Lovecraft, H. P. / Orchester der Schatten – Wälder der Finsternis (Der Ruf des Dämon 2) [inszenierte Lesung

Stimmungsvoll: von Kannibalen und Außerirdischen

„Der Ruf des Dämon 2“: Auch in der zweiten Produktion des ‚Orchesters‘ werden Texte von HPL präsentiert, jedoch melden sich hier weder Cthulhu noch andere Persönlichkeiten aus seinem Kosmos des Grauens zu Wort, auch das Necronomicon bleibt dieses eine Mal verschlossen. Das Grauen erscheint vielmehr als Monstrum in Menschengestalt bzw. in Form einer mitleidslosen wie unpersönlichen Macht aus dem All, die es nicht nötig hat, sich einen Namen zu geben, und dadurch umso beängstigender wirkt.

INHALT

– Das Bild im Haus (gesprochen von Torsten Sense);
– Astrophobos / The Messenger / The House (poems; gesprochen von Simon Newby);
– Die Farbe aus dem All (gesprochen von Simon Jäger)

[Rezension zum ersten Teil 1823

Der Autor

Howard Phillips Lovecraft, 1890-1937, hatte ein Leben voller Rätsel. Zu Lebzeiten wurde er als Schriftsteller völlig verkannt. Erst Jahre nach seinem Tod entwickelte er sich zu einem der größten Horror-Autoren. Unzählige Schriftsteller und Filmemacher haben sich von ihm inspirieren lassen.

Howard Phillips Lovecraft wurde am 20. August 1890 in Providence, Rhode Island, geboren. Als Howard acht Jahre alt war, starb sein Vater und Howard wurde von seiner Mutter, seinen zwei Tanten und seinem Großvater großgezogen. Nach dem Tod des Großvaters 1904 musste die Familie wegen finanzieller Schwierigkeiten ihr viktorianisches Heim aufgeben. Lovecrafts Mutter starb am 24. Mai 1921 nach einem Nervenzusammenbruch. Am 3. März 1924 heiratete Lovecraft die sieben Jahre ältere Sonia Haft Greene und zog nach Brooklyn, New York City. 1929 wurde die Ehe, auch wegen der Nichtakzeptanz Sonias durch Howards Tanten, geschieden. Am 10. März 1937 wurde Lovecraft ins Jane Brown Memorial Krankenhaus eingeliefert, wo er fünf Tage später starb. Am 18. März 1937 wurde er im Familiengrab der Phillips beigesetzt. Nach seinem Tod entwickelte er sich bemerkenswerterweise zu einem der größten Autoren von Horrorgeschichten in den USA und dem Rest der Welt. Sein Stil ist unvergleichlich und fand viele Nachahmer. (abgewandelte Verlagsinfo)

Aber Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen. Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“. Die Welt ist kein gemütlicher Ort – und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne sind nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit. Auf Einstein verweist HPL ausdrücklich in seinem Kurzroman [„Der Flüsterer im Dunkeln“. 1961

Kurz und bündig mehr über Lovecraft: http://www.orchesterderschatten.de/autor.htm

Die Sprecher/Die Musiker

Simon Jäger, geboren 1972 in Berlin. Seit 1982 arbeitet er als Synchronsprecher bei Film und TV. Er lieh u. a. Josh Hartnett, James Duvall, Balthazar Getty und River Phoenix seine Stimme, aber auch „Grisu der kleine Drache“, und war auch in TV-Serien wie „Waltons“ oder „Emergency Room“ zu hören. Seit 1998 arbeitet er zudem als Autor und Dialogregisseur. (Homepage-Info)

Simon Newby, geboren 1961 in Long Eaton, England, studierte an der Guildhall School of Music & Drama (Bachelor-Abschluss in Dramatic Arts). Seit 1990 erledigte er zahlreiche Regiearbeiten an verschiedenen Bühnen Berlins, war als Voice-Over- und Synchronsprecher sowie als Dialog-Coach tätig, seine Hobbys sind Trompetespielen und Tauchen. Zu seinen Sprachkenntnissen zählt er: „Englisch (Britisch und Amerikanisch), Deutsch (perfekt)“.

Torsten Sense, Sprecher, ist Schauspieler und Komponist für moderne Kammermusik, Musiktheater und Filmmusik. Von 1972 bis 1990 spielte er an diversen Theatern, darüber hinaus lieh er als Synchronsprecher Val Kilmer in „The Doors“ und „Batman Forever“ sowie Kyle McLachlan in „Twin Peaks“ seine Stimme.

Das „Orchester der Schatten“:

„Das Orchester der Schatten präsentiert klassische Geschichten von Kultautoren wie H. P. Lovecraft und E. A. Poe, die mit ihren bizarren Welten des Grauens schon Generationen von Lesern begeistert haben. Ohne vordergründige Effekte wird von Mythen, fremden Mächten oder einfach von dem Horror erzählt, der sich in der menschlichen Seele verbirgt. Begleitet werden die Erzählungen vom Orchester der Schatten, dessen Live-‚Filmmusik‘ komponierte Scores, Klangeffekte und improvisierte Elemente vereint.“ (Homepage-Info)

Matthias Manzke:
*4.10.1971; Jazzstudium an der HdK Berlin sowie an der New School New York; Unterricht u. a. bei David Friedman, Peter Weniger, Richie Beirach, und Jane-Ira Bloom; Rumänien-Tournee 1997; Teilnahme am Jazzfestival Hradec Kralove, Engagements bei Theater- und Filmproduktionen; CD-Aufnahmen mit der Berliner Big Band JayJayBeCe (BIT-Verlag 1997), mit dem Sänger Robert Metcalf (Dt. Grammophon 1998) sowie mit dem FRAW FRAW Saxophon4tett (2002); zzt. regelmäßige Konzerttäigkeit mit dem FRAW FRAW Saxophonquartett in ganz Deutschland und mit Projekten im Berliner Planetarium am Insulaner

Stephan Wolff:
1956 in Berlin geboren; Jurastudium; Dirigierstudium, Kompositions-Unterricht bei N. Badinski; Tätig als Komponist, Dirigent, Keyboarder; seit 1994 Lehrtätigkeit an der Leo-Borchard-Musikschule; Stilübergreifende Kompositionen zwischen Klassik, Jazz und Pop. Produktion und Mitgestaltung diverser Live-Elektronik-Projekte, u. a. „Dialogues“ (1998), „Losing One’s Head“ (1999), Filmmusiken, Bühnenmusiken, Traumspiel-Oper „Abaddon“ (1998/2001); Zahlreiche Songs und Lieder, auch für Kinder, z. B. „Erdenklang & Sternenbilder“ (1996), „Songs aus dem All“ (2000/2001), „Cool & Cosi“ (2000)

Torsten Sense:
Komponist für moderne Kammermusik, Musiktheater und Filmmusik sowie Schauspieler. Er veröffentlichte vier Musiktheaterstücke, vier Orchesterwerke, 24 Kammermusikstücke, zwei Orgelwerke, 13 Bühnenmusiken sowie ca. 60 Film- und Fernsehmusiken. Er wirkte an unzähligen Synchronisationen mit, so lieh er beispielsweise Val Kilmer in „Doors“ seine Stimme und Kyle McLachlan in „Twin Peaks“.

Und andere. Mehr Info: http://www.orchesterderschatten.de.

Handlung von „Das Bild im Haus“ (gesprochen von Torsten Sense)

Ein junger Archäologe interessiert sich für die unheimlichen einsamen Gehöfte, die in Neu-England verlassen und überwuchert vor sich hin schlummern. Doch sie bergen das Grauen und das Groteske. Und ihre Fenster blicken wie Augen auf den ahnungslosen Besucher, sie erinnern sich an Unaussprechliches …

Es ist November 1896, als der junge Ich-Erzähler Zuflucht vor einem Wolkenbruch sucht. Er ist durch das Miskatonic Valley nahe Arkham (= Salem/Massachusetts) geradelt. Ein Haus unter Ulmen bietet ihm Obdach, niemand antwortet auf seine Rufe, die Tür ist offen, und der Besucher tritt in eine andere Zeit.

Zuerst fällt ihm ein widerlicher Geruch auf. Sie entsteigt dem Inventar, das offenbar aus der Zeit vor 1776 stammt, als der amerikanische Unabhängigkeitskrieg ausbrach. Auf dem Tisch fällt ihm ein aufgeschlagenes Buch aus dem 16. Jahrhundert auf, das den Titel „Beschreibung des Kongo“ trägt und auf der Tafel 12 aufgeschlagen ist. Es zeigt den Metzgerladen von Menschenfressern auf drastische Weise. Daneben steht ein Buch von Cotton Mather, der puritanischen Hauptfigur der Hexenprozesse von Salem.

Da hört er Schritte, die von oben kommen. Es ist ein alter, weißbärtiger Mann, doch erscheint er überraschend stämmig und kräftig, seine blauen Augen blicken wach, wenn auch ein wenig blutunterlaufen. Nur will sein lumpenartiges Äußeres gar nicht dazu passen. Der Besucher ist abgestoßen und verspürt Beklommenheit. Der Alte bietet höflich einen Stuhl an und erwähnt, es würden keine Postkutschen mehr von Arkham kommen und der Bezirkslehrer sei seit anno ’84 verschwunden. Er setzt eine alte Brille mit achteckigen Gläsern auf. Dann bittet er seinen Besucher, aus dem „Regnum Congo“, das in Latein geschrieben ist, zu übersetzen.

Seine freundliche Geschwätzigkeit vermag das gierige Glitzern in den Augen kaum zu verbergen, mit dem er seinen Gast belauert. Während des folgenden bizarren Gesprächs wächst in unserem jungen Besucher nicht nur der Ekel vor den sonderbaren Ausführungen seines Gastgebers, sondern auch die Gewissheit, dass der Alte ein böses Spiel mit ihm treibt und sein Opfer bereits in der Falle weiß …

Mein Eindruck

Diese frühe Erzählung aus dem Jahr 1920 wird selten abgedruckt, denn sie rührt an ein Tabu, das sehr unappetitlich ist: Kannibalismus. Der Alte verschlingt seine ahnungslosen Opfer, nach dem Vorbild der Bewohner des Kongo. Degeneration – ein häufig wiederkehrendes Motiv in Lovecrafts Erzählungen. Degeneration nicht so sehr im körperlichen Sinne (der Alte ist unnatürlich kräftig und gesund), sondern vielmehr im moralischen. Die Grenze zwischen Tier und Mensch existiert für den Alten nicht mehr.

Eingebettet in das Bild vom Haus des Menschenfressers ist die Warnung vor der unheiligen Vergangenheit Neu-Englands – der Verweis auf Cotton Mather spricht für den Eingeweihten Bände. Lovecraft entführt den Leser bzw. Hörer in diese andere Zeit, um ihn mit schaurigen Phänomenen zu konfrontieren und davor zu warnen.

Archäologen sind in dieser Phase seine bevorzugten Protagonisten – beispielsweise in „Der Hund“ in „Ruf des Dämon 1“, aber auch in vielen weiteren Erzählungen. Sie begegnen schrecklichen verbotenen Geheimnissen, denen ihr säkularisierter Verstand, der Gott entsagt hat, nichts entgegenzusetzen hat. Anfällig für alle Arten von „unheiligen“, blasphemischen und sonstigen Dingen, leisten sie auch selten Gegenwehr gegen die Großen Alten, von denen in der nächsten Geschichte die Rede sein soll.


Handlung von „Die Farbe aus dem All“ (gesprochen von Simon Jäger)

Es gibt eine Gegend am Miskatonic westlich von Arkham, wo die Berge steil emporsteigen, die man die „Verfluchte Heide“ nennt. Die früheren Bewohner sind fortgezogen, und Fremde werden hier nicht heimisch, weil schlechte Träume sie heimsuchen. Nur der alte Ammi Pierce, der unweit Arkhams lebt, spricht über das, was hier einst blühte und gedieh, an der alten Straße, wo die Farm von Nahum Gardner lag. Die neue Straße macht einen großen Bogen nach Süden um dieses Gebiet herum.

Möge der geplante Stausee bald die verfluchte Heide bedecken und die seltsam unnatürlichen Farben auslöschen, in denen sie funkelt. Aber ob man vom Wasser dieses Sees trinken sollte, fragt sich der Landvermesser, der diese Gegend zuerst besucht hat. Die Heide mit ihrem stinkenden Moder, den verkrüppelten Bäumen und dem verdorrten Gras breitet sich jedes Jahr weiter aus.

Folgendes erfuhr er von Ammi Pierce, dem besten Freund der Familie Gardner: Dort, wo einst die florierende Farm von Nahum Gardner stand, umgeben von fruchtbarem Weideland und Obstanbau, existiert nur noch toter Staub, der das Sonnenlicht in merkwürdigen, unirdischen Farben reflektiert.

Alles begann, nachdem 1882 der Meteorit sich in der Nähe von Nahums Brunnen in die Erde gegraben hatte. Ammi ist überzeugt: Eine fremde Macht aus dem All versank in der Erde, kurz darauf setzten rätselhafte Veränderungen bei Tieren und Pflanzen ein. Die Natur schien aus dem Gleichgewicht, die armen Menschen – zuerst Mrs Gardner – wurden von einem Wahnsinn ergriffen oder verschwanden spurlos, und alle Dinge weit und breit begannen, in unbeschreiblichen, widerwärtigen Farben zu leuchten – bis heute …

Mein Eindruck

Dies ist eine der besten Geschichten des Meisters aus Providence. Sie besticht den Leser bzw. Hörer durch ihre reportagehafte Genauigkeit, die Kühlheit ihrer genauen Beschreibungen, die trotz des horriblen Inhalts dennoch von der Vernunft gesteuert werden, als habe Edgar Allan Poe selbst die Feder des Schreibers geführt. Auch die „Einheit der Wirkung“, eine zentrale Forderung Poes von der Kurzgeschichte, ist vollständig und vorbildlich erfüllt.

Diese Geschichte steigert sich in Stufen und mit Verschnaufpausen bis zu einem solch phantasmagorischen Moment kosmischen Schreckens, dass es ein Wunder wäre, wenn der Leser bzw. Hörer nicht davon ergriffen würde. Zuerst zeigen sich nur leise Andeutungen, die sich zunehmend verdichten, je schwerer die Beeinträchtigung von Nahum Gardners Farm wird. Ammi Pierce ruft auch Wissenschaftler der Miskatonic Universität herbei, die aber auch nicht allzu viel ausrichten können. Sie finden allerdings Kugeln in einer unirdischen Farbe, und es ist anzunehmen, dass diese Substanzen ihren Weg in den Brunnen und somit ins Trinkwasser der Gardners finden.

Schon bald ändert sich der Geisteszustand von Mrs Gardner. Ihr Mann sperrt sie auf den Dachboden, ihr folgen ihre drei Söhne. Das menschliche Drama nimmt seinen Lauf, bis selbst der Alte vom Wahnsinn ergriffen wird. Erst als Ammie Pierce Nachbarn und besorgte Bürger mobilisiert, um nach ihm zu sehen, erreicht der Horror seinen Höhepunkt. Sie blicken aus dem Farmhaus hinaus auf eine Vision der Hölle. Denn nun wächst das Grauen um eine weitere Dimension: das Grauen wird kosmisch. Es kommt von den Sternen und es kehrt zu den Sternen zurück, allerdings nicht ohne ein sinistres Erbe zu hinterlassen: die sich ausbreitende „verfluchte Heide“.

Diese Heide birgt etwas, das nicht nur physisch existiert, sondern auch die Träume des Heidebesuchers heimsucht. Wie schon Nahum Gardner sagte: „Es zieht einen an, man kommt nicht weg.“ Und deswegen blieb er auf seiner Farm bis zum bitteren Ende, ähnlich wie Ammi Pierce. Und ob der Landvermesser je davon loskommt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Die Gedichte (gesprochen von Simon Newby)

Astrophobos

Das lyrische Ich beobachtet einen golden scheinenden Stern in der Nähe des Polarsterns und fabuliert von Schönheit, Heiterkeit, ja von himmlischer Herrlichkeit. Doch die Schönheit stellt sich als Trugbild heraus, als sich ein roter Schein darüber legt. Aus Hoffnung wird Hohn, aus Schönheit ein Zerrbild und aus Vergnügen Wahnsinn. Der Stern mag verschwinden, doch der Horror bleibt „forevermore“.

Das Gedicht hat in seiner gedanklichen und bildlichen Abfolge starke Ähnlichkeit mit Poes Gedicht „The Haunted Palace“, das in der Erzählung [„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 nachzulesen ist.

Simon Newbys langsamer und gut verständlicher Vortrag erscheint mir sowohl falsch betont als auch falsch intoniert. Der Ton müsste nicht erschreckt klingen, sondern zunächst verzückt und in der zweiten Hälfte verrückt. Über die Aussprache der altertümlichen Wörter bin ich mit ihm als Anglist ebenfalls nicht einer Meinung.

The Messenger (Der Bote)

Dieses Gedicht lässt sich nur als Replik auf einen Journalisten verstehen. Bertrand Kelton Hart lebte fröhlich in Providence, Rhode Island, und arbeitete als Autor einer Kolumne für das Providence Journal, als er entdecken musste, dass das Wohnhaus der Figur Wilcox in HPLs berühmter Story „The Call of Cthulhu“ sein eigenes in Thomas Street Nr. 7 war.

Hart war nicht auf den Kopf gefallen und revanchierte sich in seiner Kolumne mit der Drohung, HPL in dessen Domizil in der Barnes Street einen Geist oder Ghoul auf den Hals zu schicken, der ihn täglich morgens um drei mit dem Rasseln von Ketten wecken sollte.

Im Gedicht ist das lyrische Ich also vorgewarnt, glaubt aber nicht so recht an das Erscheinen des Gespenstes. Er fühlt sich vom Kreuz der Kirche (dem Elder Sign) beschützt. Die Kirchturmuhr schlägt drei, als auf einmal an der Tür ein Klirren und Rasseln von Ketten anhebt …

Simon Newby intoniert das Gedicht melodramatisch, doch ein koketter, zynischer Ton hätte zu der Haltung des Autors wohl besser gepasst.

The House

Gemeint ist das konkrete Haus auf Nr. 135 Benefit Street in Providence, Rhode Island. Dies hat HPL auch zu seiner bekannten und verfilmten Erzählung „The Shunned House“ (Das gemiedene Haus) inspiriert.

Wie so viele Gruselhäuser in der Schauerliteratur ist auch dieses Haus entsprechend ausstaffiert, doch wird es lediglich von außen gezeigt, als wäre es ein bewusstes Wesen von unermesslichem Alter, vor dem man sich fürchten sollte. Die Pointe ist jedoch die Haltung des Betrachters in der vierten Strophe. Ähnlich wie die Hauptfigur in der Story „Der Außenseiter“ wird sich der Betrachter bewusst, dass er schon einmal hier war, und zwar vor ziemlich langer Zeit. Wer oder was ist er?

Mein Eindruck

Diese Gedichte sind keine Balladen von Goethe („Erlkönig“ lässt sich auch als Grusel interpretieren) oder Schiller (der hatte mit „Der Geisterseher“ richtig guten Grusel-Trash geschrieben), sondern (außer in „The Messenger“) eine Art pseudoviktorianische Dekadenzlyrik, wie man sie vielleicht von einem Epigonen Baudelaires oder Poes erwarten könnte. Baudelaire schrieb richtig gute Vampirstorys in seinen Gedichten, die ab 1861 in [„Die Blumen des Bösen“ 553 veröffentlicht wurden.

Furcht vor den kalten und wankelmütigen Sternen gehört ebenso zu HPLs Standardrepertoire wie verfallende, sinistre Häuser und Geister. Die Gedichte bieten dem Kenner nichts Neues. Neu ist jedoch die Tatsache, dass sie erstmals in der Originalsprache auf einem deutschen Medium präsentiert werden, noch dazu von jemandem, der der englischen Sprache sehr gut mächtig ist.

Das Booklet

Das achtseitige Booklet wartet mit umfangreichen, ausreichenden Informationen zu Autor, Orchester, den Machern und mit den Gedichttexten auf. Die zweite Seite listet sämtliche Kapitelüberschriften auf, und das kann bei der langen Erzählung „Die Farbe aus dem All“ recht hilfreich bei der Orientierung sein.

Die Sprecher

Simon Jäger, die deutsche Stimme von Heath Ledger und Josh Hartnett, ist ein sehr fähiger Sprecher für diese gruseligen Texte. Genauso wie sein Kollege Torsten Sense, der „Das Bild im Haus“ liest, lässt er sich jede Menge Zeit, spricht deutlich und kitzelt die unterschwelligen Bedeutungen des Textes hervor. So entsteht ein deutliches Bild der Jahre überspannenden Vorgänge in „Die Farbe aus dem All“.

Ich konnte nur einen Fehler entdecken. Jäger liest „eine Vision von Fuseli“ [sic] statt „eine Vision wie von Füeßli“, denn Lovecraft meint den Schweizer Maler schauriger Motive wie „Der Nachtmahr“, das wohl sein bekanntestes Bild ist (ein dunkler Gnom sitzt auf dem Bauch einer ohnmächtigen, weißgewandeten jungen Frau, und hinterm Vorhang lugt ein weiterer Dämon hervor).

Auch Simon Newby, der in viel größerem Maße als Jäger als Schauspieler tätig gewesen ist, verfügt über eine ausdrucksstarke Stimme, die es ihm erlaubt, auch so schwierige Texte wie die auf alt getrimmten Gedichte HPLs vorzutragen. Über die korrekte Aussprache solcher exotischen Ausdrücke wie „Cacodaemons“ und „ere“ (= bevor) lässt sich wohl streiten.

Die Musik

Da es keinerlei Geräuschkulisse außer ein paar Spezialeffekten (Wind etc.) gibt, beruht die emotionale Wirkung der Akustik einzig und allein auf dem Vortrag des Sprechers und auf der Musik. Die Musik stellt so etwas wie ein experimentelles Novum dar (wie so einiges auf dem Hörbuch). Sie wurde nicht von einem einzelnen Komponisten zwecks Aufführung durch ein Orchester geliefert, sondern wird von einem Musikerkollektiv erstellt und zugleich aufgeführt: dem „Orchester der Schatten“.

In „Ruf des Dämon“ setzten die Komponisten noch jazzbasierte Instrumente und Musikmotive ein. Diese wurden nun durch eine mehr klassische Orchestrierung ersetzt, die dem traditionellen Feeling, das man mit Lovecraft verbindet, mehr entgegenkommt. Besonders gefielen mir die tiefen Bässe, seien sie nun vom Kontrabass, vom Cello oder dem Piano erzeugt. Ihren Gegenpart spielen häufig hohe Geigen, die durch Dissonanzen eine unheimliche Atmosphäre der Beklommenheit erzeugen. Dieses Muster wird zwecks An- und Entspannung variiert. Die Hintergrundmusik wird durch Pausenmusik ergänzt. Insgesamt bildet die Musik eine stilistische Einheit mit dem Inhalt der zwei Erzählungen. Grusel ist garantiert, vielleicht sogar Lovecrafts Markenzeichen: „kosmisches Grauen“.

Unterm Strich

„Der Ruf des Dämon 2: Wälder der Finsternis“ ist als Titel wohl eher eine Missinterpretation, denn weder in „Das Bild im Haus“ noch in „Die Farbe aus dem All“ stehen Wälder im Vordergrund, sondern eher am Rande des Geschehens. Besonders die zweite, sehr lange Erzählung ist ein Meisterstück HPLs, das jeder Fan kennen sollte. Es steht in einer Reihe mit Grundpfeilern des Lovecraftschen Werkes wie „Der Schatten aus der Zeit“ (1934) oder [„Schatten über Innsmouth“ 506 (1936), obwohl es bereits 1927 entstand. Meines Wissens ist dies die erste Veröffentlichung dieser zwei Erzählungen im Hörbuch.

Das Audiobook bietet dem Liebhaber gepflegten Grusels aus dem Hause Lovecraft eine interessante Mischung aus total Traditionellem – die Storys und Gedichte – und innovativ Neuem: die einfühlsame akustische Untermalung durch das „Orchester der Schatten“. Insgesamt also mehr etwas für Spezialisten.

151 Minuten auf 2 CDs
Aus dem US-Englischen übersetzt von Anke Püttmann (Bild im Haus), Matthias Manzke (Farbe aus dem All)

http://www.eichborn-lido.de/ (ohne Gewähr)

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