Loren D. Estleman – Buffalo Bill

Er führte ein Leben wie im Roman: William F. Cody, genannt „Buffalo Bill“, Viehtreiber, Meldereiter, Soldat, Büffeltöter, aber auch Lügenbold und Aufschneider, der den mythischen „Wilden Westen“ mit erschuf, ihn als Zirkusattraktion präparierte und schließlich überlebte … – Biografischer Roman, der auf Tatsachen basiert, diese aber kunstvoll ausschmückt; dennoch das gelungene Porträt eines ambivalenten Charakters, der bei allem persönlichen Mut fast zwanghaft die Lüge stets der Wahrheit vorzog.

Das geschieht:

1846 wird er im Staate Kansas geboren: William Frederick Cody, den man später „Buffalo Bill“ nennen wird. Acht Jahre ist Will alt, als er miterleben muss, wie sein Vater, der sich öffentlich gegen die Sklaverei ausspricht, niedergestochen wird. Auf seinem Totenbett teilt Isaac Cody dem Sohn sein Credo mit: Die Welt ist schlecht; wenn es dir hilft, verlasse dich auf die Lüge und erzähle den Menschen, was sie hören wollen. Diese Lektion wird Will niemals vergessen und stets behelligen. Will wird Viehtreiber, sattelt um zum Meldereiter, wird Soldat, heiratet die junge Louisa Frederici, arbeitet als Armeescout und Büffeltöter für die Eisenbahngesellschaft, versucht sich als Hotelier, geht bankrott, kehrt in den Westen zurück – und trifft seine Nemesis.

„Colonel“ Edward Judson alias Ned Buntline gehört zu den produktivsten Schund-Schriftstellern seiner Ära. Er ist absolut skrupellos, verquickt wenig Wahrheit mit viel Übertreibung und Lüge. Er sieht das Potenzial in Will Cody und baut ihn zum Volkshelden „Buffalo Bill“ auf. Dieser spielt seine Rolle erst amüsiert, dann geschmeichelt, schließlich überzeugt, als er merkt, dass ihm das Showbusiness liegt und ihm die Prominenz und den Reichtum bringt, nach dem es ihm verlangt. Zunächst verkörpert sich Cody selbst in verlogenen Theaterstücken, aber er ist ehrgeizig: Das Publikum im Osten der USA ist fasziniert vom Wilden Westen. Den präsentiert ihm Cody schließlich mit „Buffalo Bill’s Wild West“, einem Zirkus der Superlative, der Künstschützen, echte Bisons, gestellte Indianerkämpfe tausend andere Attraktionen bietet.

Codys Show bereist nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern zieht auch durch Europa, wo die Künstler vor gekrönten Häuptern und dem Papst auftreten. Aber die Zeit holt schließlich auch den „alten Bill“ ein, der nicht begreifen kann und will, dass der alte Westen untergegangen ist. Im 20. Jahrhundert wird Buffalo Bill zu einer Legende, die sich und ihre Zeit längst überlebt hat …

Spannende Biografie als spannender Roman

„Buffalo Bill“ ist in Roman in vielen spannenden Episoden, der fast sieben Jahrzehnte Leben, Aufstieg und Niedergang eines frühen Meisters der Selbstvermarktung erzählt. Die Fakten stehen fest; William F. Cody ist eine bekannte Figur der Zeitgeschichte, sodass sein Leben besonders in den späten Jahren durch Quellen gut belegt ist. Dies sollte man jedenfalls meinen, doch einer der vielen interessanten Handlungsstränge, die Autor Estleman uns liefert, dreht sich um die Macht der Illusion. Welche ‚Heldentaten‘ Cody tatsächlich beging, welche ihm nachgesagt wurden, welche er selbst erfand, ist heute nicht mehr zu klären. Sie verschwimmen in der Legende Buffalo Bill.

Loren D. Estleman bemüht sich nicht, Wahrheit und Mythos bis ins kleinste Detail zu trennen. Ihm geht es um eine wirklich gute Geschichte – die Geschichte eines bemerkenswerten Lebens, aber auch die Geschichte einer Veränderung, in der William Cody nur ein Element darstellt: „Buffalo Bill“ erzählt vom alten Westen, der nach dem Bürgerkrieg kaum ein Vierteljahrhundert und selbst dann hauptsächlich als Mythos existierte und von dem nur eine schwer fassbare Sehnsucht nach einer Zeit blieb, als die Vereinigten Staaten in der Tat noch grenzenlos waren und alles möglich schien.

Diese Sehnsucht konzentrierte sich einige Jahre auf Buffalo Bills Zirkus, der sie einige Jahre stillen konnte. Dann geht die Zeit auch über diesen Traum hinweg: Hollywood löst ihn ab. Eine der vielen durchaus ergreifenden Szenen zeigen den alt und krank gewordenen Bill Cody, der sich selbst im Film mimt; mit ihm zusammen treten Indianer und Westler auf, die sich wenige Jahrzehnte zuvor noch mit Pulver und Blei bekämpft hatten – die Realität in der perfekten Synthese mit der Illusion.

Mensch & Mythos, Wunsch & Lüge

Ein unbekümmerter, mutiger, gut aussehender Mann ist er in seiner Jugend gewesen, dieser William F. Cody, der sich insofern als Projektionsfläche für einen Westernhelden geradezu anbot. So ist es nach seinem Tod im Jahre 1917 noch lange geblieben; in Wort und Bild wurde die Legende von Buffalo Bill bis in die skeptischer gewordenen 1970er Jahre konserviert.

Der Sockelsturz eines falschen Helden ist Loren D. Estlemans Anliegen nicht. Stattdessen arbeitet er markant die eigentümliche Ambivalenz seiner Hauptfigur heraus. William Cody erlebte mehr als genug echte Abenteuer, die ihn zur historischen Gestalt aufwerteten. Das reichte ihm allerdings nicht; oft freiwillig und wie aus einem inneren Zwang heraus, den Estleman auf prägende Jugenderlebnisse zurückführt, bauschte Buffalo Bill seine Taten auf. Später zwang das Showbusiness ihn dazu, der Hunger seines Publikums nach immer neuen Sensationen, die selbst er, der unstet immer wieder in den geliebten Westen zurückkehrt, bis es Büffeljagden, Indianerkämpfe und andere Abenteuer nicht mehr gibt, schließlich nur noch erfinden kann.

Letztlich beginnt Cody, dem eigenen Mythos zu erliegen. Er wünscht sich, Buffalo Bill zu sein – dies umso mehr, als der Westen verschwindet, die eigenen Kräfte schwinden, die Welt, die er liebt, sich um ihn auflöst. So verpasst Cody folgerichtig den richtigen Augenblick, um abzutreten von der Bühne, die seine wahre Heimat geworden ist. Er wird zur tragischen Gestalt ähnlich wie der späte Frank Sinatra, spielt den großen Buffalo Bill nur noch und ist doch längst zu seinem Mitleid erregenden, peinlichen Schatten seiner selbst geworden; ein quälender Niedergang, den Estleman ohne Sentimentalitäten aber trotzdem anrührend beschreibt.

Ratlos über ein rastloses Leben

Ungeklärt bleibt die Frage, wieso Will Cody Louisa geheiratet hat. Auch Estleman ist ratlos; er schildert eine Beziehung, die im Grunde nie eine Chance hat. Louisa ist weder klug noch schön, ängstlich auf Sicherheit bedacht und notorisch eifersüchtig, letzteres mit gutem Grund, was nur sie zu verwundern scheint. Dennoch bleiben die beiden zusammen, bis der Tod sie scheidet, und machen einander herzlich unglücklich. Ob dies dennoch Liebe, Cody primär mit der eigenen Legende beschäftigt oder Louisa auf die Fassade eines gesellschaftskonformen Familienlebens bedacht ist, muss der Leser selbst herausfinden.

Die unzähligen Nebenfiguren dieser Geschichte sind trotz ihrer oft erheblichen Prominenz eigentlich austauschbar. „Wild Bill“ Hickok, General Custer, Sitting Bull, Großfürst Alexis, Queen Victoria, Papst Leo XIII.: Für Cody kommen und gehen sie, ohne dass sie die Leere in seinem privaten Leben füllen können.

Für sich sind die Auftritte solcher zeithistorischer Gestalten dem Verfasser sehr gut gelungen. Estleman stellt die Großen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ironisch und ohne falsche Ehrfurcht dar. Von vielen lieb gewonnenen Wegbegleitern muss sich Cody zusammen mit den Lesern trennen; zahlreiche tragische Schicksale erfüllen sich quasi zwischen den Zeilen. Buffalo Bill überlebt sie alle, und das scheint ihm deshalb zu gelingen, weil er sich und die angeblichen Ideale des Westens erfolgreich verleugnet, während seine in dieser Hinsicht schlichter gestrickten oder allzu skrupelhaften Gefährten von einer neuen Zeit überrollt werden, der sie nichts entgegenzusetzen haben.

Autor

Loren D. Estleman wurde 1952 im US-Staat Michigan geboren, wo er noch heute – seit 1993 verheiratet mit der Schriftstellerin Deborah Morgan – lebt. Er war gerade 15 Jahre alt, als er seine erste Kurzgeschichte verfasste, für die er angeblich in acht Jahren 160 Ablehnungen kassierte. 1974 schloss er die Eastern Michigan University mit einem „Bachelor of Arts“ in Englischer Literatur und Journalismus ab.

Schon früh beschloss sich Estleman als professioneller Schriftsteller zu versuchen. Zu den literarischen Merkwürdigkeiten seiner frühen Jahren gehören Werke wie „Sherlock Holmes vs. Dracula“ (1978) oder „Dr. Jekyll and Mr. Holmes“ (1979). Ab 1980 schrieb er hauptberuflich.

Estleman, der sich merkwürdigerweise nicht als schneller, sondern ausdauernder Schreiber sieht, hat seit seinem Romandebüt 1976 mehr als 60 Romane und unzählige Kurzgeschichten und Artikel verfasst. Dabei beschränkte sich Estleman nicht auf historische Romane aus dem Wilden Westen. Den meisten Lesern dürfte er eher als Kriminalschriftsteller bekannt sein, dessen rabiater Held, der Privatdetektiv Amos Walker, seit 1980 im Einsatz ist.

Estleman-Geschichten wurden in viele Sprachen übersetzt. Aber auch die Kritik liebt ihn; er gilt als der mit den meisten Auszeichnungen bedachte Autor seiner Generation. Zu seinen Preisen gehören gleich drei „Shamuses“ der „Private Eye Writers of America“, vier „Golden Spurs“ der „Western Writers of America“, zwei „American Mystery Awards“ des „Mystery Scene Magazine“ und, und, und … Wer’s ganz genau wissen will, werfe einen Blick auf diese Website; der Verfasser ist niemand, der sein Licht unter den Scheffel stellt.

Taschenbuch: 287 Seiten
Originaltitel: This Old Bill (New York : Doubleday 1984)
Übersetzung: Joachim Honnef
www.randomhouse.de/heyne

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