Gregory Maguire – Wicked – Die Hexen von Oz. Die wahre Geschichte der Bösen Hexe des Westens

Die Geburt der kleinen Elphaba steht wahrlich nicht unter einem guten Stern: Nicht nur, dass ihre Mutter Melena bei der Geburt vor dem Zorn der Munchkins flüchten muss und ihr Vater Frex, ein Prediger, in eine ernsthafte Glaubenskrise gerät, Elphaba kommt auch noch mit einer grünen Haut und spitzen Zähnen zur Welt. Mit der Ratlosigkeit, woher die grüne Haut kommt, stellt sich bei ihren Eltern zugleich auch eine gewisse Ablehnung gegenüber ihrer Tochter ein. Und statt sich um ihre Tochter zu kümmern, verbringt Frex die meiste Zeit lieber damit, umliegende Dörfer zu bekehren und Melena, der es deshalb oft langweilig ist, freut sich über jeden männlichen Besuch.

Als sie schließlich Jahre später nach Shiz kommt, der Universitätenstadt von Oz, wird sie zusammen mit Galinda in ein Zimmer gesteckt. Die hübsche und oberflächliche Galinda ist mit ihrer Zimmergenossin alles andere als glücklich und versucht, Elphaba weitgehend zu ignorieren. Elphaba, die es gewohnt ist, abgelehnt zu werden, versucht nicht, diesen Zustand zu ändern, bis die beiden eines Tages zufällig doch ins Gespräch kommen. Galinda versucht erst, ihre aufkeimende Freundschaft zu Elphaba vor ihren restlichen Freundinnen zu leugnen, doch Elphaba bringt sie mit ihrer Intelligenz zum Nachdenken, und bald sind die beiden die besten Freunde.

Dann gehen jedoch die Gerüchte um, dass in Oz die TIERE (durch die Großschreibung werden normale Tiere von den intelligenten, sprechenden TIEREN unterschieden) zunehmend diskriminiert und in ihren Freiheiten beeinträchtigt werden, was Elphabas Leben von Grund auf verändern soll. Als sich auch in Shiz die ersten Anzeichen von Diskriminierung der TIERE zeigen, versucht Elphabas Lehrer Dr. Dillamonth, ein ZIEGENBOCK, biologische Gründe zu erforschen, die den TIEREN weiterhin zu einem freien und uneingeschränkten Leben verhelfen sollen. Diese möchte er dann dem Zauberer von Oz zeigen, der schließlich der Ursprung dieses Übels ist. Elphaba und ihre neu gewonnenen Freunde helfen Dr. Dillamond bei seinen Recherchen so gut es geht, doch eines Tages wird dieser brutal ermordet in seinem Labor aufgefunden.

Elphaba, die weiterhin versucht, gegen die Ungerechtigkeit anzukämpfen, beschließt eines Tages, Shiz zu verlassen und im Untergrund weiter gegen den skrupellosen Zauberer von Oz vorzugehen, was ihr jedoch nur bedingt gelingt. Als ein großes Haus auf ihre Schwester Nessarose fällt, die vor kurzem zur Gouverneurin von Munchkinland ernannt wurde und wegen ihrer Bosheit von allen nur als die böse Hexe des Ostens beschimpft wird, ist Elphaba außer sich. Und was noch viel schlimmer ist: Galinda, sie sich seit Dillamonds Tod nur noch Glinda nennt, schickt Dorothy, die mit dem Haus aus einer anderen Welt nach Oz gelangt ist, mit den Zauberschuhen ihrer Schwester in die Smaragdstadt.

Elphaba, die ihre Schuhe zurück haben will, folgt Dorothy und ihren Freunden, dem feigen Löwen, der Vogelscheuche und dem Blechmann. Doch Dorothy, die sich nichts sehnlicher wünscht, als wieder nach Kansas zurückzukommen, erhält von dem Zauberer den Auftrag, Elphaba zu töten …

Eindrücke:

Nach dem Besuch des Musicals zu „Wicked“ hatte ich bei der Buchvorlage von Gregory Maguire eigentlich erwartet, dieselbe Geschichte zu lesen, nur eben ein bisschen ausführlicher, vielleicht auch mit ein paar Stellen, die nicht ganz mit dem Musical übereinstimmen. Doch was ich dann gelesen habe, war letztendlich etwas ganz anderes als das, was ich erwartet hatte. Der Anfang der Geschichte ist dem Musical noch recht ähnlich, doch schon dort, als Elphaba nach Shiz gelangt, scheint eine beinahe völlig andere Geschichte zu beginnen als im Musical und es gibt nur noch wenige Gemeinsamkeiten.

Die Täuschung, der Elphaba aufgrund des Zauberers und Madame Akaber unterliegt, ist von Anfang an nicht vorhanden – schon als das Thema TIER-Rechte auf den Tisch kommt, ist Elphaba sich darüber im Klaren, wer dafür verantwortlich ist und gegen wen sie kämpfen muss. Auch die heftige Ablehnung zwischen Elphaba und Galinda ist nur in Ansätzen vorhanden. Fiyero, der im Musical eine wichtige Rolle übernahm und zum Streitpunkt zwischen den beiden Hexen wurde, kommt erst sehr viel später nach Shiz und ist bis zu dem Zeitpunkt, als Elphaba ihn zufällig in der Smaragdstadt wiedertrifft, eine unwichtige Randfigur. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto größer werden auch die Unterschiede zwischen dem Musical und dem Buch.

Das war an sich eher weniger dramatisch, was mir aber wirklich gefehlt hat, war die enge Freundschaft zwischen Elphaba und Galinda. Zwar sind sie während ihres Aufenthalts in Shiz kurze Zeit befreundet, doch später gerät Galinda immer mehr in den Hintergrund, und als die beiden sich wiedertreffen, ist von der Freundschaft eigentlich gar nichts mehr übrig. Während im Musical Elphaba und Galinda mit ihrer Freundschaft im Mittelpunkt standen und das ganze Musical dominiert haben, ist in der Buchvorlage nur Elphaba die Protagonistin, und die restlichen Personen, Galinda eingeschlossen, spielen nur eine Randrolle.

Allgemein wirken die Charaktere, Elphaba mal ausgenommen, größtenteils etwas blass. Anfangs werden die Persönlichkeiten von Galinda, Boq (im Musical: Moq) und Nessarose sehr gut beschrieben, sodass man ein gutes Bild von ihnen erhält – aber vor allem im Fall von Galinda hatte ich Probleme, das Bild, das ich durch die Beschreibungen von ihr hatte, aufrecht zu erhalten. Zuerst, wenn wir Galinda auf dem Weg nach Shiz kennenlernen, ist sie eine oberflächliche und verwöhnte Schönheit, die an der Universität von Shiz eigentlich nicht lernen, sondern ihren Spaß haben will. Dort werden Elphaba und Galinda auch Freundinnen, als Elphaba es schafft, Galinda zum Nachdenken zu bringen. Dann, als Elphaba Shiz verlässt, hört man von Galinda lange Zeit nichts mehr. Und später, wenn sie nach Elphabas langer Abwesenheit wieder einmal auftaucht, ist dieser besondere Charakter Galindas, den Gregory Maguire in der ersten Hälfte des Buches aufgebaut hat, einfach dahin, was ich wirklich schade fand. Ähnlich sieht es auch mit Fiyero aus, der eigentlich nur einen kurzen Auftritt in der Mitte des Buches hat. Auch bei ihm hatte ich Probleme, ihn mir richtig vorzustellen, da er wirklich nur kurz auftaucht und sein Charakter auch nie richtig beschrieben wird. So wirken einige der Charaktere einfach nicht lebendig, sondern eher wie Pappfiguren am Wegrand.

Elphaba bildet, was die Charakterzeichnung angeht, jedoch das genaue Gegenteil. Schon zu dem Zeitpunkt, als sie noch ein Kleinkind ist und gerade zu sprechen beginnt, entwickelt sich aus ihr eine lebendige Persönlichkeit. Schon in ihrer Kindheit stößt sie bei ihren Eltern und allen anderen auf Ablehnung, was sie zu einem verschlossenen, wenn auch nicht traurigen Kind macht. Richtig los geht es dann, wenn sie nach Shiz kommt. Auch dort ist sie noch eine Außenseiterin, womit sie aber ganz offensichtlich gut klarkommt. Sie steckt ihre Nase jede freie Minute in Bücher, um mehr über die Thematik der Bosheit zu erfahren. Sie ist sehr intelligent und versucht, ihre Mitmenschen dazu zu bringen, selbst über das ein oder andere Problem nachzudenken. Trotz ihres Außenseitertums ist sie sehr selbstsicher und auch manchmal zynisch. Bei Elphaba handelt es sich daher um eine sehr lebendige und einzigartige Protagonistin, die man trotz ihres Sarkasmus und ihrer grünen Haut schnell ins Herz schließt und die charakterlich am meisten mit dem Musical übereinstimmt.

Ein bisschen enttäuscht war ich allerdings von der Mitte des Romans. Dort herrscht zwar nicht gähnende Langeweile, aber wirklich spannend ist es eben auch nicht. Man folgt Elphaba in Fiyeros Heimat, den Winkus, wo sie zu seiner Ex-Frau geht. In dieser Zeit flaut die Spannung der Geschichte etwas ab und bietet kaum Highlights. An dieser Stelle begann ich mich dann auch zu fragen, worauf die Geschichte eigentlich genau hinauswill. Es geht hier um das Leben der Elphaba, um ihren Werdegang zur bösen Hexe des Westens und um den Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen. Nun gut, doch der rote Faden geht in der Geschichte immer wieder verloren, gerade dann, als Elphaba für einige Zeit im Winkus wohnt. Was sie dort will, erfährt man zwar, warum sie dann aber beinahe schon dort wohnt, blieb mir schleierhaft.

Die Atmosphäre im Buch und im Musical unterscheidet sich ebenfalls gewaltig voneinander. Im Gegensatz zum Musical, wo sich letztendlich doch alles wieder zum Guten wendet, ist die Atmosphäre im Roman sehr düster und wird nur teilweise durch den sarkastischen Humor Elphabas aufgelockert. Diese Düsternis kommt wohl hauptsächlich von der einen Frage, die sich immer wieder im Buch wiederholt: Was ist denn jetzt eigentlich „gut“ und was ist „böse“? Gibt es pure Bosheit und gibt es das reine Gute? Nicht nur, dass Elphaba schon von Anfang an auf der Suche nach einer Antwort ist, diese Frage spiegelt sich auch immer wieder in der Handlung von „Wicked“ wider. Handelt Elphaba böse, wenn sie für die Durchsetzung ihrer Prinzipien und zur Rettung der TIERE über Leichen geht? Handeln Galinda und die restlichen Bewohner von Oz recht und gut, wenn sie die Gesetze des Zauberers nicht infrage stellen und dazu beitragen, die TIERE in ihrem gesellschaftlichen Stand herabzusetzen? Diese Fragen werden offengelassen, sodass sich der Leser selbst darüber Gedanken machen kann, was denn nun eigentlich gut und was böse ist.

Etwas, das „Wicked“ in jedem Fall zu etwas Besonderem macht, ist der Schreibstil Gregory Maguires, der sehr eigentümlich und wortgewandt daherkommt. Der Autor erschafft aufwändige und selbstsichere Satzkonstruktionen mit neuen oder alten Wörtern, auf welche die meisten anderen Autoren nicht einmal im Traum kämen, wobei hier entsprechend ein Lob an den Übersetzer zu richten ist. Der Schreibstil ist zwar nicht unbedingt lebendig zu nennen, aber jedenfalls auf seine ganz eigene Art bezaubernd.

Auch das Ende hat mir an sich gut gefallen, auch wenn es anders ausfällt als im Musical. Dennoch blieben einige Fragen zur Handlung offen, die leider nicht mehr beantwortet wurden. So zum Beispiel: Was ist mit Fiyero geschehen? Oder: Wie ist der Holzfäller zum Blechmann geworden? Und warum brennt Elphabas Haut eigentlich, wenn sie mit Wasser in Berührung kommt? Auf diese Fragen gibt es zumindest im vorliegenden Band keine Antworten.

Fazit:

Alles in allem ist die Vorlage zum Musical „Wicked – Die Hexen von Oz“ zwar ganz anders als das Musical, weiß aber dennoch auf andere Art und Weise zu gefallen. Es gab einige Dinge, die mir weniger gefallen haben – die blassen Charaktere und die offenen Fragen am Ende beispielsweise -, aber letztendlich ist „Wicked“ ein gelungenes Buch, bei dem es sich für Wicked-Fans (und auch für Nicht-Wicked-Fans) lohnt, einmal einen Blick hineinzuwerfen.

Der Autor:

Gregory Maguire wurde 1954 geboren und lebt heute mit seiner Familie in Boston, Massachusetts. Er schrieb zahlreiche Jugendbücher, bis er schließlich die Reihe „Wicked“, „Son of a Witch“ und „A Lion among Men“ veröffentlichte, welche L. Frank Baums Geschichte „Der Zauberer in Oz“ aufgreift. Das erfolgreiche Musical „Wicked – Die Hexen von Oz“, das zurzeit auch in Stuttgart aufgeführt wird, basiert auf seinem Roman.

Originaltitel: Wicked. The Life and Times of the Wicked Witch of the West
Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring
536 Seiten, Klappenbroschur mit Karte
ISBN-13: 978-3-608-93811-1
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