Lucius Shepard – Kalimantan

Nicht ganz überzeugende Mischung von Phantastik, Joseph Conrad und Mystik

Curtis McKinnon, ein im Ausland lebender Amerikaner, geht nach Borneo, um den ruppigen Aussteiger zu spielen. Schon bald hat er ziemlichen Ärger und sieht sich gezwungen, sich im Dschungel von Kalimantan zu verstecken. Er findet bei den Eingeborenen vom Stamm der Dayak eine bewußtseinsverändernde Droge und terrorisiert die Region. Wie kann man ihn unschädlich machen? Die Geister Kalimantans erwachen…

Der Autor

Lucius Shepard, geboren 1947, zunächst ein Dichter, war in den achtziger Jahren einer der wichtigsten SF-Autoren, der mehrfach mit Preisen des Genres ausgezeichnet wurde. In seinen Erzählungen „Salvador“ (1984) und mit dem Roman „Das Leben im Krieg“ (1987) setzte er sich sehr kritisch und provokativ mit dem Engagement der Vereinigten Statten unter Präsident Reagan in Mittelamerika auseinander. Die CIA, das Pentagon und sicherlich noch andere Behörden des Geheimdienstapparates bildeten Contras aus: Sie sollten in El Salvador und Nicaragua gegen das sozialistische Regime operieren. Die Folge war ein Stellvertreterkrieg, in dem nicht nur Tausende von Zivilisten ums Leben kamen, sondern auch die Iran-Contra-Affäre (Waffenschmuggel) die totale Amoralität der Verantwortlichen offenlegte.

Mit seinen anderen Werken war Shepard nicht so erfolgreich. In „Grüne Augen“ (1984) stellt die CIA illegale Experimente zur Wiederbelebung von Leichen an; in „Kalimantan“ wandelt die Hauptfigur auf den Spuren Joseph Conrads. Aber jede Erzählung Shepards hält ein gutes Leseerlebnis bereit, so etwa in „Delta Sly Honey“ (1989) und „Muschelkratzer-Bill“ (1994). „Der Mann, der den Drachen Griaule malte“ (1984) bildet mit „The Scalehunter’s Beautiful Daughter“ (1988) und „Father of Stones“ (1988) eine schöne Sequenz aus der High Fantasy. Shepard schuf sich seine Nische irgendwo zwischen Joe Haldemans Anti-Kriegs-Romanen und Robert Silverbergs Transzendenz-Epen.

Handlung

Curtis McKinnon ist ein jähzorniger, naiver Narr. Weil er sich auf seine Unantastbarkeit als Amerikaner, der als Kolonistennachfahre in Übersee lebt, verlässt, kommt er nach Borneo, um den ruppigen Aussteiger zu spielen. Seine Illusionen machen ihn ebenso wie sein Charme zu einem gefährlichen Mann. Schon bald hat er ziemlichen Ärger und sieht sich gezwungen, im Dschungel von Kalimantan unterzutauchen.

Die Droge der Wächter

Dort entdeckt er eine bewusstseinsverändernde Droge, die einst von den Punan Dayak genommen wurde, einem verlorenen Volk, an das man sich als „die Traumwanderer“ erinnert. Als Curtis die Droge ausprobiert – er wittert ein Geschäft -, entdeckt er, dass Seribu nicht nur die Wahrnehmung des Konsumenten verändert, sondern auch die konkrete Realität des Landes selbst. Der Eindringling beginnt, mit seinem mutwilligen Treiben das Land zu terrorisieren.

Doch McKinnon hat auch die Geister des Herzlandes Kalimantans geweckt, die seit jeher Wächter über ein unbeschmutztes Land sind. Er hat keine Ahnung, wie mächtig sie sind…

Mein Eindruck

Von Lucius Shepard hatte ich Besseres oder zumindest Neues erwartet. Doch mit diesem Kurzroman betritt er wieder alte Urwaldtrampelpfade – diesmal nicht irgendwo in Mittelamerika wie in „Leben nach dem Krieg“, sondern im fernen Borneo, wo das Mahagoni herkommt und der Orang-Utan ausstirbt.

Es ist die Geschichte eines Mannes, der im Innern Borneos eine Droge entdeckt, die eine Art Unsterblichkeit verspricht, doch der Traum vom ewigen Leben erweist sich als Alptraum von gespenstischen Visionen und Tod.

Echos von Joseph Conrad

Das Eindringen des weißen Mannes in die mystische, allumfassende Natur, das Erfahren einer höheren Wahrheit und das schließliche Scheitern des seelisch nicht darauf vorbereiteten Weißen – das echot ebenso Graham Greene wie auch die Fernost-Romane Joseph Conrads, z.B. „Die Schattenlinie“ und „Der Gefangene der Inseln“.

Und dessen bekanntesten Roman „Heart of Darkness“ ahmt Shepard insoweit nach, als der Erzähler von einem besessenen Mann berichtet, der eine Vision hat. Diesmal ist es jedoch das Gegenteil dessen, was Conrads Erzähler Marlow an Horror erlebt: nämlich transzendente Schönheit. Da Shepard ein sehr guter Erzähler sein kann, wenn er will, ist dies alles sehr stimmungsvoll und stellenweise poetisch geschildert.

Mystik statt Erkenntnis

Aber letzten Endes mündet die Geschichte in nichts anderem als der Niederlage der rationalen Vernunft: Musik erklingt, und das uralte Geheimnis des Orients tritt an die Stelle der Erkenntnis. Mag sein, dass die ewige Wahrheit der Liebe dem Traum McKinnons von der Unsterblichkeit gegenübergestellt wird, um ihn zu erlösen.

Ein Trost ist das für den Leser nicht, denn diese Erlebnisse McKinnons sind doch ziemlich abgehoben und naiv, so dass es mir entsprechend schwer fiel, der Erzählung auch emotional zu folgen. Und das ist nicht gerade das, was sich ein Autor von seinem Leser erhofft. Das Erreichen der Ruinen einer außerirdischen Zivilisation wirkt vor diesem Hintergrund wie ein aufgesetztes Sahnehäubchen, das nur dazu dient, Genre-Erwartungen (des Verlags?) zu bedienen.

Taschenbuch: 207 Seiten
Originaltitel: Kalimantan, 1990.
Aus dem Englischen von Irene Bonhorst
ISBN-13: 978-3453061903

www.heyne.de

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