Klassische Science-Fiction-Erzählungen
Dieser Story-Band enthält sechs Kurzgeschichten und eine Novelle eines der großen Altmeister der Science Fiction, sarkastisch, boshaft, voll hintergründigem Humor und einer gehörigen Portion Selbstkritik am „American Way of Life“. Sie erschienen zwischen 1955 und 1957 in „Astounding Science Fiction“, „Unknown“ sowie „Galaxy/Worlds of If“und gehören zu den besten, die in jenen Jahren geschrieben wurden. (Verlagsinfo) „Neu-Arkadien“ bildet den zweiten Teil des Originalbandes „A Gun For Dinosaur“ aus dem Jahr 1963. Der erste Teil ist unter dem Titel „Ein Yankee bei Aristoteles“ erschienen.
Der Autor
Lyon Sprague de Camp wurde 1907 in New York City geboren, studierte dort lebte in verschiedenen Südstaaten und in Kalifornien, erwarb den akademischen Grad eines Bachelor of Science und machte 1933 seinen Master of Science. Neben seinen Gelegenheitsarbeiten als Dozent, Ingenieur, Patentanwalt, Werbetexter und Offizier der US Naval Reserve war er doch die meiste Zeit als freier Autor und Herausgeber tätig. Er verfasste mehr als achtzig Bücher, von denen die SF nur einen geringen Teil ausmacht. Am liebsten war mir immer „Mathemagie“, die fünf Harold-Shea-Romane, die de Camp zusammen mit Fletcher Pratt schrieb (1988, ISBN 3-453-02790-6).
Seine erste Story erschien 1937 in „Astounding Stories“. Seine besten Stories sind in der Collection „A gun for dinosaur“ gesammelt, die 1980 bei Heyne unter den Titeln „Ein Yankee bei Aristoteles“ und „Neu-Arkadien“ erschien. De Camp schrieb seinen Roman „Vorgriff auf die Vergangenheit“ bereits 1939, wobei er zunächst eine Kurzgeschichte im Magazin „Unknown“ veröffentlichte. Der komplette Roman erschien 1941 bei H. Holt & Co. und wurde 1949 von Galaxy Publishing sowie Philadelphia Prime Press nachgedruckt.
Schon bald schrieb de Camp Romane, auch in der Fantasy und in Zusammenarbeit mit Fletcher Pratt und P. Schuyler Miller. Sein herausragender SF-Roman ist „Vorgriff auf die Vergangenheit“ (Lest Darkness Fall, 1939), aber auch in der Fantasy und im Sachbuchbereich erhielt er mehrere Preise, und 1979 wurde ihm den Nebula Award für sein Lebenswerk, der „Grand Master Award“, verliehen. Er starb am 6. November 2000 und wurde auf dem Nationalfriedhof in Arlington, neben seiner Frau, beigesetzt.
Die Erzählungen
1) Dankbarkeit (Gratitude, 1955)
Der Gartenverein in der weißen Vorstadt irgendwo in Virginia erhält Besuch von einem Raumfahrer, der gerade von der Venus zurückgekehrt ist. Gordon Oakley ist der Bruder einer Nachbarin, Mrs. Hort. An den Polen des bekanntlich heißen Planeten habe er interessante Pflanzen angetroffen und getestet. Deren Pflanzensamen will er lukrativ verkaufen. Zuerst wollen Devore, Converse und Vanderhoff wissen, was er anbietet. „Die kleinen schwarzen Samen sind vom Singstrauch: Die Blüten singen und lernen sprechen. Die blauen Samen sind vom Bulldoggenstrauch: Ausgewachsen beißen sie. Die dicken roten Samen sind vom Baum des Garten Eden: Er trägt ungiftige, aber köstliche Früchte, die alle glücklich und zufrieden machen.“
Es gibt einen Deal, der alle zufriedenstellt. Devore, Converse und Vanderhoff bekommen je eine Samensorte – nur für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte. Nach angemessener Zeit wachsen bei Vanderhoff die Bulldoggensträucher. Als seine Frau Penny von ihren Eigenschaften erfährt, flippt sie aus, deshalb muss er die Gewächse einzäunen. Dass Devores Singsträucher wirklich singen können, ist nicht zu überhören. Er bringt ihnen jetzt bei, „My darling Clementine“ anzustimmen und ihn mit „Kaiserliche Hoheit“ anzusprechen. Sie sind nämlich auf den Dünger, den er ihnen als Belohnung verabreicht.
Converse weiß noch nicht so recht, was er von seinem Eden-Baum halten soll. Die Früchte sind wohlschmeckend, aber was soll dieser große Krug am Fuß des Stammes, der mit einem Deckel abgedeckt ist. Befindet sich eine Verdauungsflüssigkeit drin, fragt er sich. Tests bestätigen diese Vermutung. Als der Baum voller Früchte hängt, gibt er eine Nachbarschafts-Party. Schon bald sind alle, die davon gegessen haben, glücklich und zufrieden. Converse macht sich auf den Weg, um auch Penny Vanderhoff welche davon zu bringen, und so nimmt das Unheil seinen Lauf…
Mein Eindruck
Vorsicht vor Importware, besonders wenn sie von der Venus kommt! Die Tücke des Objekts, dessen sich der Autor häufig annimmt, liegt diesmal in den verführerischen Früchten des Eden-Baumes. Sie erzeugen in den Essern ein Gefühl tiefer Dankbarkeit; der Wirkstoff wird von einem Botaniker als Gratison bezeichnet. Nun, der Botaniker, der für das Landwirtschaftsministerium arbeitet, die alle drei Hobbygärtner verhaften lassen will, kommt definitiv zu spät. In diesem Viertel sind bereits alle dankbar, außer einem: Carl Vanderhoff, der auf einer Tagung weilte.
Als er zurückkehrt, findet er seine Frau Penny in eindeutiger Lage in den Armen von Mr. Converse vor: Der Sündenfall ist Realität geworden. Doch statt des Engels mit dem Flammenschwert schreiten die dankbaren Bürger zur Tat, um die Botaniker aus ihrem Paradies zu vertreiben. Jetzt zeigt sich auch, wozu der Krug am Fuße des Eden-Baumes gut ist: Er ist für die Undankbaren vorgesehen…
2) Eine Frage der Gewohnheit (A Thing of Custom, 1957)
Ein Inder von der Verwaltung der Erddelegation bei den Vereinigten Planeten (VP) sorgt sich um Abbaurechte für außerirdische Rohstoffe. Um die Beziehung aufzubessern, hat er es sich in der Kopf gesetzt, einigen seiner extraterrestrischen Klienten einen Besuchs auf der Erde zu spendieren. Als Gastgeber hat er sich seinen alten Bekannten Milan Reid in Pennsylvania ausgesucht. Es gelingt ihm, Reid breitzuschlagen, die Exos aufzunehmen und in seinem Bekanntenkreis verteilen zu lassen. Reids Frau Louise gibt ihm einfallsreiche Tipps.
Mit dem Zug treffen die Außerirdischen in Parthia, Pennsylvania ein, ebenso ihre Lebensmittel und ihre Gastfamilien. Die Hobarts, notorisch unpünktlich, glänzen auch diesmal durch Abwesenheit. Die Reids nehmen die Osmanen Sterga und Thvi auf, die mit glitschigen Tentakeln ausgestattet sind, und einen prächtigen Sinn für Spaß zur Geltung bringen. Was genau sie unter „Spaß“ verstehen, erfährt Reid auf einer Party, als die beiden Osmanen darauf bestehen, mit dem jeweils anderen Ehepaar die Partner zu tauschen. Kommt natürlich nicht in die Tüte. Zusammen mit seiner Frau verfällt Reid auf eine glorreiche Idee: Er überlässt die Osmanen seinen Nachbarn, den Zieglers.
RJ, der Inder, erkundigt sich nach dem Stand der Dinge und als Reid ihm alles erzählt, gerät er in Panik: Die Abbaurechte, nein, die Zukunft der Menschheit sei in Gefahr! Er kommt persönlich nach Parthia, und zusammen gehen er und Reid zu den Zieglers. Dort ist es verdächtig still. Charlie lässt sie freundlich, und sie kämpfen sich durch ein Schlachtfeld, das mal ein Wohnzimmer gewesen sein muss. Wo sind die Osmanen bloß, wundert sich Reid. Und da kommt auch Thvi: Sie ist völlig begeistert von ihren humanoiden Gastgebern. Sie seien die einzigen Nicht-Osmanen, denen es gelungen sei, sie, Thvi und Sterga, unter den Tisch zu trinken! Die Abbaurechte seien gesichert, klaro!
Mein Eindruck
Die Story macht sich erst über die Provinzialität der Bewohner von Pennsylvania lustig, doch es wird klar, dass die Reids ihre Nachbarn ziemlich gut kennen. Das kann man heute von den wenigsten Bewohnern der westlichen Welt sagen. So gelingt es den Reids, die Außerirdischen recht angemessen zu verteilen. Vor Schlüpfrigkeiten schreckt der Autor nie zurück. So verliert etwa ein lokaler Schwimm-Champion seine Badehose in aller Öffentlichkeit, weil die Osmanen „Spaß“ haben wollen. Und sie muten Milan Reid auch noch Partnertausch zu, ein Gedanke, der ihn in Panik versetzt. Doch sein Notfallplan, die Osmanen bei den Zieglers unterzubringen, wird ein voller Erfolg: Es geht eben nichts über eine feuchtfröhliche Verbrüderung.
3) Das Ei (The Egg, 1956)
Patrice Ober, einer Farmermädchen mit Studienambitionen, springt als Kindermädchen bei den Yethenianern ein. Die beiden Außerirdischen, die doppelt so groß wie sind, leben in der Scheune der Obers. Heute wollen sie ins Autokino gehen und haben Patrice gebeten, auf ihr Ei aufzupassen. Das Ei ruht in einer großen Kiste, und das Junge soll termingemäß in vier Tagen schlüpfen. Alles klar, meint Patrice und vertieft sich in ihr Exemplar von „Jane Eyre“.
Doch einer ihrer Verehrer hat von ihren Eltern erfahren, wo sie sich aufhält, und klopft. Patrice, die sich noch in der Auswahlphase befindet, lässt ihn ein, Schließlich ist Terry Blaine groß, attraktiv und außerdem der Football-Star ihrer Schule. Er hat Schallplatten mitgebracht, und sie tanzen eine Weile, bis er genug hat und sie auf dem Sofa vernaschen will. Sie ist noch nicht bereit dazu.
Weil er den Brutkasten angestoßen hat, beginnt der junge Yethenianer zu schlüpfen und aus seinem Gefängnis auszubrechen. Schnell zeigt sich, dass Terry ein Feigling ist: Er sperrt sich auf der Toilette ein und überlässt Patrice dem Monster. Dieses ist drei Meter groß, gehorcht nur seinen Instinkten und hat mächtigen Hunger auf, nun ja, Menschenfleisch. Patrice kann den schnappenden Kiefern entkommen, bis ihr zweiter Verehrer Andy Dupas eintritt und er es seinerseits mit dem Yethenianer-Frischling aufnimmt. Allerdings ist er ein schmächtiger Nerd und versteht sich nicht aufs Stühlewerfen. Vielmehr bindet er dem Monster mit seinem Hosengürtel die Kiefer zu. Endlich kehren die erwachsenen Yethenianer zurück…
Mein Eindruck
Die erwachsenen Außerirdischen mögen sich in dieser sehr bekannten Kurzgeschichte noch sehr mit den Menschen vertragen, doch ihre Jungen sind noch wild und hungrig. Wie die Aliens aussehen, lässt sich nur durch hingeworfene Details erschließen: vier Stoßzähne, Klauen, Kiefer, Stirnhöcker und mehr. Außerdem sind sie doppelt so groß wie erwachsene Menschen. Dass Patrice ihnen sehr vorsichtig begegnet, ist daher verständlich.
Der Rest der Handlung ist konventionell und könnte aus „West Side Story“ stammen: Hier der stämmige Football-Spieler Terry, dort der nerdige Hänfling Andy. Wer wird sich als der Bursche erweisen, den Patrice erwählen kann? Dass Terry als Feigling, als der er sich erweist, ausscheidet, ist klar. Aber wird Andy, der Nerd, den Kampf mit dem Monster überleben?
4) Machen wir doch ein Fass auf! (Let’s Have Fun, 1957)
In einer kleinen Stadt in der US-amerikanischen Provinz hat sich Dozent Norman Riegel mit seiner Frau bereiterklärt, Jugendliche aus den Partner Welten der Galaktischen Föderation für einen Ferienaufenthalt bei sich aufzunehmen. Es ist schwer genug, allen verschiedenartigen Jugendlichen gerecht zu werden, aber eines Tages bekommt er es auch noch mit den Halbstarken seiner Stadt zu tun. Die Meehan-Bande möchte Spaß haben und bewaffnet sich mit Baseballschlägern, um die Aliens aufzumischen.
In einer Gewitternacht kommt es zum Überfall auf einen oder zwei der jugendlichen Aliens, darunter einen vom sehr reichen Planeten Ahlia. Am Ende des Vorfalls muss Riegel Doktor Lofting rufen lassen. Der stellt den Tod des Fremdlings fest und überlegt, wie man es vermeidet, die Polizei zu rufen. Denn die Verfolgung der maskierten Halbstarken würde nichts bringen, da ja nicht mal die Identität der Angreifer gesichert ist. Andererseits sollen die Ahlianer auch nicht den Eindruck erhalten, die Erde sei ein gefährlicher Ort, der eines Beitritts zur Föderation unwürdig wäre. Riegel und Lofting greifen zu einer verzweifelten Maßnahme…
Mein Eindruck
Dr. Lofting besäuft sich in der Rahmenhandlung seiner Geschichte an Bord der Raumstation, die als Botschaft der Erde dient. Nach dem Grund für seinen Kummer befragt, antwortet er, dass sein einstiger Schützling, der Ahlianer, kürzlich gestorben sei. Warum dies ein grund sei, seinen Kummer in Alkohol zu ertränken, muss seine Geschichte erklären: Denn Dr. Lofting hat alle die Jahre eine immense Schuld mit sich herumgeschleppt, und dafür wird er niemals Vergebung erhalten, es sei denn von seinen Zuhörern. Wie das Votum ausgeht, darf nicht verraten werden.
Der Kern der Geschichte dreht sich um den tiefen Rassismus, der im Amerika der Weißen gegenüber Andersartigen herrschte, besonders in den 1950er Jahren. Als die Story 1957 veröffentlicht wurde, begann erst die Bürgerrechtsbewegung in Alabama (Selma), Louisiana und Mississippi, anfangs auch mit Todesopfern.
Doch was ist schuld an diesem Verhalten, fragen sich die Protagonisten Dr. Riegel und Dr. Lofting. Sie schieben es auf eine antiautoritäre Erziehung einerseits und auf den Mangel an Arbeit für die Halbstarken andererseits. Arbeitslose wie die Meehan-Bande würde sich besaufen und dann „Spaß“ suchen, und antiautoritäre Erziehung würde ihnen freie Hand lassen. Auch deshalb wenden sich Lofting und Riegel nicht an die Polizei.
5) Ein unmöglicher Streich( Impractical Joke, 1956)
Der Biologe Roy Laskaris wird von dem reichen Erben Winthrop Fish angeheuert, an einer Expedition zum Planeten Keid A Zwei alias „Suomi“ teilzunehmen. Weil Roys Doktorvater Otis May und Dr. Edward Sander dieses Angebot vermittelt haben, vertraut Roy Mr. Fish. Das hätte er nicht tun sollen, denn die Expedition endet in einem Desaster.
Flug und Ankunft verlaufen reibungslos, obwohl der Planet vor allem aus Sümpfen, Teichen und vereinzelten Flüssen besteht, der Grund sich dünn und trügerisch erweist. Es gibt eine gefährliche Spezies namens Neupreda, die sich in Massen in ihren Kolonien im Sumpf ausbreitet. Winthrop Fish hat ein paar Eigenheiten, die ihn irgendwie verhaltensauffällig machen. Sein spöttisches Lachen reizt die Crew des Expeditionsraumschiffs so sehr, dass der Pilot Constant beschließt, Fish einen Streich zu spielen. Zusammen mit seinem Kumpel stibitzt er eine Phosphorgranate und wirft sie auf eine Neupredakolonie. Anschließend schreien sie Zeter und Mordio, was Fish offenbar in Panik versetzt. Die Wissenschaftler wissen nicht, was zu tun ist.
Der reagiert auf die vermeintliche Gefahr, indem er seinerseits eine Reihe von Phosphorgranaten schnappt und diese im nächsten Sumpf auf eine Neupredakolonie wirft. Allerdings vergisst er, den Sicherungsstift der Handgranate zu ziehen, so dass diese nicht zündet. Die Neupredas drohen, über ihn herzufallen, was ihn vollends durchdrehen lässt. Er rennt ins Lager zurück, wo man ihn man nur durch Spritzen ruhigstellen kann. Die Neupredas werden abgewehrt und schlagen eine andere Richtung ein, Constant und O’Sullivan sind feige geflohen.
Tja, und das sei der Grund, so Roy später, warum er niemals an einem fiesen Streich beteiligt sein will und solche auch nicht duldet.
Mein Eindruck
Die Geschichte fängt ganz konventionell an, wie Dutzende andere aus dem Goldenen Zeitalter der Science Fiction. Doch dann zeigt sich, dass dies eine Story ist, die auch Psychologie berücksichtigt. Fish leidet an Hebephrenie, einer milden Form der Schizophrenie – dies wird genauestens erklärt. Jedenfalls hat er sich nicht mehr unter Kontrolle, als er in Panik versetzt wird. Insofern hätte die Story auch von Alfred Bester stammen können, der ja Psychologie zu einem wesentlichen Faktor seiner Geschichten machte, etwa in „Der brennende Man“ oder „Demolition“.
Die Figuren sind nicht in der Kriegsmarine und unterstehen einer strengen Hierarchie, sondern sind vielmehr auf Teamwork angewiesen. Dieses wiederum basiert auf gegenseitigem Vertrauen und gutem Willen. Der Streich, den der Pilot dem Finanzier der Expedition spielt, zerstört all dies. Tatsächlich hätte nicht viel gefehlt, und es hätte weitere Todesopfer gegeben. Es reicht ja, dass Fish seine erste funktionierende Handgranate in die Kiste mit den übrigen Granaten fallen ließ und kurz darauf in die Luft flog…
Die zunächst so konventionell Story wandelt sich durch die steigende psychologische Spannung, die der Erzähler Roy Laskaris zu vermitteln weiß, zu einer packenden Lektüre. Roy spricht nicht mit sich selbst, sondern adressiert ein Gegenüber, das er als „Schatz“ anspricht, vermutlich also eine Partnerin. Das verleiht seiner Schilderung eine gewisse Unmittelbarkeit. Das letzte Drittel ist voller Action, so atemlos verfolgt der Leser das Geschehen bis zu dessen explosivem Ende.
6) Ju-Group (In-Group, 1952)
Prof. Charles Bertin von der Universität Lüttich ist in der Wüste des Planeten Kterem abgestürzt. Er ist bereits am Verdursten, als er von Ali Moyangs Gruppe gefunden und gerettet wird. Ali, Peterson und Ma sind Einheimische, oder betrachten sich zumindest als solche. Während sie aus dem Hauptort am Rande der Wüste kommen, hat sich Bertin mit seinem Hubschrauber von Hadal aus aufgemacht, dem Hauptort der Fshi. Was er denn hier suche, will Ali Moyang wissen. Bertin gibt offen zu, die versunkene Stadt Zhovacim, der Hauptstadt des verlorenen Reiches Zhovac, zu suchen, um dort goldene Platten zu entziffern, die die Geschichte dieses Reiches offenbaren. Er ist also Archäologe.
Glücklicherweise hatte er eine Flasche Brandy in seinem Rucksack, und der lockert die Zungen aller vier Reisenden. So erfährt er, dass Alis Trio aus Schatzgräbern besteht, die es auf genau jene Goldplatten abgesehen haben. Sie wollen sie einschmelzen, selbst wenn sie die Goldbarren nicht durch den Zoll bringen könnten. Der Reichtum ist für ihre Familien bestimmt. Jedes Argument von wegen wissenschaftlicher Bedeutung wird abgeschmettert. Zusammen reisen sie wachsam nach Hadal. Denn dort will Ali Helfer rekrutieren.
In Hadal befinden sich die Fshi gerade in den Vorbereitungen zu ihrem allgemeinen Paarungsritual, deshalb sind alle Einwohner geschmückt. Bertin kann Ali überreden, noch eine Nacht zu warten, bevor er den Berg ersteigt, auf dem die Stadt Zhovac liegen soll. Genau diese Verzögerung wird jedoch den Fremdlingen zum Verhängnis. Denn, wie Bertin sehr wohl weiß, pflegen die Fshi alle, die nicht ihre Sprache sprechen, als Nicht-Menschen zu betrachten und anlässlich ihres Paarungsfestes zu opfern. Ali protestiert vergeblich, als man ihn und seine Begleiter packt und zu einem Bottich voll Blut führt. Aber was ist mit Bertin, fragt er in letzter Minute. Der antwortet ihm, dass die Chancen für ihn selbst 50:50 stünden…
Mein Eindruck
Die prägnant erzählte, intensive Geschichte mit ihrem brutalen Schluss lässt die beiden Werte des Materialismus, vertreten von Ali, und Wissen, vertreten von Bertin, aufeinander treffen. Beide Seiten haben ihre plausiblen Argumente und tragen sie heftig vor. Die Westler brauchen sich gar nicht überlegen zu fühlen, denn sie haben ja selbst die Schätze Roms, Griechenlands und Ägyptens etc. geplündert, um sie meistbietend zu verkaufen, etwa an Sammler und Museen.
Bleibt also die Frage, wer die Oberhand behält, um seine Sache durchzusetzen. Bertin ist zu bewundern, denn er für das Wissen ist er bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Er weiß nämlich etwas, was Ali unbekannt ist: das Wissen um die Unterscheidung zwischen In- und Out-Group, also eine rein soziologische Unterscheidung. Der Autor demonstriert, dass und wie Wissen Leben retten kann.
Hinweis
Zum deutschen Titel ist nur zu sagen, dass nirgendwo im Text von einer Ju-Group die Rede ist. Möglicherweise wurde in jenen Jahren vor 1981, als man Text noch manuell schrieb, das „In“ als „Ju“ gekrakelt und vom Redakteur E. Senftbauer übernommen.
7) Neu-Arkadien (New Arcadia, 1956)
Vor 15 Jahren wurde Nouvelle Arcadie von frankoschweizerischen Siedlern gegründet. Nun schaut Captain Kuballa, begleitet von einem Reporter, vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Das gelandete Beiboot wird sogleich von zwei wilden Horden bestürmt. Die eine, in Kilts gekleidet, wird Henri Vaud angeführt, der die Alleinherrschaft beansprucht. Die andere Horde, allesamt nackt, wird von Louis Motta geleitet, dessen Rebellengruppe eine selbständige Nation namens Liberté gegründet. Hat. Beide beschweren sich, dass sie von den Cimbrianern angegriffen worden sind. Es hat Tote gegeben. Kubala erklärt sich für nationale Angelegenheiten nicht zuständig, und der Planet Cimbria sei zu weit entfernt, um dort zu intervenieren.
Der Reporter ist bereit, sich unter die nackten „Passivisten“ zu begeben, um die Lage zu peilen und darüber zu berichten. Eine hübsche Frau namens Adrienne Herz ist ihm aufgefallen, und sie lädt ihn ein, ihre Kolonie zu besuchen. Sie ist die Postmeisterin der Passivisten und nimmt die Briefe, die Kubalas Flieger mitgebracht hat, entgegen, um sie zu verteilen. Daher weiß sie auch, was läuft.
Weil niemand mit dem Erdling reden will, nachdem Louis Motta ihn als Spion Vauds hingestellt hat, ist Fay ein wenig verzweifelt. Er ist nicht gerade der Mutigste und als ihn Adrienne mit auf einen Ausflug nach Norden nimmt, auch nicht der Fitteste: Immer wieder muss er eine Verschnaufpause einlegen. So kommt es, dass er die Angreifer auf ihren Pferden zu spät sieht, um in die Entführung effektiv eingreifen zu können: Die Cimbrianer verschleppen Adrienne und schlagen Fay bewusstlos.
Immerhin beeilt er sich, aus Mottas Lager Hilfe herbeizuholen. Doch dort lehnt Motta jeden Beistand ab, denn Adrienne sei eine Querulantin. Und außerdem: Warum sollten ausgerechnet passive Pazifisten in den Krieg ziehen, um so eine Frau zu befreien? Fay versteht, dass diese Leute keine Ahnung von Waffen und ihrem Einsatz haben. Er besorgt sich beim Schmied ein Messer und bindet es an einen Stock. Ein Speer ist fertig. So gerüstet zieht er zum Lager der Cimbrianer. Die haben nur eine einzige Wache aufgestellt, und Adrienne ist vermutlich in der Hütte mit der heißen Quelle untergebracht, um zu arbeiten.
Wenig später verfügt Fay über eine altmodische Muskete und beginnt, den Eindruck zu erwecken, als sei das Lager von einer ganzen Armee von schwerbewaffneten Kämpfern umzingelt. Diese Täuschungstaktik klappt ausgezeichnet, denn der Anführer muss sich auf Verhandlungen einlassen und Adrienne herausgeben. Doch leider ist dieser Sieg, wie Fay bald feststellt, nur die halbe Miete: Vier Tage später schlagen die Cimbrianer zurück…
Mein Eindruck
Der Autor geht hier der Frage nach, ob es wirklich so eine gute Idee ist, seinen persönlichen Wunsch nach einem paradiesischen leben mit einer Gruppe zu verwirklichen. Das klingt nach einer Vorwegnahme des Hippie-Traums und einer Antwort auf die Beat-Generation, wie etwa Alan Ginsberg und Jack Kerouac. Natürlich gab es schon um 1900 herum Utopisten wie etwa die Nudisten auf dem Monte Verità in Italien. Und Nudisten tauchen auch in dieser Geschichte auf – bestimmt kein Zufall. Sie sind zugleich Pazifisten, Passivisten – und wahrscheinlich auch Vegetarier.
Da sie von den kriegerischen Cimbrianern angegriffen werden, tut Verteidigung not. Der ironische Humor beruht darauf, dass ausgerechnet ein untrainierter Fettwanst wie Gerard Fay diese Verteidigung organisieren und anführen soll. Zum Erstaunen aller schafft er das sogar, denn er hat Erfahrungen mit der Bedienung und dem Einsatz von Waffen schon mit seinem Vater gesammelt. Der war zwar auch ein nerdiger Schöngeist wie Fay, aber er wusste wenigstens, wo bei einer Pistole das vordere Ende ist. Auch Fay musste an seiner Schule unter den Fieslingen leiden, die das Denken für eine Strafe Gottes bzw. für Sünde hielten. Daher seine Vernachlässigung der Fitness, obwohl er einen Berg an Muskeln besitzt.
Der Sieg über die Cimbrianer ist bittersüß: Erstens stellt sich heraus, dass während des Kampfes die Untertanen von Henri Vaud alle Frauen und Kinder entführen. Und zweitens, dass auch die Cimbrianer in ihrer Kolonie nur ihre eigene Utopie verwirklichen, nämlich die des kriegerischen Ritters – daher die Pferde – der Freiheit, Ruhm und Ehre sucht. So kommen sich also die Utopien bzw. deren Verfechter gegenseitig in die Quere. Wer am Schluss die Oberhand behält und wer Adrienne heiraten wird, darf hier nicht verraten werden. Aber der gewitzte leser kann sich denken, dass ein Schlaukopf wie Fay auch belohnt werden dürfte.
Die Übersetzung
S. 46: „der[c]hte sich dreimal“: Das C ist überflüssig.
S. 62: „irgen[d]wie“: Das D fehlt.
S: 99: „Roy Laskaris, auch Laufbursche und Mädchen für alles“: Hier spricht Roy Laskaris, der Erzähler, ziemlich selbstironisch über sich selbst.
S. 118: „61 Cybni A sechs“ soll der Planet Kterem im Katalog heißen, aber das glaube ich nicht. Viel wahrscheinlicher heißt das System „61 Cygni“, denn Cygnus bezeichnet das Sternbild des Schwans.
S. 137: „Er will plötzlich alles in Schemen pressen.“ Der Plural von „Schema“ lautet aber „Schemata“. Schemen sind eher eine Art Trugbilder oder Illusionen.
S. 138: „Li[e]berté”: Das E ist überflüssig.
S. 172: Satzstellung: “Waren sie erst einmal drinnen, ich würde (!) auf den Kampfgeist meiner Utopisten keinen roten Heller mehr setzen.“ Korrekt müsste es „würde ich“ heißen.
S. 181: “eiserne Schwerte[r]“: Das R fehlt.
Unterm Strich
Die Kurzgeschichten zeichnen sich durch ironischen Humor aus, der in einer spannungsreichen Handlung zum Vorschein kommt. In „Das Ei“ erweist sich der bullige Footballer als Feigling und der Nerd als mutiger Held. In „Neu-Arkadien“ ist es der fette Reporter, der sich als Anführer im Krieg entpuppt. Der Leser kann abwägen, welche der drei Utopien am vorteilhaftesten erscheint: die Tyrannei des Henri Vaud, die Tyrannei der Pazifisten oder die Tyrannei der kriegerischen Cimbrianer. Wie der Autor demonstriert, verkehrt sich eine Utopie, die zum absoluten Wert erhoben wird. In ihr Gegenteil, nämlich eine Tyrannei.
Etwas augenzwinkernder sind die Erkenntnisse, die aus Geschichten wie „Ju-Group“ und „Dankbarkeit zu ziehen sind. Letztere Geschichte ist eine Umformulierung der Geschichte um den Garten Eden und die Vertreibung daraus. In „Ju-Group“ sieht das Wissen über die Gier. Kritik am alltäglichen Rassismus in den USA findet sich in den Kurzgeschichten „Machen wir doch ein Fass auf!“ und „Eine Frage der Gewohnheit“. Etwas aus der Reihe fällt die Kurzgeschichte „Ein unmöglicher Streich“ über einen reichen jungen Mann mit einem psychologischen Handicap. Auch hier spielen wie in der Titelstory Fieslinge dem vermeintlich kranken Mann einen üblen Streich. Der Schuss geht nach hinten los: Die Expedition wird um ein Haar selbst vernichtet.
Die Geschichten wissen nicht bloß kleine Lehren zu übermitteln, sondern unterhalten auch amüsant und spannend. Die Titelgeschichte ist sogar außerordentlich actionreich. Schade, dass es nicht zu einem Roman gereicht hat.
Taschenbuch: 188 Seiten.
O-Titel: A Gun for Dinosaur“, Teil 2, 1963.
Aus dem Englischen von Sylvia Pukallus.
ISBN-13: 9783453306325
Der Autor vergibt: