Neben dem primär auf die Person Lemmy Kilmister ausgerichteten [„Lemmy – White Line Fever“ 954 hat der Verlag |Iron Pages| ein Buch herausgebracht, welches sich mit dem Gesamtphänomen MOTÖRHEAD beschäftigt: „Over the Top – Das Motörhead-Fanbuch“ von Matthias Mader. Mader hat mit „Burning Ambition“ bereits ein „Fanbuch“ zu IRON MAIDEN im selben Verlag herausgebracht und möchte dieses Prinzip nun mit „Over the Top“ fortsetzen.
Zum Inhalt: Mader beginnt nach einem zweiseitigen „ultimativen Quiz für alle MOTÖRHEAD-Kenner“ sofort mit einer einleitenden Rechtfertigung seines Werkes. Zum einen sei der deutsche Markt nicht wirklich offen für MOTÖRHEAD-Biographien aus dem Ausland, und andere deutschsprachige Publikationen zu diesem Bereich seien bis dato nicht „zusammenhängend“ gewesen. Zum anderen sei gerade das Buch „White Line Fever“ ein Produkt der „The Osbournes“-Ära und somit nicht „seriös“. Diese Kritik mutet ein wenig seltsam an, da die deutsche Edition von „White Line Fever“ im selben Verlag wie „Over the Top“ erschienen ist, auf S. 41 ganzseitig beworben wird und obendrein von Lemmy persönlich autorisiert wurde. Man könnte meinen, Mader würde seine Fachkompetenz, was MOTÖRHEAD betrifft, über die von Lemmy selbst stellen. Starker Tobak, zumal Mader eine solche Selbstbeweihräucherung eigentlich gar nicht nötig hätte – „Over the Top“ weiß durchaus aus sich selbst heraus zu überzeugen.
Neben dem Prolog gliedert sich das Buch in sechs weitere Teile. „Teil 2: Die Bandhistory“ beleuchtet zunächst den Werdegang von MOTÖRHEAD, Lemmys Interesse am III. Reich, das freundschaftliche Verhältnis zwischen MOTÖRHEAD und den RAMONES sowie Lemmys Berührungen mit der Filmbranche. Maders Wiedergabe der Bandgeschichte bietet im Grunde das, was bei „White Line Fever“ gefehlt hat: Fakten, Fakten, Fakten in einer chronologisch sinnvollen Reihenfolge. Einige Zitate werden dabei (wie im folgenden Textverlauf auch) noch einmal gesondert in grauen Kästchen hervorgehoben. Dieses Verfahren kenne ich sonst nur aus Zeitschriftenartikeln. Wirklich stören tut es den Textfluss m.E. nicht, aber es trivialisiert das Ganze ein wenig. „Lemmys Faszination mit dem [sic!] II. Weltkrieg“ ist eine erfreulich unaufgeregte Darstellung der Fakten. Wer nach der Lektüre immer noch meint, Lemmy eine rechtsradikale Gesinnung attestieren zu müssen, disqualifiziert sich im Grunde nur selbst. Das Verhältnis zwischen MOTÖRHEAD und den RAMONES wird kurz, aber anschaulich beschrieben. Ich habe MOTÖRHEAD selbst live gesehen und kann daher aus eigener Erfahrung bestätigen, dass der Tod von Joey und Dee Dee (Johnny lebte damals noch) für Lemmy ein großer persönlicher Verlust ist. Schließlich folgt eine Reihe von Kurzbesprechungen sämtlicher Filme, in welchen Lemmy mitgespielt hat. Diese Besprechungen entsprechen natürlich Maders persönlichen Präferenzen. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten, aber weshalb „Airheads“ im Vergleich zu „Eat the Rich“ „platt“ und „langweilig“ sein soll, entzieht sich völlig meinem Verständnis.
In Kapitel Nr. 3 beschreibt Mader en detail, wer wann wo und wie bei MOTÖRHEAD musikalisch mitgewirkt hat, und was für andere Projekte diese Personen verfolgt haben. Inhaltlich gibt es hier nichts zu meckern. Die Frage ist nur, ob und inwiefern man sich für diese Detailfülle begeistern kann.
Kapitel Nr. 4 besteht aus vier O-Ton-Interviews. Zunächst kommen wir in den Genuss eines dreiseitigen Interviews aus dem Jahre 1998, welches Mader mit Lemmy himself geführt hat. Das Hauptthema ist wieder einmal „deutsche Geschichte“. Danach folgt ein längeres Interview mit Fast Eddie Clarke aus dem Jahre 2003, wiederum von Mader geführt. Dieses Interview ist insbesondere deswegen interessant, weil die Gleichung MOTÖRHEAD = Lemmy Kilmister eben nicht aufgeht. Nachdem die Perspektive der Band dergestalt zum Tragen gekommen ist, folgt wieder ein Interview aus dem Jahre 2003, diesmal mit Jörn Rüter von Remedy Records bzw. TORMENT. Rüter ist sowohl Fan als auch Experte und steht mit MOTÖRHEAD in persönlichem Kontakt. Auch hier erwartet den Leser wieder eine Menge Insiderwissen. Zuletzt folgt ein Interview mit dem Hamburger Underground-Filmemacher Peter Sempel. Sempel ist auf Musikfilme spezialisiert und hat mit „Lemmy“ ein filmisches Portrait des selbigen gedreht.
Es folgt mit Kapitel Nr. 5 eine ausführliche Katalogisierung der wichtigsten MOTÖRHEAD-Cover und Tribut-Alben. MOTÖRHEAD-Fans, die musikalisch aufgeschlossen sind, kommen hier sicherlich auf ihre Kosten.
Kapitel Nr. 6 wurde von einem gewissen Ralf Hartmann verfasst und beinhaltet eine Auflistung sämtlicher MOTÖRHEAD-Bootlegs (von denen es tatsächlich nicht allzu viele gibt). Für Sammler eine unentbehrliche Checkliste und wahre Fundgrube.
Das Buch schließt mit einem ausführlichen Quellenverzeichnis. Zwar hat Mader nicht wissenschaftlich (ohne Fußnoten) gearbeitet, aber anhand dieser Auflistung müssten sich die meisten seiner Aussagen überprüfen lassen (wenn es einem der Aufwand wert ist).
Mein Gesamteindruck: Der Schreibstil von Matthias Mader ist soweit okay und der Thematik angemessen, sofern man von seinem inflationären Gebrauch des Ausrufezeichens absieht. Bindung und Papierqualität sind aber – wie schon bei „White Line Fever“ – angesichts des Preises von 18,60 Euro eine absolute Frechheit. Wenn der Verlag |Iron Pages| „Over the Top“ schon als „Fanbuch“ etikettiert, dann sollte er m.E. auch eine entsprechende Preispolitik betreiben.
Letztendlich kommen aber die absoluten MOTÖRHEAD-Maniacs an dieser Ansammlung geballten Fachwissens nicht vorbei. Alle anderen sollten vielleicht mal einen Blick riskieren. „Over the Top“ ist dabei keinesfalls als Konkurrenz zur Quasi-Autobiographie „White Line Fever“ zu sehen, da die beiden Bücher völlig verschiedene Bereiche („Infotaimnent“ respektive „Rockstarmythos“) abdecken. Tatsächlich ergänzen sich die beiden Bücher gerade aufgrund ihrer unterschiedlichen Betrachtungsweisen des motörheadschen Paralleluniversums hervorragend. Wer also bereit ist, knapp 40 Euro zu investieren, erhält dafür ein MOTÖRHEAD-Kompendium, welches (inhaltlich) keine Wünsche offen lässt.