Eric Van Lustbader – Der Weiße Ninja (Nicholas Linnear 03)

„Der weiße Ninja“ ist ein spannender Fernost-Thriller, wie sie 1980 bis 1990 in Mode waren. Typisch für Lustbader: die Mischung aus japanischer Kampfkunst und Mystik, heißem Sex, modernster Computertechnik und skrupelloser Gewalt. Nicholas Linnear, der amerikanische Ninja, tritt hier das dritte Mal auf, nach dem Weltbestseller „Der Ninja“ und dessen Folgeband „Die Miko„. Da ich Lustbaders Mischung mag, fand ich auch diesen Roman gut.

Der Autor

Eric Van Lustbader, geboren 1946, ist der Autor zahlreicher Fernost-Thriller und Fantasyromane. Er lebt auf Long Island bei New York City und ist mit der SF- und Fantasylektorin Victoria Schochet verheiratet. Sein erster Roman „Sunset Warrior“ (1977) lässt sich als Science Fiction bezeichnen, doch gleich danach begann Lustbader (das „Van“ in seinem Namen ist ein Vorname, kein holländisches Adelsprädikat!), zur Fantasy umzuschwenken. Der Dai-San-Zyklus gehört dem Genre der Sword & Sorcery an und besteht aus folgenden Romanen:
Sunset Warrior (Ronin), Shallows of Night (Dolman), Dai-San; Beaneath an Opal Moon (Moichi); Beyond the Sea of Night (Der Drachensee).

1980 begann Lustbader mit großem Erfolg seine Martial-Arts & Spionage-Thriller in Fernost anzusiedeln, zunächst mit Nicholas Linnear als Hauptfigur, später mit Detective Lieutenant Lew Croaker: The Ninja; The Miko; White Ninja; The Kaisho usw. Zur China-Maroc-Sequenz gehören: Jian; Shan; Black Heart; French Kiss; Angel Eyes und Black Blade. Manche dieser Geschichten umfassen auch das Auftreten von Zauberkraft, was ihnen einen angemessenen Schuss Mystik beimengt.

Die Kundala-Trilogie ist Fantasy, mit SF-Elementen kombiniert: „Der Ring der Drachen“, „Das Tor der Tränen“ und „Der dunkle Orden“. Da diese Fantasy ebenfalls in einem orientalisch anmutenden Fantasyreich angesiedelt ist, kehrt der Autor zu seinen Wurzeln zurück, allerdings viel weiser und trickreicher. Kürzlich hat er noch einmal eine Wendung vollziehen und schreibt nun die Thriller seines verstorbenen Kollegen Robert-Ludlum fort, so etwa „Die Bourne-Verschwörung“.

Handlung

Nicholas Linnear, der Held von Lustbaders erstem Roman „Der Ninja“, hat diesmal ein echtes Problem: Er hat nach einer Hirnoperation seine Ninja-Fähigkeiten verloren – daher der Titel: Linnear ist nun ein „Weißer Ninja“. Hilflos ist er den Attacken eines vermummten Angreifers mit beinahe magischer Kampftechnik ausgeliefert. Seine amerikanische Frau Justine, die er noch in „Der Ninja“ retten konnte, ist durch Nicks seelische Verkrüppelung verzweifelt und bangt um den Fortbestand ihrer Ehe. Sie wendet sich an Nicks engsten Partner, Tanzan Nangi, den Boss von Sato Industries.

Doch Nangi, ein zum Katholizismus konvertierter Japaner, sieht sich selbst wiederum wegen seiner engen Geschäftspartnerschaft mit dem Amerikaner Linnear Repressalien seitens des Hofrates des Kaisers augesetzt, der eine Politik des „Japan den Japanern“ verfolgt und Ausländern wie Linnear keine Macht über japanische Firmen gönnt. Nangi muss den Erpresser hinhalten und insgeheim Recherchen anstellen. Diese Suche führt zu einem Hacker, der einen Virus in Satos Computernetz eingeschleust hatte …

Als wären all dies noch nicht genug Scherereien, macht ein psychopathischer Killer Tokio unsicher. Er killt mit Vorliebe junge Frauen, nachdem er sich an ihnen vergangen hat. Wir erfahren auch schon im ersten Kapitel die Identität des Mörders: Es ist ausgerechnet der Leiter der Tokioter Mordkommission, Senjin Omukae. Und nun hat er sich als nächstes Ziel Nicholas Linnear auserkoren. Doch warum?

Die Antwort scheint im 19. Jahrhundert zu liegen, bei Nicholas‘ Großvater mütterlicherseits. So-Peng hatte einen Freund und Halbbruder, Zhao Hsian, der sich gegen ihn wandte. Denn Zhao war zu einem Tanjian geworden, einem atheistischen Mönch aus Nordostchina. Die Tanjian sind die Vorläufer der heutigen Ninja und verfügen über noch größere Leistungsfähigkeit im Kampf, unter anderem auch über Hypnose.

So-Pengs Mutter Liang hatte den Tanjian-Orden unerlaubt verlassen, um noch einmal zu heiraten. Diesen „Verrat“ trägt Zhao seiner Mutter sehr nach, und So-Peng muss sie beschützen. Außerdem geht es um 16 Smaragd-Edelsteine in einem Kästchen, denen die Tanjian magische Eigenschaften zuschreiben. Diese Steine befinden sich, als Erbstück So-Pengs und seiner Tochter, immer noch unversehrt in Nicholas Linnears Besitz. Ist sein Angreifer hinter ihnen her, um dem Tanjian-Orden wiederzubeschaffen, was ihm einst gehörte – oder hat er eigene Pläne? Und ist Senjin Omukae identisch mit Nicks Angreifer?

Der Leser bangt mit, ob und wie es Nicholas gelingt, seine Ninja-Kräfte wiederzuerlangen und dem Tanjian-Angreifer und dessen dunklen Kräften Paroli zu bieten. Unterdessen bereitet Senjins Schwester Shisei in Washington, D.C., einen üblen Schlag gegen Amerikas neuestes Supercomputerprojekt vor, in das Tanzan Nangi mit Nicholas Linnear einsteigen möchte.

Mein Eindruck

Diese Skizze des Handlungsverlaufs mag ein wenig verworren wirken. Das ist vielleicht zum Teil meine Schuld. Andererseits besteht die Erzählung des Romans aus zahlreichen parallel verlaufenden Strängen, und so macht es der Autor dem Leser nicht einfach, den Überblick zu behalten. Da muss man sich mit dem Lesen schon ranhalten, um nicht zu vergessen, wer nun was weiß und wie der- oder diejenige mit den anderen verknüpft ist. Das Personal ist umfangreich, nicht nur in der erzählten Gegenwart, sondern auch in der Vergangenheit.

Der Roman funktioniert auf mehreren Ebenen. Er schildert einen Wirtschaftskrieg mit modernsten technologischen Mitteln, nämlich mit Computerviren. Diese Auseinandersetzung hat nationalistische Gründe: Japan gegen USA.

Auf einer weiteren Ebene erzählt das Buch von einer hundert Jahre andauernden Familienfehde, die kulminiert, als ein hoch begabtes Zwillingspaar – Senjin und Shisei – zwar unter Lügen erzogen wird, aber dennoch enorme Macht erlangt, um zu manipulieren und zu zerstören. Senjin greift sogar nach der Unsterblichkeit, die er mit Hilfe der magischen Tanjian-Smaragde erlangen will. Insofern ist das Buch ein spannendes Psychodrama, vor allem als sich Shisei ändert.

Und schließlich geht es um die Selbstfindung der Hauptfiguren, Nicholas Linnears und seiner Frau Justine. Sie müssen beide in der Krise herausfinden, wer sie wirklich sind. Nick etwa muss die Existenz seiner dunklen Seite anerkennen und akzeptieren: Auch er ist ein Tanjian, wenn auch ohne Ausbildung. Und Justine erkennt, dass ihr Japan immer etwas fremd bleiben wird und kehrt nach Amerika zurück.

Für mich am interessantesten war nicht nur, wie Nicholas und Nangi das gigantische Komplott abwehren, das der Hofrat unter Leitung von Kusunda Ikusa gegen Sato International und den amerikanischen Hive-Computer vorträgt. Noch interessanter sind die fernöstlichen Geheimlehren wie Tanjian, Tau-tau und Ninjutsu, die ihren Anhängern scheinbar übermenschliche Kräfte verleihen.

Denn in einem Punkt unterscheidet sich dieses Buch gewaltig von „Der Ninja“: Es findet kein einziger Schwertkampf statt. Vielmehr sind die meisten Kämpfe geistiger Natur und die Schläge werden meist unbewaffnet, aber genauso wirkungsvoll geführt.

Auch in erotischer Hinsicht finden Auseinandersetzungen statt: Sex als Waffe – das ist Shiseis Metier, als sie amerikanische Senatoren manipuliert. Wir erfahren, dass sie mehrere entsprechende Schulen besucht hat, darunter einen Geheimclub namens „Goldene Wolke“, in dem Frauen Männer spielen, um optimal als eine Geisha dienen zu können.

Kritikpunkte

Das Buch leidet in seiner Ernsthaftigkeit an einem Mangel an Humor – na ja, kein Wunder, wenn’s ständig ums Überleben geht. Darüber hinaus sprechen die meisten Akteure im gleichen Tonfall, in wohlgesetzten Worten, egal aus welcher Schicht oder Region sie stammen. Aber das mag auch an der alles einebnenden Übersetzung liegen.

Die Übersetzung

Der Übersetzer Sepp Leeb, ansonsten zuverlässig und kenntnisreich, hat leider mehrere Flüchtigkeitsfehler begangen, so etwa vertauscht er einmal „Täter“ durch „Opfer“. Wer aufmerksam liest, wird mehrmals fündig werden.

Unterm Strich

„Der Weiße Ninja“ ist ein spannender Fernost-Thriller, der bei aufmerksamer Lektüre ein wirklich lohnendes Buch ist und kurzweilige Unterhaltung verschafft. Nebenbei lernt man noch einiges über Japan und den Fernen Osten. Wer aber wissen will, wie man Karate einsetzt, der ist hier falsch. Im Gegenteil: „80 Prozent der Elemente einer Kampfsportart sind geistiger Natur“, lässt der Autor sagen und im nächsten Satz Karate in Grund und Boden verdammen. „Dann schon lieber Aikido.“ Mist! Ich konnte nur Jiu-jitsu.

Hinweis

Die nächsten Abenteuer Nicholas Linnears hat Lustbader in der Floating-City-Trilogie erzählt. Die Trilogie besteht aus den Romanen „Der Kaisho“, „Okami“ und „Schwarzer Clan.“ Sie sind alle bei |Heyne| im Taschenbuch erschienen.

Taschenbuch: 700 Seiten
Originaltitel: White Ninja, 1990
Aus dem US-Englischen übertragen von Sepp Leeb.
ISBN-13: 9783453061477

www.heyne.de

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