“ niemals aufgesucht, statt dessen ist er quasi aus Versehen vor dem Haus gelandet und dann zum Eintreten genötigt worden. Die Wirtin, eine Mrs. Isherwood, braucht gerade sowohl einen Handwerker als auch einen Burschen, und da Joss‘ Taschen so leer sind wie sein knurrender Magen, ergreift er die Gelegenheit.

Wie Joss im Laufe seiner Tätigkeit auf das Geheimnis des alten Hauses stößt und es letztlich ergründet, ist natürlich absehbar. Novellen bieten nicht genug Raum für komplexe Verwicklungen oder epische Breite. Dennoch ist „Seacrest House“ mehr als einfach nur eine Spukgeschichte, und das ist gut so. Denn wirklich gruselig war sie zu keiner Zeit. Eher haftete der Erzählung ein Hauch von Melancholie und Verlorenheit an, und letztlich ist es tatsächlich so, dass Joss nicht nur die Vergangenheit der Familie Isherwood ergründet, sondern auch sein eigenes Herz. In „Seacrest House“ geht es eigentlich nicht um Geister, sondern um Vergangenheitsbewältigung. Joss‘, nicht die der Isherwoods.

Diese Geschichte hat Lilach Mer in ihrer gewohnt bildhaften, schwebeleichten Sprache sehr anschaulich erzählt, und auch wenn für eine Intensität, wie „Winterkind“ sie erreichte, der Platz dann doch zu knapp bemessen war, ist sie dennoch sehr stimmungsvoll geraten.

War die Novelle zur Zeit der Romantik noch eine sehr beliebte Literaturform, scheint sie heutzutage fast ausgestorben. Der moderne Trend geht eher in Richtung Mehrteiler, manche Zyklen so lang, dass man schon befürchten muss, sie werden niemals zu einem Ende kommen. „Seacrest House“ ist der moderne Beweis, dass es nicht immer vieler Worte bedarf, um eine lesenswerte Geschichte zu erzählen. Und es ist nicht der einzige. Vielleicht trägt der UBV mit seiner Serie von Novellen ja zu deren Revival bei. Da wäre ich durchaus dafür.

Leilach Mer ist Juristin und Fachjournalistin und hauptsächlich im akademischen Bereich tätig. Tagsüber arbeitet sie an der Universität, nachts schreibt sie Bücher. Aus ihrer Feder stammen außer „Seacrest House“ die Romane „Winterkind“ und „Der siebte Schwan“.

Taschenbuch 146 Seiten
ISBN-13: 978-3-943-37810-8

www.ulrichburgerverlag.de

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