Alistair MacLean – Eisstation Zebra

Am Nordpol ist ein russischer Spionagesatellit abgestürzt, den neugierige Meteorologen geborgen haben. Sowohl die Sowjets als auch die US-Amerikaner wollen den Film aus dem Satelliten, der den Standort diverser westlicher Raketenstützpunkte verrät. Ein „Maulwurf“ sabotiert erst die Station und später das U-Boot der Retter, um diese so lange aufzuhalten, bis ein sowjetisches Geheimdienstteam eintrifft … – Abenteuergarn aus der Hochzeit des Kalten Kriegs, sauber geplottet, schnörkellos erzählt, sehr spannend dank der eindrucksvollen Polar-Kulisse, in der sich einfach gezeichnete, aber einprägsame Charaktere ein schwer durchschaubares Katz-und-Maus-Spiel liefern: zweifellos zu Recht ein Klassiker seines Genres.

Das geschieht:

„Zebra“ nennt sich die britische Wetterstation, die Anfang der 1960er Jahre nur 300 Kilometer ‚unterhalb‘ des Nordpols errichtet wurde. Weil sie mit den Eismassen treibt, ändert sich ständig ihre Position. Das ist fatal, denn SOS Rufe verkünden der Welt, dass ein Feuer die Brennstoffvorräte von „Zebra“ vernichtet hat. Den Forschern droht ein grausames Ende in Eis und Schnee, wenn sie nicht schnell gerettet werden. Die Möglichkeiten sind beschränkt. Während die Sowjets (scheinbar) hilfsbereit, aber vergeblich den gewaltigen Eisbrecher „Dwina“ schicken, soll das US amerikanische Atom U Boot „Dolphin“ unter die Polarkappe tauchen und an einer hoffentlich freien Stelle unweit der Station an die Oberfläche kommen.

Denn durch einen Zufall ist „Zebra“ ist in den Brennpunkt des Kalten Kriegs zwischen den Supermächten geraten. Ein sowjetischer Spionagesatellit ist mit vielen Fotos geheimer westlicher Raketenstützpunkte ausgerechnet hier abgestürzt. Diesen Film wollen die USA an sich bringen. Leider konnten die Sowjets einen Spion in die Station einschleusen. Dieser hat „Zebra“ sabotiert, als er von einigen Forschern ertappt wurde.

Ein Wettlauf mit der Zeit in lebensfeindlicher Umgebung setzt ein. Selbst wenn die „Dolphin“ es schafft, durch den tückischen Eispanzer zu brechen, lauert in der Station der noch immer unbekannte Agent, der vor Mord nicht zurückschreckt. Man würde ihn mit den ahnungslosen „Zebra“ Überlebenden retten und somit an Bord der „Dolphin“ holen, wo er sein schändliches Werk fortsetzen könnte …

Kalter Krieg in kalter Arktis

West gegen Ost in einer agentenreichen Episode des Kalten Kriegs zwischen den ehemaligen Supermächten USA und UdSSR, die ausgerechnet auf und unter dem Eis des Nordpols spielt: Was die Inhaltsangabe eines Thrillers zu sein scheint, beschreibt tatsächlich einen lupenreinen „Whodunit“ Krimi urbritischer Prägung. Nicht einmal die finale Versammlung aller Anwesenden, in deren Runde sich der Mörder verborgen hält, unter den strengen Augen des ermittelnden Detektivs fehlt. Sie spielt allerdings nicht in einer Bibliothek oder in einem Schlosssaal, sondern in der Offiziersmesse eines Atom U Boots, das gerade im Polarmeer kreuzt.

Die ungewöhnliche Variation bekannter Elemente funktioniert vorzüglich. Autor MacLean legt es eindeutig auf die Fahndung nach dem Täter im Dunkeln an. Man merkt es daran, dass der eigentliche Auslöser des Geschehens – der ominöse Spionagefilm – nur nebenbei Erwähnung findet. Im Laufe der Handlung erfindet Ermittler Carpenter um der Täuschung willen gleich mehrere andere Erklärungen, die genauso ihren Zweck erfüllen.

Stattdessen wandelt Carpenter auf den Spuren von Sherlock Holmes. Er sucht und sichert Indizien, wertet sie aus, engt den Kreis der Verdächtigen kriminalistisch ein. Das Reizvolle an diesem eigentlich bekannten Tun ist die Umgebung, in dem es sich abspielt: „Zebra“ ist eine abgelegene Station im Treibeis des Nordpols, die „Dolphin“ ein U Boot, das unter die Eiskappe, d. h. dorthin, wo noch nie ein Mensch zuvor war, fährt.

Damit haben wir zum einen gleich zwei dieser isolierten Orte, die für einen zünftigen „Whodunit“ so wichtig sind. Ob „Zebra“ oder „Dolphin“: Hier halten sich die Männer auf, die uns der Verfasser nach und nach vorstellt. Von außen kann der Mörder nicht kommen. Er muss einer der Anwesenden sein.

Mit dem Mörder in einem Boot

Darüber hinaus liefern sowohl die Eiswüste als auch der Eisozean MacLean zahlreiche Möglichkeiten, sein Krimispiel mit Abenteuerelementen anzureichern. Er macht gern und geschickt Gebrauch davon. „Eisstation Zebra“ verwöhnt mit stimmungsvollen Beschreibungen einer fast außerirdisch wirkenden Welt. Am Nordpol gelten in jeder Beziehung andere Regeln und manchmal keine Gesetze. MacLean kann uns das überzeugend begründen.

Er vernachlässigt darüber hinaus nie die eigentliche Kriminalgeschichte. Der britische Arzt Neil Carpenter erzählt sie aus der Ich Perspektive. Theoretisch wissen wir Leser genauso viel oder eben wenig wie er. Erschwerend kommt freilich hinzu, dass Carpenter dauernd die Unwahrheit spricht, um seinen unsichtbaren Gegner zu täuschen – und uns Leser, die wir uns das gern gefallen lassen, denn MacLean spielt fair: Ganz klassisch vermittelt er uns die notwendigen Hinweise auf den wahren Täter. Wenn wir aufmerksam gelesen haben, können wir ihn gemeinsam mit Carpenter im Schlusskapitel entlarven. Wie jeder gute Detektiv listet Carpenter (in Vertretung von MacLean) die bisher verstreuten Indizien auf, um sie anschließend zu einer Beweiskette zu knüpfen. Diese ist – auch das steigert den Unterhaltungswert – in jedem Glied stabil, als sie sich um den Hals des Schuldigen legt.

Männer der Tat – und der Untat

Auf und unter dem Polareis ist kein Platz für Weicheier. Autor MacLean lässt dies seine Protagonisten mehr als einmal betonen. Folglich überrascht es nicht, dass er uns eine Parade eisenharter Kerle präsentiert, die vor lauter Kraft, Tüchtigkeit und Wagemut kaum laufen können. „Eisstation Zebra“ ist ein sogenannter „Männerroman“. Dies verdeutlicht anschaulich auch die Abwesenheit jeglicher Weiblichkeit. MacLean ist da konsequent, denn zeitgenössische Polarstationen und Atom U Boote waren in der Tat frauenfreie Zonen.

MacLeans Recken sind ziemlich austauschbar. Das ist nicht schlimm, denn hier geht es um eine spannende Geschichte, nicht um psychologische Tiefgründigkeit. Mit kräftigen, einfachen Strichen werden Profis in diversen Krisen geschildert, denen sie stets gewachsen sind; jedenfalls hat der Leser nie den Eindruck, dass sich Forscher und U Boot Leute jemals überfordert fühlen. Selbst der Tod wird als Berufsrisiko akzeptiert.

Jeder nur menschenmögliche Widerstand gegen die sowjetisch rote Gefahr ist selbstverständlich und Ehrensache. Darüber gibt es in einem Thriller aus dieser Zeit keine Diskussion. Der verräterische Film muss gefunden und geborgen werden. Deshalb kennt Carpenter auch keine Skrupel, seine Leidensgefährten und bald Freunde, mit denen er buchstäblich im gleichen Boot sitzt, zu belügen und zu manipulieren. Sobald diese den wahren Grund kennenlernen, legt sich ihr Zorn; sie ‚verstehen‘, dass es um des Siegs der guten (= westlichen) Sache willen so sein musste.

Ebenso verständlich wird im historischen Rückblick die heute etwas befremdliche „Hurra USA“ Haltung MacLeans. Fast ängstlich enthält er sich jeder Kritik am Verbündeten, auf den er um der Handlung willen nicht verzichten kann: Großbritannien besitzt leider kein Atom U Boot, und ohne geht es in dieser Geschichte nicht. Neil Carpenter ist freilich ein Engländer und die Hauptperson. (Hollywood ersetzte ihn später natürlich durch einen Amerikaner.)

„Eisstation Zebra“ ist insgesamt kein raffinierter, vielschichtiger Roman, sondern ‚nur‘ grundsolides erzählerisches Handwerk. Zwar ist die „Dolphin“ heute längst nicht mehr das ausführlich geschilderte technische Wunderwerk, aber die Geschichte, durch die sie taucht, ist bemerkenswert frisch geblieben. „Eisstation Zebra“ lässt sich heute ebenso vergnüglich lesen wie vor mehr als vier Jahrzehnten. Das wird wohl auch so bleiben.

„Eisstation Zebra“: der Film

Für die Verfilmung von „Ice Station Zebra“ scheute Hollywood 1967 weder Kosten noch Mühen. Unter der Regie von John Sturges, der eine lange Kette klassischer Abenteuerfilme inszeniert hat, entstand nach einem Drehbuch von Douglas Heyes und Harry Julian Fink allerdings eher ein Spektakel als spannende (oder einträgliche) Unterhaltung. Allzu träge schleppt sich das mehr als zweieinhalb Stunden lange Werk über weite Strecken hin. Darüber hinaus ersetzte der Thriller weitgehend den „Whodunit“. Die bösen Russen greifen nun „Zebra“ direkt an, was die Gefahr eines internationalen Konflikts (= des III. Weltkriegs) heraufbeschwört, die umständlich und mit viel „Frieden!-Frieden!“ Blabla abzuwenden ist.

Heute kann man dies freundlicher beurteilen. Es gefällt die charmante Ausstattung, die zwischen Pomp und Pappe schwankt. Nostalgisch stimmt die grimmige Atmosphäre des ungebrochenen Kalten Kriegs, in die sich pathetisch, aber vorsichtig versöhnliche „Alle Menschen sind Brüder (sogar mancher Sowjet Kommunist)“ Klischees mischen. Erstaunen erregt die Entscheidung, die Hauptrolle ausgerechnet Rock Hudson zu übertragen, der indes mehr sein konnte als ein Mann für leichte Komödien. Auch sonst spielen mit Lloyd Nolan, Patrick McGoohan oder Ernest Borgnine keine Stars, aber kompetente Schauspieler.

Autor

Alistair Stuart MacLean wurde am 21. April 1922 im schottischen Glasgow geboren. Er wuchs in den Highlands nahe Inverness auf und besuchte die Hillhead High School in Glasgow. Der II. Weltkrieg prägte das Leben des jungen Alistair. 1941 meldete er sich zur Royal Navy. Zweieinhalb Jahre diente er auf einem Kreuzer und geriet u. a. in japanische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg studierte er an der Glasgow University Englisch. Ab 1953 arbeitete er als Schullehrer für Englisch und Geschichte an der Gallowflat Secondary School in Glasgow.

In dieser Zeit begann MacLean zu schreiben. Seine Kurzgeschichte „The Dileas“ gewann 1954 einen Preis, was ihm die Aufmerksamkeit des Verlegers William Collins sicherte. Dieser riet MacLean ein Buch zu schreiben. „HMS Ulysses“ (dt. „Die Männer der Ulysses“) erschien 1955. Es basiert auf MacLeans Kriegserlebnissen auf See und wurde umgehend ein Bestseller.

In den nächsten drei Jahrzehnten reihte der Verfasser Erfolg an Erfolg. Der typische MacLean Roman schildert die gefährlichen Abenteuer eines stoischen Einzelgängers oder einer isolierten Gruppe, die gegen eine feindliche Übermacht und mindestens einen Verräter in den eigenen Reihen kämpfen muss. Platziert wurde dieser Plot im II. Weltkrieg, im Geheimdienst Milieu, später auch im internationalen Terrorismus. Ihre recht simple, aber höchst effiziente Konstruktion ließ diese Geschichten für den Film interessant werden. Zahlreiche MacLean Werke wurden erfolgreich und vor allem in den 1960er Jahren mit großem Staraufgebot verfilmt; der Autor schrieb nicht selten selbst die Drehbücher.

Bestseller Ruhm, Reichtum, Anerkennung: In den 1980er Jahren gehörte MacLean mit 30 Millionen weltweit verkaufter Bücher zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Welt. 1983 ehrte ihn die Glasgow University mit einem Ehrendoktorhut. Aber MacLean war zu diesem Zeitpunkt bereits ein durch Alkoholismus zerstörter Mann. Am 2. Februar 1987 starb er nach einer Serie von Schlaganfällen in München; begraben wurde er in Celigny in der Schweiz, wo er als Steuerflüchtling residierte und seit den späten 1950er Jahren auch als Hotelier tätig war. Er hinterließ eine Anzahl von Exposés, die zum Teil in Filmdrehbücher verwandelt wurden. Da Geschäft außerdem Geschäft ist, arbeiteten Lohnautoren (John Denis, Simon Gandolfi, Alastair MacNeill, Hugh Miller) diese Fragmente in „Romane nach Alistair MacLean“ um, dessen Name selbstverständlich in besonderer Größe auf den Titelbildern prangte.

Von seinen Werken hatte MacLean selbst (scheinbar) nicht viel gehalten. Er schreibe nicht gern und daher möglichst schnell und bleibe deshalb am liebsten bei der ersten Fassung, gab er zu Protokoll. Die späteren Werke leiden stark unter dieser Praxis (sowie an überzogenen Plots). Sich selbst betrachtete MacLean nicht als Schriftsteller, sondern als Geschichtenerzähler. Der Action gab er stets den Vorrang vor der Psychologie, Kamerad und Männerfreundschaften ersetzen Romanzen. In diesem Rahmen lieferte MacLean in seinen besten Tagen zeitlose Klassiker der puren Unterhaltung.

Taschenbuch: 255 Seiten
Originaltitel: Ice Station Zebra (London : Collins 1963)
Übersetzung: Paul Baudisch
http://www.randomhouse.de/heyne

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