Louisa May Alcott – Im Labyrinth der großen Pyramide (Gruselkabinett Folge 148)

Zweifacher Frevel: Der Fluch der bösen Taten

London 1880: Evelyn und Paul Forsyth stehen kurz vor ihrer Hochzeit, als der Bräutigam von seinen Erinnerungen an ein unheimliches Erlebnis in Ägypten heimgesucht wird, als er sich eines Nachts mit Professor Niles in der gewaltigen Cheops-Pyramide verirrt hatte… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Die Autorin

Louisa May Alcott (* 29. November 1832 in Germantown, Pennsylvania; † 6. März 1888 in Roxbury, Massachusetts) war eine US-amerikanische Schriftstellerin. Weltweit berühmt wurde sie als Autorin der Jugendbuch-Tetralogie Little Women ((https://de.wikipedia.org/wiki/Little_Women_(Roman))) , die auf Kindheitserlebnissen mit ihren drei Schwestern beruht.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Paul Forsythe: Pascal Breuer
Evelyn: Fabienne Hesse
Prof. Niles: Horst Naumann
Jumal: Valentin Stroh
Butler Wilckes: Dirk Petrick
Jeremy: Benedikt Weber
Hohepriesterin: Stephanie Kellner

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio und im Fluxx-Tonstudio statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Im London des Jahres 1880 stehen Evelyn und Paul Forsythe drei Monate vor ihrer Hochzeit, als ein Schatten aus alter Zeit auf ihrer beider Leben fällt. Evelyn hat beim Aufräumen seines Stadthauses ein kleines goldenes Kästchen entdeckt, doch damit hat es eine besondere Bewandtnis. Es erinnert ihn an ein Erlebnis, das ihm noch heute Alpträume verursacht. Evelyn besteht darauf, die Geschichte zu erfahren. Schließlich enthält das Kästchen ja nichts Gefährlicheres als ein paar alte Samenkapseln, oder?

In der Pyramide

In jenen Tagen des Jahres 1870, als noch Hobbyforscher zu den Pyramiden von Gizeh zugelassen waren, begab sich Paul als Assistent von Prof. Nathan Niles in das Innere der Großen Pyramide, die von Pharao Cheops vor über 4500 Jahren erbaut wurde. Ihr einziger Begleiter war ihr Führer Jumal, und einen Führer brauchten sie auf jeden Fall, denn im Labyrinth der Pyramide konnte man sich zu leicht verirren. Paul ist wegen der schlechten Luft und der klaustrophobischen Enge in diesen Gängen mit Atem und nerven am Ende.

Als der Professor Jumal bittet, einen zweiten Führer und weitere Fackeln zu holen, fleht dieser sie an, auf keinen Fall weiterzugehen. Kaum ist Jumal weg, begibt sich der Professor auf Forschungsgang, nicht ohne seinerseits Paul einzuschärfen, sich nicht vom Fleck zu rühren. Paul schläft erschöpft ein. Kaum ist er erwacht, bemerkt er, dass Prof. Niles weg ist und nicht mehr auf Rufe antwortet. Da geht Paul los, um ihn zu suchen.

Eine Art Ariadnefaden weist ihm den Weg durchs Labyrinth. Als er endlich auf seinen älteren Gefährten stößt, wird klar, dass er sich verirrt hat. Seine Fackel ist ausgegangen. Sie müssen den Ausgang suchen. Doch schon nach wenigen Schritten liegt der Prof am Boden und hält sich den Fuß: Er ist verstaucht. Nun droht auch die zweite Fackel auszugehen. Doch er ist auf einen Sarkophag mit einer Mumie gestoßen. Die Hieroglyphen besagen, dass dies die Mumie einer altägyptischen Hohepriesterin ist. Kein Wunder, dass sie mit Juwelen geschmückt. Paul beginnt kurzerhand, den Sarkophag zu zerlegen und zu verfeuern. Paul vermeint, eine zornige Stimme zu hören.

Da droht die verbliebene Fackel auszugehen. Etwas in Panik fleht der Professor Paul an, das Feuer nicht ausgehen zu lassen und alles Brennbare anzuzünden. Dazu gehören schließlich auch die Gewänder der Hohepriesterin. Pauls entsetzter Protest wird weggewischt. In den Binden der Mumie entdeckt Paul das besagte goldene Kästchen. Dieses will er keinesfalls den Flammen übergeben. Zudem kommt Jumal endlich mit frischen Fackeln, um sie nach draußen zu geleiten. Doch sowohl der Professor als auch Paul haben den drohenden Fluch der toten Hohepriesterin vernommen. Als sie später die Funde unter sich aufteilen, nimmt Niles die Schmuckstücke und Paul bekommt das Kästchen.

Betrogen

Jetzt, zehn Jahre später, packen Paul Gewissensbisse. Ihm ist, als habe er damals die Stimme der Hohepriesterin gehört, die ihn als Räuber und Frevler verflucht habe. Entgegen der inständigen Bitten seiner Braut wirft er deshalb die Jahrtausende alten Samenkapseln ins Kaminfeuer. Wer weiß, was für Übel sie mit sich gebracht hätten. Doch später holt er wieder eine Samenkapsel aus der Asche, denn sie verbrannte nicht, weil sie danebenfiel. Er schickt sie zur Untersuchung an Prof. Niles. Ohne es ihm mitzuteilen, fischt auch Evelyn eine das Samenkapseln heraus, um, wie erbeten, heimlich ihre gärtnerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Der Hochzeitstag

Am Morgen der Hochzeit enthüllt Evelyn, was sie aus der Samenkapsel gezogen hat. Eine schöne, hohe Pflanze, die weiße Blüten treibt. Wider besseres Wissen erlaubt ihr Paul, eine Blüte ans Kleid zu stecken. Er ist besorgt, seine blasse Braut mit der kalten Haut könne bei einem erneuten Verbot eine Art Zusammenbruch erleiden.

Am Abend wird gefeiert. Die Trauung ist reibungslos verlaufen, Evelyn sieht blendend wie ein Traum in Weiß aus, und Paul ist glücklich. Um Mitternacht gehen die ersten Gäste bereits, als Paul die Nachricht vom unerwarteten Tod seines Professors erhält. Schuld daran ist offenbar eine mysteriöse Blüte, die sich zunehmend rot gefärbt habe, je blasser der Professor geworden sei. Paul überkommt eine böse Ahnung. Evelyn hat ebenfalls eine solche Blüte hervorgebracht. Wo steckt sie nur? Merkwürdig, dass sie nirgends unter den Gästen der Feier zu finden ist. Er lässt sie überall in seinem Haus suchen, doch als er sie im Boudoir findet, ist es bereits zu spät…

Mein Eindruck

Die Autorin von „Little Women“ (siehe oben) hat sich viele Freiheiten herausgenommen, als sie dieses Garn spann. Erstens gibt es kein Labyrinth in der Cheops-Pyramide, aber es erinnerte ihre Leser wohl an das Labyrinth im Palast von Knossos, in dem der Minotaurus hauste. Und prompt taucht auch der verbindende Faden der Ariadne auf. Der Prof kennt seine Klassiker ebenso wie Frau Alcott.

Zweitens wurden in den Pyramide praktisch keine Mumien gefunden, denn die Grabräuber hatten bereits alle stibitzt. Wenn es irgendwo Mumien zu holen gab, dann im Tal der Könige etliche Kilometer weiter südlich nahe Theben und Luxor. Hier wie dort mussten die Gräber auf dem westlichen Nilufer sein, denn der Westen, in dem die göttliche Sonne (Ra, Horus) untergeht, war dem Reich des Todes, der Unterwelt geweiht. Die Mumie der Hohepriesterin hatte in einer Pyramide des Pharao also nichts zu suchen. Und dass sie die Grabräuber verflucht, ist natürlich ebenfalls pure Phantasie, denn damit ahmte die Autorin den legendären Fluch des PHARAO Tut-ench-amun nach, der seine britischen Ausgräber ereilte. (s.u.)

Bleibt noch das Instrument ihrer Rache zu ergründen. Paul weiß, dass er den Frevel nie hätte begehen dürfen, doch seine Frau nennt ihn trotz seiner Sorge um sie einen Feigling. Dass beide, ohne den jeweils anderen einzuweihen, eine alte Samenkapsel aus dem Kästchen der Priesterin stibitzen, kann nur zu Unheil führen. Ihre Ehe ist von vornherein durch Unehrlichkeit „vergiftet“ und durch den Ungehorsam der Evastochter gegenüber ihrem Bräutigam. Der Garten Eden lässt schön grüßen.

Die verbotene Frucht aus dem verbotenen Ort (der Pyramide) findet Einlass in das traute Heim des Paares, findet aber auch ihren Weg zu Professor Niles. Dieser Nathan ist keineswegs weise, als er sich die Blüte der antiken Pflanze ansteckt, bevor sie untersucht und er gewarnt werden kann. Neugier ist eben der Katze Tod, und sowohl der wissbegierige Professor als auch die geradezu treulose Evastochter, die vor dem Traualtar wie eine Elfe des Feenreiches wirkt, müssen ihr Lehrgeld bezahlen. Die Ironie dabei: Kurz vor ihrem jeweiligen Tod fühlen sie sich völlig klar und bei Verstand. Nur dass sich ihre einst weiße Blüte blutrot gefärbt hat…

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

In der Gegenwart stehen Paul und Evelyn Forsythe im Vordergrund. Von Anfang wird deutlich, dass sich Evelyn gegen ihren Verlobten durchsetzen möchte. Sie nennt ihn sogar einen Feigling, obwohl er nur aus Sorge um sie so handelt. Am Schluss bekommt sie ihren Willen – und zahlt den Preis dafür. Die beiden Sprecher sind durchaus kompetent in ihrer Darstellung, doch die Figur der Evelyn wird ziemlich modern interpretiert, fast schon als Suffragette.

Die beiden Rückblenden führen den Hörer in die Vergangenheit und nach Ägypten, doch Paul und seinen Professor der Fluch der Hohepriesterin ereilt. Auch diese Szenen sind sehr anschaulich, fesselnd und dramatisch inszeniert. Horst Naumann gibt den unternehmungslustigen, wissbegierigen Forscher durchaus glaubhaft und ohne jede parodistischen Untertöne.

Seine Figur entspricht den Engländern Lord Carnarvon und Howard Carter, die das Grab des Tut-anch-Amun fanden, öffneten und damit eine Serie von Todesfällen „auslösten“. Der Lord starb wenig später. Nein, wenn jemand komisch erscheint, ist es gewiss Paul, sein unzulänglicher Assi, dem in der Pyramide die Luft wegbleibt und der wenig hilfreich zurückbleiben muss, weil seine Konstitution unzureichend ist. Tja, die Jugend von heute: nichts gewöhnt!

Als dritte Ebene fungiert der Geist der rachsüchtigen Hohepriesterin, die ja eine nicht unwichtige Rolle spielt. Sie tritt dreimal auf: als ihre Mumie zerstört wird und den Fluch ausstößt, als Niles stirbt und am Schluss. Sie hat sozusagen das letzte Wort, denn das letzte, was wir hören, ist ihr schadenfrohes Lachen. Zitate aus Dokumente und natürlich auch Flüchen werden stets wiederholt. Diese Wiederholung unterstreicht ihre Bedeutung.

Geräusche

Eine große Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. In der Pyramide herrscht der Hall vor, so dass der Eindruck einer Weite oder Tiefe entsteht. Dies steht in direktem Kontrast zu allen Szenen, die in Interieurs stattfinden. Diese haben alle gemeinsam, dass ein Kaminfeuer knistert oder sogar prasselt. All diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Das Intro der ersten Rückblende bestreitet ägyptisch anmutende Hintergrundmusik. Hintergrundmusik dient in der Regel nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung sehr dezent von Rückblende zu Rückblende bis zum grausigen Schluss. Dabei nimmt die meist elektronisch erzeugte Musik keineswegs nur eine evozierende Rolle im Hintergrund ein, sondern warnt den Hörer auch, so etwa dann, als tiefe Bässe – ausnahmsweise von Streichern erzeugt – vor kommendem Unheil künden.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt eine erfundene Szene, in der vermutlich die Hohepriesterin in einer tempelähnlichen Umgebung ein Ritual ausführt. Das kleine goldene Kästchen ist nicht zu sehen. Dafür sind vier altägyptischen Figuren im Relief mit größter Akkuratesse abgebildet. Im Hintergrund sind drei Pyramiden zu erahnen.

Im Booklet sind die zahlreichen Titel des GRUSELKABINETTS bis Herbst 2019 verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Ab Frühjahr 2019

144: Arthur Machen: Der gewaltige Gott Pan
145: M.R. James: Das unheimliche Puppenhaus
146: H.G. Wells: Der rote Raum
147: Per McGraup: Die Höllenfahrt des Schörgen-Toni (Original-Hörspiel!)
148: Louisa May Alcott: Im Labyrinth der Großen Pyramide
149: E. & H. Heron: Flaxman Low – Der Fall Teufelsmoor

Ab Herbst 2019:

150: Lovecraft: Herbert West, der Wieder-Erwecker
151: Die Topharbraut
152: England: Das Ding
153: Storm: Bulemanns Haus
154: R.E. Howard: Tropischer Schrecken
155: E. & H. Heron: Flaxman Low – Der Geist von Baelbrow

Unterm Strich

Dies ist eine typische Frevel-und-Strafe-Story, wie sie die Viktorianer zuhauf produzierten, um ihr Publikum auf dramatische Weise zu unterhalten und zugleich zu belehren. (Die Ironie dabei: Die Autorin war Amerikanerin.) Denn die Protagonisten dieses Stücks lassen es an moralischer Vernunft in etlichen Bereichen mangeln. Bemerkenswert dabei ist auch die Anwesenheit einer Braut, die als künftige Mutter doch mehr Verstand hätte besitzen sollen, als unbekannte Samenkapseln zweifelhafter Herkunft einzupflanzen. Es ist eine missgeleitete Art der Mutterschaft, die in keinster Weise dem viktorianischen bzw. konservativ-amerikanischen Ideal entspricht.

Die Autorin hat in ihr symbolträchtiges Garn etliche Warnungen eingeflochten. Davor, dass ahnungs- und respektlose Westler in orientalische Geheimnisse eindringen und Frevel begehen, für die sie verflucht gehören. Davor, dass sie ungenehmigte Experimente mit ihren „Mitbringseln“ anstellen und dafür einen hohen Preis zahlen. So breiten sich Pandemien aus, Herrschaften! Und schließlich, dass Mann und Frau einander nicht trauen und hinter dem Rücken des jeweils anderen agieren. Die Hohepriesterin bildet die höchstrichterliche moralische Instanz, die denn auch tatsächlich das letzte Wort hat.

Das Hörspiel

Die Dramaturgie hat die Backstory in zwei Rückblenden untergebracht, die sich deutlich unterscheiden. Die erste zeigt Paul, wie er seine Pflicht wegen seine Schwäche nicht erfüllen kann, so dass der Professor alleine loszieht. Dass dieses ägyptische Labyrinth doch recht minoisch eingerichtet, ist dichterische Freiheit, genau wie der Ariadnefaden. In der zweiten Rückblende begehen die beiden wegen ihrer mangelnden Voraussicht – ihre zweite Fackel drohen zu verlöschen – den Frevel, der sie ihr Leben lang verfolgen wird. merke: Soviel Schwäche und Unvernunft gebührt die gerechte Strafe.

Auch der Hauptteil ist in zwei Phasen eingeteilt: in einen Teil drei Monate vor der Hochzeit und einen, der den Tag der Hochzeit begleitet, vom Morgen bis zur Mitternacht. Es ist in der Tat für Paul sowohl der schönste als auch der schlimmste Tag seines Lebens. Der Hörer ahnt bereits, dass die Sache mit den Samenkapseln kein gutes Ende nehmen wird, doch bleibt offen, in welcher Form der Fluch sich auswirken wird. So bleibt die Spannung aufrechterhalten.

Erst nach der Nachricht, welches Ende der Professor erleiden musste, wird die Ahnung zur grauenhaften Gewissheit. Man merkt, dass sich Marc Gruppe viele Male mit dem Verfassen wirkungsvoller Skripte für Theater und Hörspiel beschäftigt hat.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen von Horst Naumann und anderer Profi-Sprecher vermitteln das richtige Kino-Feeling.

CD: über 54 Minuten
Originaltitel: Lost in a Pyramid, or the Mummy’s Curse, 1869
Aus dem Englischen von unbekannt.
ISBN-13: 9783785759486

www.titania-medien.de

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