Lovecraft, Howard Phillips – Schatten über Innsmouth, Der

Howard Phillips Lovecraft ist bekannt für seinen – zumindest für heutige Verhältnisse – eigentümlichen Schreibstil. Seine Erzählung „Schatten über Innsmouth“ (Buchtitel) ist in Form eines Reiseberichtes gehalten – genauer gesagt, erzählt ein junger Mann rückblickend von zwei Tagen seiner Reise.

Er feiert seine Volljährigkeit mit dieser Reise durch Neuengland – um das Land kennen zu lernen und außerdem historische und genealogische Studien zu betreiben. In Newburyport angekommen, bemüht sich der Erzähler um eine Passage nach Arkham. Als er den horrenden Fahrpreis für den Dampfzug beanstandet, berichtet ihm der Fahrkartenverkäufer von einem Autobus, der zweimal täglich von Newburyport über Innsmouth nach Arkham fährt. Die Einheimischen meiden jedoch diese kleine Hafenstadt an der Mündung des Manuxet, da sie sich vor den Bewohnern ekeln, ja sogar ängstigen. Es habe den Anschein, so erfährt der junge Mann, dass die Einwohner von Innsmouth, je älter sie werden, zunehmend einer heimtückischen Krankheit zum Opfer fallen. Daher ranken sich um das geheimnisumwogene Innsmouth und seine Bewohner ungeheuerliche Legenden. Von der Neugier gepackt, schickt sich der Reisende an, noch am selben Abend den Autobus zu nehmen, wird jedoch in seinem Enthusiasmus von seinem Gesprächspartner gebremst, der ihm rät, erst am nächsten Morgen zu fahren, um den Tag in Innsmouth zu verbringen, jedoch noch am Abend des selben Tages seine Weiterreise nach Arkham anzutreten. Als Begründung führt er die Erzählungen eines Gewerbeinspektors an, der vor zwei Jahren im Gilman House, dem einzigen Hotel in Innsmouth, abgestiegen war. Dieser Mann berichtete von seltsamen, unnatürlichen Stimmen, die aus den leer stehenden Zimmern des Hotels drangen und sich in einer fremden Sprache die ganze Nacht unterhielten. Er habe es nicht gewagt, sich zu entkleiden und zu Bett zu gehen, jedoch am nächsten Morgen die Beine in die Hand genommen und mit dem Autobus die Stadt verlassen. Im weiteren Gespräch erfährt der junge Mann auch, dass selbst der Bahnangestellte, der doch gar nicht aus dieser Gegend stammt, die Menschen aus Innsmouth nicht besonders leiden kann. Sie seien eben ein sehr sonderbares Völkchen. Der Erzähler nutzt die ihm verbleibende Zeit des Tages für Recherchen in den örtlichen Archiven und Museen, wobei seine Neugier nur weiter angestachelt wird.

Am nächsten Morgen findet er sich an der Haltestelle des Autobusses ein und beginnt seine abenteuerliche Reise nach Innsmouth. Seine Mitreisenden wirken tatsächlich ein wenig sonderbar und ihr Äußeres stößt ihn wahrlich ab. Am Ziel angekommen, erkundet er den kleinen Platz, an dem der Autobus hält und vergewissert sich ob der abendlichen Abfahrtszeit. Der junge Mann entdeckt einen kleinen Laden, in dem er sich mit Proviant für den Tag versorgt. Der Verkäufer erkennt ihn als Zugereisten und so kommen sie ins Gespräch. Er sei auch nicht von hier und wäre lieber an jedem anderen Ort auf der Welt, doch die Geschäftsleitung habe ihn nach Innsmouth versetzt und da er seine Stellung nicht aufgeben wolle, habe er sich damit abgefunden. Doch immer, wenn es ihm möglich sei, verlasse er diesen Ort, denn hier sei es nicht geheuer. Er berichtet von dem alten Zadok Allen, der ihm bestimmt mehr über Innsmouth und seine Einwohner erzählen könne. Es werde jedoch nicht gerne gesehen, wenn der alte Zadok sich mit Fremden unterhalte, doch mit einer Flasche seines Lieblingsstoffes könne man seine Zunge lösen. Das meiste, was er zu erzählen habe, seien jedoch Schauergeschichten, die man nicht glauben könne. Der Verkäufer zeichnet noch eine grobe Skizze der Stadt und der junge Reisende macht sich auf den Weg, die Stadt zu erkunden…

Die unheimlichen Geschichten von H. P. Lovecraft (* 20. August 1890, + 15. März 1937), dem Großmeister der Angst, zählen heutzutage zum Weltliteraturerbe. Dabei war er zu Lebzeiten nicht gerade von sich und seinen Werken überzeugt. Eine seiner längsten autobiographischen Schriften trägt den Titel “Einige Anmerkungen zu einer Null”. Er wagte damals nicht einmal zu hoffen, dass seine Werke jemals mit denen von Poe, Dunsany oder Blackwood auf einer Ebene stünden. Er selbst schrieb hierzu: |“Für mein Werk kann ich nichts weiter vorbringen als seine Redlichkeit. Ich weigere mich, den mechanischen Konventionen der Unterhaltungsliteratur Tribut zu zollen oder meine Erzählungen mit Klischeefiguren und abgedroschenen Situationen vollzustopfen. Ich lege Wert darauf, echte Gemütsäußerungen und Eindrücke so gut zu schildern, wie ich es vermag. Die Ergebnisse mögen armselig sein, doch ringe ich lieber weiter hartnäckig um echten literarischen Ausdruck, als die künstlichen Maßstäbe wohlfeiler Schnulzen zu akzeptieren.”|

In frühester Kindheit lauschte er den Märchen und Sagen und bereits im Alter von vier Jahren waren die Gebrüder Grimm seine bevorzugte Lektüre. Kurz darauf zog ihn „Tausendundeine Nacht“ in ihren Bann. Doch nicht nur Bücher und Sagen übten ihre Faszination auf ihn aus, auch die alten Straßen seiner Heimatstadt Providence, in denen die mit gefächerten Oberlichtern ausgestatteten Türen im Kolonialstil, winzige Fenster und anmutige Dachfirste aus der Zeit König Georgs den Glanz des achtzehnten Jahrhunderts lebendig erhalten hatten, übten einen Zauber auf ihn aus, den er sich kaum erklären konnte. Sein Faible für das achtzehnte Jahrhundert spiegelt sich in vielen seiner Erzählungen wider, so auch in “Schatten über Innsmouth”. In langen Passagen beschreibt er die Straßenzüge voll verlassener Häuser mit ihren vernagelten Türen und Fenstern, von denen eine gespenstische Atmosphäre ausgeht.

Aus gesundheitlichen Gründen war es ihm nicht vergönnt, regelmäßig die Schule zu besuchen, so dass er sich seine Bildung in Form eines chaotischen Selbstudiums bereits in jungen Jahren allein aneignen musste. Sein Augenmerk fiel auf die Wissenschaften und so trachtete er anfänglich mehr nach der Wahrheit denn nach Mythen und unheilmlichen Geschichten. Alsbald begann Lovecraft sich für Edgar A. Poe zu interessieren, doch seine frühe literarische Zeit war geprägt von Gedichten und Essays. Für ihn waren die wenigen phantastischen Gehversuche, die er unternahm, eher eine unbedeutende Nebensache. Zwar schrieb er seine erste unheimliche Geschichte ‚Der edle Lauscher‘ schon im Alter von sieben Jahren, doch er bezeichnete sie im Nachhinein als jämmerlich und infantil. Den |Cthulhu|-Mythos mit seinem eigenen Pantheon schuf er erst über 20 Jahre später, nach seiner Entdeckung Lord Dunsanys (mit vollem Namen Edward John Moreton Drax Plunkett), welche seiner Schriftstellerei gewaltigen Auftrieb verlieh. H. P. Lovecraft kann man guten Gewissens, ebenso wie Poe und Dunsany, als einen der Pioniere der phantastischen Literatur bezeichnen. Wenn auch sein Stil nicht gerade hohe literarische Maßstäbe anlegt, so vermitteln seine Erzählungen doch einen hintergründigen Schrecken und eine unheimliche Atmosphäre. Die Städte Arkham und Kingsport, die in einigen seiner Geschichten vorkommen, sind ein mehr oder weniger verändertes Salem und Marblehead (Massachusetts), die er neben einigen anderen Städten auf seinen Reisen durch die Vereinigten Staaten besuchte.

“Schatten über Innsmouth” gehört zweifelsohne in den |Cthulhu|-Mythos, den Lovecraft in überwiegend fragmentarischer Form ins Leben rief. Es ist die einzige längere Geschichte, die noch zu seinen Lebzeiten in Buchform bei einem kleinen Verlag publiziert wurde. Das Grauen in dieser recht aparten Erzählung geht zwar nicht von |Cthulhu| und dem Geschlecht der |Großen Alten|, ebenso wenig von dessen Dienerkreaturen aus, doch auch die |Tiefen Wesen|, grauenerregende Froschkreaturen, die in den Meeren leben, kamen einstmals von den Sternen und bevölkerten neben den |Großen Alten| die Erde, als diese noch kein eigenes Leben beherbergte. H. P. Lovecraft versteht es, mittels seiner detaillierten Schilderung der Stadt und des von ihr ausgehenden Unbehagens, den Leser in eine Atmosphäre des Grauens einzuführen und obwohl das schreckliche Ende bereits zu Beginn der Geschichte offenbar wird, steigert sich die Spannung und bietet einen kleinen Einblick in die abscheulichen Abgründe des |Cthulhu|-Mythos.

In dieser Geschichte finden sich Lovecrafts gewohnte Stilmittel wieder. Ein einzelner Mann sieht sich mit einer widernatürlichen Übermacht des Grauens konfrontiert und bietet sein ganzes Wesen auf, um ihr zu entgehen. Jahre danach entschließt er sich, von Alpträumen geplagt und in der Überzeugung, keinen weiteren Schaden mehr anzurichten, seine Erlebnisse der Welt zu enthüllen. Wie so oft ist die Erzählung also nur wenig von wörtlicher Rede durchzogen – sieht man einmal von ein paar Gesprächen zu Beginn und der längeren Unterhaltung mit Zadock Allen ab. Alles, was der Leser erfährt, beruht auf den Erlebnissen des Erzählers, den Geschichten, die ihm auf seiner Reise zutragen werden und dem schrecklichen Schicksal, mit dem er sich heute konfrontiert sieht.

In den letzten beiden Jahren erschienen gleich zwei Hörbücher der Reihe |H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens| aus der Schmiede von |LPL records|. Während „Der Cthulhu-Mythos“ (2002) mit dem |Deutschen Phantastik-Preis 2003| als „Bestes Hörbuch/Hörspiel des Jahres“ ausgezeichnet wurde, steht ihm sein jüngerer Bruder „Der Schatten über Innsmouth“ (2003) in nichts nach. In Zeiten, da immer weniger Menschen Zeit zum Lesen finden, vermag dieses neue Medium vielleicht auch den |Cthulhu|-Mythos aufs Neue zu entfachen.

Die deutsche Fassung stammt aus der Feder von Andreas Diesel und wurde von Frank Festa (|Festa|-Verlag) für die Hörbuchfassung überarbeitet. |LPL records| hat mit diesem Hörbuch eine von Lovecrafts besten Horrorgeschichten in ein eindrucksvolles Gewand gekleidet. Nicht nur, dass Lars Peter Lueg, der Produzent und Verlagsleiter von |LPL|, dem geneigten Zuhörer eine ungekürzte Fassung dieser Erzählung bietet, außerdem ergänzt eine Bonus-CD mit Texten von S. T. Joshi und David E. Schultz, welche düstere Hintergrundinformationen über die Entstehung von Lovecrafts bekanntester Geschichte liefert und interessante Details über dessen alptraumhafte und geniale Gedanken enthüllt, die 215 Minuten lange Geschichte. Als letzte Zugabe befindet sich auf dieser CD auch eine 26-minütige Hörprobe aus „Der Cthulhu-Mythos“.

Ebenso trägt die Wahl der Sprecher maßgeblich zu der herausragenden Umsetzung bei. Lutz Riedel leiht dem Erzähler seine Stimme, während Joachim Kerzel – der bereits den Erzählungen in „Der Cthulhu-Mythos“ eine schauderhafte Atmosphäre verlieh – auf unnachahmlich eindrucksvolle Weise die Rolle des alten Zadok Allen übernimmt. Der Zuhörer vermag die Angst des Alten förmlich zu spüren. Im Zusammenspiel dieser beiden altgedienten Synchronsprecher entsteht eine Atmosphäre, die das Grauen und das spätere blanke Entsetzen, welches den Erzähler immer mehr in die Fänge des Wahnsinns zu treiben droht, sehr überzeugend zu vermitteln vermag. Beide wandeln auf einem schmalen Grat zwischen Realität und Wahnsinn.

Lutz Riedel nimmt den geneigten Hörer mit auf eine Reise in die düsteren Abgründe der Phantasie, die Stadt Innsmouth erscheint buchstäblich vor den Augen der Hörerschaft und die Flucht durch die alten Straßen der Stadt lässt einem einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Er versteht es, die Spannung dieser Geschichte zu keinem Punkt abreißen zu lassen, und so wird aus der Synthese von Lovecraft und Riedel ein Meisterwerk wahnhaften Grauens.

Andy Matern sorgt zudem für eine passende musikalische Untermalung, welche die schaurige Atmosphäre an den richtigen Stellen noch unterstreicht. Dunkle Chöre und düstere, sphärische Klänge begleiten die Erzähler auf ihrem Weg und lassen den Schrecken beinahe real werden.

Wie auch schon bei „Der Cthulhu-Mythos“ übernimmt David Nathan auf der Bonus-CD die Rolle des H. P. Lovecraft, während Nana Spier sich der Texte annimmt, die dieses Bonusmaterial gänzlich abrunden. Selbst für Lovecraft-Liebhaber – jene unter euch, die sich mit dem Meister des Makaberen schon längere Zeit beschäftigen – wird die eine oder andere Information auf dieser CD möglicherweise einen neuen Aspekt seines Lebens und Schaffens eröffnen. Ich möchte mich hier bei den Verantwortlichen für dieses Lovecraft-Liebhaber-Paket bedanken, mehr kann man einfach nicht erwarten.

Der Berliner Schauspieler Lutz Riedel erblickte 1947 das Licht der Welt. Neben seiner Tätigkeit als Buch- und Dialogregisseur, sowie Dialogautor synchronisierte er u. a. Timothy Dalton („James Bond – Lizenz zum Töten“) und Richard Gere („Internal Affairs“). Er war auch die Stimme von Jan Tenner in der gleichnamigen Hörspielserie.
Joachim Kerzel wurde 1941 in Oberschlesien geboren und besuchte ab 1963 die Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Neben der Schauspielerei begann er mit der Synchronarbeit, als Sprecher wie auch als Regisseur. Er ist die deutsche Stimme von Jack Nicholson und lieh sie u. a. Dustin Hoffmann und Robert DeNiro. Joachim Kerzel hat sich durch zahlreiche Bestseller-Lesungen einen Namen gemacht. Der versierte Sprecher sorgt neben seinen Rollen in den Lovecraft-Hörbüchern als Erzähler der neuen John-Sinclair-Hörspiele für Spannung und lässt den Hörer gruseln, erzittern und mitfiebern.
David Nathan (*1971) ist Regisseur und Synchronsprecher. Seine Stimme leiht er seit 1991 der Werbung, der Synchronisation und Dokumentation sowie Computer- und Hörspielen. Er ist u. a. die Synchronstimme von Johnny Depp. Neben Deutsch und Englisch spricht David Nathan auch fließend Berlinerisch.
Nana Spier (*1971) ist u. a. die deutsche Stimme von Drew Barrymore und Sarah Michelle Gellar. Die gebürtige Berlinerin ist zudem seit 1992 immer wieder im deutschen Fernsehen zu sehen, zuletzt als Schwester Elke in der Serie „Dr. Sommerfeld – Neues vom Bülowbogen“ (ARD).

Zu guter Letzt sei mir noch ein Ausblick auf die Fortsetzung dieser Reihe gestattet.
Im September 2004 erscheint „Howard Phillips Lovecrafts Bibliothek des Schreckens 3 – Das Ding auf der Schwelle“. Auf dieser Doppel-CD befindet sich neben der Titelgeschichte auch H. P. Lovecrafts Erzählung „Ratten im Gemäuer“. Als Sprecher wurde wieder Lutz Riedel verpflichtet. Ich denke, wir dürfen gespannt sein.

Mehr Informationen bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Lovecraft

Bitte beachtet auch unsere [Rezension 506 der Buchausgabe.