Lovecraft, H. P. – Der Fall Charles Dexter Ward (Gruselkabinett 24/25)

Die Wiederkehr des Hexenmeisters

Providence, USA, 1928: Der junge Charles Dexter Ward verschwindet am 13. April spurlos aus der Nervenheilanstalt von Dr. Waite. Sein Hausarzt Dr. Marinus B. Willet, ein guter Freund seiner Eltern, blickt zurück auf den äußerst befremdlichen Fall eines Wahnsinns, der offenbar aus der Beschäftigung des jungen Mannes mit der eigenen Familiengeschichte herrührte …

Der Autor

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin.

Aber Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen.

Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“. Die Welt ist kein gemütlicher Ort – und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne sind nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit. Auf Einstein verweist HPL ausdrücklich in seinem Kurzroman „Der Flüsterer im Dunkeln“.

Mehr zu Lovecraft kann man in unserer Rezension seiner Biographie von Lyon Sprague de Camp nachlesen.

„Der Fall Charles Dexter Ward“ wird zusätzlich in den [Rezensionen 897 von Dr. Michael Drewniok & Meike Schulte-Meyer bei uns betrachtet.

Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Dr. Marinus B. Willet: Ernst Meincke (dt. Stimme von Patrick Stewart)
Theodore Howland Ward: Hans-Werner Bussinger (Lee Majors, ‚Q‘)
Emma Ward: Cornelia Meinhardt (Sally Field)
Dr. Waite: Andreas Mannkopff (Tim Curry, Benny Hill)
Charles Dexter Ward / Joseph Curwen: Frank Schaff (Ethan Hawke, Joseph Fiennes)
Pfleger Miller: Michael Pan (Brent ‚Data‘ Spiner, Martin Short)
Chronist, Tony Gomes: Torsten Michaelis (Wesley Snipes, Sean Bean, Martin Lawrence)
Ezra Weeden: Julien Haggége (Colin Hanks)
Eleazar Smith: David Turba (Zac Efron, Shia LaBeouf)

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand bei Rotor Musikproduktion und bei Kazuya statt. Die Illustration stammt von Firuz Askin.

Handlung

PROLOG.

Es ist die Nacht des 13. April 1771, als etwa hundert Bürger aus der Stadt Providence das Gehöft an der Pawtuxet Road stürmen, um dem Hexer Joseph Curwen das teuflische Handwerk zu legen. Nur zu gut erinnern sich die beiden an den Fluss abgeordneten Wachen Ezra Weeden und Eleazar Smith an Curwens Verbrechen an dem armen Daniel Green. Zum Glück sind Curwens Frau Eliza und seine Tochter in Sicherheit gebracht worden. Ezra und Eleazar erschrecken plötzlich: Ein grüner Strahl von Energie rast in den Himmel! Mehr Teufelswerk! Die Bürger stürmen das Labor und zerstören alles, was sie finden. Eine Explosion lässt die Erde beben. Ein gellender Schrei eines Mannes – ist es Curwen selbst? Der Hexer prophezeit seine Wiederkehr, da er unsterblich sei …

Das Jahr 1928

Es ist wieder einmal der 13. April, diesmal aber im Jahr 1928, als Dr. Waite, Leiter der Nervenheilanstalt von Providence, von Dr. Marinus B. Willet Besuch erhält. Willet ist seit langer Zeit der Hausarzt der angesehenen Familie Ward. Er begehrt Zugang zu seinem Schützling Charles Dexter Ward, dessen Werdegang er seit dem Jahr 1902, als Charles geboren wurde, verfolgt hat. Er habe neue Erkenntnisse erlangt, seit er die Einweisung des jungen Mannes in die Anstalt veranlasst hat. Als Waite nichts Krankhaftes an Ward finden kann und droht, ihn am nächsten Tag zu entlassen, erschrickt Willet. Das dürfe nicht passieren.

Mit der Erlaubnis des Pflegers Miller darf Willet Wards Zimmer allein betreten. Ward begrüßt seinen Hausarzt mit der gleichen heiseren Stimme, die er schon seit einigen Monaten besitzt, und mit den fahlen, rauen Gesicht, das nur alten Menschen zueigen ist. Nachdem Miller eine Weile gewartet hat, tritt Willet wieder aus der Zelle, sichtlich erschüttert und etwas blass. Er bittet, man solle Ward nicht stören, da er schlafe. Aber er ruft gleich, nachdem er sein Heim erreicht hat, seinen Freund Theodore Howland Ward, an, um ihm zu berichten, dass sein Sohn Charles nicht mehr unter den Lebenden weile. In seinem Zimmer in der Anstalt werde man nun nur noch ein bläuliches Pulver finden …

Willet übernimmt die mühselige Aufgabe niederzuschreiben, wie es zu diesem schrecklichen Ende des vielversprechenden und wohlhabenden Charles Dexter Ward kommen konnte. Im Rückblick erscheint es Willet sonderbar, dass aus einem freundlichen Jungen ein Wahnsinniger in der Psychiatrie wurde, und das binnen weniger Jahre. Er hätte nicht gedacht, dass aus ihm ein Erwecker widernatürlicher außerirdischer Mächte werden würde …

Das Leben des Charles Dexter Ward

Charles Dexter Ward, geboren 1902, wächst Anfang des 20. Jahrhunderts als Sohn eines wohlhabenden und anständigen Mannes im schönen Hafenstädtchen Providence in Rhode Island auf. Zu gern streunt er durch die verwinkelten Gassen, die sich von seinem Elternhaus auf dem Hügel bis zu den Hafenkais hinabziehen. Das geht so, bis er im vorletzten Jahr seiner Schule ist. Nach dem Willen seiner Eltern soll er danach das College besuchen, doch etwas kommt dazwischen: Er entdeckt seine Vorliebe für Ahnenkunde und Geschichtsforschung.

Ward dringt immer weiter in die Vergangenheit seiner Familie ein und stößt 1918 auf ein von den Stadtvätern seit 150 Jahren unterdrücktes Geheimnis. Wards Ururugroßvater ist ein gewisser Joseph Curwen, der im Jahr 1692 aus Salem, Massachusetts, nach den dortigen Hexenprozessen ins friedliche, liberale Providence floh. Merkwürdig war nur, das Curwen selbst im hohen Alter, also etwa 1770, keinen Tag älter als 30 Jahre alt aussah. Ward stößt in Curwens altem Stadthaus auf ein verborgenes Gemälde: Curwen sieht fast aufs Haar genauso aus wie Ward aus, bis auf eine kleine Narbe über dem Auge. Hinter dem Gemälde findet er Curwens kodierte Aufzeichnungen.

Mit der Verpflanzung dieses Gemäldes ins Ward-Haus scheint das Unheil begonnen zu haben, erinnert sich Willet. Denn Joseph Curwen ist in der Stadtgeschichte mit einer großen Aktion gegen ihn und seine Machenschaften verknüpft: Auf Curwens Bauernhof in der Vorstadt Pawtuxet wurden unheilige Riten abgehalten, Lichter stiegen gen Himmel auf und einmal wurden im nahen Bach Knochen und eine sonderbare Leiche gefunden, vom grässlichen Gestank, der dort herrschte, ganz zu schweigen (siehe PROLOG).

Die Stadtväter sahen sich gezwungen, mit hundert Mann gegen Curwen vorzugehen und sein Nest auszuräuchern. Sie waren so erbost über das, was sie vorfanden, dass sie Curwen auf der Stelle töteten. Es ist bemerkenswert, dass niemand über die Geschehnisse dort redete. Curwens Grabstein wurde unkenntlich gemacht, sein Name getilgt.

Deshalb versetzt es die Verwaltung ab ca. 1924 in Alarmzustand, als man mehrmals Leute auf dem Friedhof beobachtet, die sich an Grabsteinen zu schaffen machen. Wards Vater und Dr. Willet sind alarmiert, als sich der junge Charles gegen das College entscheidet und sich 1924 – er ist endlich volljährig – lieber nach Europa aufmacht, um dort seine „Studien“ zu vertiefen. Wie sich später zeigt, besucht er frühere Kollegen des „Hexenmeisters“ Curwen, die ebenso wenig gealtert sind: einer in Prag und einer in Transsilvanien. Es sind Freunde aus der Salemer Zeit vor den Hexenprozessen. Und sie alle haben ein bestimmtes Interesse: Nekromantie – die Beschwörung von Toten.

Nach seiner Rückkehr nach Providence richtet sich Charles Anfang 1927 ein chemisches Labor ein und beginnt sowohl zu experimentieren als auch Anrufungen und Riten zu vollziehen, dass es seinen Eltern, der Dienerschaft und selbst den Haustieren graust. Ein ekliger Gestank schlägt ihnen aus seinem Labor entgegen – falls sie es überhaupt betreten dürfen.

Er schlägt offenbar den gleichen Werdegang ein, den Joseph Curwen seinerzeit gegangen war – und der kann nur ins Verderben führen. Willet schreibt, Charles habe den Sarg gefunden und Curwens Leiche gestohlen, doch habe er sich verrechnet: Curwen bemächtigt sich als Wiedergänger des Geistes und der Gestalt seines jungen Nachfahren und geht wieder seinen alten Umtrieben nach. Zu diesen gehört auch das Blutsaugen …

Dr. Willet untersucht mit Theodore Ward Charles‘ „Bungalow“, der auf dem gleichen Grundstück steht wie vor 150 Jahren Curwens Bauernhof. Berichten zufolge wurden hierher Unmengen von Fleisch, Vieh und sogar Sklaven und Leichen verfrachtet – doch wo sind diese Materialien geblieben? Sie lassen sich von dem Spießgesellen Tony Gomez nicht aufhalten und dringen hinter eine massive Betonplatte vor. Wozu braucht Charles solche Schutzmaßnahmen? In den unterirdischen Katakomben stoßen die beiden tapferen Männer auf unfassbare Gräuel, die sich auf dem blutigen Altar, dem Labor und der gigantischen Bibliothek abgespielt haben müssen: Geisterbeschwörungen und Leichenschändungen.

Unter den Gittern und Platten des Bodens vernehmen sie mit Schaudern das Gebrüll eines Monsters. Womit haben sie es hier denn noch zu tun?

Mein Eindruck

Im Gegensatz zu dem Verfahren von Edgar Allan Poe ist H. P. Lovecraft wenig am Innenleben seiner Hauptfigur interessiert. Vielmehr bekommen wir Leser immer nur die Perspektive von Berichterstattern und Zeugen vorgesetzt, die beglaubigen sollen, wie furchtbar das Schicksal des jungen Ward doch sei. Dies dient dazu, die Schrecken, die beschworen werden, auch realistisch wirken zu lassen. Die Zeugen – allen voran Dr. Willet – stellen ihre Vermutungen darüber an, was Ward zur Nekromantie bewogen haben mag.

Locations

Alle liebevoll geschilderten Schauplätze wie die Stadt Providence, Wards Elternhaus, aber besonders das frühere Stadthaus Curwens und sein abgelegener Bauernhof (eine bevorzugte „location“ aller |Cthulhu|-Autoren) belegen, wie realistisch der Werdegang des jungen Ward ist. Denn dies ist die Historie, in der er aufwächst – eine redigierte Historie, wie er selbst herausfindet, in welcher der schwarze Fleck des J. Curwen fast vollkommen getilgt worden ist. Doch eben nur fast. Aus kleinen Hinweisen erschließt sich Ward wie ein Detektiv à la Poe die Vorgeschichte seines eigenen Geschlechtes und somit auch seiner Heimatstadt (die für Amerika allgemein steht).

Wahnsinn & Wiederholung

Doktor Willet ist überzeugt, dass Ward bis zu diesem Punkt völlig zurechnungsfähig gewesen sei. Doch in welchem Moment begann Wards Wahnsinn? In diesem Punkt gehen die Meinungen von Dr. Willet und den Irrenärzten aus Providence und Boston stark auseinander.

Lovecraft ist auch hierfür Experte: Sein Vater kam 1892 in die Psychiatrie und starb dort, als Howard gerade mal sieben Jahre alt war. Man kann sich vielleicht seinen Schrecken ausmalen, als auch seine Mutter begann, geistige Verwirrung und Psychosen an den Tag zu legen. Sie starb 1921 in der gleichen Nervenheilanstalt wie HPLs Vater. (HPL konnte seine Freiheit mit seiner Frau Sonia Greene, einer New Yorker Schauspielerin, nicht genießen: Seine beiden Tanten Annie und Edna wachten nun ebenso streng über ihn wie vormals seine Mutter.)

An welchem Punkt kann man noch von chemischen Experimenten sprechen und wann von Okkultismus? Lovecraft war ein Experte in Sachen Geheimlehren, Okkultismus, Hexenglaube usw. Er hatte als Wunderkind schon mit sechs Jahren begonnen, die ersten Geschichten zu schreiben und verschlang Bücher geradezu: Die Bibliothek seines Vaters umfasste an die 2000 Bände. Ständig tauchen in seinen Geschichten Bibliotheken und Museen als Hort des Wissens – auch verbotenen Wissens – auf. Auf dieser Grundlage beschäftigte er sich, wie sein Held Ward, mit der Geschichte seiner Heimatstadt und der Umgebung, insbesondere Salems – und aufgrund der dortigen Hexenprozesse natürlich mit Hexenwahn usw. So weist Curwen beispielsweise ein schwarzes Hexenmal auf. Es dient dazu, ihn von Ward zu unterscheiden, der lediglich ein Muttermal hat.

Entgleisung & Verdrängung

Wie konnte es zu Wards Persönlichkeitsverdrängung durch Curwen kommen? Im Roman wird es durch eine mittelalterliche Geheimlehre eines gewissen Borellus erklärt. Doch in modernen Begriffen formuliert, könnte man vom übermächtigen Einfluss der Vergangenheit auf die gegenwärtige seelische und geistige Entwicklung des einsamen aufwachsenden, rückgratlosen jungen Ward sprechen. Der Einfluss der Mutter ist völlig ausgeschaltet – sie wird sogar aus Sicherheitsgründen nach Atlantic City in die Kur geschickt. Bleiben also nur standhafte Männer wie Dr. Willet, um Wards Entgleisung zu protokollieren und schließlich zu stoppen.

Was mir leider nicht ganz klar wurde, ist der finstere Drang, der Ward dazu bringt, Curwen auszubuddeln, dessen Forschungen weiterzutreiben, ihn zurück ins Leben zu bringen und so den eigenen Untergang heraufzubeschwören. Einmal verdrängt, ist Ward eine Sache der Vergangenheit. Ich kann es mir nur damit erklären, dass Ward von Curwen Hilfe erwartete, als er Nekromantie und Dämonenbeschwörung ausüben wollte – in dem frevlerischen Bemühen, immer mehr Wissen von den Toten zu erlangen. Ward ging also einen faustischen Pakt mit seinem Vorfahren ein – und verlor. Die Warnung findet sich mehrere Male im Hörspiel.

Die Inszenierung

Im [Buch 897 besteht die Erzählung aus sehr viel auktorialer Prosa und sehr wenigen darstellenden Szenen. Diese Schwäche erweist sich auch für das Hörspiel als Problem. Der Dramaturg Marc Gruppe hat allerdings sein Möglichstes versucht, packende Szenen zu gestalten. Schon im Prolog gelingt ihm dies ausgezeichnet, denn durch die Explosion und das Donnergrollen weckt er den Zuhörer regelrecht auf und versetzt ihn (möglicherweise) in Angst und Schrecken. Das mysteriöse Geschehen in der Nervenheilanstalt lässt uns rätseln, worum es hier wohl gehen mag.

Anfang und Ende der Geschichte stehen gedrängt nebeneinander, nun gilt es, die Punkte A und Z miteinander zu verbinden – ein schöner Spannungsbogen, der erst am Schluss eingelöst wird. Für die Erklärung des Dazwischen dient die Erzählung des Marinus B. Willet. Hier beginnt es für den Zuhörer unanschaulich zu werden, denn als Willet erstmals von den Eltern in Sachen Charles hinzugezogen wird, müssen sie erst jede Menge Verdachtsmomente aufzählen und darlegen, wie sie sich dabei fühlen. An dieser Stelle können nur die ausgezeichneten Sprecher das Hörspiel über die Zeit retten. Zum Glück gelingt dies einigermaßen, aber man muss schon einiges Interesse am Fall des Charles Dexter Ward aufbringen, um bei der Stange zu bleiben.

Zum Glück wird der Schluss der Entwicklung dann wieder sehr anschaulich. Dieser Schluss dauert fast 25 Minuten und lohnt das lange Warten und das gesamte Hörspiel. Es ist ein Meisterstück atmosphärisch inszenierter Erkundung à la Indiana Jones. Nur dass es die beiden Forscher mit grausigsten Themen und Szenen zu tun bekommen. Der Tod von Charles Dexter Ward – oder richtiger: Joseph Curwen – scheint danach obligatorisch zu sein, doch die Frage stellt sich: Wie tötet man einen Unsterblichen? Mehr soll nicht verraten werden.

Musik und Geräusche

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut. Besonders der Prolog und die Erkundung der Katakomben sind so atmosphärisch und effektreich inszeniert, dass es für jeden Gruselfreund eine Freude sein dürfte.

Die Musik gibt sehr genau die vorherrschende Stimmung einer Szene wieder und ist mit klassischem Instrumentarium produziert – keine Synthesizer für klassische Stoffe! Allenfalls ein paar Soundeffekte verursachen dem Hörer Gänsehaut. Die Musik steuert nicht nur die Emotionen des Publikums auf subtile Weise, sondern bestreitet auch die Pausen zwischen den einzelnen Akten. Dann stimmt sie das Publikum auf die „Tonart“ des nächsten Aktes ein.

Musik, Geräusche und Stimmen wurde so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von |Titania Medien|. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Firuz Akin auf dem Schubereinband fand ich wieder einmal sehr passend und suggestiv. Der Verlag empfiehlt sein Werk ab 14 Jahren.

Diesmal sind in einem zusätzlichen Katalog Hinweise auf die nächsten Hörspiele zu finden:

Nr. 26: Theophile Gaultier: Die Liebe der Toten.
Nr. 27: Robert Louis Stevenson: Der Leichendieb (nach historischen Tatsachen).
Nr. 28 + 29: Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame (2 CDs, Herbst 2008)
Nr. 30: J. W. Polidori: Der Vampyr
Nr. 31: Rudyard Kipling: Die Gespenster-Rikscha
Nr. 32 + 33: Die Jagd der Vampire (2 CDs, ohne Autorenangabe)

Unterm Strich

Die „Encyclopedia of Fantasy“ erwähnt diesen Roman überhaupt nicht, und das vielleicht mit Fug und Recht. 1928 fertiggestellt, bezeichnet er ein frühes Stadium in HPLs Entwicklung des |Cthulhu|-Mythos. Der Dämon erscheint hier erst am Schluss, und die ganze Zeit meint der Leser, es gehe nur um Nekromantie, also Totenbeschwörung. Wie diese im Einzelnen vor sich geht, wird ebenfalls nicht geschildert, sondern nur angedeutet: mit „essenziellen Salzen“, die nur „Hexenmeister“ wie Curwen & Co. herstellen können. Daher hält sich der Horroranteil stark in Grenzen, und Horrorfans kommen kaum auf ihre Kosten. (Es sei denn, die Vorstellung eines globalen Unternehmens zur Plünderung von Gräbern zwecks Leichenbefragung verursache kalte Schauder.)

Die Freunde des gepflegten okkulten Grauens hingegen kommen schon eher auf ihre Kosten. Der Roman beschreibt den zweifachen Einbruch des okkulten Wahnsinns in eine friedliche Gemeinschaft, der Bürgerschaft von Providence, Rhode Island – einmal 1770/71, dann wieder ab 1927/28. Diese Schilderung erfordert eine sorgfältige Darstellung von Umfeld, Historie und Akteuren. Darin liegt die eigentliche Leistung des Romans. Und unschwer können wir in Charles Dexter Ward Züge des jungen Lovecraft wiedererkennen.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von Hollywoodstars einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Prolog und Finale sind besonders gelungen akustisch in Szene gesetzt, dazwischen sollte der Hörer ein wenig Geduld aufbringen, um mitzubekommen, was es mit Charles Dexter Ward auf sich hat. Er ist ein faustischer Typ, dieser Junge, und verweigert seinen Eltern und dem Hausarzt jegliche Auskunft über das, was er vorhat und treibt. Das erweist sich nicht zuletzt für ihn als verhängnisvoll.

Als sich die beiden mannhaften Beschützer von Sohn und Stadt in die Höhle des Löwen begeben, werden sie zu wahren Van Helsings, die erkennen, dass es nur einen Ausweg gibt, um der Bedrohung eine Ende zu bereiten … Wie man sieht, geht es nicht einfach um eine Monsterjagd à la Hollywood, sondern um die Unterscheidung von wahr und falsch, von echt und vorgetäuscht. Der Autor konfrontiert die schöne neue Welt seiner Vereinigten Staaten einmal mehr mit ihrem kolonialen Erbe, das für die dunkle Seite des seelischen Amerika steht.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen.

CD: 137 Minuten auf 2 CDs
Originaltitel: The Case of Charles Dexter Ward, 1928/1941
Aus dem US-Englischen übersetzt von Rudolf Hermstein
Folge 1: SPV 173362
Folge 2: SPV 173372
ISBN 978-3-7857-3550-3

http://www.titania-medien.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)